Casa des Schusters Modorok

  • Tatsächlich! Da war das Haus, das ihr die ältere Frau in der Therme beschrieben hatte. Über der Tür des Ladens prangte das Schild Sutor Modorok


    Alpina trat in den schmalen Durchgang neben dem Laden und klopfte an die Tür des Wohnhauses. Es dauerte nicht lange, dann öffnete die Frau aus der Therme.



    "Oh wie schön, dass Du kommen konntest!", rief sie erfreut aus. Dann drehte sich um und rief ins Innere des Hauses: "Almudis! Die Hebamme ist da!"
    Sie öffnete die Tür weit.
    "Tritt ein"
    Alpina bedankte sich und ging hinter der Frau her ins Innere des Handwerkerhauses. Neugierig sah sich Alpina um. Es war offensichtlich, dass die Bewohner trotz ihrer germanischen Namen bereits viele Annehmlichkeiten des römischen Lebensstils übernommen hatten. Keramik und Wandbemalung zeigten den Einfluss der römischen Kultur.
    Aus dem Dunkel des hinteren Hausteils kam Alpina eine junge Frau entgegen. Sie ging langsam und stütze sich mit einer Hand im Rücken. Ihr Bauch ließ erkennen, dass die Schwangerschaft schon fortgeschritten war. Es würde sicher nicht mehr lange dauern, bis zur Geburt.



    Alpina lächelte die junge Frau an.
    "Salve, Almudis! Mein Name ist Alpina. Ich freue mich dich kennenzulernen."


    Almudis erwiderte zunächst das Lächeln. Dann zeigten sich jedoch Längsfalten an ihrer Nasenwurzel.
    "Du bist noch reichlich jung, Alpina. Hast du schon eigene Kinder?"
    Alpina verneinte. Sie beeilte sich aber, Almudis zu versichern, dass sie bereits seit fast 5 Jahren mit ihrer Mutter zu Entbindungen gegangen war und durchaus über einige Erfahrung verfügte.
    Die Germanin nickte. "Nun, mir bleibt ohnehin nichts anderes, als dir zu vertrauen, schließlich haben wir hier sonst keine Hebamme. Komm erst mal her und setz dich. Möchtest du ein Glas Milch?"
    Alpina nahm die Einladung dankend an und setzte sich.

  • Sie sprachen über dies und das und Alpina streute zwischenrein ein paar wichtige Fragen über den Verlauf der Schwangerschaft. Nach einer Weile glaubte sie genug Vertrauen aufgebaut zu haben, um Almudis körperlich untersuchen zu können. Almudis stimmte zu und Alpina ließ sich von ihr in ihre Kammer führen. Sie tastete den Bauch ab, bestimmte die Lage des Kindes und stellte zufrieden fest, dass das Kind bereits mit dem Kopf nach unten im Mutterleib lag. Der Muttermund war noch geschlossen. Alles schien soweit normal. Zuletzt legte Alpina ihr Ohr auf den gespannten Bauch der Schwangeren und lauschte den kindlichen Herztönen. Dann erhob sie sich zufrieden.
    "Es ist alles in Ordnung Almudis. Ich komme nächste Woche wieder, um nach Dir zu sehen. Wenn vorher irgendetwas komisch ist, Du ungewöhnliche Bauch- oder Rückenschmerzen bekommst oder Dich etwas beunruhigt, dann lass mich rufen. Du kannst mich tagsüber meist in der Taberna medica finden oder sonst weiß mein Sklave Leonides, wo ich bin. Aber auch nachts kannst Du jederzeit nach mir schicken lassen. Dann musst Du an die Tür der Casa Atia klopfen."
    Sie ließ der jungen Frau noch eine Salbe da, die verhindern sollte, dass die Haut über dem gespannten Bauch riss und verabschiedete sich dann von den beiden Frauen.

  • Wie versprochen machte sich Alpina eine Woche nach ihrem ersten Besuch wieder auf den Weg zur Casa des Schusters. Diesmal war es Almudis, die der jungen Obstetrix öffnete.
    "Oh wie schön, dass Du kommst, Alpina!", sie lächelte fröhlich und schien sich tatsächlich über den Besuch zu freuen. "Komm herein. Ich bin alleine. Meine Schwiegermutter und mein Mann sind auf dem Wochenmarkt bei den Cabanae - Schuhe verkaufen."
    Sie ging voraus und ließ Alpina in den geräumigen Wohnbereich des Hauses. Erschöpft ließ sie sich auf einen Stuhl fallen.
    "Das Gehen fällt mir schon so schwer, ich frage mich, wie lange ich noch warten muss?"
    Alpina nahm neben Almudis Platz. Während sie den Puls kontrollierte stellte sie der jungen Germanin einige Fragen.
    "Hast Du ab und an Schmerzen oder Bauchkrämpfe?"
    Almudis schüttelte zunächst den Kopf, dann aber fiel ihr doch noch etwas ein.
    "Gestern habe ich Wäsche gewaschen und als ich so über längere Zeit vornübergebeugt gestanden haben, ist der Bauch plötzlich ganz fest geworden. Dann hat es auch ein wenig in die Oberschenkel und den Rücken gezogen. Hat das was zu bedeuten?"
    Alpina wog den Kopf hin und her. "Es könnte sein. Ich muss Dich untersuchen. Können wir zu Deinem Bett gehen?"
    Almudis stöhnte als die junge Raeterin ihr aufhalf. Gemeinsam wechselten sie den Raum. Alpina wusch sich die Hände in der Waschschüssel auf dem Nachttisch, dann begann sie mit der körperlichen Untersuchung. Sie konnte erkennen, dass sich der Muttermund bereits spannte. Die Vorwehenphase hatte begonnen. Alpina tastete nach dem Kind. Es lag nach wie vor gut im Mutterleib, startberreit für die Geburt. Zuletzt hörte Alpina wieder die Herztönen des Kleinen ab. Alles in Ordnung.
    "Almudis, die Geburt wird nicht mehr lange auf sich warten lassen. Mach Dich darauf gefasst, dass es innerhalb der nächsten Tag dazu kommen wird, dass Du Wehen bekommst oder das Fruchtwasser verlierst. Lass mich sofort rufen, wenn es soweit ist."
    Die junge Germanin nickte.
    "Ich habe Angst, Alpina. Ist es so schlimm, wie alle sagen? Sind die Schmerzen wirklich so arg?"
    "Was soll ich Dir sagen, Almudis. Ich hatte diese Schmerzen noch nicht, aber ich habe schon viele Frauen gesehen, die sie ertragen mussten. Ich kann Dir aber versichern, dass die Freude über Dein Kind die Mühen tausendmal aufwiegt. Ganz sicher!"
    Almudis lächelte tapfer. "Nun, wenn Du das sagst. Es bleibt mir ohnehin nichts, oder?"
    "Nein", erwiderte Alpina. "Es bringt nichts, da musst Du durch! Und ich verspreche Dir, Du wirst es wunderbar hinbekommen! Wir beide schaffen das!"
    Almudis letztes Lächeln wirkte schon wieder zuversichtlicher und so fiel es Alpina leichter, die junge Frau allein zu lassen.

  • Das Wimmern der Gebärenden war bereits zu hören, als Alpina die Casa des Schusters Modorok betrat. Mit zügigen Schritten durchquerte sie den Wohnraum und fand Almudis auf ihrem Bett liegend vor. Sie krümmte sich vor Schmerz und stöhnte laut. Alpina trat zu ihr und kniete sich neben die junge Frau.

    "Hallo, Almudis! Ich bin es, Alpina."
    Die Schwangere drehte sich zu ihr um und ein zaghaftes Lächeln erschien auf ihrem schmerzverzerrten Gesicht.
    "Wie gut, dass Du gleich kommen konntest, Alpina. Ich glaube, ich sterbe!"
    Alpina musste lächeln ob der Übertreibung der Gebärenden, aber sie kannte diese Äußerungen. Wehen waren kein leichtes Bauchgrimmen - ihre Intensität überraschte die Erstgebärenden oft.
    "Wann haben die Wehen begonnen und wie oft kommen sie?", wollte Alpina wissen.
    "Ich denke seit der 5. oder 6. Stunde. Ich habe Dich rufen lassen, als sie regelmäßig wurden. War das richtig so?"
    "Bestens!", antwortete Alpina. "Ich werde jetzt erstmal heißes Wasser holen und dann untersuche ich Dich."


    Sie ging zum Herd des Hauses und traf dort mit der Schwiegermutter von Almudis zusammen, die aufgeregt zwischen Werkstatt und Wohnräumen hin und herlief.

    "Wie froh ich bin, dass Du da bist, dass Du kommen konntest! Ich bin so nervös! Ich weiß gar nicht mehr, wie das bei mir war. Alleine würde ich so eine Entbindung sicher nicht durchstehen."
    Alpina lächelte und beruhigte die Frau. Dann gab sie Anweisungen, ihr eine Schüssel mit heißem Wasser zu bringen und aus den Kräutern, die sie der Frau reichte, einen Tee für Almudis zu kochen.


    Wieder zurück bei der Gebärenden, bat Alpina die junge Germanin, sie möge alles Beengende lösen und sogar die Haare lösen, um die Entbindung zu erleichtern. Nachdem sie ein Gebet für die Geburtsgöttin Iuno Lucina gesprochen hatte, setzte sie sich an den Bettrand und untersuchte Almudis Bauch. Das Kind lag richtigherum und schien auch schon ins Becken gerutscht zu sein. Doch Alpina konnte auch tasten, dass es sich um ein sehr großes Kind handelte. Es würde mit Sicherheit keine leichte Entbindung werden.
    Als die Schüssel mit dem heißen Wasser gebracht wurde, wusch sich Alpina die Hände darin. Sie ölte sich die Finger mit Olivenöl ein und begann mit der Untersuchung des Unterleibs. Tatsächlich war der Muttermund schon 4 Finger breit geöffnet und Alpina konnte den Kopf des Kindes tasten. Die Fruchtblase war noch intakt, das Fruchtwasser noch nicht abgegangen. Sie legte ihr Ohr auf den Bauch der jungen Frau und horchte nach den Herztönen. Alles in Ordnung. Dann teilte sie Almudis das Ergebnis der Untersuchung mit.
    "Das beste wird jetzt sein, wenn Du aufstehst und Dich noch ein wenig bewegst. Denn die Geburt geht meist schneller voran, wenn man aufrecht ist. Außerdem hoffe ich, dass die Fruchtblase noch platzt. Das erleichtert die Sache."
    Almudis starrte sie ungläubig an.
    "Ich soll aufstehen und gehen? Das ist nicht Dein Ernst? Ich kann mich kaum noch bewegen und dazu noch diese Schmerzen... ah! Da sind sie schon wieder! Unmöglich! Ich kann nicht aufstehen!"
    Alpina streichelte beruhgiend die Hand der jungen Frau und wartete, bis die Schwiegermutter mit dem Tee kam.
    "Wir helfen Dir beim Aufstehen, Almudis. Keine Sorge!"
    Durch ihre Beharrlichkeit und die Sicherheit, die Alpina ausstrahlte, ließ sich Almudis bewegen aufzustehen. Zu zweit halfen sie ihr auf und begannen, unterbrochen von den Wehen, mit der Gebärenden durch das Haus zu wandern.

  • Die Stunden vergingen und die Nacht brach an. Weder Gebete, noch Tränen, noch verzweifeltes Flehen schienen die Geburtsgöttin milde zu stimmen. Almundis konnte den Tee inzwischen nicht mehr sehen. Sie war mit ihren Kräften am Ende. Alpina hatte mit einer Nadel die Fruchtblase geöffnet und das Fruchtwasser abgelassen. Daraufhin war das Köpfchen zwar sichtbar geworden, aber es war offensichtlich, dass der große Schädel nur mit Mühe durch das enge Becken der Germanin passen würde. Als nun auch die Herztöne des Kindes leiser wurden, fällte Alpina eine Entscheidung. Sie würde das Kind mit einem Dammschnitt und ein wenig sanfter Gewalt auf die Welt holen müssen. Nachdem sie Almunis und ihre Schwiegermutter über das weitere Vorgehen informiert hatte, begann sie ihre Instrumente herzurichten. Die Schwiegermutter brachte frisches heißes Wasser und Essig, wie Alpina es sich gewünscht hatte. Sie stellte ein Wasser-Essig-Gemisch her und reinigte zunächst Schere und Skalpell, dann den Unterleib der Gebährenden.
    Alpina schob das Köpfchen des Kleinen sanft ein Stück in den Unterleib zurück, um Platz für das Skalpell zuhaben. Sie wartete die nächste Wehe ab, dann schnitt sie beherzt den Damm ein. Almundis Schrei gab den Startbefehl für die Schwiegermutter. Die schob von oben das Kind auf den Muttermund zu während Alpina mit sicheren Griffen den Kopf des Kleinen packte und begleitet vom verzweifelten Pressen der Gebärenden das Kind aus dem Uterus zog.
    Blutbeschmiert rutschte der kleine Junge in Alpinas Hände und gab sogleich einen kräftigen Schrei zum Besten. Almundis schmerzverzerrte Gesichtszüge entspannten sich ein wenig.
    "Es ist ein kräftiger Junge, Almundis", verkündete Alpina erleichtert und wickelte den kleinen Schreihals in ein Tuch, das ihr die Schwiegermutter reichte.
    Sie beeilte sich, die Blutung zu stoppen. Dann nabelte sie den Jungen ab und begann die Wunde mit der bereitgelegten Nadel zu vernähen. Almundis schien die Stiche kaum wahrzunehmen. Glücklich liebkoste sie das kleine Bündel, das ihr die Schwiegermutter reichte.

  • Die Plazenta hatte sich glücklicherweise vollständig gelös. Damit war eine der gefürchtetsten Komplikationen gebannt. Alpina nahm sich Zeit, Almudis die Grundprinzipien des Stillens zu erklären und übte geduldig das Anlegen des Säuglings mit der glücklichen jungen Mutter. Sie ließ eine Dose mit Eichenrinde da. Aus den Kräutern sollte die Schwiegermutter einen Sud kochen, den Almudis für ein Sitzbad verwenden konnte, damit sich die Dammnaht bald schloss und es nicht zu einer Infektion kam.
    Schließlich badete sie, unterstützt von der Schwiegermutter den Säugling, der heftig schrie als sie ihn mit einer Salzpaste und Wasser von den Resten der Käseschmiere und des Blutes befreite. Anschließend wickelte sie ihn in die bereitgelgten Binden.
    Mit dem Versprechen, am kommenden Tag wieder nach Almudis und dem Kleinen zu sehen, verabschiedete sie sich und machte sich auf den Weg nach Hause. Sie war müde aber zufrieden.

  • Almudis stillte gerade ihren kleinen Sohn als Alpina zum ersten Besuch nach der Entbindung kam. Sie strahlte die junge Hebamme glücklich an.
    "Alpina, wie schön, dass Du da bist! Sieh nur, wie gierig er trinkt!"
    Alpina lächelte und sah eine Weile zu wie der kleine Fratz zufrieden an der Mutterbrust trank. Währenddessen stellte sie Almudis einige Fragen zum Wochenfluss, zu Schmerzen und Körpertemperatur. Wie erwartet hatte die junge Germanin Schmerzen im Bereich der Dammnaht und auch am Schambein, wenn sie aufstand. Als sie mit dem Stillen fertig war und den Kleinen ihrer Schwiegermutter in den Arm gedrückt hatte, präsentierte sie Alpina ihren Unterleib. Die Dammnaht war wulstig, rot und geschwollen.
    Alpina ließ sich heißtes Wasser bringen, wusch die Hände und säuberte auch die Wundregion. Almudis stöhnte auf. Immerhin war die Wunde nicht eitrig. Ein Druck auf das Schambein bestätigte Alpinas Vermutung. Durch den sehr großen Kopf des Jungen hatte sich der Beckenring während des Durchtritts gelockert. Das war sehr schmerzhaft und würde auch eine Weile dauern. Schonend brachte Alpina der jungen Wöchnerin das Ergebnis der Untersuchung bei. Dann bereitete sie aus Eichenrindensud und Kamille ein Sitzbad für Almudis zu. Sie half der Germanin, die sich nur unter Stöhnen bewegen konnte, das Sitzbad durchzuführen. Anschließend machte Alpina einen Umschlag mit naturbelassener Wolle, um den Heilungsprozess zu unterstützen. Sie versicherte Almudis auch am kommenden Tag wieder nach ihr zu sehen.

  • Im Haus des Schusters summte und brummte es wie in einem Bienenstock. Es war der Tag des dies lustricus. Alle Freunde und Verwandte des Paares waren gekommen, um die Namensgebung des jüngsten Familienmitgliedes zu feiern. Und selbstverständlich war Alpina eingeladen. Sie würde an diesem Tag ihren Lohn für die erfolgreiche Entbindung und die Versorgung der Wöchnerin erhalten. Es würde ihr erster eigener Lohn als Obstetrix sein. Bislang hatte immer ihre Mutter den Lohn kassiert.


    Für Almudis hatte Alpina ein paar Packungen ihrer Heiltees zusammengestellt und für den Kleinen ein geschnitztes Holzpferd gekauft. Es würde wohl noch einige Zeit dauern, bis er damit spielen konnte, aber sie hoffte, dass er es dann gerne haben würde.


    Interessiert sah sich Alpina unter der Festgemeinde um und wurde nicht müde, jedem, der fragte, zu erzählen, dass sie die Obstetrix war, die das Kind zur Welt gebracht hatte und zudem eine Taberna medica in der Stadt besaß. Sie hoffte, dass sie auf diese Weise noch ein paar potentielle Kunden angesprochen hatte.

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