[canabae] Hausbesuch bei Gisela

  • Alpina klopfte an die Tür des Hauses der Lebensgefährtin des Torwächters, der sie bei ihrer Rückkehr von ihrer Reise ins freie Germanien begrüßt hatte. Das Paar hatte bereits drei Kinder und Gisela hatte zwei weitere während der Schwangerschaft verloren. Dieses würde also das vierte werden, wenn sie es austragen konnte.


    Gisela begrüßte Alpina fröhlich. Um sie herum tanzten die Kinder wie die Orgelpfeifen. Es war laut und turbulent im Haus. Zwischen dem Gekreische der Kinder erfuhr die Hebamme, dass Gisela bereits im achten Monat war. Ihrem voluminösen Bauch war es deutlich anzusehen. Die Untersuchung ergab einen bereits leicht geöffneten Muttermund. Alpina warnte die Germanin, mehr Ruhe zu geben. Was diese mit einem schallenden Lachen quittierte.
    "Klar, Alpina. Und du kümmerst dich dann um diese Bälger, die Wäsche und den Haushalt, oder?"


    Natürlich wusste Alpina, dass Giselas Leben mit den Kindern kein Zuckerschlecken war. Sie konnte sich noch gar nicht vorstellen, wie ihr Leben sich verändern würde...
    Schnell verdrängte sie den Gedanken, verordnete einen Tee und versprach, bald wiederzukommen.


    Als sie vor die Tür trat, sah sie, dass es bereits dämmerte. Sie würde ihren Besuch bei Runa wohl auf den kommenden Tag verschieben müssen.

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    Gerade als Alpina vor der Tür stand tauchte Gaius mitsamt drei Kameraden auf. Einer der drei war auch was älter, verabschiedete sich nach einer knappen Begrüßung von Alpina und ging in ein Streifenhaus im nächsten Block.


    Die anderen beiden, nur gut halb so halt wie der wohl schon mindestens 45jährige Gaius, blieben allerdings und gingen nach Aufforderung ins Haus.
    Der eine trug einen Korb mit Lebensmitteln und der andere zwei Amphoren aus denen es verdächtig nach Bier roch.


    "Gisela Schätzchen... ich hab noch zwei Kameraden zum Essen mitgebracht!"


    Gaius blieb noch einen Moment und sah sich Alpina kurz von oben nach unten an.
    "Vielen Dank das gleich heute noch vorbei gekommen bist! Diese ständige Kotzerei von Gisele geht mir fast mehr auf die Nerven als das Geschrei der Bälger. Wenn ich sie nicht alle lieben würde hätte ich die schon längst rausgeworfen!"
    Er drückte Alpina ein paar Sesterzen in die Hand ohne groß zu fragen was die Behandlung gekostet hatte oder ob sie schon statt gefunden hatte.
    "Du hast dich aber irgendwie verändert...kürzere Haare richtig... naja ist ja deine Sache. Hast du nicht Lust heute Abend bei uns zu bleiben? Titus und Marcus sind nette Jungs und werden auch nicht zutraulich... Oder läuft da bei dir was mit einem der Helvetier die mit dir in dieser großen Casa wohnen? Wann siedelst du denn überhaupt hier in unser Viertel über?"


    Oh ja viele Fragen aber irgendwie schien Gaius den Eindruck zu vermitteln das Alpina in die Gemeinschaft hier aufgenommen war. Das war Alpina beim Gang zu Gisela vielleicht auch erst gar nicht aufgefallen aber sie war diverse Male gegrüßt worden und mehr als einmal hatten Frauen bekundet das es gut war das sie wieder da war und sie nun wieder wussten zu wem sie gehen sollten mit medizinischen Problemen.

  • Als Alpina gehen wollte kam gerade Giselas Lebensgefährte Gaius. Er schien in Feierabendlaune zu sein. Mit seinen Kameraden trug er Amphoren ins Haus. Er dankte Alpina für ihre Hilfe und steckte ihr Geld zu. Die Einladung, die er anschließend aussprach, ließ Alpina jedoch den Kopf schütteln. Die Erwähnung der Helvetier führte zu einem Zusammenzucken.


    "Versteh bitte, wenn ich in der ersten Nacht nach meiner langen, beschwerlichen Reise ins freie Germanien in der Casa Atia bleiben möchte. Ich bin zu erschöpft zum Feiern. Ich danke dir für deine Gastfreundschaft und schließe auch nicht aus, dass es mich irgendwann in die Cabanae verschlagen wird, doch noch nicht momentan. Ich wohne kostenlos in der Casa Atia. Solange Atius Scarpus sein Haus nicht benötigt, habe ich alles was ich brauche. Und du weißt ja, dass mir der Weg in die Cabanae nie zu weit ist Ich komme jederzeit, wenn man mich ruft. Hoffentlich geht es Gisela bald besser. Ich sehe bald nach ihr."


    Sie wollte sich schon umdrehen, als sie innehielt. "Und was die helvetischen Brüder angeht, so sind wir nur gute Freunde, sehr gute Freunde.... ach, ja, Gaius. Hast du etwas von Corvinus gehört? Wie geht es ihm gesundheitlich, ich habe ihn lange nicht gesehen? Und... äh, wie kommt er damit zurecht, dass er jetzt Decuro ist?"

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    Der Legionär schien ihr nicht übel zu nehmen das sie seine Einladung ausschlug und nickte sogar einmal kurz verständnisvoll als sie meinte das sie sich erst einmal ausruhen müsse. Das Zusammenzucken ließ ihn kurz die Stirn runzeln.
    "Ja stimmt schon aber ist immer besser wenn man bei seinen Leuten wohnt als bei denen in der Stadt. Die meisten von denen halten uns hier in der Canabae ja für halbe Wilde und wir sind ihnen nur wichtig wenn wir gegen Barbaren kämpfen sollen aber sonst sind wir denen doch egal. Du gehörst hier zu uns und nicht zu denen... also wenn man mich fragt.
    Wie auch immer wenn du Gisela was gegeben hast was gegen die Kotzerei hilft ist ja schon mal viel gewonnen und lange wird es wohl nicht mehr dauern bis der nächste Schreihals da ist."
    Ihm schien es ein wenig unangenehm zu sein das so deutlich ausgesprochen zu haben.


    Die Nachfrage nach Corvinus ließ den älteren Legionär kurz nachdenken.
    "Hmm der war ja noch nicht einmal in meiner Kohorte so das ich nicht so viel mitbekommen habe. Es gingen schon ein paar Gerüchte rum. Er war ja wie ein Komet aufgestiegen vom Tiro zum Centurio in so kurzer Zeit daran konnte sich keiner erinnern. Hoch dekoriert war er ja auch worden auf dem Feldzug. Doch danach sank sein Stern fast genauso schnell wie er aufgegangen war. Man hat ihm keine Centurie mehr gegeben nach der Rückkehr der Legio... ich glaube auch das er nicht sonderlich beliebt war bei den anderen Centurionen eben wegen seinem schnellen Aufstieg. Nach den Verlusten in Italien sind ja auch etliche Optios zum Centurio geworden die Corvinus vorher alle überholt hatte. Die waren natürlich besonders froh über die...Versetzung. Ein paar mal hab ich jedenfalls mitbekommen wie sie über ihn gelästert haben. Aber mach dir keine zu großen Sorgen, wenn man Centurio ist dann muss man ein ganz harter Hund werden. Da ist ordentlich Ellenbogen gefragt gibt ja nur gut 60 Plätze ... das auch der Grund warum ich das nie wollte. Lieber schön Immunes das reicht mir. Seit dem er Decurio ist weiß ich aber nichts neues mehr zu berichten. Ab und an wenn ich am passenden Tor Wache hatte hab ich ihn mit seiner Turmae auf dem Campus üben sehen. Er war ja nie so der Reiter glaube ich. Wusstest du übrigens das seine Leute alles..."


    In dem Moment kam von drinnen ein leicht ärgerliches
    "GAIUS kommst du jetzt mal langsam rein! Das Essen steht auf dem Tisch und deine Kinder wollen dich auch sehen!"


    "Aber natürlich Schätzchen!" rief er rein sah Alpina entschuldigend an


    "T´schuldigung... wie gesagt komm mit rein dann können wir weitersprechen. Ansonsten muss ich jetzt."

  • Gebannt lauschte Alpina den Ausführungen des Mannes. Das waren alles Informationen über Corvinus, die sie nicht gewusst hatte. Sie wussten so wenig voneinander...
    Er hatte es nicht leicht gehabt. Natürlich war so ein harter Knochen aus ihm geworden. Wie gerne hätte sie das alles von ihm, aus seinem Mund gehört. Aus erster Hand, das was ihn geformt und hart gemacht hatte... ob sie noch die Gelegenheit bekommen würde?
    Sie kämpfte mit sich. Einerseits wollte sie gerne mehr über Corvinus erfahren, aber Soldatengespräche und womöglich Anzüglichkeiten seitens der Kameraden von Gaius wollte sie doch lieber vermeiden. Ohnehin hatte Gaius gesagt, dass er ihn nicht so gut kennen würde, nur Gerüchte gehört habe. Also schüttelte Alpina noch einmal den Kopf.


    "Danke für das Angebot. Aber ich gehe jetzt besser. Es wird schon langsam dunkel. Nächste Woche sehe ich nach Gisela und wie schon gesagt, vielleicht ziehe ich ja irgendwann in eure Nähe. Wir werden sehen, was die Götter noch mit uns vorhaben."

  • Wie versprochen erschien Alpina nur eine Woche nach ihrem ersten Besuch erneut bei der schwangeren Gisela. Die Übelkeit hatte sich gebessert, auch wenn die Germanin nach wie vor bestimmte Gerüche überhaupt nicht vertragen konnte.
    Alpina führte ihre übliche Untersuchung durch. Es gab wenig Veränderungen im Vergleich zu ihrem letzten Besuch. Erneut ermahte die Hebamme Gisela nicht zu schwer zu heben und sich nicht zu sehr anzustrengen. Auf die Frage nach Senkwehen, nickte die Schwangere.
    "Ja, heute das erste Mal. Ich kenne das ja schon, Alpina. Ich weiß, dass es nicht mehr lange dauert. Also bin ich schon vorsichtiger geworden."


    Alpina hoffte, dass das nicht nur so dahingesagt war, denn eigentlich war es noch zu früh für die Geburt und Gisela hatte bereits zwei Kinder vorzeitig verloren. Das Risiko für eine Frühgeburt war bei ihr durchaus gegeben.
    Mit einem ernten Blick und dem erhobenen Zeigefinger, sie jederzeit rufen zu lassen, wenn die Wehen einsetzten, verabschiedete sich die Hebamme.

  • So schnell sie mit dem Korb laufen konnte, folgte Alpina dem Jungen in die Cabanae. Sie kannte ja den Weg. Die Tür zu dem einfachen Streifenhaus stand sperrangelweit offen. Alpina rief schon beim Eintreten den Namen der schwangeren Frau.
    "Gisela, Gisela! Ich bin´s, Alpina!! Wo bist du?"


    Aus einem der kleinen Zimmer des Wohntraktes kam die Antwort.
    "Hier, Alpina! Hier!"


    Alpina ging der Stimme nach und fand Gisela in ihrem Cubiculum. Kaum hatte Alpina die Kammer betreten, als eine lärmende Kinderschar das Cubiculum stürmte. Gisela schimpfte und versuchte zunächst mit Drohungen und dann mit Versprechungen ihre Kinder hinauszuschicken. Doch ohne Erfolg. Der Besuch der Hebamme versprach eine gewisse Abwechslung im Alltag der Kleinen. Alpina musste lächeln. Es war eben alles nicht mehr so einfach, wenn noch ein paar kleine DIckköpfe mitbestimmen wollten. Sie versuchte es mit einer List.
    "Ich glaube, Kinder, ich habe die Puppenspieler vor dem Haus des Schusters gesehen. Sie geben bestimmt bald eine Vorstellung. Wollt ihr die nicht sehen?"


    Mit freudigem Jauchzen stürmten die lieben Kleinen hinaus und Alpina hatte Gisela für sich. Die blonde, dralle Frau wirkte sehr ungelücklich.
    "Alpina, es ist soweit. Vorhin ist das Fruchtwasser abgegangen. Gleich in einem Schwall. Ich weiß, dass das bedeutet, dass wir nicht warten können. Dieses Kind will ans Licht der Welt und dabei ist es noch zu früh. EIgentlich wären es noch mindestens fünf Wochen, wenn ich richtig gezählt habe..."


    Alpina nickte traurig. Sie war alles andere als glücklich über diesen unerwarteten Beginn der Geburt. Das Kind war noch unreif, womöglich würde es die Geburt nicht überleben.
    "Hast du bereits Wehen?"


    Gisela schüttelte den Kopf. "Nicht wirklich. Es zieht nur ab und an im Rücken, aber nicht stark und Kontraktionen der Gebärmutter sind noch keine zu merken. Was machen wir, Alpina? Ich habe Angst um mein Kind!"


    Der Hebamme ging es ebenso, sie wollte die Germanin das aber nicht spüren lassen. Dazu kam, dass sie sich emotional nicht so gefestigt fühlte, wie bei den anderen Entbindungen zuvor. Diesmal war sie selbst schwanger. Alles was Gisela passierte, würde in wenigen Monaten womöglich ihr Schicksal sein. Sie atmete tief durch und versuchte möglichst zuversichtlich zu klingen.
    "Nun mache ich erst einmal die übliche Untersuchung und dann werde ich dir einen Tee kochen, der die Wehen in Gang bringen soll. Beruhige dich. Ich habe schon ein paar Mal Achtmonatskinder auf die Welt geholt."


    Was sie nicht dazu sagte, war, dass nur die wenigsten überlebt hatten.

  • Die Untersuchung bestätigte Alpinas Befürchtungen. Das Kind war erwartungsgemäß klein und zart, aber bereits kopfüber ins Becken gerutscht. Der Muttermund war drei Finger breit geöffnet. Die Herztöne waren nur leise zu vernehmen. Doch die gesamte Zeit der Untersuchung kam nicht eine Wehe. Alpina verzog das Gesicht.


    Sie bereitete aus Verbenenblättern einen Tee, der die Wehen in Gang bringen sollte. Inzwischen waren die Kinder enttäuscht zurückgekehrt. Alpina musste nun damit leben, dass sie in ihr eine Lügnerin sahen. Gisela stand wieder auf und bereitete mit Alpinas Hilfe für alle ein einfaches Abendessen. Ihr Mann, der Legionär Gaius, kam vorbei. Er sorgte sich um seine GIsela und auch wenn Alpina versuchte, zuversichtlich zu klingen, so war ihm doch die unterschwellige Angst anzusehen.


    Selbst die zweite Kanne Verbenentee brachte keine Wehen hervor. Alpina und Gisela entschieden gemeinsam, die Nacht abzuwarten und erst gegen Morgen mit stärkeren Mitteln einzugreifen. Die Germanin richtete der Hebamme ein Lager in ihrer Nähe ein, dann legten sie sich schlafen.

  • Am kommenden Morgen waren immer noch keine Wehen in Sicht. Bevor Alpina weitere Maßnahmen einleitete, brachte sie Giselas Kinder zu einer Nachbarin. Sie würden nur im Weg umgehen.
    Dann kochte Alpina erneut Wasser für einen besonderen Tee aus kretischem DIptam. Das seltene und teure Heilkraut zeigte wie Alpina aus Erfrahrung wusste, gute Wirkung. In die Glut warf sie Harzkörner der Myrrhe. Auch sie wirkten wehenfördernd. Den Bauch der Schwangeren rieb die Hebamme mit einem Ölgemisch aus Olivenöl mit dem ätherischen Öl der Poleiminze ein.


    Die Wirkung setzte nach etwa einer Stunde ein. Die Wehen kamen, zunächst noch in großen Abständen. Nach einem weiteren Becher Tee heftiger und in kürzern Abständen. Gisela kniete auf dem Boden und stützte den Oberkörper nach vorne gebeugt auf einem Hocker ab. Da das Kind klein und zart war, erwartete Alpina eine schnelle und leichte Geburt. Und tatsächlich, bereits mit der zweiten Presswehe flutschte der kleine Körper in ihre Hände. Die Haut des kleinen Jungen war dunkelmarmoriert, das Gesichtchen bläulich. Der Brustkorb des Kleinen bewegte sich schnell und ruckartig auf und ab, der Atem ging stoßweise, röchelnd.


    "Was ist es Alpina? Ist es gesund?"
    In Giselas Stimme schwang Angst mit. Alpina hätte sie gerne beruhigt, etwas Tröstendes gesagt, doch es stand nicht gut um das schwache Kind in ihrem Arm.


    "Es ist ein kleine Junge, Gisela. Er braucht jetzt schnell viel Wärme. Ich werde ihn gleich abnabeln, dann packen wir ihn warm ein."


    "Hat er eine Chance, Alpina? Wird er leben?" Giselas Stimme zitterte.


    "Wir werden sehen..."
    Alpina hauchte die Antwort mehr als sie laut auszusprechen. Sie konzentrierte sich auf ihre Arbeit, nahm Wolle, band die Nabelschnur ab und durchtrennte sie mit dem Messerchen mit Silberklinge, das sie sich eigens hatte anfertigen lassen. Zügig aber nicht hektisch geschah das alles, dann wickelte sie den kleinen Jungen, dessen Glieder schlaff herunterhingen eng in die bereitliegenden Tücher. Mit dem Finger versuchte sie Schleim aus Nase und Mund zu entfernen, um ihm das Atmen zu erleichtern, doch das rasselnde Geräusch blieb.
    Dann legte sie das winzige Kind auf dem Hocker vor Gisela ab. Noch konnte sie ihn nicht auf den Arm nehmen. Die Nachgeburt war noch nicht geboren.


    Zum Glück ließ die Plazenta nicht lange auf sich warten. Alpina überprüfte sie auf Vollständigkeit, dann trug sie die Schüssel mit dem dunkelroten Mutterkuchen zur Seite. Sie wusch Gisela und half ihr, sich hinzusetzen. Zuletzt drückte sie ihr das Bündel mit dem winzigen Säugling in den Arm. Sie selbst setzte sich neben Gisela. Gemeinsam betrachteten sie den kleinen Jungen, dessen zerknitterte Haut dunkelmarmoriert war. Die kurzen stoßweisen Atemzüge schienen die Luft nicht tief genug in die Lungen zu pumpen.
    Alpina hatte schon vielen Kindern ins Leben geholfen. Zunächst gemeinsam mit ihrer Mutter, aber nun auch schon seit ein paar Jahren alleine. Doch noch immer konnte sie schwer ertragen, wenn eine Entbindung tragisch endete. Der Tod des Kindes war dabei zwar hart, aber meist noch verschmerzbar. Der Tod der Mutter und nicht selten dann auch des Kindes war jedoch für die Zurückgebliebenen ungleich härter. Nicht selten blieb der Witwer mit mehreren Kindern zurück, die er dann alleine, oder in einem glücklichen Fall, gemeinsam mit den Eltern der Verstorbenen oder seinen Eltern aufziehen musste.


    Üblicherweise wäre gemäß der traditionellen Zeremonie nun das "statuere" gefolgt. Dabei stellte die Hebamme das Neugeborene kurz, den Streckreflex ausnützend, auf die Beine. Es war ein Test, der Kraft und Überlebensfähigkeit des Säuglings prognostizierte. Erst danach entschied in der Regel der Vater, ob das Kind im Vorgang des "tollere" aufgehoben wurde, er also die Vaterschaft anerkannte und das Kind unter seine "patria potestas" nahm. In diesem Fall war das unnötig. Zum einen war klar, dass dieser kleine Junge den Test nicht bestehen würde, zum zweiten war er der Sohn einer Peregrina mit einem Soldaten. Das Kind würde also frühestens nach dem Austritt aus der Legion unter die väterliche "patria potestas" gestellt werden.


    Alpina betrachtete Gisela, die sanft über die Wangen des Winzlings stich und ihm gut zuredete. Schmerzhaft krampfte sich ihr Magen zusammen. Wie würde es ihr ergehen, wenn sie in wenigen Monaten entband? Wer würde ihr bei der Entbindung helfen? Was würde sie erwarten? Die Vorstellung, dass auch ihr Kind so wenig Überlebenschancen haben könnte, wie dieses Würmchen verursachte bei Alpina Übelkeit. Sie hatte plötzlich eine unbeschreibliche Angst davor, ihr eigenes Kind auf die Welt zu bringen. Wer wenn nicht sie wusste doch, wieviel schief gehen konnte...

  • Alpina blieb lange bei Gisela. Mehrfach versuchte Gisela den kleinen Jungen zu stillen. Vergeblich. Er war so kraftlos, dass er die Mutterbrust nicht fassen konnte. Schließlich versuchte die versierte Mutter die Milch aus ihrer Brust in den Mund des Säuglings zu streichen. Das gelang auch nur mäßig, zumal der Kleine sich immer wieder verschluckte.
    Schlussendlich packte Alpina ihre Sachen zusammen. Sie versprach am kommenden Morgen wiederzukommen. In tiefer Niedergeschlagenheit verließ sie die Wöchnerin um sich zu ihrer Taberna Medica und dann in die Casa Atia zu gehen.

  • Als Alpina am kommenden Tag kam um nach Gisela und ihrem Sohn zu sehen, bemerkte sie gleich die gedrückte Stimmung. Die Kinder spielten zwar vor der Tür, doch als sie die Hebamme sahen, verstummten sie. Die Gesichter spiegelten ihr Unverständnis über die Grausamkeit der Götter. Das älteste Mädchen kam zu Alpina gelaufen und nahm die Hebamme bei der Hand.


    "Du kommst zu spät, Alpina", sagte sie. "Proserpina hat meinen kleinen Bruder schon zu sich genommen."


    Dann zog sie die traurige Raeterin hinter sich her ins Haus. Aus der Kammer, in der Gisela entbunden hatte, waberte der Qualm von Räucherwerk. Alpina roch Beifuß und Salbei, aber auch den einheimischen Dost und Quendel. Leises Jammern und Weinen drang nach außen. Tief durchatmend machte sich Alpina Mut, den Raum zu betreten. Gisela hatte den kleinen Jungen in saubere Decken gehüllt aufgebahrt. Eine Öllampe über seinem Kopf, die Schale für das Räucherwerk zu Füßen. Mit gelöstem, wirrem Haar und blutig gekratztem Gesicht saß Gisela neben ihrem Kind und wiegte ihren Körper zu einer lautlosen Melodie. Als sie Alpina sah, hielt sie kurz inne, um dann gleich erneut in den weinerlichen Singsang zu verfallen, den Alpina schon zuvor gehört hatte.


    Schweigend setzte sich die erschütterte Hebamme zu der trauernden Mutter. Sie legte ihr den Arm um die Schulter, ließ zu, dass Gisela ihr von Blut und Tränen verschmiertes Gesicht an ihre Tunika drückte. So hielt sie die Trauernde, wiegte sich mit ihr im stillen Reigen aus Trauer und Verlust. Sie weinte mit ihr über das verlorene Kind und die Grausamkeit der Schicksalsschwestern - immer eingedenk, dass in wenigen Monaten sie diejenige sein könnte, die den Tod ihres Kindes beweinen musste.

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