Triclinium | Erstes claudisches Beschnuppern

  • Nach meiner Ankunft, einem erfrischenden Bad und meinem Einzug in meine neuen Räume ließ ich mich von meiner frisch gekürten Leibsklavin einkleiden. Unter Elenis skeptischen Blick versuchte sich Naevia an meinen Haaren, um aus ihnen eine ansehnliche Frisur zu zaubern. Unglücklicherweise war sie auf diesem Gebiet keine große Hilfe. Daran mussten wor also noch arbeiten... oder gleich für Ersatz sorgen!


    Dennoch konnte Naevia mich dann doch noch rechtzeitig zum Triclinium führen. Maevius Tullinus war bereits anwesend und hatte sich auf einer der Klinen breitgemacht. So nahm ich jene Kline ein, die sich rechterhand des Hausherrn befand.
    Von Claudius Menecrates fehlte allerdings noch jede Spur. Allmählich begann ich daran zu zweifeln, ob er wirklich existierte und nicht nur ein Hirngespinst der Sklaven war. Ich war schon sehr gespannt, ihn endlich kennenzulernen.
    Zunächst aber übte ich mich in Geduld und wartete auch das Eintreffen meines einzigen Verwandten hier in Rom.

  • Als Menecrates die Villa betrat, wurde er über die Ankunft der längst erwarteten Claudia Agrippina in Kenntnis gesetzt - einer weitläufig verwandten Nichte, wenn er sich recht erinnerte. Sie sollte laut dem zuvor eingetroffenen Brief eine umgängliche und wohlerzogene junge Frau sein. Die Tage in Senat schafften Menecrates mitunter und so hoffte er, dass sich diese Voraussage bewahrheitete.
    Da der Besuch bereits im Triclinium wartete, beschloss der Hausherr, die ansonsten übliche Erholpause zu verschieben und sich erst der Begrüßung zu widmen. Auf dem Weg kramte er in seiner Erinnerung, wann er Agrippina zuletzt gesehen hatte und über Kenntnisse, ob sie zu den schwatzhaften Frauenzimmern gehörte oder ob sie eher wenig sprach.
    Beim Eintreten wurde ihm der Fremde gewahr, dessen Begleitung im entfallen war. Dann galt aber sein Augenmerk der jungen Frau.

    "Herzlich Willkommen in Rom, Agrippina. Ich hoffe die Anreise verlief gut." Er trat auf Agrippina zu. Eine Begrüßung über sie gebeugt, erschien ihm ebenso unpassend wie wenn er ohne jede Begrüßung Platz genommen hätte. Er überbrückte den Moment des Verharrens mit der Frage: "An was erinnerst du dich in Bezug auf Rom und mich, deinen Onkel?“

  • Eine eintönige Stille herrschte im Triclinium. Was hätte ich mit Maevius Tullinus auch bereden sollen? Ich war froh, wenn er schwieg und mich in Ruhe ließ. Sobald er den Mund aufmachte und das Wort an mich richtete, kritisierte oder korrigierte er mich sowieso immer nur. Dann war es besser, zu schweigen!


    Doch nach einer Weile, hörte ich von Weitem erst Stimmen und kurze Zeit später Schritte, die sich direkt auf das Triclinum zubewegten.
    Ein scheinbar uralter Mann mit grauem Haar trat ein. Doch für sein Alter schien er noch ganz rüstig zu sein. Er benötigte keinerlei Gehhilfen, um sich fortzubewegen.
    Selten hatte ich einen so alten Mann gesehen. Höchstens zu Hause in Achaia vielleicht, die alten Bauern mit ihrem weißen Haar und der wettergegerbten braungebrannten Haut.


    Es verstand sich von selbst, sich von der Kline zu erheben, um die freundliche Begrüßung des Senators zu erwidern. Der Maevius, der plötzlich ganz ehrfürchtig dreinschaute, tat es mir gleich.
    „Salve Onkel! Ich danke dir vielmals für den freundlichen Empfang!“ Ein strahlendes Lächeln lag auf meinen Lippen. „Die Anreise verlief eigentlich ganz gut. Allerdings packte mich die Seekrankheit ein wenig auf dem Schiff.“ Ja, und der Maevius natürlich! „Ach , darf ich dir auch meinen Begleiter vorstellen? Dies ist Maevius Tullinus, ein Klient meines Vaters, der es sich nicht hat nehmen lassen, mich nach Rom zu begleiten.“

    Nun richtete natürlich auch mein Begleiter ein paar grüßende Worte an meinen Verwandten. „Senator Claudius Menecrates, es ist mir eine besondere Ehre, dich kennenzulernen!“ Der Maevius stand ganz steif da, voller Ehrfurcht. So hätte er es ruhig weiter tun können, für den Rest seines Aufenthaltes, dachte ich spöttisch bei mir.

    Wir nahmen dann alle Platz und die Sklaven begannen die Vorspeisen hereinzutragen. Natürlich hatte man den Senator inzwischen auch mit einem Getränk versorgt.
    „Ich bedaure, Onkel,“ begann ich auf Menecrates Frage zu antworten. „Doch da ist leider nicht viel, woran ich mich erinnern könnte. Dies war meine erste größere Reise, die ich bisher unternommen habe. Ansonsten trieb es mich höchstens von unserer Stadtvilla in Athen nach Eleusis, zur Villa rustica. Mein Vater allerdings sprach ab und an von dir. Wenn ich mich recht erinnere, war er wohl in jungen Jahren in Rom gewesen.“
    Ob Maecenas ihm auch vom Tod unseres Vaters geschrieben hatte? Na ganz bestimmt hatte er das! Oder? „Du weißt sicher, dass Vater vor gut einem halben Jahr verstorben ist?“ Natürlich war das Lächeln nun verschwunden und hatte einem ernsten, ja wehmütigen Ausdruck Platz gemacht.

  • Als sich Agrippina zur Begrüßung von der Kline erhob, wurde Menecrates' Lächeln größer. Er gestand sich ein, für einen Moment das Gegenteil befürchtet zu haben, aber die junge Frau offenbarte gute Erziehung. Das schloss den alten Claudier endgültig für sie auf.


    Er erwiderte den Gruß des vorgestellten Klienten, bevor er sich seiner Liege zuwandte. Ein kleines Ächzen erklang, als er sich niederließ. Ab und an spürte der ehemalige Legat ein Ziehen in den Gelenken. Während er den gefüllten Weinbecher entgegennahm, antwortete er Agrippina: "Ja, die See hat manchmal ihre Tücken - je nachdem, wie gut oder schlecht die Götter gerade gestimmt sind."
    Menecrates nahm einen Schluck. Er warf dabei einen Blick auf Agrippina und reiste gedanklich in die Vergangenheit. Ihr war er also nie begegnet. Ihrem Vater hingegen schon, denn das eine oder andere Mal gab es Heimurlaub, wo er ihn traf. Die Todesnachricht konnte er inzwischen verdauen; der Brief traf einige Zeit vor der Ankunft der Gäste ein.


    "Ja …", begann er schließlich. "Ich bedauere deinen, unseren Verlust." Er blickte in seinen Weinbecher. "Einige haben uns schon verlassen", fügte er murmelnd an. Die Frage nach der Trauerfeier vermied er, stattdessen seufzte er, um sogleich das Thema zu wechseln. Er würde zu einem späteren Zeitpunkt Näheres erfragen.
    "Ich habe gehört, in Rom soll sich Entscheidendes für dich ändern." Er schmunzelte ein wenig, fast kümmerlich.


    "Gibt es denn schon eine klare Vorstellung vom zukünftigen Ehemann? Ich hoffe, eine Hochzeit wird auch deinen Bruder einmal nach Rom locken. Ist er denn schon verheiratet? Fragen, Fragen, ich weiß." Er schmunzelte etwas mehr.

  • Im Gesicht des alten Mannes entzündete sich ein Lächeln, als er sah, dass ich ihm die Ehre erwies, die ihm als Hausherr zustand. Auch wenn ich meine leibliche Mutter nie hatte kennenlernen dürfen, so war meine Stiefmutter ein würdiger Ersatz gewesen, was meine Erziehung betraf. Auch in anderen Dingen zwischen Mutter und Tochter hatte sie niemals einen Zweifel aufkommen lassen, dass ich mich nicht auf sie hätte verlassen können.
    Letztendlich aber war es doch nun so, Claudius Menecrates war im Augenblick mein einziger Verwandter hier. Solange jedenfalls, wie mein Bruder noch in Achaia weilte. Es war also nicht nur klug, sondern auch unerlässlich, seine Gunst zu erlangen. Nicht zuletzt um Maevius Tullinus in seine Schranken zu weisen, wenn dies von Nöten war.


    Nachdem mein Onkel seinen Platz eingenommen hatte, tat ich es ihm gleich. Ebenso auch Tullinus, der darauf bedacht war, Menecrates sofort für sich in Beschlag zu nehmen. Doch wie es schien, hatte der andere Vorstellungen. Nachdem er seinen Becher von einem Sklaven entgegengenommen hatte, wandte er sich mir zu und ließ den Klienten vorerst außer Acht.
    Seine Stimme hatte etwas Melancholisches an sich, als er sich scheinbar den Erinnerungen hingab. Erinnerungen auf ein langes bewegtes Leben.
    Schon oft hatte ich den Entschluss meines Vaters bereut, sich damals in Achaia niederzulassen. So weit entfernt von Rom. Doch womöglich hatte er damals seine Gründe gehabt. Immer wenn Vater von der Verganhenheit berichtete, dann war mir eines aufgefallen: Er war zufrieden gewesen mit seinem Leben. So wie es war. Selbst als Mutter nach meiner Geburt gestorben war er und zum Wohl seiner Kinder recht bald nach der Trauerzeit wieder geheiratet hatte, war er mit dem zufrieden gewesen, was er hatte und respektierte den Willen der Götter.


    Natürlich hatte mein Onkel vom Tod meines Vaters gehört. Anfangs hatten wir beide, Maecenas und ich es kaum glauben können, dass nun beide unsere leiblichen Eltern nicht mehr unter den Lebenden weilen sollten. Wie gelähmt waren wir gewesen und konnten, beziehungsweise wollten uns damit nicht abfinden. Als dann nach Wochen und Monaten uns der Alltag wieder eingeholt hatte und von uns verlangt wurde, Verantwortung zu übernehmen, war es endlich für uns möglich geworden, über unseren Verlust zu sprechen. Dennoch hatte uns Vaters Tod noch enger aneinandergeschweißt.


    „Ich danke dir, Onkel,“ erwiderte ich, nicht umhin zu kommen, eine Träne zu verlieren. „Ich hörte bereits davon, dass auch du schwere Verluste zu tragen hattest. Dafür möchte ich dir gerne mein aufrichtiges Beileid aussprechen.“
    Der Tod war nie ein angenehmes Gesprechsthema. Schon gar nicht am Tag meiner Ankunft. Daher war ich meinem Onkel sehr dankbar, als er sich dem Grund meine Romreise annahm. Endlich konnte die Trauer aus meinen Gesichtszügen verschwinden und ich konnte sein Schmunzeln entgegnen. „Ja, in der Tat. Es war noch der Wunsch meines Vaters.“
    Ich bemerkte bereits bei meinem Reisebegleiter eine gewisse Spannung aufkommen, denn nun, so glaubte er, sei seine Stunde gekommen. Alles was im entferntesten Sinne mit meiner Hochzeitsplanung zu tun hatte, so glaubte er, gehöre zu seinem Ressort. Doch ich kam ihm zuvor und ließ ihm keine Chance, auch nur ein Wort zu sagen.
    „Oh ja, die hätte ich schon.“ antwortete ich grinsend. Natürlich hatte ich mir so meine Gedanken gemacht, auch wenn ich wusste, dass eine Patrizierhochzeit selten von den Gefühlen ihrer beiden Hauptprotagonisten bestimmt wurde. „Er sollte noch einigermaßen jung sein und nicht zu hässlich.“ Ich wollte ja bescheiden bleiben und plapperte ich versonnen weiter. „Ja, ich hoffe auch, dass er bald kommen wird.“ Und zwar hoffentlich ohne seine Sempronia. „Maecenas ist verlobt – mit Semprina Attica.“ Es gelang mir nur sehr schwer, meinen Unmut gegen diese Person zu verbergen, als ich genötigt war, ihren Name auszusprechen. „Die Hochzeit ist für den Herbst geplant.“ Leider!

  • Die gegenseitigen Bekundungen des Mitgefühls sollten nicht zu viel Raum einnehmen, denn wenn eines Menecrates hilflos machte, dann waren das Tränen. Er vermied den Blickkontakt, während er das neue Thema ansprach. Die Stimmlage seiner Gesprächspartnerin würde ihm Auskunft geben, wann er wieder einen Blick riskieren konnte. Er hörte daher mit doppelter Aufmerksamkeit zu, als Agrippina sprach. Sie schien sich auf die Zukunft zu freuen, was wiederum Menecrates freute, denn nichts war unerfreulicher als jemand gegen seinen Willen zu verheiraten. Wobei der Gesuchte noch nicht beurteilt werden konnte und sich der alte Claudier lieber nicht zu früh freuen wollte. Schönheit lag stets im Auge des Betrachters und der Geschmack eines jungen Mädchens lag schon allzu oft nicht in der Nähe seines eigenen. Wenigstens ein annehmbar junges Alter würde er wohl haben können, es gab passende Kandidaten in patrizischen Nachbarfamilien.


    Um gänzlich vom Trauerthema wegzukommen, stellte Menecrates eine Frage, deren Beantwortung er sicher nicht sehnsüchtig erwartete, die ihm gleichwohl aber Aufschluss über das Denken seiner jungen Verwandten geben könnte.
    "Welche Aspekte wertest du denn als hässlich und welche wären es explizit nicht?" Die Angewohnheit, durch gezielte Fragen mehr als nur die bloße Antwort von seinem Gesprächspartner erfahren zu wollen, pflegte Menecrates seit er Führungspositionen im Rahmen seines beruflichen Werdegangs innehatte.


    Als die Sprache auf Agrippinas Bruder kam, glaubte Menecrates, einen Unterton herausgehört zu haben. Er wollte gerade trinken, doch dann setzte er den Becher wieder ab.
    Sein Zeigefinger strich nachdenklich über das Kinn, bevor er beschloss, auch an dieser Stelle tiefer zu schürfen.


    "Erzähl mir von Semprima", bat er. Immerhin konnte sie eine mögliche Mitbewohnerin in der Villa für lange, wenn nicht sogar dauerhafte Zeit werden.

  • Sim-Off:

    Sorry, hab ich völlig übersehen! :(


    Mir war wesentlich wohler dabei, über die Zukunft zu sprechen, als über die Vergangenheit zu trauern. Mein Gefühl täuschte mich nicht, als ich feststellte, dass es meinem Onkel genauso erging. Er hegte ein ernsthaftes Interesse bei der Erkundung meiner eigenen Vorstellungen und Wünsche, womit er sofort meine Sympathien gewann. So war es nicht verwunderlich, dass ich ihm auch freimütig antwortete.
    „Nun ja, hässlich im Sinne der Ästhetik. Er sollte gepflegt und ansehnlich sein. Aber auch im mentalen Sinne. Es sollte jemand sein, mit dem ich meine Gedanken austauschen kann, der mich ernst nimmt und der Wert auf meine Meinung legt.“ Das waren ganz viele Wünsche auf einmal. Ob es diesen idealen Kandidaten überhaupt gab, oder ob ich einige Abstriche machen musste? Über eine musste ich mir allerdings im Klaren sein, meine Auswahlkriterien waren wohl sicher nicht die, die der Maevius bei seiner Suche anwandte. So konnte ich also nur auf ein Wunder hoffen! Auf eine göttliche Fügung. Vielleicht sollte ich die Laren bei meinem morgendlichen Gebet milde stimmen. Ja, das schien mir im Augenblick als das Sinnvollste. Bei meinem Bruder schien dies offensichtlich gewirkt zu haben. Zumindest war er überglücklich mit seiner Zukünftigen, auch wenn ich seine Meinung nicht teilen konnte.
    Bei meinem Onkel hatte ich durch das Erwähnen des Verlöbnisses auch einen gewissen Wissensdurst verursacht. In anbetracht dessen, dass sie womöglich in einigen Monaten hier durch die Villa stolzieren könne, war dies auch gar nicht ungewöhnlich.
    „Nun Onkel, ich kann nicht behaupten, sie zu meinen Freundinnen zu zählen. Was also könnte ich dir von ihr berichten? Ihre Familie ist in Athen sehr einflussreich und äußerst begütert. Ihr Vater war mit unserem befreundet. Daher resultiert auch der Wille, die beiden Familien stärker miteinander zu verbinden. Über sie selbst gibt es nicht viel zu sagen. Vielleicht mag sie ja gutaussehend sein. Ansonsten aber ist sie herrisch und schrecklich eingebildet. Sie glaubt…“ Leider konnte ich diesen Satz nicht mehr zu Ende bringen, da mein Begleiter, der sich bislang sehr dezent im Hintergrund gehalten hatte, mich mit funkelnden Augen zur Raison bringen versuchte. „Agrippina!“, rief er tadelnd. Worauf ich ihn nur mit einem überraschten Blick streifte und einmal tief durchatmete. Dann wandte ich mich wieder zu meinem Onkel zu. „Du wirst sie ja noch kennenlernen. Dann kannst du dir selbst ein Urteil von ihr bilden.“ Damit ließ ich es besser bewenden, um dem Maevius nicht noch weitere Argumente zu liefern, mich hier vor meinem Onkel unmöglich zu machen.

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