[Cubiculum] Iullus Helvetius Curio

  • Das Cubiculum von Curio und seiner zukünftigen Familie liegt im linken Teil des Gebäudes. Betritt man es, fält zuerst die kleine Sitzgruppe an der Stirnseite des Raums und ein kleiner Tisch in der halbrechten Ecke. Auf diesem steht die kleine Holzkiste, die er bereits seiner lange Zeit mit sich trägt. Darin findet sich eine Locke seine Mutter und die Feder einer Taube. Die Votivfigürchen, die bislang dort drin lagen, stehen mittlerweile im Hausaltar. Zur linken Hand befindet sich ein großes Bett für zwei Personen, zur rechten ein kleiner Tisch mit Waschschüssel, wobei dort noch Platz für einen Ankleidetisch mit Spiegeltisch bleibt.

  • ~
    "Was ich auch tu
    immerzu
    denke ich
    immer doch wieder doch nur an dich."*
    ~


    Die Tage nach dem endgültig letzten Gespräch mit Silvana waren für Curio die Hölle. Doch konnte er es sich einfach machen. Er verließ das Haus früh am Morgen, wenn im Haus und auf den Straßen noch nicht viel los war, versah seinen Dienst im Tempel pflichtgemäß, aber unkonzentriert und zog sich, wenn er nachmittags oder abends nach Hause kam, sofort in sein Zimmer, verschloss die Tür und zog die Fenster mit Vorhängen zu. Dabei trank er nur, wenn er den Durst nicht mehr aushielt und verzichtete fast vollständig aufs Essen. Die vollen Tellern, die Acanthos ihm abends vor die Zimmertür stellte, waren am nächsten Morgen immer noch voll. Lediglich eine Frucht oder das bisschen Brot, das eigentlich nur als Beilage gedacht waren, fehlten und der Rest des schmackhaften Essens war zu einer kalten, braun-grauen Masse geworden. Immer wieder versuchte Acanthos, teilweise unterstützt durch die anderen Bewohner des Hauses, durch ein nachdrückliches Türklopfen und beständiges Rufen, eine Reaktion zu erzwingen, was sie jedoch meistens aufgeben mussten, da Curio stur und zäh genug war, das alles ebenso nachdrücklich und beständig zu ignorieren.


    Im Inneren des Zimmer herrschte derweil immer das gleiche Bild vor. Curio, in einem der beiden Korbstühle sitzend, hielt die Feder der Venus in der Hand, deren Gegenstück bei Silvana lag und die von ihm als Zeichen der Unterstützung der Liebesgöttin aufgefasst wurde, und blickte zwischen ihr und dem steinernen Anhänger mit dem Widderkopf, den Silvana ihm nach dem Ende ihrer Ausbildung geschenkt hatte und zu dem ebenfalls ein Gegenstück mit Wolfssymbol bei ihr lag, hin und her. Die Unterstützung der Venus war bis jetzt aber eher spärlich gesät, oder besser gesagt nicht existent. Was hatte er aber auch geglaubt? Dass die Liebesgöttin sich für ihn und eine kleine Halbgermanin einen Arm ausriss und gegen die rächende Minerva, die Curio mittlerweile für die Wendung des Schicksals verantwortlich machte, da er sie in einer Verrenkung irrationaler Logik als Schutzgöttin des Fundanius erkannt zu haben glaubte, was ihr ganzes Vorhaben bereits von vornherein zum Scheitern verurteilt hatte. So saß er eine Woche lang jeden Abend, und manchmal auch jede Nacht, da er nicht selten im Korbstuhl einschlief, die Feder in der Hand haltend und darüber nachgrübelnd, wie lange Silvana wohl durchhalten würde, bis sie sich dafür entschied, das nächste Leben früher einzuläuten, als manch anderer vielleicht gedacht hätte.


    Sim-Off:

    * Bodo Wartke: An dich, in: ders.: Achillesverse.

  • Zum wiederholten Male klopfte Alpina an Curios Cubiculumtür.
    "Curio, bitte mach auf. Curio, ich bin´s Alpina. Bitte! Du warst doch auch für mich da, als es mir schlecht ging. Bitte mach auf. Ich möchte dir einfach nur zuhören, wenn du willst. Ich höre nur zu, ich sage gar nichts, wenn du es nicht möchtest. Bitte..."

  • Grade hatte seine Mutter wieder vor der Tür gestanden. Zum wie vielten Male konnte Curio nicht sagen. Er hatte irgendwann aufgehört mitzuzählen. Sie hatte es soeben mal wieder mit der autoritären Taktik versucht, hatte betont, dass sie seine Mutter war und er die Pflicht hatte, mit ihr zu sprechen. Er sollte öffnen. Augenblicklich. Curio aber sah keine Veranlassung dazu, denn erstens hatte sie ihm drei Monate Trauerzeit zugestanden, die er in vollem Maße auszunutzen gedachte, und zweitens war das hier sein Haus. Hier stellten seine Eltern ihre Füße unter seinen Tisch und wenn ihnen nicht gefiel, was hier geschah, stand es ihnen frei abzureisen, wenn sie für richtig hielten. Natürlich wären sie danach auch weiterhin hier willkommen und nach den drei Monaten würde er mit sich machen lassen, was auch immer sie sich bis dahin für ihn ausgedacht hätten. Aber solange war dieses Zimmer sein Refugium, sein ureigner Fluchtpunkt, in dem er sich sein Leben so einteilen konnte, wie er es für richtig hielt. So einfach war das.


    Auf der anderen Seite der Tür hatte Timarcha mittlerweile aufgegeben und Alpina in dem engen Flur Platz gemacht, die sich ihrerseits zu Acanthos gesellt hatte. Der Macedone hatte sich seinen Stammplatz auf dem Boden rechts von der Tür mit einem Kissen bequem gemacht, empfing jeden, der herkam und ihn vom Klopfen und Rufen ablöste mit einem freundlichen, aufmunternden Gesicht und beobachtete dann deren Bemühungen, die sich in nichts von den seinen unterschieden. Nun aber geschah etwas überraschendes. Eine gute Woche lang hatte der Helvetier kein einziges Lebenszeichen von sich gegeben und hätte Acanthos dessen Zimmer nicht jeden Morgen leer vorgefunden, hätte er wohl schon dafür gesorgt, dass die Tür aufgebrochen werde, um zu schauen, ob er überhaupt noch am Leben wäre. Nun aber hörte er auf der anderen Seite der Tür Schritte, danach ein langer Moment der Stille und schließlich drehte sich der Schlüssel im Schloss und die Tür öffnete sich einen kleinen Spalt.


    Zurück auf der innenliegenden Seite der Tür stand Curio mit dem Gesicht zum mit Vorhängen zugezogenen Fenster gewandt und wartete darauf, dass er die eintretenden Schritte vernahm. Die erste Reaktion, die darauf folgte, war ein kratziges Räuspern und eine brüchige Stimme.


    Schließ bitte hinter dir ab, ja?


    Erst als er hörte, wie sich der Riegel vor die Tür geschoben hatte, deutete er auf den zweiten Korbstuhl.


    Setz dich doch bitte...


    Wenn Alpina nun auf den Beistelltisch zwischen den Korbstühlen blicken würde, fände sie dort die Taubenfeder und daneben den steineren Anhänger mit dem Widderkopf vor. Dann folgte aber einige Zeit nichts. Kein weiteres Wort, keine Geste, nicht die kleinste Bewegung. Einfach nichts, als wäre Curio zur Säule erstarrt.

  • Acanthos, der treue Diener Curios machte ein unglaublich trauriges Gesicht. Er sorgte sich wohl sehr um seinen Herrn. Auch jetzt schien er nicht zu erwarten, dass Curio zu einem Gespräch bereit war. Doch dann drehte sich der Schlüssel im Schloss und die Tür wurde einen Spalt breit geöffnet.
    Überrascht wechselten Alpina und Acanthos Blicke. Dann schob Alpina die Tür vorsichtig auf.


    Es war dunkel im Raum und stickig. Curio hatte Vorhänge vor die Fenster gezogen. Er stand mit dem Rücken zu Alpina. Sie schob den Riegel vor, genauso wie er sie gebeten hatte. Seiner Aufforderung sich zu setzten kam sie nur zögernd nach. Am liebsten wäre sie zu ihm gegangen und hätte ihn freundschaftlich umarmt, aber sie entsprach seinem Wunsch und setzte sich. Auf dem Tischchen lagen ein steinerner Anhänger mit einem Widderkopf und eine Taubenfeder. Alpina erinnerte sich an das Taubenpärchen auf dem Gartenfest der Duccier.


    Curio tat gar nichts. Er stand einfach steif da, er sprach nicht, bewegte sich nicht. Alpina wartete. Sie wusste, dass sie nichts sagen sollte. Was hätte sie ihm schon sagen sollen? Jeder Trost war unsinnig. Es waren rabenschwarze Tage für Curio und gerade sie, die momentan mit seinem Bruder im siebten Himmel schwebte, konnte ihm wohl kaum Trost spenden. Aber sie wollte ihm das Gefühl der Nähe geben, da sein - so wie er für sie dagewesen war, nach der Abtreibung, während der vielen Alpträume und auch als sie an Corvinus verzweifelt war. Also nahm sie nur die Feder in die Hand und wartete ab ob er sich öffnen würde.

  • Curio wirkte zerstreut und das war er auch. Er ging seinen letzten Gedankengängen nach und hatte nach wenigen Sekunden fast schon wieder vergessen, dass nun eine zweite Person im Zimmer war. Er war ja auch in den letzten Tagen hier immer alleine gewesen und überhaupt kam ja auch auch niemand herein, wenn die Tür abgeschlossen war. Die Gedanken waren keine guten Gedanken. Es waren die Bilder der geschundenen Silvana, die sich einen Strick nahm... Ihm fröstelte, so wie es ihn in den vergangenen Tagen immer wieder gefröstelt hatte, so oft, dass es schon fast an Bedeutung verloren hatte. Zurückblieb nur das Bild, das, so glaubte er, ihn Schritt für Schritt von innen hinaus auffraß. Doch genau das passierte nicht. Er stumpfte nicht ab, ganz im Gegenteil war das Bild, je öfter es kam, nur noch grauenvoller und furchteinflößender als beim letzten Mal. Normalerweise half ihm dann immer den Anhänger, ein bisschen Halt zu finden, doch als er sich fahrig in dessen Richtung wandte, erblickte er Alpina, runzelte die Stirn, nicht nur weil sie da war, sondern auch weil sie die Feder der Venus in der Hand hielt. Erneut räusperte er sich, blickte zu Tür, die er verschlossen sah und blickte wieder zurück zu Alpina.


    Wie kommst du denn hier herein?


    fragte er schüchtern und mit brüchiger Stimme. Sein Hals war trocken und eigentlich sollte er etwas trinken - wo die beiden Wasserkannen jeden Tag herkamen, die immer, wenn er abends im Zimmer ankam und hinter sich die Tür verschloss, wusste er nicht -, doch da war ein Eindringling in seinem Refugium. Und das ging ja mal so gar nicht. Noli turbare circulos meos*, hatte schon der alte Archimedes gesagt - und wurde erstochen... Gut, schlechtes Beispiel.


    Ach, wie auch immer... Wie gehts dir...


    fuhr er dann, immer noch sichtlich verwirrt hinzu und als er an ihr runterblickte und den Bauch wahrnahm, schob er noch schnell hinterher


    ... und dem Kind?


    Sim-Off:

    * Störe meine Kreise nicht!

  • Curio war nicht er selbst. Er schien nicht mehr zu wissen, dass er sie eingelassen hatte. Sie hörte an dem Kratzen in seiner Stimme, dass er nicht ordentlich Flüssigkeit zu sich nahm. Also nahm sie die Kanne und goss für sich und ihm einen Becher mit Wasser voll.
    "Setz dich her und trink mit mir das Wasser, Curio. Du vernachlässigst dich. Das hilft niemandem."


    Ein wenig streng war ihr Unterton, so wie der einer Medica. Sie kannte es von seinem Bruder, manchmal brauchten die Helvetier die starke Hand einer Frau, um wieder zu sich zu finden. Timarcha lebte das ja auch vor.
    Dann fragte er, wie es ihr und dem Kind ginge.
    "Uns geht es gut, Curio. Ich werde zwar immer langsamer und unbeweglicher, aber insgesamt geht es mir und dem Kind gut. Es wird auch nicht mehr sehr lange dauern. Vielleicht noch drei oder vier Wochen. Dann wirst du Onkel werden."


    Sie lächelte und wartete, bis er getrunken hatte. Erwartungsvoll sah sie ihn an. Was gedachte er zu tun? Wollte er noch einen Versuch unternehmen oder sich in das von den Eltern bestimmte Schicksal ergeben. Sie hoffte, dass er seine Gedanken mit ihr teilen würde.

  • Unentschlossen beäugte Curio den vollen Becher, den Alpina ihm hingestellt hatte. Was sollte er damit? Dennoch griff seine Hand danach, führte ihn zum Mund und er, oder besser sein undisziplinierter Körper, leerte den Becher in einem Zug. Auch der mahnende Unterton Alpinas führte zur Unentschlossenheit. Er könnte sie zusammenstauchen, dass das hier sein Wohnbereich war, und dass er entschied, wie er sich und seinen Körper für den ganzen Unsinn, den er im letzten Jahr seit den Vinalia verbrochen hatte, zur Verwantwortung ziehen musste. Doch warum sollte er das tun? Zumal Alpina gleich mit guten Neuigkeiten um die Ecke kam, die ihm zumindest ein kleines, schmales Lächeln auf die Lippen brachte.


    Schön, sehr schön.


    antwortete er und fügte, nachdem er eine grober Schätzung des Zeitraum vorgenommen hatte und dabei zum Schluss gekommen war, dass sich die Geburts noch in seinem Trauerzeitraum befand.


    Schick doch bitte jemanden hierher, sobald es geboren ist, ja?


    Ob er dann das Zimmer verlassen würde, wusste er nicht, glaubte es aber eher nicht. Seine Mutter wäre noch hier und die hatte erst in drei Monaten wieder das Recht, ein Lebenszeichen von ihm zu bekommen.


    Dann folgte eine längere Pause, in der er sich nicht äußerte. Wieder wurde sein Geist vollkommen von jenen Gedanken vereinnahmt, die ihn nun schon seit einer Woche in Beschlag nahmen. Wieder ging er das gesamte Szenario durch: Silvana wurde an den Fundanier verheiratet, der prügelte den letzten Rest Selbstbewusstsein aus ihr heraus und irgendwann nahm sie sich einen Strick und... Hier stockte es immer, denn offenbar hielt ihn eine innere Sicherheitsbarriere davon ab, weiterzudenken. Er wäre währenddessen in Agrippinensium, lebte unter der Fuchtel des alten Valerius und würde nur durch einen Herzkrampf erfahren, was passiert war. Sein Blick hatte sich wieder verschleiert und richtete sich auf einen unbestimmten Punkt vor sich auf den Boden.


    Es wird sie umbringen... so oder so...


    kam es ihm plötzlich über die Lippen, als hätte Alpina seinem Gedankengang von Beginn an folgen können.

  • Das schmale Lächeln auf Curios Lippen gefiel Alpina. Sie grübelte darüber nach wie sie es schaffen könnte diesem vielleicht später noch ein weiteres folgen zu lassen, aber für den Moment war an so etwas nicht zu denken.
    Er bat um Benachrichtigung bezüglich der Geburt des Kindes. Alpina runzelte die Stirn. Er hatte doch nicht etwas vor in seinem Cubiculum zu bleiben, bis ihr Kind geboren war? Sie nickte automatisch, aber hinter ihrer Stirn arbeitete es unaufhörlich.
    Es folgte eine lange Pause, doch als er davon sprach, dass "es" und damit konnte er nur die Hochzeit mit dem fremden Pontifex meinen, ging Alpina hoch.


    "Du wirst doch nicht etwa bis zur Geburt meines Kindes das Cubiculum nicht verlassen? Curio, was bringt es, dich zu vergraben? Das hilft gar nichts! Ich bin sicher Corvinus würde sagen, du musst in die Offensive gehen! Curio, wenn du dich in dieses Schicksal ergibst und nicht um sie kämpfst, werdet ihr beide daran zerbrechen!"


    Alpina war verzweifelt. Sie sah wie er litt und sie glaubte fest daran, dass das nicht das Ende sein konnte. Mut und Kampfgeist - das würde ihm jetzt gut zu Gesichte stehen. Aber das waren Curios Kardinaltugenden wohl nicht.

  • Jäh wurde Curio durch Alpinas Ausbruch aus seinen Gedanken gerissen. Er blickte sie verständnislos an, denn sie musste doch verstehen... nein, musste sie nicht, denn sie war weder bei dem Gespräch mit dem Duccier dabeigewesen, noch bei dem darauffolgenden Gespräch mit seiner Mutter, in dem sie ihm die Hochzeits- und Zukunftspläne dargelegt hatte, und ebenfalls nicht bei dem Gespräch mit Silvana, das den endgültigen Schlusspunkt ihrer Beziehung markierte. Es war vorbei.


    Du hast Runas Vater gehört, als er das letzte Mal hier war...


    Jeder im Haus hatte ihn gehört, Curio ging sogar davon aus, dass ihn auch die Nachbarn gehört hatten, auch wenn sie wahrscheinlich und glücklicherweise nicht jedes Wort hatten verstehen können und es würde ihn schlussendlich nicht wundern, wenn man den Duccier auch jenseits der nebenliegenden Häuser noch gehört hätte.


    Es ist vorbei. Die Pläne für sie sind in trockenen Tüchern. Ebenso wie diejenigen für mich.


    Er stockte kurz, denn sie quasi direkt nebeneinander zu stellen, war alles andere als vernünftig. Während sie ihm nämlich nur nach Norden treiben würden, würden sie Silvana das Leben kosten.


    Ich freue mich, dir mitteilen zu dürfen, dass ich mich in... ungefähr drei Monaten mit Valeria Diademata, der Tochter des Decurios Valerius Frugi aus Agrippinensium verloben werde. Sie soll ein nettes Mädchen sein... Zumindest wurde mir das von meiner Mutter versichert.


    Kämpfen? Warum sollte er jetzt noch kämpfen? Denn wenn er es tat, würde es nur höhere Wellen schlagen, sein Ruf wäre ruiniert, der Ruf Silvanas wäre ruiniert und die Duccier würden dafür sorgen, dass es in die Binsen ging. Es würde nur noch mehr Leid und noch mehr Schmerzen für alle bedeuten, ohne dass es etwas ändern würde. Minerva hatte gewonnen. Venus verloren.

  • Alpina starrte Curio an. Es durfte nicht wahr sein! Das was er da sagte, durfte einfach nicht sein! Das Haus war hellhörig, aber Alpina hatte die Worte des Ducciers selbstverständlich nicht verstanden. Sie hatte wohl gehört, dass die zwei einen Disput hatten und dass der Duccier sauer gewesen war. Doch war sie davon ausgegangen, dass Curio die Unterhaltung zu einem versöhnlichen Ende gebracht hatte.


    "Und das nehmt ihr einfach so hin?"
    Alpina schüttelte den Kopf. Nicht dass sie etwas anderes von ihm erwartet hatte... von Runa aber sehr wohl. Sie kannte sie als kämpferische junge Frau, die für ihre Ziele vehement eintreten konnte.


    Alpina war noch nicht am Ende mit ihrer Rede.
    "Und du kommst nicht auf die Idee, mit Hilfe deiner Eltern noch einmal zu versuchen ihn zu überreden? Du hast so viel erreicht, Curio! So viel in so kurzer Zeit. Das muss Duccius Verus doch sehen! Wenn nun deine Eltern mit dir gemeinsam noch einmal zu ihm gehen und ihr ihn bittet, es noch einmal zu überdenken? Ich kann ja verstehen, dass er jetzt keine schnelle Ehe zwischen euch beiden haben will. Das würde ja auch seltsam aussehen. Aber was wäre, wenn man Runa für eine gewisse Zeit in einen anderen Tempel in eine andere Stadt schicken würde, um Erfahrungen zu sammeln? Dann wäre die nötige Anstandspause gegeben. Du könntest dich auf deine politische Karriere konzentrieren und wenn sie dann zurückkehrt, dann könntet ihr problemlos ohne Gesichtsverlust heiraten."


    Sie stemmte die Arme in die Taille. "Ich werde mit deiner Mutter und deinem Vater sprechen!"

  • Curios Blick wurde noch verständnisloser, denn jetzt begaben sie sich auf ein Feld abseits des Feldes, auf dem man alls vergangenen Gespräche kennen musste, um einen Gesamtüberblick bekommen zu können.


    Ja, das nehmen wir hin.


    antwortete er schließlich wie selbstverständlich und fügte noch hinzu


    Denn so läuft das nunmal. Unsere Eltern entscheiden über unsere Ehen. Wir beide befinden uns noch in der patria potestas unserer Väter, also entscheiden sie, wie unsere Leben verlaufen sollen und zwar solange, bis wir sie beflügeln oder sie uns, aus welchen Gründen auch immer, daraus entlassen. Das wird aber nicht passieren, denn Runas Vater hat seine Position unmissverständlich klar gemacht und meine Eltern haben kein Interesse, an einer langwierigen, unsicheren, halbgaren Verlegenheitslösung. Also...?


    Nicht Duccius Verus, nicht Helvetius Curvus und nicht Decria Timarcha hatten sich gegen die althergebrachten Traditionen, Sitten und Gesetze gestellt, Curio und Silvana waren es. Sie hatten es versucht, waren gescheitert und mussten sich nun fügen. Das waren die althergebrachten Regeln und denen hatte man sich zu fügen. Zumal sie in ihrem Fall sogar von Minerva mit Händen und Füßen verteidigt wurden, die ja bekanntlich auch noch eine persönliche Apfelrechnung mit Venus offen hatte.


    Auf die letzte Feststellung Alpinas zuckte er die Schultern.


    Sie wird dir das gleiche sagen, was ich dir auch gesagt habe.


    Wahrscheinlich sogar wortwörtlich, denn Curio machte ja seit geraumer Zeit nichts anderes mehr, als das nachzuplappern, was sie ihm bereits gesagt hatte.

  • Alpina ließ die Arme sinken, die sie zum Gestikulieren gebraucht hatte. Klar, die patria potestas. Alpina wusste es, Curio hatte es ihr immer wieder vorgebetet und dann doch getan, was sein Herz im gesagt hatte. Er hatte die Gefahr gekannt und sich doch darüber hinweggesetzt, weil sein Herz ihm etwas anderes eingeflüstert hatte. Jetzt stand er vor ihr mit gebrochenem Herzen. Der Schmerz war unbeschreiblich - sie konnte es erahnen, wenn auch nicht nachfühlen.


    Also nickte Alpina.
    "Ihr müsst es wissen. Ich werde nichts tun, was du nicht möchtest aber es tut mir in der Seele weh euch beide so leiden zu sehen - grundlos! Ich würde so gerne etwas für euch tun..."


    Nun ging sie doch auf ihn zu. Sie wusste nicht, ob er in diesem Moment berührt werden wollte, deshalb streckte sie nur die Arme aus und hielt sie ihm hin.

  • Curio sah, wie Alpina auf ihn zukam und ihre Arme für ihn öffnete. Doch wieder zögerte er. Er hatte seine Gefühle bei den beiden in für ihn beispielloser Art und Weise zur Schau getragen, er hatte sich übermannen lassen und war damit grandios gescheitert. Es würde wahrscheinlich allen nutzen, wenn er in Zukunft wieder daran arbeiten würde, seine Gefühle irgendwo in den Tiefen seines Innern zu verschließen und sich einzig und allein in Anstand und Haltung üben sollte. Es wäre anstrengend, den Haltungspanzer wieder aufzubauen, doch musste er da wohl durch, damit er seine kommenden Aufgaben auch bewältigen könnte. Doch konnte er damit auch genauso gut morgen anfangen.


    So nahm er Alpinas Hände, drückte sie leicht an seine Stirn und fing an, leise zu schluchzen. Es passierte ihm nicht häufig, eigentlich war Weinen bei ihm eine Emotion, die er nun wirklich nicht in Anwesenheit anderer herausließ, aber jetzt hatte sich soviel angestaut, so viel Angst, Verzweiflung, Wut und Hilflosigkeit, dass er es einfach nicht mehr zurückkhalten konnte. Es ging einfach nicht und schon schossen ihm die ersten Tränen in die Augen. Er konnte nichts mehr sagen, er wollte nur all das irgendwie herausdrücken, was ihn in den letzten Tagen und Wochen so fertig gemacht hatte. Und da er niemanden anschreien, beleidigen oder schlagen konnte oder wollte blieb ihm nur dieses endgültige Eingeständnis seiner Schwäche, das ihn als das entlarvte, was er eigentlich war, ein absurder, schwacher, unfähiger Hanswurst.

  • Curio schien mit sich zu kämpfen, Haltung bewahren zu wollen, doch als er ihre Hände nahm und sie an seine Stirn hielt, war es um diese so mühsam erzwungene Haltung geschehen. Er begann erst zu schluchzen, dann zu weinen. Alpina war froh, dass er seinen Emotionen freien Lauf ließ. Tagelang hatte er alles in sich zurückgehalten, sich abgekapselt, versucht alles mit sich auszumachen. Nun konnte er endlich loslassen. Sie wartete eine Weile, spürte unter ihren Händen die Erschütterungen durch das Schluchzen, den Tränenstrom. Dann löste sie ihre Hände von seiner Stirn um ihn in den Arm zu nehmen. Sie bettete seinen Kopf an ihre Schulter, spürte wie ihre Tunika feucht wurde und hielt ihn einfach nur fest. Solange wie er sie brauchte, würde sie ihn halten und ihm Trost spenden. Genauso wie er es getan hatte als sie verzweifelt gewesen war. Sie konnte ihm nicht helfen, so sehr sie es bedauerte, aber sie konnte da sein für ihn.

  • Curio ließ tatsächlich alles raus. Alles was er konnte und sich in den letzten Tagen angestaut hatte. Niemals hätte er gedacht, dass Weinen noch befreiend sein konnte, doch war ihm auch klar, dass er gegen alle denkbaren Regeln seiner Mutter bezüglich der Zuschaustellung von Emotionen missachtete, was ihm sogleich noch einen weiteren Stich versetzte. Er konnte einfach nichts richtig machen. Zudem enstand noch für einen Moment die Angst, dass er zu weit gegangen war, denn irgendwann löste Alpina ihre Hand und hätte sich nicht herausgestellt, dass sie ihn nur umarmen und seinen Kopf auf ihre Schulter legen wollte, wäre er wohl endgültig in die tiefsten Tiefen einer Depression versunken, aus denen er wahrscheinlich nie wieder zurück nach oben gefunden hätte. So schluchzte und weinte er einfach weiter, bis er irgendwann seine Worte wiederfand.


    Ich... Es... Es tut mir leid. Es tut mir alles so leid...


    brachte er heraus, bevor ihn eine erneute Woge traf. Auch hier brauchte er wieder einige Zeit, bis er wieder sprechen konnte.


    Dem Schickal kann man nun mal nicht entkommen...


    Und eine weitere Woge, die ihn mit sich riss, da alle Gegenwehr in ihm verschwunden war. Morgen, ja, morgen würde er wieder an dem Anstandspanzer arbeiten und vielleicht schaffte er es dann in ein paar Tagen auch wieder, sein Zimmer zu verlassen. Heute musste und wollte aber einfach alles raus und Curio war emotional zu erschöpft, als dass er sich dem hätte entgegenstellen können.

  • In mehreren heftigen Wellen erschütterten Schluchzen und Weinen Curio. Alpina hielt ihn fest, strich ihm sanft über den Kopf, der mit seinen Tränen ihre Tunika nässte. Sie hörte, wie er stammelte, dass ihm alles so leid tat und sie konnte es verstehen. Es entsprach ihm, die Schuld bei sich zu suchen. Doch wen traf die Schuld? Waren sie nicht alle Spielbälle im ewigen Zeitvertreib der Götter? Prompt kam nach dem nächsten Ausbruch von Weinen, die Erkenntnis, dass man dem Schicksal nicht entkommen konnte.


    Alpina wusste später nicht mehr, wie lange sie so gestanden hatten, wie lange sie den Bruder ihres Geliebten im Arm gehalten und sein Leid geteilt hatte. Auch ihr waren die Tränen über die Wangen gelaufen, leise ohne dass sie sich darum gekümmert hatte. Sie wusste, dass sie nicht mehr für ihn tun konnte als die Trauer und die Verzweiflung zu teilen. Auch Alpina hatte sich ein Leben gemeinsam mit Runa in der Casa Helvetia gewünscht. Es war ihr großer Traum gewesen. Nun mussten sie beide Abschied von ihrem Traum nehmen. Doch sein Verlust wog ungleich schwerer und der Frust über das aufgezwungene Schicksal mischte sich in die Trauer um den Verlust seiner Liebe.



    Als sie sich schließlich lösten, strich Alpina Curio noch einmal sanft über den Arm.
    "Es hat keinen Sinn sich gegen die Götter aufzulehnen. Das habe ich selbst erfahren müssen. Aber es kann helfen, ihnen sein Schicksal anzuvertrauen und auf ihre Hilfe zu vertrauen. Mehr bleibt dir ohnehin nicht, wenn ich es richtig sehe. Ich werde für dich und Runa im Tempel der Iuno opfern."


    Schließlich löste sie sich leise von ihm und ging zur Türe. Bevor Alpina sie öffnete, drehte sie sich um.
    "Du weißt wo du mich findest, wenn du mich brauchst? Bitte, nimm dieses Angebot an! Du kannst jederzeit kommen, Tag oder Nacht. Ich werde da sein, wenn du mich brauchst."

  • Curio wurde ruhiger und als sich Alpina schließlich löste, waren seine Augen zwar noch verquollen und gerötet, doch hatte er sich soweit beruhigt, dass er kein Problem damit hatte, dass Alpina ging. Sie hatte recht. Er musste jetzt nach vorne blicken, denn er musste lernen, sein Schicksal anzunehmen.Dieses war zwar niederschmetternd, doch annehmen musste er es, ob er wollte oder nicht. So nickte er Alpina zu, als sie ihm anbot, sie aufsuchen zu dürfen, wenn er es brauchte, folgte ihr zu Tür und lies sie dann hinaus. Danach verschloss er die Tür wieder von innen und setzte sich auf seinen Platz. Erneut wanderte sein Blick zu Feder und Anhänger neben sich auf den Tisch. Sie waren nun materielle Stellvertreter von dem, was er nicht haben konnte und er würde sie in Ehren halten.


    ~~~


    Nach dem Gespräch mit Alpina, hatte sich Curio dafür entschieden, zumindest das Essen, das ihm vor die Tür gestellt wurde, anzunehmen und so fand Acanthos abends immer einen leeren Teller vor Curios Tür. Doch dauerte es noch eine ganze Woche, bis der junge Helvetier wieder an Familienaktivitäten im Atrium, im Triclinium oder den Gärten teilnehmen konnte. Er brauchte diese Zeit, um seinen Panzer wieder aufzubauen, trainierte sich selbst, indem er sich immer wieder mit Silvanas Bild konfrontierte und versuchte, seine Gefühle dabei mehr und mehr zurückzudrängen. Es funktionierte. Zwar nur langsam und schmerzhaft und er merkte auch, dass es ihm nicht immer gelingen würde. Der Panzer nahm aber Formen an und Curio verschloss Tag für Tag eine weitere Lücke in diesem, bis nur noch jene Angriffsflächen vorhanden waren, die er zu schließen nicht fähig war.


    Doch auch danach passierte es immer wieder, dass seine Gedanken plötzlich abschweiften und Gesten, Gespräche und Dinge an ihm vorüberzogen, ohne dass er sie wahrnahm. Auch suchte er immer noch die Einsamkeit im Garten oder seinem Zimmer, wenn ihm das ganze familiäre Getue zu viel wurde. Er war dankbar, dass dies von allen Einwohnern respektiert wurde, was wohl aber auch daran lag, dass er in solchen Phasen kein guter Gesprächspartner war, sondern zumeist unmotiviert einen unbestimmten Punkt fokussierte, ohne zu antworten oder auch nur aktiv zuzuhören.

  • Mitten in der Nacht schreckte Curio hoch. Er brauchte einige Augenblicke, um zu begreifen wo er war - noch immer hatte er von Zeit zu Zeit Momente, an denen er beim Aufwachen erst langsam realisieren musste, dass der Traum der eigenen Casa Helvetia endlich Realität geworden war - und einige Augenblicke mehr um sein galoppierendes Herz durch langsames regelmäßiges Atmen wieder zu beruhigen. Draußen regnete es grade in Strömen, offenbar ein längerer Schauer, der ebenso wie die kürzen des vergangenen Tages irgendwann abebben würde. Zudem sah er durch die Vorhänge die zuckenden Blitze. Offenbar hatte ihn ein lautes Donnergrollen aus dem Schlag gerissen und er hoffte, nur dass kein Blitz in der Stadt eingeschlagen hatte. Wie auch immer: Iuppiter hatte offenbar schlechte Laune.


    Nur halbwach und mit rasendem Puls setzte sich Curio in seinem Bett auf, lehnte sich an das Kopfteil des Betts und beobachtete das Aufleuchten der Blitze durch die geschlossenen Vorhänge. Der Traum, aus dem er hochgeschreckt war, war nicht unbedingt besser. Es war eine Hochzeit, seine Hochzeit und als die Braut ihren Schleier lüftete, waren es nicht die blauen Augen Silvanas, die ihn anblickten, sondern die braunen Augen einer brünetten Frau, bei denen er sich sicher war, dass es sich doch noch um die Valeria handelte. Woher kam nur diese Angst, fragte er sich, als ein weiterer Blitz die Umgebung für nicht mal eine Sekunde in helles Licht tauchte und diesem nach wenigen Augenblicken das erwartbare Grollen folgte. Die Abmachungen waren getroffen, alles war besprochen und letztlich musste nur noch die Hochzeit stattfinden. Doch bis dahin konnte noch so viel passieren. Die Götter hatten es zulange so gut mit ihm gemeint und letztlich deuteten alle Zeichen darauf hin, dass er Silvana einfach heiraten musste, weil es genauso vorgesehen war. Alle hatten es mittlerweile verstanden - na ja, seine Mutter war zwar nicht begeistert, begann aber langsam, sich damit abzufinden und erste Hochzeitspläne zu schmieden - und dennoch...


    Natürlich waren seine Ängste letztlich unbegründet. Aber sie waren da und sie würden wahrscheinlich auch solange da sein, bis Silvana hier als seine Ehefrau neben ihm läge.

  • Viel geschlafen hatte Curio in der vergangenen Nacht nicht. Wie hätte er auch schlafen können, wenn am nächsten Tag sein Tag der Tage sein würde. Heute also war es soweit. Ein fast endloses Warten bekam heute doch noch ein gutes Ende, auch wenn er es irgendwie noch nicht so ganz glauben konnte. So war er schon seit der Morgendämmerung wach, saß in seinem Cubiculum und hielt die Feder der Venus in der Hand. Vorsichtig strich er mit den Fingern darüber, dreht sie mit den Fingern und legte sie schließlich, nachdem er nun eine ganze Zeit so gesessen hatte, wieder zurück auf ihren Platz. Als nächstes fiel ihm der steinernen Anhänger mit dem helvetischen Widder ins Auge. Umrahmt wurde er durch eine zur Seite geöffnete Schlange, die heute Abend nun endlich ihr Gegenstück finden würde. Auch hier fuhren seine Finger das filigran gemeißelte Wappen ab und erspürten die kleinen Unregelmäßigkeiten, die diesen Handwerksarbeiten immer ihren ganz eigenen Charakter verliehen.


    Nachdem er sich dann etwas Wasser in einen Becher gefüllt und ihn in einem Zug leer getrunken hatte, klopfte es endlich. Curio hielt einen Moment inne und rief dann Acanthos herein. Der staunte nicht schlecht, als er den Helvetier bereits voll angekleidet vorfand, verlor aber bis auf ein verschmitzes Schmunzeln keinen Kommentar dazu. Stattdessen machten sich beide bereit für den ersten Gang, denn für den Morgen stand ein Besuch in den Thermen auf dem Plan. Schließlich wollte auch Curio bei seiner Hochzeit eine gute Figur machen und das nicht nur dadurch, dass er die germanischen Riten zu aller Zufriedenheit vollzog.

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