Der Legat und (s)ein Pontifex

  • Der Duccius wurde kurz nach Betreten der Regia von einem Verwaltungsdiener in Empfang genommen und augenblicklich in eines der vielen Triclinia der Regia gebracht. Der Statthalter hatte selbst nach Sonnenuntergang noch lange keinen Feierabend, allerdings hatte der Pontifex Glück: sein Name stand auf einer gewissen Liste, weshalb eine Delegation der im äußersten Westen der Provinz siedelnden Lingones einfach noch einen weiteren Tag warten musste um mit dem Statthalter zu sprechen.


    "Der Legat wird bald kommen.", versicherte ihm der Verwaltungsdiener, nachdem der Gast mit Speis und Trank versorgt worden war.

  • Es war schon einige Zeit her, als Phelan das innere der Regia gesehen hatte. Im Wohnbereich des Legatus Augusti pro Praetore war er allerdings noch nie gewesen, hatte sein Patron ihn doch nie dort sondern immer im Verwaltungstrakt empfangen. Seinen Vetter hatte er zuvor hier noch nicht besucht, so sollte es heute das erste Mal sein.


    Ein Verwaltungsdiener führte den duccischen Pontifex in eines der vielen Triclinia der Regia, versorgte ihn mit Speis und Trank und instruierte ihn darüber, dass der Legat, sein Vetter, bald kommen würde. So setzte er sich auf eine der Clinen, es war ihm gerade nicht danach, sich hinzulegen, und wartete.

  • "Moyn Phelan..." , strebte einige Minuten später, die sicherlich für zwei Becher Wein gereicht hätten, in das Triclinium und grüßte seinen Vetter auf recht familiär einfache Art, "...ich hoffe man hat dich hier nicht verdursten lassen." Wenig mehr als einen Augenblick später saß er dem Pontifex gegenüber und ließ sich selbst einen Becher Posca reichen, während er sein Gegenüber fragend anschielte: "Also, was kann ich für dich tun?"

  • "Heilsa Alrik." antwortete der duccische Pontifex seinen Vetter familiär aber knapp zurück. Mit einer mithilfe seiner Hände verneinenden Geste versicherte er Alrik, dass man ihn nicht hatte verdursten lassen, auch wenn er es höflich meinte, war Phelan nicht zum Speisen hier.


    "Eigentlich hatte ich auch deine Frau erwartet, aber vielleicht bespreche ich erst einmal mein Anliegen mit dir." .. "bevor wir sie vor vollendete Tatsachen stellen" hätte er am liebsten ergänzt, sparte sich das aber, auch wenn für ihn die Sache klar war und er somit fest mit der Zustimmung seines Vetters rechnete.


    "Es geht um Ulf, meinen.. Sohn." somit kannte Alrik nun auch den Namen seines neuen Verwandten. Bei dem Wort "Sohn" stockte der Pontifex kurz, immer noch uneins mit sich und seiner aktuen Situation. "Es sind einige Monate vergangen, anscheinend wird er am Leben bleiben." sagte er fast schon sarkastisch die Götter verhöhnend. "Octavena hat sich bislang um ihn gekümmert, da sie allerdings nun selber in froher Erwartung ist, kann man ihr das nicht länger zumuten." Er ging einfach davon aus, dass Witjon seinem Vetter die frohe Neuigkeit schon verkündet hatte. "Auch Runa wird sich nicht um ihn kümmern können, hat sie doch mit.. Leif jetzt ebenso genug zu tun." Ob Alrik wusste, dass Runa ihren Sohn Leif genannt hatte, war Phelan unbekannt, weshalb er bei dem Namen stockte, aber das war ein anderes Thema, was sein Vetter vielleicht jetzt gar nicht aufgreifen würde, immerhin war es der Name seines Vaters, der nicht irgendein Mann war, sondern derjenige, der den Kindern Wolfriks das römische Bürgerrecht für alle Zeit verschafft hatte. Nun kam Phelan endlich mit seinem Anliegen um die Ecke "Mir kam der Gedanke, dass sich deine Frau vielleicht die ersten Jahre um.. meinen Sohn kümmern könnte, bis er in die Obhut des Paedagogus gegeben werden kann." Für einen strengen Hauslehrer würde der duccische Pontifex sorgen. Bei Lucia würde der Junge in seinen frühen Jahren die Erziehung erhalten, die er für seinen Weg, als Erbe Ulf Phelanson, brauchte: die römische. Der Pontifex hatte bis auf Weiteres die Sinnhaftigkeit in den Glauben an die germanischen Götter verloren.

  • "Meine Frau... ist sicherlich hier irgendwo unterwegs." , entgegnete Vala mit sorgloser Miene und in Richtung der Tür gewedelter Hand, deutlich machend wie wenig er vom täglichen Treiben seiner Frau eigentlich wusste... oder wissen wollte.
    In den folgenden Minuten hörte Vala sich, gelegentlich am Posca nippend (der freilich aus deutlich edlerem Essig bestand als jener, die seine Soldaten zum ent-abwerten des ihnen zur Verfügung stehenden Brackwassers verwendeten) die Ausführungen seines Vetters an. Hier und da nickte er verstehend oder wissend und hielt sich ansonsten mit Reaktionen zurück.. bis sein Vetter die Bombe platzen ließ. Der Gedanke war schon auf den ersten Blick so abstrus, dass Vala sich unwillkürlich an seinem Posca verschluckte und stark an sich halten musste um das Getränk seinem Vetter nicht ins Gesicht zu spucken.


    "..uh.. ah.. ent...schuldige.., röchelte Vala, das scharfe Getränk aus der Luftröhre hustend. Erst als er sich wieder gefasst hatte, was durchaus einen Moment dauerte, setzte er zu einer Erwiderung an: "Du willst meine Frau.. die Frau des vom Kaiser persönlich eingesetzten Statthalters der Provinz und Klientin der Augusta höchstpersönlich... als Kinderfrau benutzen?", fragte Vala immernoch mit deutlichem Unglauben im Blick. Natürlich spielte Lucia sehr überzeugend die römische Vorzeigemutter, aber hinter den Kulissen, in die Phelan durchaus Einblick hatte, musste man sich nichts vormachen und überließ die Drecksarbeit durchaus den Sklaven. Dass Octavena als Frau eines ranghohen Ritters sich dazu herabgelassen hatte, sprach einerseits für als auch gegen sie... aber Lucia?
    "Ich muss allerdings zugeben, dass der Gedanke seinen Reiz hat...", verwandelte sich der Unglauben in Valas Gesicht in ein spöttisches Schmunzeln. Für Insider war es kein Geheimnis, dass die Ehe der Tiberia mit dem Duccius zu einem nicht unbeträchtlichen Teil daraus bestand, einerander eins auszuwischen und die üblichen Beziehungsneckereien bis über die Schmerzgrenze auszureizen. Das hier hatte Potential für einen neuen Frontalangriff.

  • Ohne wirkliche Reaktion nahm Phelan die Information über den Verbleib seines Vetters Frau an und erzählte lieber direkt von seinen Plänen, während sich Alrik an Speis und Trank gütlich tat.


    Die Reaktion Valas war.. nein, eigentlich war sie ganz und gar nicht verwunderlich, war Phelans Wortwohl doch eher unüberlegt. Verwunderlich war die Reaktion also nicht, aber wohl doch etwas übertrieben. Sein Vetter tat ja gerade so, als hätte er ihm erzählt, Witjon habe abgenommen oder Albin sei zu einer Pilgerreise der Selbstfindung nach Rom aufgebrochen. Irritiert zog der duccische Pontifex vor dem duccischen Statthalter nun die rechte Augenbraue hoch und wischte sich gleichzeitig einen Tropfen Posca von der Wange, der zwischen den Fingern seines Vetters hindurch katapultiert worden war. "Nun.. ja." Was sollte man dazu auch sagen? "Mit kümmern meine ich natürlich, dass er unter ihrer Obhut und Aufsicht steht. Dass sich deine Frau wenig begeistert darüber zeigen würde, einen germanischen Spross zu säugen oder zu erziehen, ist mir klar." Der Nachsatz seines Vetters verwunderte ihn nach dessen vorherigen Reaktion. "Und das bedeutet?"

  • "Das bedeutet, dass du meiner Frau sehr gerne diesen Vorschlag unterbreiten darfst." , parlierte Vala mit wachsender Belustigung über die Vorstellung, seine Frau im Hause einem Haufen Kinder hinterherrauschen zu sehen. Dass er an Lucias statt natürlich nicht zusagen konnte verstand sich von selbst, dann wäre der nächste Beziehungsstress vorprogrammiert. Da es im Moment aber größere Baustellen gab, sparte er sich die Provokation größeren Theaters und überließ das seinem Vetter. Da dieser allerdings freiwillig vor ihm saß, konnte Vala auch gleich etwas ansprechen, das ihm schon länger im Hinterkopf rumspukte.


    "Also genug von Kindern und Frauen. Lass mich nach dir fragen... wie geht es dir?", wählte Vala einen Umweg, den er für die nettere Variante hielt als direkt mit der Tür ins Haus zu fallen. Immerhin war auch ihm nicht verborgen geblieben, dass sein Vetter durch den Tod seiner Frau seit einiger Zeit etwas derangiert war.

  • "Gut." willigte Phelan mit einem zufriedenem Nicken ein. Er hatte keinerlei Bedenken, Lucia diese Bitte zu unterbreiten. Rebellieren? Ja, das würde sie. Erfolgreich? Nein. Die Sache war sozusagen bei seinem Vetter durch und demnach machte der duccische Pontifex sich dahingehend keinerlei Sorgen.


    Als er dachte, das Gespräch würde sich somit dem Ende nähern, nahm er noch einen kräftigen Schluck Posca und blickte kurz über seinen Becherrand während des Trinkens hinweg, als sein Vetter ihn nach seinem Wohlbefinden fragte. Eine Frage, die er selbst noch nicht klar zu beantworten vermochte.


    "Ich.. weiß es nicht." war also das erste, was er äußerte, um dann erneut anzusetzen, denn seinem Vetter würde diese Antwort wohl kaum reichen. "Ich bin erfüllt von Ungewissheit, Zweifel, Enttäuschung und Zerrissenheit." sein Blick wanderte an einen Fleck auf dem Tisch und verharrte dort. "Ich habe alles für die Götter getan.. in all den Jahren. Sogar meine Tochter habe ich auf Wunsch der Götter unter ihrem Stand an meinen Klienten verheiratet. Der Dank? Sie schenkten mir meinen Erben, nahmen mir aber zugleich meine Frau. Was für ein Dank soll das sein? Sie verhöhnen mich.. Ulf, mein Sohn, mein Erbe.. es liegt mir fern, ihn als diesen, als ein Geschenk zu betrachten. Wenn ich ihn ansehe, spiegelt sich der Hohn der Götter in seinen Augen." dann kam er zu einer Schlussfolgerung, die er bei noch keinem seiner Verwandten geäußert hatte. "Die Götter.. pah." rief er schon fast aus. "Die Götter kann es nicht geben."

  • Von kurzen Gesprächen mit Witjon hatte Vala bereits eine gewisse Ahnung, was ihn da als Antwort erwartete. Die tiefgreifende Desillusionierung jetzt aber in Wort und Miene dargeboten zu bekommen war ein ganz anderes Kaliber.
    Mit ernstem Blick strich Vala sich nachdenklich durch seinen Bart und verbat sich selbst jede Regung, auch wenn ihn das gehörte zutiefst beunruhigte. Vor allem, weil alle guten Ratschläge sich von vorneherein als Klischees entpuppen würden.Und weil Vala insgeheim das Verständnis für diesen Hader fehlte. Frauen starben bei Geburten. So war das nunmal... Männer brachten sich im Kriege um oder durch persönliche Dummheit und die für die Weiber stellte nunmal jede Geburt einen Tanz auf der Klinge dar. Aber offensichtlich hatte zwischen Phelan und der Calventia das geherrscht, das man Liebe nannte und welches Familienpolitik enorm verkomplizieren konnte.
    Hier saß nun also einer der provinzweit renommiertesten und prestigeträchtigsten Goden vor ihm und schwadronierte darüber, dass es die Götter nicht gab. Wie ein Teenager, der aufgrund einer verlorenen Liebschaft oder einer persönlichen Niederlage gleich die ganze Welt in Frage stellte. Früher hätte Vala dem Mann einfach den Kopf gewaschen und ihm geboten sich zusammenzureißen, allerdings... nun, die Lage war nicht diesselbe wie früher. Er brauchte den Mann. Möglichst so, dass dieser ihn nicht hasste. Also wurde hier das verlangt, das nicht gerade zu seinen Spezialitäten gehörte: Fingerspitzengefühl.


    "...", zögerte er einen Moment, schließlich galt es die richtigen Worte zu finden und offenbarte in der Folge, was er unter Fingerspitzengefühl verstand, "...und selbst wenn. Was würde das ändern? Ob deine Frau jetzt durch göttlichen Willen ins Elysium gerufen wurde oder aus einer seltsamen Laune der Natur... das Ergebnis bleibt für DICH dasselbe. Alle anderen mögen sich ihre Erklärungen und Trauermethoden herbeiholen, um damit fertig zu werden. Wenn du tatsächlich so denkst bleibt für dich aber nur eine Sache, und das ist die Tatsache wie es nunmal ist. Bist du wütend auf die Götter, oder streitest du ihre Existenz ab? Tut mir leid, wenn ich so deutlich werde... aber das widerspricht sich. Was bleibt... Wut, oder Leere"

  • "Du weißt gar nichts, Alrik Leifsson." handelte Phelan seinen Vetter mit diesen geschichtsträchtigen Worten und einer Handbewegung ab - dieser möge ihm das nicht verübeln, ging es doch hierbei nicht um einen vetterlichen Streit, sondern um die Konfrontation mit seinen Zweifeln und Ängsten.


    Der duccische Pontifex lehnte sich nach vorne und bohrte mit seinem Zeigefinger in Alriks Richtung ständig in der Luft herum, während er sprach. "Denkst du wirklich, dass es hierbei noch um meine Frau geht? Frauen sterben nunmal bei Geburten. Das war bei unseren Ahnen so und das ist auch bei uns noch so, egal ob wir außerhalb oder innerhalb des Limes leben." dann drehte er seine Handfläche nach oben so als würde er einen Apfel halten und gestikulierte damit in der Luft auf und ab. "Es geht um den Hohn der Götter mir gegenüber! Und nein, es ist kein Widerspruch. Was habe ich nicht alles für die Götter getan als das sie mich so behandeln? Durch diese Sache zweifle ich an den Göttern was wiederum zur Folge hat, dass ich ihre Existenz in Frage stelle. Das ist eine logische Schlussfolgerung.


    Ich tue das, was die Götter mir auftragen, damit sie mir wohlgesonnen sind.
    Meine Frau stirbt bei der Geburt meines Erben.
    Die Götter kann es nicht geben.


    Die Prämissen sind wahr und die Konklusion schlüssig." Dass es sich dabei um ein nicht-deduktives Argument handelte - Phelan also damit keinen Anspruch auf seine Gültigkeit erhob - sollte seinem Vetter durch die Formulierung "kann" klar sein.
    Er machte eine kurze Pause und beruhigte sich halbwegs, bevor er Alriks Floskel etwas verändert wiederholte.Aus Wut wird Leere.

  • "...", verzog Vala eine deutliche Miene, als sein Vetter sich... erneut... im Ton vergriff. Allein der Tatsache war es geschuldet, dass sein Vetter derart so neben sich stand, dass Vala so unwidersprochen mit sich reden ließ. Allerdings fiel es ihm ohnehin schwer Groll zu empfinden, immerhin gallopierte Phelan mit Schwung in eine Erklärung, die den Legaten vollkommen ratlos zurückließ. Ratlos vor allem, weil die Erklärung über den vetteresquen Zustand keinerlei Sinn ergab.


    "Wenn selbst ein Pontifex Probleme hat, die Willfährigkeit der Götter zu erklären, wie soll ich es dann können?", zuckte Vala etwas ratlos mit den Schultern, versuchte sich dann aber auf anderem Wege an der Sache.
    "Gehen wir also davon aus, dass das Do ut Des derart drastisch effizient funktioniert, dass wir für jede Gabe der Götter etwas zurückbekommen. Demzufolge wäre wohl jeder Mann ein König, würde keinen Hunger leiden und jede Frau würde in größtem Wohlstand schwelgen und sich zudem nicht mit den Strapazen der Kinderkriegerei herumplagen müssen. Jeder Pontifex, übrigens auch ein recht junger Phelan Gunnarson, würde mir jetzt den Wankelmut der Götter, ihre unergründlichen Motive und die generelle Unverbindlichkeit des Götterskults entgegenwerfen. Allerdings habe auch ich dahingehend genug gesehen um zumindest tiefgreifend skeptisch zu sein. Bei den meisten Staatsakten in Rom, an denen ich beteiligt war und die mit dem Götterkult verbunden waren, war das Ergebnis vorher schon abgesprochen und klargemacht... ich unterstelle, es bei allen anderen einfach nicht mitbekommen zu haben.


    Was also ist das Resultat für dich? Streite die Existenz der Götter ab so sehr du willst... rede dir ein, deine Worte in den Wind gesprochen zu haben und letztlich Opfer nur für die Ängste der Leichtgläubigen und die Mägen der Hungernden dargebracht zu haben: der Effekt bleibt derselbe.
    Deine Frau ist tot und Asche. Dein Sohn ist es nicht. Gibt es nur die Welt der Menschen, bleibt das Resultat dasselbe: wir sind mit einem klaren Auftrag geboren... und gerade wir sind zur Größe verpflichtet. Was also kann man mit einem Pontifex erreichen, der nicht mehr an die Götter glaubt? Ich sage: mehr als mit einem, der es tut."

  • Dass zunächst keine Antwort seitens seines Vetters kam, sprach nicht unbedingt dafür, dass dieser sich einsichtig zeigen mochte. Was Alrik dann aber sagte, ließ Phelan stutzen. Im Folgenden sprach er von 'Do ut Des', was Phelan mit einem kurzen "Pff.." abtat und diese Formel innerlich in 'Do ut non Des' um. Sein Vetter kam dann allerdings auf eine Sache zu sprechen, die Phelan sehr verwunderte. Als Pontifex hatte er es bislang - und das vor allem bei öffentlichen Opfern - erlebt, dass ein Opfer nicht angenommen wurde, was ihm bislang anscheinend aufgrund seines Galubens - jetzt wohl eher nach reflektierter Revision aufgrund einer gewissen Naivität - gar nicht aufgefallen war. Bei seiner Ausbildung in Rom hatte er so etwas ebenfalls nicht erlebt, zumindest hatte sein Ausbilder ihn nicht darüber aufgeklärt. Was ihm aber damals in Rom bei einem Opfer durchaus aufgefallen war, waren diverse Gespräche, die er mit halbem Ohr bei der Vorbereitung mitbekommen hatte, zwischen den Pontifices und dem Haruspex. Vielleicht fand sein Ausbilder die germanische Götterwelt aus dem Grund so interessant, dass die Germanen an ihre Götter felsenfest glaubten. Hellhörig lauschte er weiter neugierig mit vorgebeugtem Oberkörper den Worten seines Vetters.
    Die Argumente seines Vetters waren logisch und stichhaltig. Ob er nun an die Götter glaubte oder nicht, ob die Opfer nur Show waren, war egal. Sie erfüllten immer ihren Zweck.
    Alriks letzter Satz ließ den duccischen Pontifex wieder rücklings auf die Kline gleiten. Mit zusammengekniffenen Augen frage er seinen Vetter kurz und knapp "Worauf willst du hinaus?"

  • "Na, muss ich das wirklich erklären müssen?" , runzelte Vala ungläubig die Stirn, "Ein Pontifex, der felsenfest an die Götter glaubt, lässt dem Zufall damit freie Wahl. Glaubst du wirklich, ich hätte ein Heer von zwanzigtausend Soldaten der körperlichen Verfassung eines Tiers anvertraut? Den Kampfesmut, der über Gedeih und Verderb in Roma und damit im Reich entschied? Die geschlagenen Soldaten des Vescularius erzählten nach der Schlacht, ihr großes Opfer sei ebenfalls durch Mars angenommen worden und er hätte ihnen den Sieg versprochen. Klingelt da nun etwas?" , legte der Statthalter dar und verschaffte sich mit einem Schluck kühlen Nasses Zeit, um seinen Worten die richtige Tragweite zu geben. Er musste zugeben, leicht beeindruckt zu sein von der Blauäugigkeit mit der sein Vetter es offensichtlich bis zum Pontifex gebracht hatte. Aber wenn er einen Nutzen für Vala haben sollte, muss sich daran etwas ändern... und das schnell. Die Zeit drängte - nicht nur im übertragenen Sinne.


    "Ein Pontifex der sich nicht abgehoben in den Deutungen irgendwelcher Naturzeichen ergibt und in Sphären denkt, die die Dringlichkeit der aktuellen Situation und der Politik vollkommen außer acht lassen... solch ein Pontifex kann eher schaden als dass er hilft. Wenn du nun also sagst, du hättest den Glauben an die Götter verloren, ist das für mich eher eine gute als eine schlechte Nachricht... von der Ursache mal abgesehen."

  • Jetzt hatte Alrik ihn mit etwas überrumpelt, was ihm nicht nur unangenehm vor seinem Vetter, sondern auch.. nein, weit aus unangenehmer vor sich selbst war. Auf diesen Gedanken wäre er Dank der Ereignisse der letzten Zeit und seines Selbstzweifels bzw. des Zweifels an die Götter selbst gekommen. Der Groll hatte ihm lediglich von dieser Erkenntnis, die schon all die Jahre so präsent gewesen war, abgehalten. Diese würde ihm vermutlich von nun an dabei helfen, die Erlebnisse der letzten Zeit besser zu verarbeiten. Wieso Groll und Enttäuschung gegenüber den Göttern hegen und empfinden, wenn es diese gar nicht gibt? Gerade hatte er seinem Vetter noch seine Zweifel an den Göttern bzw. ihrer Existenz dargelegt. Nun beantwortete ihm sein Vetter die vermeintlich theologisch höchst schwierige Frage auf eine derart so simple Weise, dass es ihm.. achja, dass es ihm unangenehm war, hatten wir schon gesagt. Natürlich ließ er sich das nicht anmerken, auch wenn sein Blick kurz auf einer leeren Stelle am Boden verharrte, der seinem Vetter durchaus sichtbar machte, dass Phelan ein Licht aufgegangen war, und trank ohne Alriks Frage zu beantworten einen Schluck aus seinem Becher.


    Die Frage, worauf Alrik denn jetzt konkret hinaus wollte, war immer noch nicht beantwortet, weshalb der duccische Pontifex sich daran versuchte, Hypothesen aufzustellen.


    "Demnach appellierst du auf die profane Beeinflussung der Opfer bzw. ihres Ausgangs zugunsten der Dringlichkeiten der Poiltik bzw. zu ihrer generellen Begünstigung." stellte er zunächst ohne fragenden Tonfall in den Raum. "Nun gut. Nehmen wir an, ich widme mich nach meiner momentanen Auszeit wieder meiner Profession, dann hättest du einen Pontifex zur Seite stehen, der in deinem Interesse waltet. Wie aber willst du kontrollieren, dass der gesamte Cultus und vor allem die anderen beiden Pontifices ebenso handeln?" Im regionalen bzw. provinzialen Cultus hatten die Pontifices das Sagen. Über ihnen stand eigentlich nur noch der Flamen, welcher sich allerdings - mag es aufgrund seines hohen Alters oder seines Desinteresses sein - wenig um die religiösen Angelegenheiten der einzelnen Städte in der Provinz kümmerte.

  • "Weil sie das schon lange tun." , zuckte Vala mit den Schultern, nachdem er dem Drang nachgegeben hatte erleichtert zu seufzen ob der nunschlussendlich gekommen Einsicht seines Vetters, "Jeder Funktionär im Cultus, je höher er steht, sollte wissen was mit seinen Aufgaben mit sich kommt... und ich meine damit nicht nur die Pflege des offiziellen Ritus und des damit einhergehenden Rattenschwanzes.


    Stell dir folgende Lage vor: Civitas XY möchte eine Brücke über Fluss Z bauen. Es hängt verdammt... VERDAMMT viel Geld davon ab, immerhin wäre sie dann in der Lage die Handelsrute, die bisher ihre Civitas umgeht, direkt durch ihren Ort zu leiten. Ein unheimlicher Gewinn für die Civitas, deren Bürger und deren Elite. Allen ist klar: zur Beruhigung des gläubigen Pöbels und des eigenen Gewissens braucht es ein Opfer und eine Befragung des Flussgotts, ob ihm denn das Projekt von XY recht ist.
    Es wird ein Tier ausgesucht, die Vorbereitungen getroffen et cetera et cetera. Aber das Tier ist krank... nicht äußerlich, doch von innerem Siechtum deutlich betroffen. Egal was passiert: die Innereien sind verdorben. Das Opfer kann nicht gelingen und die Götter werden das Projekt also ablehnen. Theoretisch. Ob man es jetzt göttlichen Willen nennt oder Zufall, dass gerade dieses Tier ausgesucht wurde ist vollkommen egal. Ich muss zugeben solch theologische Fragen nicht ausreichend beantworten zu können. Fakt ist: das die Beschau wird, muss sogar scheitern.
    Die Frage die sich dem Pontifex nun stellt ist: zieht er das Ding durch, wie es öffentlich verlautbart oder gelehrt wird... oder zieht er die großen Interessen der Civitas, der ganzen Region in Betracht?


    Ein durch und durch religiöser Pontifex wird nicht anders können als das 'Zeichen' als solches anzunehmen und dadurch seine Civitas und seine Familie auf Dauer zum Fortbestand als unbedeutendes Provinznest zu verdammen. Ein... um gewisse Diskrepanzen wissender Pontifex wird das möglicherweise nicht und damit den Weg frei machen für Fortschritt und Wohlstand.


    Um es noch deutlicher zu sagen: ich habe beides mitbekommen. Religiöse Eiferer, die gleich am kleinsten Pickel ein Zeichen der Götter feststellen wollten und verkappte Nihilisten, die den göttlichen Willen so bogen wie man ihn brauchte. Ich ziehe definitiv letztere vor... wobei bei jenen die, die aus politischer Weitsicht agieren mir deutlich lieber sind als jene, die nach dem schnöden Mammon entscheiden. Ich kann dir sagen: staatstragende Opfer haben die Angewohnheit echt teuer zu werden.


    Lange Rede kurzer Sinn: religiöse Eiferer kommen meist nicht weit und werden von den Männern in Verantwortung in Positionen abgeschoben in denen sie keinen Schaden anrichten können. In Anbetracht dessen bin ich schon ziemlich verwundert, dass das hier in Mogontiacum so lange mit Vollpfosten wie dir funktioniert hat." , schmunzelte Vala während er den Posca im Glas kreisen ließ. Wäre der Mann nicht so wichtig, wäre Vala schon etwas mehr als amüsiert über seine Blauäugigkeit.

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