Lararium - Ein Langohr für die Geister

  • Etwas blass um die Nase kam Agricola in’s Atrium marschiert. Auf seinen Armen zuckte ein unförmiges Wollknäuel, das er soeben höchstpersönlich aus dem Hortus geholt und eingewickelt hatte. „Ruhig. Wird alles glatt gehen.“, murmelte er leise auf die gebauschte Wolldecke ein, „Ich bin vorbereitet.“ Das war er in der Tat. Um sich bei seinem ersten selbst durchgeführten Blutopfer keine Blöße zu geben, war er nicht nur Dicon mit unentwegten Fragen nach Form und Ablauf auf die Nerven gefallen, sondern hatte sich auch in der Culina, unter Aesara’s fachkundiger Anleitung, mit dem Messer durch Hühnerhälse, Schweinebäuche und Fischgekröse gearbeitet, bis es ihm hochgekommen war. Der praktische Teil sollte also kein unlösbares Problem mehr darstellen. Aber nicht nur er selbst, auch das auserwählte Opferkarnickel war bestens präpariert. Da die iunischen Hasenställe kein rein weißes Kaninchen hergaben, war seine Wahl auf ein zumindest in der Grundfarbe weißes Tier gefallen, dessen Fell mit einem handgroßen schwarzen Fleck verunziert war. Diesen hatte Agricola, immerhin einer eigenen Eingebung folgend, großzügig mit Kalkfarbe kaschiert, sodass sich die Reinheit des Opfers nun auch optisch manifestierte, zumindest, wenn man nicht allzu genau hinsah. Gründlicher hätte er sich eigentlich nicht vorbereiten können. Nervös war er trotzdem. Und das wurde auch nicht besser, als er beim Betreten des kleinen Nebenraumes in die ernsten Gesichter seiner nächsten Anverwandten blickte.


    Bevor sich seine eigene Unruhe weiter auf das vermummte Karnickel übertragen konnte, überreichte er es dem ebenfalls ziemlich ernst dreinschauenden Araros, straffte entschlossen die Schultern und trat einigermaßen gefasst neben seinen Onkel an den Hausaltar. So weit so gut. Er war bereit. Und nun? Sicher, die Theorie war ihm inzwischen geläufig, erst die Anrufung der Lares, danach das Trankopfer und der entzündete Span in die Weihrauchurne, dann den Hasen wieder entgegen nehmen, ihn entmanteln, ihm das Opfermesser durch die Gurgel ziehen, sein Blut auffangen und im Anschluss die Innereien extrahieren, alles klar soweit. Die Frage war jetzt nur, ob er einfach anfangen sollte. Vielleicht wollte noch jemand etwas sagen. Oder das Ritual im letzten Moment doch lieber selbst vornehmen. Beides wäre ihm alles andere als unrecht gewesen.

  • Dass sich unter den Anwesenden niemand fand, der etwas zu kommentieren oder gar zu bemängeln hatte, nahm Agricola als positives Zeichen. Im Grunde konnte er so oder so nur das umsetzen, was er von Dicon gehört beziehungsweise bei seinem Onkel Geta gesehen hatte. Dumm nur, dass sich diese beiden Versionen was die Abfolge betraf in einigen Punkten widersprachen. Also blieb die Entscheidung letztlich wieder an ihm hängen.


    Nach einer angemessenen Zeit stiller Andacht, die Agricola dazu nutzte, seine Ahnen – allen voran Iunius Regulus – um Unterstützung zu bitten, bedeckte er das Haupt mit einem langen Leinentuch, küsste sich die rechte Hand und trat noch näher an das Lararium heran. Dort hob er die Hände mit den offenen Handflächen nach oben und räusperte sich verhalten.


    „Ehre sei Euch, oh Lares Familiares, Ich, Caius Iunius Agricola, der ich ein Heim gefunden habe in diesen Euren Mauern, erbitte Euer Wohlwollen für die Bewohner der Domus Iunia. Herrschaft und Dienerschaft. Mann, Frau und Kind. Gewährt ihnen allen Euren Schutz und nehmt zum Dank mein erstes Blutopfer entgegen. Auf dass auch ich Eingang finden möge in den Kreis der Euch Anvertrauten.“


    Anschließend füllte er eine Patera mit verdünntem Wein, goss etwas davon auf den Boden und stellte die Schale vor den Statuetten von Lares, Genius und Penates in den Schrein. Nach der Libation entzündete er ein dünnes Weihrauchstäbchen, fächelte die Flamme aus und legte es in’s Turibilum. Danach wandte er sich schweigend zu Araros um, der ihm das verhüllte Karnickel überreichte. Behutsam setzte er das Bündel auf einem kleinen Tisch ab, schlug die Wolldecke zurück und packte das Tier im Nacken. Die inzwischen getrocknete Kalkfarbe staubte ein wenig, aber auch das nahm Agricola als gutes Omen. Ohnehin hatte er sich vorgenommen, einfach mal alles positiv zu werten, was keinen eklatanten Fehler im rituellen Ablauf darstellte. Nach einem Moment der Sammlung bog er dem Kaninchen mit der linken Hand den Kopf zurück, griff mit der Rechten zum Culter und setzte ihn seitlich an den Hals des Langohrs. Kein hektisches Gesäge – hatte Aesara ihm eingeschärft – sondern ein gezielter Stich, gefolgt von einem erweiternden Schnitt. Nun denn. Alles würde gut gehen. Regulus würde ihm die Hand führen.


    Die scharfe Spitze des Culters bohrte sich in die Halsschlagader. Ein dünner Blutstrahl spritze hervor. Das Kaninchen begann zu zischen wie eine Schlange und schlug panisch mit den Hinterläufen. Agricola verstärkte den Druck der Klinge noch ein wenig, zog dem zuckenden Karnickel mit einem kurzen Ruck die Schneide über die Kehle, legte dann schnell den Culter beiseite und schob eine zweite Patera unter den gurgelnden Schlund des Opfertieres. Es dauerte weit länger als er erwartet hatte, bis sich der Körper des Hasen entspannte und der Blutstrom langsam verebbte. Als endlich nur noch einzelne Tropfen aus dem Kehlschlitz rannen, legte er den Kadaver ab und stellte die blutgefüllte Opferschale vor den Hausaltar. Gut möglich, dass es ihm schwindelte. Vermutlich standen ihm Schweißperlen auf der Stirn. Wahrscheinlich war ihm auch kotzübel, allein, er bekam nichts davon mit. Tief in seine Verrichtungen versunken nahm er den Culter wieder auf, öffnete dem nun blutleeren Opfertier mit zwei entgegengesetzten Schnitten Bauch und Brustraum, klappte die dampfenden Hautlappen zur Seite, löste vorsichtig Gedärme und Innereien heraus und schlug diese in ein Tuch ein. Als alles getan war, verharrte er noch einmal andächtig vor dem Schrein, küsste sich schließlich erneut die blutige rechte Hand und trat in die Reihe seiner Familie zurück.


    Niemand hätte in diesem Moment erstaunter sein können als Agricola. Bei seinen Übungen in der Culina hatte er jedes Mal eine heillose Sauerei angerichtet. Hier jedoch waren ihm die Bewegungen von der Hand gegangen als habe er sie schon viele Male zuvor ausgeführt. Dieser Umstand erschien ihm das beste Omen von allen zu sein. Seine Ahnen waren ihm tatsächlich beigesprungen. Nun würden vielleicht auch seine nächtlichen Wachträume ein Ende finden.

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