Hilfe für die Seherin

  • Am kommenden Tag kam Alpina mit ihrem Korb mit Heilmitteln und neuem Verbandsmaterial in die Castra. Dieses Mal wurde sie unverzüglich zu der Verletzten geführt. Als sie die Carcerzelle betrat blieb sie wie angewurzelt stehen. Da war ein Soldat, der die Voelva umarmte. Erst dachte sie er würde ihr etwas antun. Dann wurde sie gewahr, dass es sich bei den beiden um ein Liebespaar handelte. Überrascht wartete sie ab, ob die beiden sie bemerken würden.

  • Wenn sie auch gelitten hatten, waren ihre Sinne immer noch da so nahm sie nun also auch wahr, dass sie nicht mehr allein in dem Raum waren. Sie hob ihren Kopf um in Richtung Tür zu blicken und sie entdecke Alpina.
    „Alpina...“ sagte sie und nickte der Heilerin begrüßend zu. Sie löste sich von Verus und legte sich wieder auf den Bauch. Ihre Hand verblieb jedoch immer noch von seiner festgehalten auf seinem Herzen.

  • Vorsichtig näherte sich Alpina. Sie kniete sich nieder ohne den Soldaten aus den Augen zu lassen. Eigentlich ging sie das Verhältnis der beiden nichts an, doch irgendetwas sagte ihr, dass die beiden ein verhängnisvolles Band verknüpfte.
    "Salve", begrüte sie ihn. "Ich bin die Kräuterfrau Alpina. Ich möchte mir Iduns Wunden ansehen und wenn möglich den Heilungsprozess beschleunigen. Dann lasse ich euch wieder alleine."


    Während sie die inzwischen blut- und wundsekretdurchtränkten Verbände löste, fragte sie die junge Frau nach den Schmerzen.
    "Wie ist es mit den Schmerzen. Reicht dir die Weidenrinde oder soll ich dir etwas stärkeres geben, Idun? Es wäre dann allerding eine Pflanzensubstanz mit bewusstseinsverändernder Wirkung. Dann bleiben nur Schlafmohn, Hanf oder in beschränktem Maße die Alraune oder das Bilsenkraut. Alle machen auch sehr schläfrig, die letzten nicht wirklich eine Schmerzlinderung, nur indirekt durch das euphorisierende Gefühl. Was denkst du?"

  • Die Verbände wurde gelöst und Versus bekam wohl das erst Mal das gesamte Ausmaß zu Gesicht. Induns Körper zuckte natürlich während die Verbände, die sich mit dem Wundsekret verbunden hatten gelöst wurden. Sie versuchte nicht zu Schreien und doch gelang es ihr nicht ganz. So presste sie also mal wieder ihren Kopf in die Unterlage, die ihr als Kissen dient um wenigstens den Schrei zu dämpfen. Die Hand, die immer noch auf Verus Herzen lag kralle sich in die blutbefleckte Tunika. Erst als die verbände gelöst und der Rücken frei von Verbänden war, drehte sie ihren Kopf wieder in die Richtung der Beiden. Ihren Augen mit Tränen gefüllt und doch versuchte sie diese zurückzuhalten. Natürlich hatte sie Schmerzen. Schmerzen welche die Christen als höllisch bezeichnen würden. Ja sie waren qualvoll und grausam. Etwas was man seinem ärgsten Feind nicht wünschte. Sie brauchte eine ganze Weile, bis sie wieder so weit bei klarem Verstand war, dass sie der Heilerin antworten konnte. „Sie...sie muss …reichen.“ presste die Germanin hervor. Nein sie wollte keine Substanzen die ihr Bewusstsein beeinflussten. Auch wenn die Schmerzen kaum auszuhalten waren und die Weidenrinde nur bedingt half – zumal sie ja auch noch dafür sorgte, dass die Wunden immer noch bluteten – wollte sie nicht einnehmen, was ihr Bewusstsein trübte oder anderweitig beeinflusste. Das Letzte was sie wollte, dass sie die Kontrolle über ihren Geist verlor. Dies war das Einzige was sie noch kontrollieren konnte. „Sie ..wird...reichen...“ versuchte sie also zu versichern, doch ihr schmerzverzerrter Gesichtsausdruck strafte sie wohl lügen.

  • Beeindruckt von der Tapferkeit der Seherin verstummte Alpina. Sie streichelte der Verletzten wortlos über den Arm. Dann reinigte sie wieder die Wunden, trug erneut Salbe auf und verband Idun mit frischen Binden. Dann sah sie den Soldaten neben sich mit einem forschenden Blick an.
    "Kennst du denjenigen, der dieser armen Frau diese Grausamkeit zugefügt hat? Wenn ja, dann sorg dafür, dass er zumindest für die Behandlungskosten aufkommt. Das ist das mindeste, was er als Gegenleistung anbieten könnte."


    Man konnte hören, dass die Kräuterfrau äußerst wütend auf die Brutalität der ausführenden Hand des römischen Exercitus war.

  • Was war dieses Gefühl? Diese Ewigkeit, die im Moment lag, welche dahinwanderte, ohne Bestand und doch voller Gewicht. Es war ein Jahrhundert, ein Jahrtausend, gar Jahrtausende, die in einem Atemzug lagen. Verus war Mensch, so voller Leben und doch so fragil in der Zeit. Verus war hier, allein mit seiner Idun; der Liebe, die Ewigkeit spürbar machte. Und doch schien diese Ewigkeit zu enden. Hier war er, verletzlich, versunken der Berührung zweier Seelen, die bisher nur Leid gefunden hatten. Doch dieses Leid verstrahlte an der Ewigkeit. Ihre Nähe ließen einen Zauber wirken, der sein Herz aus dem Eis der Vergangenheit befreite. Es war schwer für ihn zu erklären, zu verstehen, was ihn gerade veränderte. Das Monster, welches sich seiner bemächtigt hatte, schwieg still und doch war es dort, wo es lauern konnte. Denn hier lag allein Gnade und Absolution, vertrieb die Verachtung der Zeit. Ewigkeit kannte keine Zeit, denn sie selbst war zeitlos. Doch die grausamen Götter hatten ein Ende in diesen Moment gesetzt. Die Unschuld ging verloren, denn Verus musste sich stellen. Der Centurio musste sich seinen Taten stellen, um nicht mehr vom Monster gejagt zu werden. Das Monster war er selbst, welches ihn trieb und hetzte. Gewalt fraß die Seele mit großen Zähnen und Verus spürte bereits das beachtliche Gebiss des Monsters in seinem Nacken, wie es sein Maul spreizte und zubeißen wollte. Ihre gebrochenen Worte konnte nicht sühnen, was er selbst war. Ihre Worte konnten nicht brechen, was er sein musste. Rom war hier. Überall. In ihm und mit ihm. Alles schrie in ihm, diese Vergebung zu suchen, doch das Monster biss fest zu, riss an seinem Genick und zog ihn weg von Idun; Stück für Stück kehrte die Sünde ein. Verus begann zu zählen. In Gedanken summierte sich seine Erinnerung und vergab nicht mehr. Die Dunkelheit fiel herab, wollte sich seines Herzens bemächtigen und doch blieb das Monster gierig. Es biss zu, immer wieder, bis seine Seele blutete. Verachtung war der Geschmack seiner selbst, die die Bestie genoss. Nein, Verus wollte sich weigern und wehren. Er blutete nicht für sich, sondern für seine Liebe. "Ich brauche dich," wiederholte er suchend in ihre Richtung. Am Rande des Abgrundes, suchte er sie und das Herz schlug für sie, um dem Abgrund zu entspringen. Die Ewigkeit brach ein und die Zeit hatte die beiden wieder, doch ihre Herzen behielten sich einen Splitter dieser Ewigkeit; jenes Himmels ohne Grenzen, der nur ihnen gehörte. Allein ihnen und den selbst nicht einmal die Götter beherrschten. Eine Magie, fern jeder Realität und anderer Macht, die das Monster bestrafte. Verus vertrieb das Monster mit Hingabe und neigte in der Bewegung, wo sich ihr Kopf näherte, seinen Kopf gegen ihren. Erinnerung konnte nicht zerstören, was von Schicksalmacht wahr gemacht war. Eine gnädige Sühne füllte seine berührende Hand, die sanft enger schloss, um das festzuhalten, was er durch Leid beschützen wollte. Ihre Berührung war die mächtige Absolution, die das Monster in die Lauerstellung trieb. Doch noch war die Bestie nicht erschlagen. Verus würde bald in die Höhle seiner selbst steigen müssen, um dort gegen das Monster zu kämpfen. Doch jetzt schwieg es wieder. Seine Augen lebten, strahlte in leidender Liebe und suchten Licht, als Idun wieder ihren Kopf hob, während Alpina eintrat. Beide lebten füreinander. Eine Trennung zerbrach beide und die gemeinsame Nähe heilte sie. Diese Heilung war alles, was Verus brauchte, um die Bestie zu besiegen. Alpina, die Heilerin, tat ihr Werk, was Verus beim ersten Blick auf die Wunden erschaudern ließ. Kalt fiel die Luft aus seiner Nase, wie Blei herab. Sein Herz schlug heftig, wollte den Anblick verjagen aber scheiterte. Verus musste sich eingestehen, dass er dies getan hatte und der Blick auf dieses Leid strafte ihn. Es schmerzte ihn, und gleichsam wollte er mit ihr schreien als sie ihr Gesicht ins Kissen presste. Ihre Hand krallte sich an seiner Brust fest, die er nun stützend mit beiden Händen hielt, um ihr Zuversicht zu schenken. Er würde jetzt nicht weichen. Hier stand er; fern der Flucht. Die tränenbehafteten Augen ließen auch Verus erneut beständig weinen; nicht in sturzenden Bächen, sondern in stillen aber beständigen Tränen aus seinen Augenwinkeln. Verus füllte sich verantwortlich und teilte ihren Schmerz. Schließlich, auch zu Verus Erleichterung, wurden die neuen Verbände aufgetragen, was den Anblick von erheblicher Grausamkeit reduzierte, auf einen Punkt des Erträglichen. Mit bekümmerten Augen blickte er zur Seite, in jene Richtung der Heilerin, die ihn forschend mit ihren Augen ansah. Es lag Wut in ihren gesprochenen Worten. Verus musste Flagge zeigen. Er war es. Der Römer allein, welcher hier kniete, und auf Vergebung hoffte. "Ich war es," stammelte er diese drei Worte zusammen und wiederholte sie dann fester: "Ich war es." Es verschaffte eine kaum merkliche Erleichterung, denn nun war bekannt, was er war aber dennoch konnte es ihn nicht von der Tat freisprechen. Verus erwartete sogar ein brutales Urteil über seine Person. Denn immerhin war er brutal gewesen.

  • Alpinas Blick drückte die Unfassbarkeit dessen aus, was seine Worte erklärten. Er war es gewesen? Er, der Mann der so zärtlich diese Frau berührte? Aus dessen Augen Liebe sprach? Er hatte Idun so furchtbar verletzt? Was in aller Götter Namen hatte ihn dazu bewogen? Nun, Alpina ahnte es längst. Er war Soldat. Der Dienst für den Kaiser stand über allen persönlichen Wünschen und Bedürfnissen. Hatte sie nicht selbst erlebt wie es war? Corvinus war fort. Er hatte nicht gehen wollen, er musste gehen. Aber er hatte keinen Augenblick gezögert, dem Befehl zu gehorchen.


    Der Blick der Raeterin löste sich von Verus. Ihre Stimme klang kalt als sie erwiderte.
    "Nun gut, ich nehme an, dein Sold sollte dafür leicht reichen. Such mich doch in der Taberna Medica Alpina in den Cabanae auf, dann kannst du dort deine pekunäre Schuld begleichen. Deine moralische Schuld wird dich hoffentlich bis ins Grab begleiten und mögest du jedes Mal zusammenzucken wenn du den Rücken dieser schönen Frau siehst, den du für immer gezeichnet hast"


    Alpina versorgte die Wunden und verband Iduns Rücken neu. Sie schwieg. Gefühle übermannten sie, Gedanken schossen durch ihren Kopf. Sie fühlte etwas zwischen Wut, Verzweiflung und Hilflosigkeit. Ein leiser Hass auf alle Männer dieser Welt brodelte in ihr.


    Als sie fertig war stand sie auf.
    "Ich werde auch morgen wieder nach dir sehen, Idun. Die kleinen Wunden heilen erwartungsgemäß, doch zwei der tiefen Wunden sind noch immer sehr nässend. Es besteht weiterhin die Gefahr eines Wundfiebers. Deshalb werde ich nach dir sehen bis diese Gefahr gebannt ist. Valete."

  • Die Hand die sich eben noch in seine Tunika gekrallt hatte entspannt sich. Und lag nun wieder ruhig, seinen Herzschlag spürend, auf seiner Brust. Das stumme streicheln ihres Armes der Heilerin tat gut, es war wie Balsam für die Seele. Doch nur Momente später krampfte sich alles in ihr zusammen. Sie hörte die Frage und auch die Wut der Frau. Sie spürte die Kälte die sich im Raum ausbreitete als Verus ihr gestanden hatte, das er es gewesen war. Idun wusste sehr wohl, dass er sich die Schuld gab, dass er Vergebung suchte. Aber es gab nichts zu vergeben, es gab nichts vorzuwerfen. Und doch wusste sie, das Verus sich nicht verteidigen würde. Sie wusste, dass er dachte, dass die Schuld bei ihm lag. Eben jene Schuldgefühl, die gerade dabei waren ihn innerlich zu zerfressen. Deutlich hatte sie die Dunkelheit, das alles fressende Monster in seinen Augen gesehen. Das Monster welches sein Herz fressen wollte und seine Augen kalt werden ließ. Das Monster das ihn zu einen funktionierenden Soldaten machte und den Menschen töten wollte.
    „Alpina? Warte bitte.“ Ja sie würde für ihn sprechen. Sie wollte diese Vorwürfe so nicht stehen lassen. „Er konnte nicht anders. Die Männer der Legio... sie denken ich... sie denken ich hätte ihn mit einem Bann belegt.“ Sie sah Verus an und griff seine Hand. Vielleicht war es ja so. Wenn man Liebe als Bann bezeichnete, dann war es wohl ein Bann unter welchem beide standen. „Es war ein Befehl...“ Hätte er ihn verweigern können? Vielleicht hätte er das. Er hätte seine Verletzungen vorschieben können, doch dann wäre der Vorwurf nie aus der Welt geräumt worden. Nein er hatte es selbst tun müssen, dass wusste Idun und wohl auch Verus. „Was wäre wohl passiert wenn er sich geweigert hätte?“ Idun sah die Heilerin an, die sich wohl selbst ausmalen konnte was die Römer dann mit ihr und wohl auch mit Verus angestellt hätten. „Er hat mir und damit das Leben gerettet. Hätte er es nicht getan, hätten sie mich umgebracht.“
    Bannen? Nein bannen konnte sie niemanden. Aber deuten Zeichen deuten. Lesen, lesen in den Runen, im Flug des Vogels oder auch in den Augen eines Menschen. Sie konnte erkennen und sie konnte versuchen zu heilen. Das waren ihre Fähigkeiten. Eine besondere Gabe des Sehens und des Einfühlungsvermögens.
    So bemerkte sie auch, dass sich der Hass der Frau nicht nur gegen Verus richtete. Da war noch mehr. Diese Traurigkeit, die die Frau umgab, der Hass auf Soldaten? Sie brauchte einen Moment um zu begreifen. Einsam. Dies Frau liebte und war in ihrem Herzen einsam viel zu lange schon. „Wann ging er weg?“ fragte sie deshalb plötzlich ohne erkennbaren Zusammenhang und blickte die Heilerin aus ihren dunklen Augen forschend an.

  • Schande. Es war dieses Gefühl, welches sein Gesicht umgab. Es war grausam und herzlos, denn all die Verachtung waren für den Römer spürbar. Ja, er spürte sie auch gegen sich selbst. Er verachtete sich selbst, für das, was er war. Verus fühlte sich verloren und aufgelöst in dieser Schuld gegenüber seiner Verantwortung und Hingabe. Er war für sie verantwortlich, denn sie war ihm ausgeliefert. Ja, es war ihm klar, was Rom getan hätte, wenn er es nicht getan hätte. Er hatte sämtliche Konjunktive durchdacht und war stets zum Schluss gekommen, dass er seine Liebe nur so retten konnte. Doch machte es die Tat nicht leichter, nicht entschuldbar und erlöste ihn auch nicht von diesem Gewicht. Es war das Gewicht der Gewalt, welches Seelen belastete und niederdrückte. Verus kannte den Lehrsatz, der ihm einst von einem Ausbilder beigebracht wurde: Das Gewicht einer Waffe, wenn sie im Kampf geführt wurde, wird der Soldat nie wieder vergessen. Egal, was er danach tun würde, ob er kochen würde oder nur nähen, würden seine Hände stets das Gewicht der Waffe suchen. Ihr Gewicht würde ihm stets bewusst sein. Denn seine Hände würden nur noch die Waffe als Gewicht akzeptieren. Ja, Verus verstand nun, denn seine Hände fühlten in dieser Sekunde das Gewicht des Kampfes, als er jene Waffe im Kampf geführt hatte. Und es fühlte sich grausam schwer an. Selbst, wenn Idun seine Hand hielt, konnte er nicht vergessen, was er war und was er getan hatte. Er hatte nicht nur Idun grausame Dinge angetan, sondern auch vielen anderen. Er war ein Soldat Roms und hatte für Rom gemordet, geplündert und versklavt. Verus hatte die Abgründe von Menschen gesehen und sie auch in sich selbst gefunden. Er war korrupt gewesen, verseucht von der Macht der eigenen Authorität. Es war eine Epiphanie in diesem Gewicht. Eine Erwägung und tiefe Erkenntnis, dass er eine Kriegsbestie war. Der Krieg hatte ihn zudem gemacht, was er heute war und dafür verachtete er sich. Denn die Bilder und Eindrücke aus diesen Erfahrungen waren oft präsent und besonders in der Nacht. Seit Monaten schlief er nicht mehr wirklich. Er wachte schwitzend und panisch auf. Was er Idun angetan hatte, machte es nur noch schlimmer. Das traurige Herz des Mannes war ertrunken in der kalten Herzlosigkeit der Umwelt. Es gab kein Zurück in die Unschuld, die er einst besessen hatte. Doch wünschte sich Verus eine Erlösung von dieser Schuld, um wieder frei zu sein. Es tat weh, sich bewusst zu sein, dass man töten konnte. Einfach so. Er war ein ausgezeichneter Kämpfer und Soldat. Es schmerzte, dass er Idun brutal verletzt hatte, weil es ein Befehl war. Was konnte er noch tun? Würde er alles tun? Diese Erkenntnis über das eigene Selbst zerstörte mit schleichendem Gift. Alpinas Wunsch würde sich bewahrheiten. Denn Verus spürte diese Schuld tief in seinem Herzen und konnte nicht davor flüchten, wie einst. Wein würde nicht helfen. Nichts konnte ihm helfen, außer Iduns Liebe, die ihm Zuversicht gab. Mit ihr war eine Erlösung möglich. "Wie du wünscht," antwortete der gestandene Offizier kleinlaut, mit abbrechender Stimme. Er verlor erneut, wie er stets gewann, um alles zu verlieren. Verus gewann aber nie das, was er brauchte und ersehnte. Schließlich offenbarte sich Idun und sprach für die arme Seele des Tiberius. Dieser schwieg schlicht und senkte seinen Kopf. Er traute sich nicht, sich zu entschuldigen oder zu rechtfertigen. Schuld war etwas, was er sich eingestand und dennoch war er dankbar, dass sie ihn verteidigte. Wieder hob er seinen Kopf, um seine Liebe anzublicken, mit tiefer vertrauter Dankbarkeit in den Augen. Ihre Nähe gab ihm Sicherheit - für diesen Moment.

  • Die Seherin nahm den römischen Soldaten in Schutz. Vermutlich hätte sie es genauso getan in ihrer Lage. Idun liebte. Sie liebte tief und aufrichtig. Alpina atmete schwer. Es tat wieder weh. Sie kannte die Wahrheiten, wusste, dass Idun recht hatte. Man hätte sie getötet. Alleine die Vorstellung, dass die Seherin einen Mann aus ihren Reihen mit einem Bann gebunden habe, reichte dem Arm Roms aus, die Frau zu töten. Natürlich war es "eine Gnade", dass dieser Befehlsausführer sie "gerettet" hatte.


    Alpina versuchte ihren persönlichen Frust außen vor zu lassen, als Idun sie nach Corvinus fragte. Sie nannte seinen Namen nicht, doch sie wusste, dass die Raeterin verlassen worden war. Tief bohrte sich das Messer in ihre Brust. Alpina hätte schreien mögen. Alles, was mit ihm im Zusammenhang stand, klammerte sie aus solange sie bei Bewusstsein war. Nachts, da sah sie ihn, da verfolgten sie die Bilder der schönen Erinnerungen. Sie vermied alle Gespräche, die das Thema anschnitten.


    Die Kräuterfrau sah die Seherin traurig an. "Bald sind es drei Jahre. Sie ist unlängst drei geworden und sah ihren Vater das letzte Mal als sie noch nicht mal ein halbes Jahr alt war. Sie erinnert sich nicht an ihn. Sie wird ihn vergessen, hat ihn bereits vergessen. Ich kann es nicht."


    Mit einem tiefen Seufzer drehte sich Alpina zur Tür. Sie konnte und wollte nicht weiter darüber reden oder auch nur daran denken. "Ich komme morgen wieder. Gute Besserung, Idun."

  • Der traurige Blick fraß sich in Iduns empfindsame Seele. Diese herzensgute Frau, die anderen half, die Leben auf diese Welt brachte musste leiden. Musste ohne ihre Liebe leben. Und dass alles für Rom. Mit belegter, mitfühlender Stimme flüsterte Idun. „Wir sehen uns morgen.“
    Ja beide Frau war sich wohl ähnlicher als sie dachten. Beide litten für das Wohl von Rom. Sie teilten das gleiche Schicksal.
    Und wieder einmal sah Idun sich bestätigt, dass dieses von den meisten so glorifizierte Rom nichts weiter als ein Schrecken war. Ein Schrecken für jene auf deren Rücken man dieses Imperium aufbauten. Dieses Rom war eine Illusion, die jeden verändern wollte. Man durfte nicht sein wer man ist.
    Ihr Blick fiel nun wieder auf Verus. In seinen Augen schimmerte die Dankbarkeit, eine tiefe Dankbarkeit, weil sie für ihn gesprochen hatte. Dabei hatte sie doch nur die Wahrheit ausgesprochen. Nichts weiter als die Wahrheit über diese Grausamkeit. Über die Grausamkeit Rom's. Wie könnte man es auch anders nennen? Dieses vergöttliche Imperium hatte den Mann, der hier nun in Schuld vor ihr kniete und auf Vergebung hoffte, gezwungen sie die Gnade Roms zu lehren.
    Ja die Gnade Roms hatte sich in ihre Haut gefressen, würde für immer sichtbar bleiben. Aber es würde heilen. Körperliche Schmerzen vergingen und zurück würden nur die Narben bleiben.
    Viel grausamer war Rom doch mit ihm umgegangen. Dieses Urteil im Namen Roms welcher er hatte verkünden und ausführen müssen hatte sich tief in seine Seele gefressen. Es zerfraß den treuen Soldaten Roms von innen und war dabei ihn zu zerstören.
    Idun richtet sich wieder auf und nahm Verus Kopf in ihre Hände. Sie zwang ihm ihr in die Augen zu sehen. Er sollte sehen, dass in ihr keine Vorwürfe waren, dass sie ihm keine Schuld gab. Er sollte sehen, dass da nur tiefe reine Liebe war.
    Er brauchte keine Vergebung. Er brauchte Halt. Halt in einer Welt, die brutal und grausam war. Halt in einer Welt, wo für echte Liebe eigentlich kein Platz war. Halt in einer Welt, die kriegerisch, zerstörerisch und kalt war. Halt in einer Welt in der ein Menschenleben nichts zählte.
    Er war nur ein Soldat, dessen Tod man zwar bedauern würde, aber man würde ihn ersetzen. Man nannte sie Legion, denn sie waren viele. Beliebig austauschbar. Ja in Rom zählte der Mensch nichts. Es zählten nur seine Taten für Rom.
    In jener Welt wollte sie ihm Halt geben, wollte ihm zeigen, dass er der Mensch wichtig war. Das er nicht beliebig, nicht austauschbar war. Das jeder Mensch, so klein er auch war einen Platz und eine Rolle in dieser Welt hatte.
    Sie beugte sich vor und hauchte ihm einen Kuss auf die Stirn. „Ich liebe dich.“ Als die Lippen sich wieder lösten und ihr Blick in den seinen fiel konnte er wohl tief in ihre Seele blicken, denn Idun hatte sich ihm geöffnet. Sie verbarg nichts vor ihm.

  • Liebe, eine fremde Macht, die wenige fanden und die sie fanden, wurden von ihr eingenommen. Verus fand sie und verlor sich darin, denn in dieser Sekunde gab es nichts, was man ihm entreißen konnten, denn ihm gehörte bereits die Ewigkeit. Verus würde sein Licht nicht mehr verlassen, nicht heute und auch nicht in Zukunft. Verus verblieb still aber wachsam in ihrer Nähe. Als sie sich vorbeugte, um ihm einen Kuss auf die Stirn zu schenken, lächelte er das erste mal seit Langem wieder. Ein Lächeln voller Leben und Bedeutsamkeit, dass Verus gar nicht mehr als Bestie erschien, sondern als unschuldiger Geist. Ihre Worte verwundeten das ihm folgende Monster, so dass es jaulend aufschrie und sich weit zurückzog. Hier war er ganz Mensch, nicht getrieben und verloren, sondern gehalten und gewärmt. Idun liebte ihn, wie auch er sie liebte. "Ich liebe dich," antwortete Verus fast simultan mit ihren Worten. Erleichterung durchflutete seinen noch gezeichneten Körper, der sich müde und erschöpft hoffnungsvoll in wachsamer Pose hielt. Er würde nicht weichen. Dieses mal kämpfte er nicht gegen Schrecken der Lebenden, sondern gegen die Schrecken der anderen Welt; der unwissenden Welt. Eine Welt der Ängste und Sorgen. Verus, ein getreuer Soldat Roms, würde nicht weichen, bis Idun genügsam Sicherheit gefunden hatte. Keine Sicherheit vor fremder Hand, sondern ein Ausschluss von finsterer Einsamkeit. Jener Macht, die fürchterlicher Natur, alles an einem Menschen verderben konnte. Verus ließ dies nicht mehr zu; nicht heute. Nicht, nachdem die Bestie ihm sein Fluch geworden war. Nicht, nachdem er all diesen Konflikt erduldet hatte. Der Römer entschied sich für etwas einzustehen, was größer war als er selbst: Liebe. Auch in seinen Augen fand sie nun Wahrheit. Aufrichtigkeit und etwas viel Wertvolleres: Hoffnung. Sie konnte sich sicher sein, dass er wachen würde und sie nicht mehr verließ. Auch wenn sie ein Theater leben mussten, so war es doch ihr gemeinsames Theater. Ihre Bühne war groß und hinter der Fassade, wo sie ihre Kostüme wechselten, würden sie sich frei lieben können. Diese Welt würde ihre Zauberkraft noch erleben, bewundern und verdammen. Während die Götter still und neidvoll schwiegen, war hier etwas von unendlicher Stärke aktiv. Diese Zauberei machte nicht Schuld ungeschehen aber ließ sie ertragbar werden. - Und so wachte der junge Offizier am Krankenbett seiner Geliebten mit aller Wunderkraft, die ihm seine liebevolle Seele jetzt noch schenkte.

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