An diesem Tage war nur mäßig etwas am Forum Romanum los. In der nahe gelegenen Curia Iulia hielt der Senat heute keine Sitzung ab, was auch die Chance erheblich reduzierte, dass noch etwas spannendes geschehen mochte. So z.B. dass einer der Senatoren aufgebracht, ob eines abgelehnten Antrags, hinaus und direkt zur Rostra lief, um von dort dann dem Volke Roms sein Vorhaben zu verkünden.
In den alten repulikanischen Zeiten hatte das durchaus noch einen beträchtlichen Machtfaktor dargestellt. War ein ehrgeiziger Römer mit seinen Gesetzen vor dem Senat gescheitert, so hatte er von der Rostra aus kurzerhand die Volksversammlung einberufen und eben dort seine Vorhaben durchgebracht. Auch heutzutage lief noch der eine oder andere beleidigte Senator auf die Rostra, um seine Ideen dann dem Volke vorzutragen. Doch natürlich verlief das immer dann im Sande, denn das Volk wusste, dass es keine Macht mehr hatte und erfreute sich dann lieber der Clownsfigur da oben auf der Rostra, die dachte, die Zeit sei auf über hundert Jahre zurückgedreht und diese Aktion würde noch etwas gelten. Deshalb waren Sitzungstage des Senats auch immer Tage, an dem besonders viel Volk das Forum bevölkerte, in der Hoffnung, dass es wieder so ein Spaßvogel versuchte.
Doch da das heute nicht der Fall war und auch die Rostra verwaist bleiben würde, hielt sich das tagesaktuelle Foreninteresse eher in Grenzen. Natürlich bedeutete eine große leere Rednertribüne am anderen Ende des Platzes nicht, dass es keine kleineren Redner gab! Als Caesoninus nämlich das Forum erreichte, sah er, dass sich überall wieder einmal kleinere und größere Gruppen rund um selbsternannte "Meinungsmacher" gebildet hatten, die von ihren verschiedenen Plätzen an den Platzrändern aus dem Volke klarzumachen versuchten, was ihrer Meinung nach falsch in Rom lief.
Da kam Caesoninus an einem vorbei, der meinte, dass der kürzlich stattgefundene Sklavenaufstand in Wahrheit von den Frauen ausgelöst worden sei. In einer anderen Ecke meinte ein Redner zum gleichen Thema die wahren Schuldigen unter den makedonischen Zwiebelbauern ausgemacht zu haben, die angeblich kurz davor stünden, in Rom die Macht zu übernehmen. Amüsiert ging Caesoninus nach kurzem Zuhören weiter.
Da vor ihm, in der Nähe der Curia Iulia, stand noch so ein Held. Er erweckte Caesoninus Interesse durch seinen Bart und seinem Turban. So mischte sich Caesoninus unter das Grüppchen, um zu lauschen, was diesen alten Burschen denn an Rom stören mochte.
Sisyphus Simplicissimus
"Äähm.. also versteht mich nicht falsch, aber, hmm.. dieser Kaiser, ja? Also dieser Kaiser da oben am Palatin, wenn ihr wisst wen ich meine. Dieser Kaiser.. äh, was TUT dieser Mann eigentlich für uns? Weiß das jemand? Wieso sollten, oder tuten, oder.. ach was rede ich, wieso füttern wir ihn durch?!"
Belustigt hob Caesoninus eine Augenbraue. Da war wohl jemand mit dem amtierenden Augustus unzufrieden. Doch natürlich sagte er nichts und lauschte weiter den wirren Worten des Redners. Denn welche Unterhaltung war besser, als einem völlig Irren zu lauschen?
"...bin ich der Meinung, dass wir, also ihr uns.. hmm, ja darum kümmern sollten! Ich finde es nicht richtig, arme, hart arbeitende Bürger Tag für Tag auszu... ähm, auszunutzen, bloß dass er gefüllte Gänsehälse und so essen kann! Versteht ihr, was ich meine? Warum, ähm.. WARUM haben wir einen Kaiser? Kann mir das bitte jemand erklären? Ich mein ja nur, aber wenn ihr mal so denkt, dass..."
Je länger Caesoninus den Worten des Alten lauschte, desto mehr und mehr wich die Belustigung von ihm und das rationale Denken setzte ein. Natürlich, das was der Mann dort vor ihm von sich gab war in einer grässlichen Rhetorik vorgetragen, die jedem Berufsredner die Zehennägel abfallen ließ, aber der Kern seiner Gedanken waren interessant. Wieso hechelte Rom wirklich einem Kaiser, also einem Alleinherrscher, hinterher, wo es vor nicht allzu langer Zeit noch so sehr stolz auf seine Freiheit und Unabhängigkeit gewesen war und darauf, die alten Könige der Altvorderenzeit vertrieben zu haben?
"Und meine Freunde! Dieses, dieses, ja... POMERIUM ist ja wohl ein Witz! Der ägyptische König von Gallo-Parthien darf nicht darüber, aber, aber dieser Kaiser schon? Was ist das bitte für ein Witz? Volksrömer und so weiter! Schläft ihr?! Wieso kümmert sich da, ähm, da denn keiner darum?! Wieso schläft das Volk?! Wo doch..."
Wieder glitten Caesoninus' Gedanken von den wirren Reden vor ihm ab. Diese Frage blieb in Caesoninus hängen; "Wieso schläft das Volk". Tat es das nicht wirklich? Zu ruhen, während Kaiser und Senat ihnen allen eine lange Nase zeigten und ihnen dann die Steuer diktierten? Hatte es da nicht einmal eine Zeit gegeben, wo es noch SPQR geheißen hatte? "Der Senat und das Volk von Rom"? Jetzt wo Caesoninus so darüber nachdachte, kam er darauf, dass es auch heute noch SPQR (= Senatus Populusque Romanus) hieß, doch war das "P" darin (populusque = und das Volk) seit Kaiser Augustus ziehmlich rasant abgeschafft worden. Oder anders gefragt; wann hatte z.B. das letzte Mal einer der Volkstribune von sich Reden gemacht? Wo sie doch angeblich das Volk vertreten sollten?
Gedanken über Gedanken begannen sich in Caesoninus aufzutürmen, sich einander zu überrollen und sich zu vermischen, während er weiterhin den Redner da vorne ansah, ohne ihm noch wirklich zuzuhören.