[Bibliotheca] Terra incognita – Die Entdeckung eines neuen Landes

  • Die ersten Tage nach meiner Ankunft verbrachte ich damit, die Bude wieder auf Vordermann zu bringen. Es gab viel zu tun! Und da ich hier das Mädchen für (fast) alles war, durfte ich mich hier so richtig nach Lust und Laune austoben. Die Böden mussten geschruppt werden, die Möbel mussten abgestaubt werden und in manchen Räumen, in denen sich Massa aufzuhalten pflegte, musste zusätzlich auch noch aufgeräumt werden. Nach ein paar Tagen, sah die Hütte schon wieder ganz passabel aus. Doch einen Raum hatte ich noch vor mir.


    Ich wusste nicht, was mich hinter der Tür erwarten würde. Wahrscheinlich noch mehr Staub und noch mehr Dreck. Je schneller ich es anpackte, um so schneller würde ich auch fertig sein, sagte ich mir und öffnete entschlossen die Tür.
    Ein seltsam muffiger Geruch schlug mir entgegen. Eine Mischung aus Staub und etwas anderem, was ich nicht genau zuordnen konnte. Ich trat ein und der Anblick der mich erwartete, ließ mich erstaunen und erschauern zugleich. Riesig hohe Schränke und Regale, die bis fast unter die Decke gingen! Wie sollte ich denn da nur drankommen? Eigentlich war ich ja schon recht groß gewachsen, aber so groß nun auch wieder nicht. Ich dachte nach, wie man das Problem lösen könnte, doch denn fiel mir eine schmale Leiter auf, die aus dem gleichen glatten Holz hergestellt worden war, wie das Mobiliar.
    Als ich mir endlich die Regale genauer besah, entdeckte ich auch deren Inhalt. Dünne und dickere Rollen aus einem Material, welches ich zwar schon gesehen hatte, es aber nicht benennen konnte.
    Meine eigentliche Absicht, weswegen ich den Raum überhaupt betreten hatte, war erst mal zur Seite geschoben worden. Putzen konnte ich auch später noch! Zuerst galt es, meine Neugier zu befriedigen und näher an eines der Regale herauszutreten. Vorsichtig strichen meine Finger über die Oberflächen der Rollen. Manche waren seltsam rau, andere wiederum nicht. Verschiedene Materialien, interpretierte ich, doch irgendwie dienten sie dem gleichen Zweck. Ob ich wohl einmal eine dieser Rollen herausnehmen und betrachten durfte? Bevor ich eine der Rollen aus dem Regal zog, sah ich mich verstohlen um, um auf Nummer sicher, damit mich auch ja niemand beobachtete. Aber da war niemand! Wer sollte denn auch hier sein? Also zog ich die Rolle ganz vorsichtig heraus und besah sie mir zuerst von außen, bevor ich mich daranmachte, ihren Inhalt zu erkunden. Da ich nicht genau wusste, wie man mit derlei Material umging, versuchte ich, noch vorsichtiger beim Öffnen der Rolle zu sein.
    Im Inneren traf ich dann auf hunderte, nein tausende oder sogar abertausende von seltsam anmutenden Zeichen, die ganz dicht beieinanderstanden, aber deren Bedeutung ich zunächst nicht erfassen konnte. Ich schaute mir die einzelnen Zeichen eine Weile genauer an, bis schließlich die kindliche Kreativität, die all die Jahre über ein kümmerliches Dasein gefristet hatte, zu Tage trat und ich in den seltsamen Zeichen Dinge erkannte, die mir den Zugang zu einer völlig fremden und unbekannten Welt eröffnete.
    Da waren Berge, nein ganze Bergketten und Bäume. Riesige Vögel flogen in der Luft und gefährliche Schlangen krochen am Boden entlang. Ob es hier auch Menschen gab? Bevor ich danach Ausschau hielt, setzte ich mich auf den Boden und tauchte sofort wieder in dieses neuentdeckte Land ein.
    Ja, es gab hier auch Menschen! Ich erkannte Männer, die eine kurze Tunika trugen und Frauen in wallenden Gewändern. Hin und wieder entdeckte ich kleine oder größere Seen, in deren klaren Wassern ich mich spiegeln konnte. Es gab auch Angler, die an den Ufern solcher Seen saßen und ihr Glück versuchten.
    Je länger ich dort saß, vergaß ich die Zeit, dass was ich eigentlich tun wollte und alles um mich herum. Das neuentdeckte Land hatte mich voll in seinen Bann gezogen!

  • Von meinem Officium kommend, auf der Suche nach einige Unterlagen, erreichte ich die Bibliotheca, öffnete die Türe und trat ein.
    Da saß sie, in eine Rolle vertieft und vollkommen gebannt.


    "Thula?" sprach ich sie an, aber sie reagierte nicht "Thula?" fragte ich nochmal, doch wieder kam nichts. Also so "Thula!"

  • Thula? Ein Rufen, das von weit, weit weg zu kommen schien, holte mich aus dieser neuentdeckten wieder Welt zurück. Plötzlich waren die Bilder, die eben noch so lebendig gewesen waren nur noch die seltsamen Zeichen, die ich nicht lesen konnte. Thula! Ich zuckte zusammen, als ich nun ganz deutlich meinen Namen hörte. Hastig, zu hastig fuhr ich um, hin zu der Richtung aus der die Stimme gekommen war. Vor Schreck fiel mir dabei die Rolle aus der Hand. Ich sah nach oben und erkannte Massas Gesicht, aus dem ich nicht ergründen konnte, ob er wüten war oder nicht. So schnell ich konnte, versuchte ich wieder auf die Füße zu kommen. Wahrscheinlich war ich auch wieder puterrot im Gesicht. Stammelnd versuchte ich schließlich zu erklären, warum ich hier war, aber nicht meiner Arbeit nachgegangen war „Oh äh… ich wollte hier…. Hier putzen, Dominus… aber dann… dann… Es tut mir leid, Dominus. Ich… ich fange sofort damit an… mit dem Putzen… meine ich…“

  • Eigentlich war es ja ein recht lustiges Bild, wie Thula versuchte schnell wieder auf die Beine zu kommen und ihre Entschuldigung stammelte, doch ich versuchte ernst zu bleiben und meiner Mine nichts anmerken zu lassen.


    "Langsam Thula..... beruhige dich erstmal.... was tust du hier?!"

  • Diese scheiß Angst, mal wieder etwas nicht richtig oder sogar total falsch gemacht zu haben, bekam ich wahrscheinlich für den Rest meines Lebens nicht mehr geregelt. Aber bei der Vergangenheit war das ja auch kein Wunder! Also versuchte ich, erst mal nicht mehr so herum zu zappeln und lockerer zu weden. Dann konnte es auch was mit dem klar und deutlich reden was werden. Im Prinzip hatte ich ja nichts Schlimmes gemacht, wenn man mal davon absah, das Nichtstun nicht gerade die Standardtätigkeit einer Sklavin war. „Ich wollte hier eigentlich sauber machen, Dominus. Aber dann hab ich diese…. Ähm… diese Dinger hier in den Regalen gesehen.“ Ich deutete auf die am Boden liegende Schriftrolle. „Und naja, dann hat mich einfach die Neugier gepackt. Ich wollte wissen, was darin ist…. Und dann hab ich sie aufgerollt… Aber ich war auch ganz vorsichtig!“, brachte ich noch schnell zu meiner Verteidigung heraus. Dann sah ich wieder hinunter zu der Rolle und dachte mir, dass es wohl wenig mit Vorsicht zu tun hatte, wenn sie dort auf dem Boden liegen blieb. Schnell hob ich sie auf und reichte sie Massa.
    „Diese seltsamen Zeichen da drinnen. Ich weiß nicht was sie bedeuten. Aber ich hab sie mir etwas genauer angeschaut… und mir war als ob… äh…“ Wenn ich ihm jetzt erzählte, was ich alles gesehen hatte, dann hielt der mich wahrscheinlich eh für total ballaballa. „Naja, als ob das Bilder wären, diese Zeichen meine ich.“

  • Ich nahm die Schriftrolle entgegen und sah sie mir an, während Thula erzählte. Und als sie fertig war, musste ich lachen "Bilder? Du siehst also Bilder darin?"
    Nochmal begutachtete ich die Schrift mit einem Lachen "Du hast eine Abschrift eines Teiles des De bello Gallico- ein Bericht des Gaius Iulius Caesar über den gallischen Krieg - die Bilder dürften allerdings nicht sehr schön gewesen sein!"


    Ich rollte die Schrift wieder zusammen und legte sie zurück "Du kannst dir gerne die Rollen ansehen..." die wirklich wichtigen Unterlagen waren ohnehin versperrt in meinem Officium ".... aber wenn du sie nicht verstehst, wird das wenig Sinn machen, oder?!"

  • Ich begann mich zu schämen, als er mich auslachte. Dabei wollte ich doch einfach nur ehrlich sein! Mir wurde aber gerade auch klar, wie dämlich ich war, weil ich etwas von mir preisgegeben hatte, was einer wie er wahrscheinlich nie kapieren würde. Am liebsten wäre ich davongelaufen. Aber das musste ich jetzt aushalten, so unangenehm es auch war.


    Von diesem gallischen Krieg hatte ich genauso wenig gehört wie von dem Kerl, der diesen Text verfasst hatte. Dort wo ich herkam hatte es keine Bücher gegeben und niemand wäre jemals auf die Idee gekommen, etwas zu lesen. Bisher hatte mich das auch ziemlich wenig interessiert. Aber gerade jetzt war mir klar geworden, wie wenig ich wusste und wie wenig ich konnte. Wäre ich damals woanders gelandet, wäre mein Leben garantiert anders verlaufen. Irgendwie fühlte ich mich betrogen. Aber nun scheute ich mich, auch nur irgendetwas von meinen Gefühlen zu zeigen. Ich schluckte meine Wut und meinen Kummer hinunter. Die Scham allerdings stand mir im Gesicht, je mehr er lachte.


    Massa legte die Schriftrolle wieder zurück. Wehmütig sah ich ihr nach. Da verschwand es wieder, dieses neuentdeckte Land. Wahrscheinlich für immer. Denn er hatte völlig recht! Welchen Sinn machte es die Schriftrollen zu betrachten, wenn ich die wahre Bedeutung der Zeichen nicht verstand?
    „Kannst du es mir beibringen? Damit ich es verstehe.“Ja, ich war mutig gewesen und hatte einfach das ausgesprochen, was mich beschäftigte.

  • Ich zog die Augenbrauen hoch "Ich soll es dir beibringen?" Kurz wusste ich nicht, was ich darauf antworten sollte. Schliesslich war sie Sklavin, Lesen zu können nicht nötig... Eigentlich.... ausser sie wäre ein Mann und mein Schreiber gewesen.
    Auf der anderen Seite dachte ich mir, warum nicht, doch ich hatte weder die Muße noch die Zeit dafür.
    Ich strich mir über den Bart, so wie ich das des Öfteren tat, wenn ich nachdachte "Nun, eigentlich wäre es nicht nötig dir Lesen beizubringen, aber warum sollst du nicht auch etwas dazulernen. Aber ich selbst habe nicht die Zeit dafür. Vielleicht können wir ja einen Lehrer für dich organisieren."


    Ich deutete nicht an wann ich mich darum kümmern wird, aber die Aussicht darauf musste für den Moment reichen.

  • An seinem Gesichtsausdruck merkte ich recht schnell, wie überraschend meine Bitte für ihn gewesen sein musste. Aber ehrlich gesagt hatte ich nichts anderes erwartet, dass er dafür keine Zeit haben würde, auch wenn er mir nun Hoffnungen machte, vielleicht doch noch Lesenlernen zu dürfen.
    Zwar kannte ich ihn noch nicht lange und ich war auch immer noch dabei, ihn richtig einzuordnen. Doch genau an diesem Punkt, so schien es mir, machte er es mir nicht gerade einfach. Irgendwie konnte ich ihn nicht so richtig fassen. Einerseits war er im Gegensatz zu meinen Vorbesitzern ziemlich anständig, manchmal sogar so etwas wie „nett“. Andererseits konnte er aber auch abweisend sein.
    „Ja, natürlich, Dominus. Danke… ähm … es war nur so eine Idee, Dominus. Ich wollte nicht Aufdringlich sein. ,“ antwortete ich und versuchte, meine Enttäuschung zu verbergen.

  • Ich nickte "Dann wieder an die Arbeit" und ging zu einem anderen Regal, um die Schriftrollen zu suchen, wegen derer ich eigentlich gekommen war. Doch diese waren nicht gleich bei der Hand und so stand ich nun vor dem Regal, nahm eine Rolle nach der anderen heraus und versuchte die richtige zu finden.....

  • Er hatte mich einfach stehen gelassen und hatte sich dem Regal zugewandt. Das ja war auch kein Wunder, nachdem was ich gesagt hatte. Ich wollte nicht aufdringlich sein – was für ein Schwachsinn! Natürlich wollte ich das! Ich wollte aufdringlich sein, denn wenn nicht, dann war dieses neuentdeckte Land ein für alle Mal verloren. Und wenn ich jetzt nicht darum kämpfte, dann hatte ich auch nicht anderes verdient, als ewig das zu bleiben, was ich war - eine Sklavin, die nichts anderes als putzen konnte. So blieb ich erst einmal regungslos stehen und ging nicht wieder an die Arbeit. In meinem Kopf arbeitete es, was ich denn noch tun konnte, ohne ihn so zu reizen, dass er mich fürchterlich bestrafen würde. Andererseits nahm ich gerne ein paar Schläge in Kauf, wenn ich dann wusste, wie weit ich gehen konnte. Wo lag Massas Schmerzgrenze?
    Massa jedenfalls stand noch immer am Regal und suchte offensichtlich etwas. Dann kam mir die Idee!
    Schließlich trat ich neben ihn. „Aber Dominus, wäre es nicht viel besser… , wenn…. wenn ich das jetzt für dich machen könnte? Ich meine, dann könntest du dich um alles Wichtige kümmern und ich könnte dir die Schriftrollen heraussuchen. Du würdest viel Zeit sparen, Dominus! Ich könnte abends lernen und du hättest auch nicht viel Arbeit mit mir, denn ich lerne schnell. Und meine Arbeit würde ich auch nicht vernachlässigen.“

  • Ich hörte kurz auf zu suchen und blickte Thula an
    "Ja, natürlich wäre das besser, aber wie gesagt, Latein lernt man nicht von Heute auf Morgen und ich hab keine Zeit dafür. Ich müsste dir einen Lehrer suchen, aber auch das geschieht nicht von jetzt auf gleich"


    Abgesehen davon wusste ich nicht, wie es jetzt weiter ging, nach dem Gespräch beim Kaiser konnte jetzt alles sehr schnell gehen, Denn wenn der Kaiser, wie er sagt, mir ein Tribunat übertragen würde, müssten wir Rom ohnedies verlassen.


    "Übe dich ein wenig in Geduld, ich werde sehen, was ich tun kann!"

  • Er blieb hart und meine Idee hatte sich in nullkommanix in Luft aufgelöst. Natürlich hatte ich keine Ahnung, welche Veränderungen auf ihn und mich in nächster Zeit zukommen konnten. Drum nahm ich an, dass diese Absage reine Hinhaltetaktik war und dass er mich einfach nur abschütteln wollte. Umso größer war die Enttäuschung, die sich langsam in Wut wandelte. Ich war mir bewusst, wen ich jetzt noch eine Widerrede gab, dann wandelte ich auf sehr dünnem Eis.
    "Ja natürlich!", antwortete ich ihm enttäuscht. Im Augenblick hätte ich schreien können, doch ich nahm mir vor, an der Sache dranzubleiben, ganz gleich was es mich kosten sollte.
    Also beschloss ich, wieder an meine Arbeit zu gehen und holte den Putzeimer mit dem Lappen darin, um den Boden zu wischen.

  • Ich bemerkte natürlich die Enttäuschung und sah ihr noch nach, wie sie wieder an die Arbeit ging. Dann schüttelte ich nur unmerklich den Kopf und wandte mich wieder den Rollen zu.
    Ich hatte nun wirklich wichtigeres zu tun, als dem Mädchen das Lesen beizubringen. Aber bei Gelegenheit würde ich mich vielleicht um einen Lehrer umsehen. Vielleicht würde ich ja in Aegyptus eingesetzt, dann könnte sie die große Bibilothek dort sehen. Das würde sie erst umhauen, wenn dieser kleine Raum schon Eindruck auf sie machte.

  • Auf den Knien sitzend begann ich den Boden mit dem Lappen zu schruppen. Ich schruppte und schruppte, als ob mein Leben davon abhing. Aber tatsächlich war es meine Wut, die nun in mir aufstieg und mich dazu veranlasste, mich in die Arbeit hineinzusteigern. Demonstrativ schruppte ich auf der ein und derselben Stelle herum. Wahrscheinlich waren die Mosaiksteinchen des Bodenbelages hinterher an dieser Stelle ausgebleicht, wenn ich so weiter machte. Dabei musste ich mit mir kämpfen, meine Tränen zurückzuhalten. Doch irgendwann vermischten sie sich mit den Schweißperlen, die mir an den Wangen hinunter liefen. Einige Strähnen meines Haares, das ich am Morgen am Hinterkopf zu einem Dutt zusammengefügt hatte, begannen sich selbständig zu machen. Wahrscheinlich gab ich ein schlimmes Bild ab, wenn man mich betrachtete. Doch dafür musste man mich zunächst erst beachten. Verdammt nochmal, hätte ich am liebsten hinausgeschrien, warum war dieses Leben einfach so ungerecht?

  • Endlich hatte ich die richtige Schriftrolle gefunden und während ich noch über die anstehende Lektüre nachdachte und mich zur Türe wandte, wäre ich fast über Thula gestolpert "Hoppla" die da auf den Knien den Boden schruppte. Sie schien etwas traurig und desillusioniert zu sein "Thula, lass es gut sein für heute. Es ist nicht nötig, dass du das Haus in einem Tag auf Vordermann bringst."
    Ohne weitere Worte verliess ich die Bibliothek und begab mich in meine Privatgemächer, um die Schriftrolle zu studieren.

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