Tablinum | Schwarzes Flüstern

  • Verus war überzeugt, dass die Zusammenarbeit der Prätorianer mit dem Stadtpräfekten für überzeugende Ergebnisse sorgen würde. Immerhin arbeiteten wichtige Organisationen des römischen Staates eng zusammen, um die gewünschte Agenda umzusetzen: Rom musste obsiegen. Verus war ein Fanatiker aber nicht dumm. Sein Interesse lag nur oft im Kontrast zu sanfteren Gemütern.


    Einst war er selbst sanft und rücksichtsvoll aber durch einen langen Dienst war dieses Attribut seiner Persönlichkeit ins Gegenteil verkommen. Im Geschäft war er hart und brutal, um die etablieren Interessen umfänglich zu verteidigen. "Du wirst alle notwendigen Informationen und Erkenntnisse erhalten, damit deine Amtsführung gesichert ist," versicherte der trecenarius loyal und betonte dies sogar durch ein fürsorgliches Nicken. Die Augen waren dabei geschlossen, ehe er sie wieder im gewohnten Ton seiner frostigen Kälte öffnete; diese verteufelte Traurigkeit, die gleichsam Leere war. Auf den Kommentar konnte Verus eingehen, da dies tatsächlich ein Beweis für den Versuch der Manipulation gewesen wäre. Der trecenarius musste also elegant über dieses Problem hinweg steigen, um das gemachte Vertrauen nicht zu vernichten. Immerhin wertschätzte er den Claudius sehr. Ein echter Verbündeter, der jedoch auch seine Fallstricke hatte. Seine seltsame Ehre verhinderte ein übermäßig radikales Vorgehen, so dass Verus seine Säuberungen nicht verdeckt aber behutsam und langsam durchführte. Man säuberte die Staatsfeinde Stück für Stück, Woche für Woche, bis die Zahlen erreicht waren, die Verus selbst mit seinem Stab quotiert hatte.


    Der trecenarius war inzwischen bei den einfachen Klassen gefürchtet, denn das Gesetz kannte keine Gnade mehr. "Nach meinen Informationen besuchte die begierige Iunia Axilla mit Verwandten das Haus der Iulier, um dort an einer cena teilzunehmen. Auch scheinen die Iunia rege Kontakte zu pflegen, einst zu Iulius Dives, dann zur entschwundenen Sergia Fausta und nun ist dieser wundersame Aufstieg verwirklicht, begünstigt durch den derzeitigen procurator a memoria. Die Namen, die Iunia Axilla kennen und hofieren, reichen weit, Claudius," formulierte der trecenarius seine bekannten Berichte und blickte den Präfekten mit seinen Eisaugen an. "Auch scheint sie öfters gegen Abend aufzubrechen, und suchte wohl nach Angaben noch nicht gesicherter Quellen, ein Haus eines bekannten christlichen Predigers auf. Dieses Haus ist inzwischen geräumt und der Prediger...," sagte Verus und brach dann ab, um dies besonders zu betonen: "... verschollen." Es war klar, was Verus als Meuchelmeister damit meinte. Man hatte den unliebsamen Störer entsorgt. "Das reicht uns selbstverständlich noch nicht für eine Festsetzung, sondern wir müssen diese Person noch eine Weile beobachten, um sicher zu gehen. Wir werden diesen Fall sauber bearbeiten, Claudius. Heikel ist dies nur, weil aus dem Hause der Iulier auch wichtige Offiziere stammen und dieser Kontakt sie kompromittieren könnte," meinte der Prätorianer nüchtern.

  • Die Zusicherung von Informationen und Erkenntnissen quittierte Menecrates mit einem Nicken. Das allein reichte freilich nicht - Beweise mussten her. Da Menecrates Tiberius für klug hielt, wiederholte er dies nicht.


    Er folgte stattdessen den Ausführungen zu Iunia Axilla. Dass es eine Verbindung zu Iulius Dives und Sergia Fausta gab, wusste er bislang nicht. Auch der Hang zum Christentum war neu. Er hielt es für unglücklich, den Prediger zu vertreiben, denn Gläubige konnten nur auf der Tat überführt werden, aber wenn die Anlaufstelle wegbrach, konnten sie sich nicht mehr verdächtig machen. Eine Observation stand laut Aussage trotzdem oder gerade deswegen bevor.


    "Ja, das ist so", stimmte Menecrates der Feststellung zu, dass dem Haus der Iulier Offiziere entstammten. "Ich meine, sogar auch dem Haus der Iunier." Er blickte mit angehobenen Brauen zu Tiberius. "Silanus? Ein Tribun deiner Einheit?" Darüber hinaus war Iunius Silanus Klient von Menecrates' Freund Livianus. Der Claudier entspannte seinen Gesichtsausdruck und fuhr fort.


    "Auf der anderen Seite besitzt jeder die Möglichkeit, sich öffentlich zu distanzieren. Ich denke also, die Gefahr des Kompromittierens hält sich in Grenzen."
    Noch zerbrach sich Menecrates nicht den Kopf über mögliche Auswirkungen. Zunächst mussten Fakten geschaffen und Beweise vorgelegt werden. Der Name fand Eingang in sein Gedächtnis und er erinnerte sich daran, dass diverse Besprechungen in Bezug auf die Rolle der Frau im Senat bisher noch nicht zu einem befriedigenden Ergebnis geführt hatten.

  • Verus zeigte sich emotionslos und zog schlicht seine Schultern hoch. "Das wird die Zeit zeigen. Ich werde aber nicht zulassen, dass solche Beziehungen das Imperium oder die Amtsgeschäfte gefährden. Der Kaiser vertraut mir in der Hinsicht, dass ich das Imperium vor inneren Feinde schütze und Aufstände unmöglich mache," erklärte er ein wenig selbstgerecht, ohne wirklich diese Selbstgerechtigkeit zu besitzen. Er fasste nur seinen ihm eigenen Auftrag in Worte ab. "Eine glaubwürdige Distanzierung setzt einiges voraus, Claudius. Mir reicht ein Lippenbekenntnis nicht, sondern nur eine echte Handlung gegen die Staatfeinde. Wenn ein Amtsträger Christ ist oder einen Christen unterstützt, macht er sich angreifbar und sollte sich glaubhaft durch Opfer und Handlung distanzieren," sagte der trecenarius monoton auf. "Ein Beispiel," begann er nun deutlicher zu werden, was er verlangen könnte. "Ein Vater, der seinen Sohn erwischt, der sich in eine Christin verliebt hat, muss seinen Sohn dazu bewegen, diese Christin zu verlassen und die Christin uns ausliefern! Der Sohn und der Vater müssen dem Staatskult opfern," war das kaltherzige Beispiel, welches jedes Mitgefühl vorerst verneinte. "Nur so lässt sich diese Seuche eindämmen und das Vertrauen in die Ordnung wieder herstellen," schloss Verus und blickte den Präfekten aufmerksam ob seiner Reaktion an.

  • Es gab nichts, worin Menecrates Tiberius hätte widersprechen müssen. Wenn es um die Umsetzung ginge, dann wären sie sich einig, aber soweit waren sie lange nicht. Es machte auch keinen Sinn, den Tag mit Erörterungen zu verbringen, wenn die Voraussetzungen dafür möglicherweise gar nicht eintrafen.
    "Lass uns einen Schritt vor den anderen setzen. Wer zu weit in die Zukunft blickt, stolpert häufig genug über das Unmittelbare. Außerdem differieren wir in dieser Sache kaum und können uns die vorfristigen Absprachen sparen."


    Menecrates besann sich auf den Beginn ihres Gesprächs. Er fand, Tiberius wirkte anfänglich verwundeter und gänzlich anders als sonst. Dieser Eindruck hatte sich geändert, aber Menecrates wusste nicht, ob Tiberius durch ihr Gespräch zur gewohnten Haltung zurückgefunden hatte oder ihr Thema das andere überlagerte. Er erwiderte also den Blick und blieb eine kleine Weile stumm. Vielleicht nutzte Tiberius die Augenblicke, um in sich hineinzuhorchen.


    "Hast du weitere Anliegen mitgebracht?" Tiberius konnte das Gesprächsangebot annehmen oder ablehnen. Schwer zu sagen, für was er sich entschied.

  • Verus fühlte sich getrieben. Er hatte keine Zeit für sanfte Maßnahmen. Die Leere kam unaufhaltsam näher und er musste jede Maßnahme erklären und rechtfertigen, was wieder Zeit kostete. Seinen eigenen Tod vor Augen, ließ jedes Sandkorn in der Uhr tausendfach wertvoller erscheinen. Der trecenarius glaubte schlicht keine Zeit zu haben. "Ich werde mich beeilen aber deinen Ratschlag beherzigen," konterte Verus. Es dauerte einen Moment, bis er umschalten konnte. Weg von seinem Dienstgeschäft, hin zu etwas anderem. Nämlich seinen eigenen Wünschen, die durch Furcht und Angst stets um Beständigkeit rangen. Die Blicke der beiden soldatischen Männer, die diesem Reich so viel gegeben hatten aber auch einiges dabei verloren, kreuzten sich. Verständnis erfüllte Verus, der im alten Menecrates nicht nur einen Verbündeten sah, sondern auch einen ehrbaren Vater. Einen Familienmenschen, der sein eigener Vater niemals gewesen war. Die Claudier waren etwas Besonderes in dieser verlogenen Stadt. Anders als die Tiberier hatten sie echte Werte. Der Tiberius verachtete sein eigenes Haus so sehr, dass er sich schämen musste. Einen Namen, den er gerne ablegen würde, um dieser Schande zu entkommen, die ihn zu verfolgen schien. Nicht nur der Kaisermord oder die anderen Verfehlungen seiner Familie, die sich auch gegen ihn selbst richteten. Ein Tiberius lebte niemals frei von Schuld. "Ja," war die knappe Antwort, die gleichsam auch Verletzlichkeit offenbarte. Die Augen verloren diese Härte wieder und Verus zeigte etwas Menschlichkeit in Form einer Trauer und Traurigkeit. Er wirkte verlassen. "Wenn ich die Parthien Mission nicht abwenden kann, werde ich darin umkommen. Ich brauche jemanden, der meinen Namen ehrt und mich in die Gebete an die Götter einschließt. Natürlich werden die Kameraden für mein Grab aufkommen und auch meine Sterbekasse wird ihr übriges tun aber ich suche jemanden, der meinen Namen ehrt. Ich möchte wenigsten im Tode etwas Ehre verdienen, die mir zu diesen Zeiten verwirkt bleibt. Ich habe Angst um meinen Namen und mein Andenken," gab er zu und zog dabei andächtig Luft durch seine Nase.

  • Menecrates' Nachfrage musste einer weggezogenen Abdeckung gleich einen Schutz von Tiberius genommen haben, denn wieder wandelte sich dessen Ausstrahlung. Verletzlichkeit kam zutage, aber auch Niedergeschlagenheit. Die schwer zu deutende Mischung war ungewohnt und daher nicht zuordenbar. Menecrates wandte nicht den Blick und hörte genau zu.

    "Ein Mann lebt nicht allein durch seinen Namen in der Erinnerung anderer weiter, es sind vor allem seine Taten. Ein Name ist hilfreich und er kann auch Ballast sein, das ist richtig, aber was ich sagen will: Änderst du deine Lebensweise, hat das Einfluss auf deinen Namen, während ein neuer Name bei gleicher Lebensweise im Grunde nichts bewirkt." Er ließ Zeit zum Durchdenken verstreichen, bevor er weitersprach.


    "Ehre im Tod verdient man sich in der Regel zu Lebzeiten.
    Hin wie her, aktiv müsstest du werden - etwas umstellen im Lebenswandel, in den Zielen, etwas ändern. Hast du darüber bereits nachgedacht? Sich auf Parthien und das nahe Ende zu konzentrieren, bringt dich kein Stück voran, sondern zieht dich weiter hinab."

  • Taten. Ein Mann lebte durch seine Taten. "Wie bewertest du meine Taten?" - fragte der trecenarius ehrlich. Etwas, was er wissen wollte und musste. Menecrates war lange in diesem Leben und hatte sicherlich einen gewissen Beurteilungshorizont. "Wie bewertest du mich?" - setzte Verus nach und blickte fast ängstlich in die Augen des Claudius.

  • Tiberius nahm das Thema an, fokussierte sich sogar darauf, was Menecrates freute. Damit befanden sie sich auf einer persönlichen Ebene, auch wenn sie die Erörterung der Taten wieder zurück zum Dienst führte.
    "Ich beginne mit der letzten Frage: Auf mich macht es stets den Eindruck, als gibt du alles im Dienst und womöglich mehr als gut für dich selbst ist. Ich bin sicher, es wäre für dein Inneres und die Gesundheit von Vorteil, wenn du mehr auf dich achten würdest, aber auf der anderen Seite zeichnet dich deine Einsatzbereitschaft auch aus. Ich traue dir viel zu, Tiberius, sehr viel sogar. Du kannst viel erreichen, sofern du den für dich richtigen Platz im Leben wählst und dir die passenden Ziele setzt. Deine Haltung ist vorbildlich, deine Werte sind es ebenfalls." Tiberius' Fundament stand, aber irgendjemand oder er selbst baute nicht konsequent weiter.
    "Ein wenig Selbstkontrolle wäre wünschenswert, etwas mehr Selbstreflexion, ein wenig mehr Großzügigkeit und etwas mehr Güte." Menecrates lächelte, weil er fürchtete, auf Tiberius könnten einige der Begriffe wie Fremdwörter wirken und er ließ dem jungen Mann etwas Zeit, darüber nachzusinnen.


    Momente später sprach er weiter. "Deine Taten…" Er atmete einmal durch und versuchte, sich zu sammeln. "Es fällt mir hier und da schwer, für einige deiner Taten eine Rechtfertigung zu finden. Ich bin sicher, du führst sie auf Pflichterfüllung zurück. Die Frage, die du dir stellen solltest, wäre zum einen, ob du dort, wo du deinen Dienst versiehst, das Beste für das Imperium leisten kannst oder ob es für dich passendere Posten gäbe. Zum anderen möchte ich in den Raum stellen, dass jeder jederzeit die Möglichkeit hat, mit Taten das Ruder herumzureißen und Vergangenes hinter sich zu lassen. Dein Leben ist nicht vorbei, also werde ich hier und heute kein Resümee über deine Taten ziehen. Als Zwischenbilanz lässt sich bestenfalls festhalten, dass du all deine Energie gibst, aber mir scheint, du kennst deine eigenen Grenzen nicht oder nicht mehr und ich bin auch nicht sicher, ob du dich an der für dich passenden Stelle im Imperium engagierst."
    Natürlich entging Menecrates nicht der fast schon ängstlich auf ihn gerichtete Blick, daher hoffte er, ein Teil des eben Gesagten würde nachhaltig zum Nachdenken anregen.

  • Es schmerzte aber der erfahrene Senator hatte Verus richtig durchschaut. "Ich habe dir Wahrheit versprochen," resignierte Verus und zeigte seit Langem mal wieder jene Schwäche, für die ihn Luna liebte. Eine Schwäche, die eigentlich eine Stärke war. Eine Stärke des Herzens, welches selbst an diesem Leben nicht zerbrechen konnte. Verus musste wenigstens einmal zu dem stehen, was er eigentlich sein wollte: ein Held. Nicht im naiven Sinne, sondern viel mehr eine Person, die für etwas Bedeutsames und Echtes kämpfte. Eine Person, die nicht verzweifelte, sondern dort handelte, wo andere davonliefen. Ein Held, der sich seiner Ideale verdient zeigte. Und in den letzten Jahren war er dies nicht gewesen. Er hatte sich versteckt. Dieser Mann hatte sich an falsche Träume geklammert und in einem Konstrukt Erlösung gesucht, was niemals Erlösung versprechen konnte. Sein Rom konnte nicht existieren. Es war eine Lüge und Selbstbetrug und doch war Verus gefangen. Der Claudier konnte es nicht sehen aber Verus brauchte seine Schatten. Er brauchte dieses Gefühl. Diese Welt machte süchtig. Sie machte abhängig und ließ eine Seele nicht so einfach gehen. "Güte hat mir diese Welt selten gezeigt. Erst du, Claudius, zeigtest mir Gnade und Güte eines Römers. Ich schulde dir tatsächlich mehr," begann Verus ungewohnt emotional, als die Wälle und Mauern einbrachen, die sein Herz vor der erfahrenen Grausamkeit schützen sollten. Der Claudius war ein Vorbild. Nicht nur als Mann, sondern als Römer. Verus verstand und dies sogar sehr deutlich. Schon sehr lange hatte er sich wahrlich meisterhaft vor seiner eigenen Reue und den Zweifeln versteckt. Ein gut gelebter Schatten war er geworden. Und doch war doch noch etwas, was ihn hielt. Noch in diesem Amt hielt. Er war Soldat und sein Eid band ihn an jenen Ort. "Ich brauche deine Hilfe," forderte er nun den Claudius auf. Im festen Vertrauen, dass dieser man seine eigene Dunkelheit in Licht verwandeln konnte. Eine letzte Hoffnung, dass er diesem Strudel aus Abhängigkeiten entkommen konnte. "Hilf mir," kehrte Verus nun eindringlicher ein und nickte Menecrates mit seinen glasig-traurigen Augen zu. Seine eigenen Händen zitterten unruhig und der Soldat funktionierte nicht mehr, sondern der Mensch Verus zeigte sich. "Vielleicht ist es an der Zeit auf die alten und weisen Männer zu hören und deine Worte bewegen mich sehr," offenbarte sich der Tiberius und holte tief Luft. "Es ist mir möglich in dein Klientel zu treten?" - eine einfache aber schwerwiegende Frage, die Verus dort stellte, denn dadurch würde offen einsehbar werden, dass der Stadtpräfekt und der trecenarius gemeinsame Sache machten. Zumindest würde man das denken, wenn ein Claudius einen Klienten im mächtigen trecenarius fand. Geheiminformationen und Meuchelmord schienen dem Präfekten damit als Verfügung garantiert. Er würde somit neben dem Kaiser über eine mächtige Seilschaft verfügen, die auf die Prätorianer zurückgreifen konnte. Aber Verus war nicht naiv. Er selbst versprach sich in der Tat davon einen Ausweg aus den Schatten, in eine zivilere Welt, die Claudius ihm möglich machen konnte. Eine Welt ohne Meuchelei, Intrigen und Grausamkeiten. Eine Flucht in ein anderes Leben schien möglich.

  • Sein Nicken bestätigte die Aussage, Wahrheit zugesichert bekommen zu haben. Es gab auch keine Alternative für sie. Tiberius griff das Wort Güte auf und stellte fest, selten welche erfahren zu haben. Nur darauf kam es Menecrates nicht in erster Linie an. Er wartete zunächst auf einen passenden Moment, denn er wollte den in Gang gekommenen Redefluss nicht verschütten.


    "Es ist hilfreich, wenn man Güte erweisen möchte, selbst diese Erfahrung gemacht zu haben, aber zwingend erforderlich ist das nicht. Du weißt jetzt, wie es sich anfühlt. Du weißt, dass Güte stärkt und die Bitterkeit nimmt. Denkst du, dies befähigt dich, eigene Güte auszustrahlen?" Er blickte nicht zweifelnd, eher aufmunternd. "Darauf, Tiberius, käme es an." Davon hing die Zukunft des Trecenarius' in vielfältiger Hinsicht ab: die Wahrnehmung anderer und seiner selbst, ob Menecratres ihm auf dem Weg half, selbst der weitere Lebensweg - beruflich wie privat.


    Es gehörte Mut und Überwindung dazu, als gestandener Mann einen anderen um Hilfe zu bitten. Der Nachdruck, mit dem Tiberius bat, offenbarte dessen Notlage und berührte Menecrates im Innersten. Er hatte als Legat nicht wenige Soldaten gesehen, deren Kriegserlebnisse starke Veränderungen bewirkten. Ängste hielten Männer gefangen, Schlaf wollte sich nicht einstellen, Regungen des Gemütes schienen unter eine fetten Schicht von Trümmern begraben. Tiberius erinnerte den Claudier an sie. All diese Kämpfer Roms hatten einen Neuanfang verdient. Wenn nicht sie, wer sonst?


    Er legte seine Hand auf die Schulter des Tiberiers.
    "Es rettet dich nicht, mein Klient zu sein. Ich kann dir den Weg zeigen, ja, und auch sonst behilflich sein, aber beschreiten musst du ihn selbst. Bist du schon soweit? Und falls ja, wohin führt dich dein Weg?"


    Er drückte noch einmal die Schulter, dann senkte er den Arm. "Deine Antwort wird uns zeigen, ob ich der passende Patron für dich bin." Es war keine Ablehnung, dafür zeichnete ein feines Lächeln zu offensichtlich das alternde Gesicht. Aber Menecrates bot seine Hand nur als Steighilfe an. Sie diente nicht als Ankerplatz, um in Müßiggang zu versinken.

  • Verus hatte keine klaren Antworten mehr. Nicht mehr an diesem Tag. Seine gespielte Selbstsicherheit war verflogen, als er kräftig atmete. Sein Atem war konstant aber bemüht. Der Tiberius tat sich immer mehr schwer damit, persönliche Gespräche ohne Bezug zu seiner Aufgabe zu führen. Auch dieses Gespräch hatte eine hohe emotionale Belastung für den gestandenen Soldaten, der nicht nur um die halbe Welt marschiert war, sondern auch die Schlachtfelder dieser Zeit erlebt hatte. Es war dieses alte Gefühl, welches ihn unsicher machte. Ein Gefühl, dass er ratlos war, was er mit sich selbst anfangen sollte, wenn er keine Befehle mehr erhielt und kein Dogma mehr hatte, an dem er sich festhalten konnte. Die Persönlichkeit des Soldaten war verkümmert oder auch verkrüppelt durch seine Lebenszeit. Ihm war zu viel widerfahren, um eine normale emotionale Reaktion im Umgang mit diesem Gespräch zu zeigen. Der Claudius erweckte etwas in Verus, was diesen Mann seltsam zerschlagen machte. Die Haltung brach ein, der militärische Habitus verflog mit einem Augenzwinkern, als ob es diesen nie gegeben hätte und es blieb nur ein Mann ohne Würde zurück. Es gab keinen Fluchtpunkt mehr. Kein Entkommen vor einer Entscheidung. Verus musste sich entscheiden, was er wirklich aus seinem Leben machen wollte, da die Befehle ausbleiben würden. Es ängstigte und diese Angst machte ihn vorerst sprachlos.


    "Wie erweise ich Güte?" - fragte er Verus mit schwacher Stimme, hilflos und verwahrlost im Umgang. Er wusste, was Güte und Mitgefühl waren aber diese zombiehafte Gestalt, die er geworden war, verneinte diese konsequent. Luna hatte sie ihm gezeigt, viele Menschen hatten sie ihm bewiesen und doch verneinte die Pflicht eine Güte. Ein pflichtbewusstes Herz war niemals weich aber Verus Pflichtbewusstsein lag nicht in seinem Herzen, sondern in seinem Verstand, welcher abgerichtet und zerrüttet war. Dieser Mann war zu träge, zu gesättigt mit seinem eigenen Ungemach, dass eine Veränderung unmöglich wirkte. Auch fürchtete Verus dieses Gefühl. Diese Erfahrung, dass Güte ihm vielleicht jene verschlungene Macht streitig machen könnte, die gerade sein eigenes Überleben sicherte. Die Situation mochte für einen reichen Claudius einfach sein, da sein Reichtum und Position in der Gesellschaft ihn sicherlich abschirmen konnten, sofern niemand wirklich Interesse an seinem Sturz hatte aber ein trecenarius war nicht abgeschirmt, sonderlich geschützt, sondern allein und ausgeliefert.


    Verus musste seinen Kameraden, dem Dogma und dieser verbohrten Idee von Rom folgen; egal, was geschah, Verus war Soldat und niemals ein freier Mann. "Es gibt ein Sprichwort unter uns Soldaten, Claudius," begann Verus, um eine Erklärung zu finden. Etwas, was er sagen konnte, was ihm selbst nicht verlogen erschien. "Wer auf dem Schlachtfeld gestanden hat, wird niemals mehr frei sein. Denn das Schlachtfeld ist fortan an jedem Ort." Der trecenarius gestand damit ein, dass er niemals entfliehen konnte, da der Krieg längst in ihm war. Bei ihm standen Mars und Pluto, jeweils ringend um seine Seele, bis er endgültig von dieser Welt verschwand. Ein Wunsch, den Verus nicht einmal mehr ganz verbarg und insgeheim wünschte sich sein Herz ein Ende dieser Schrecken, die des Nachts kamen.


    "Güte ist etwas, was ich sicherlich verstehe aber nicht immer zur Anwendung bringen kann. Schwäche wird bestraft, Claudius. Bei uns wird emotionale Schwäche bestraft. Gnade kennen wir nicht, sondern nur Disziplin. Alles, was in unseren Reihen dient, hat zu vollumfänglich zu dienen. Mit Leib und Herz. Wenn ich müßige Gnade zeigen würde, würden sich die Unrechten und Feinde erheben, die wir mit Gewalt klein halten. Menschen mögen Gnade kennen aber wir Prätorianer nicht, denn wir schützen nicht nur den Augustus, sondern auch diese Ordnung," erklärte Verus aber die Worte wollten nicht so leicht fallen. Sie wollten nicht herausbrechen, wie geübt, sondern waren leise und kraftlos. Der Soldat wollte sich dahinter verstecken aber konnte es nicht mehr. Verus war zu gut, um erneut einfach in diese erlernten Denkmuster zu fallen. Denn der Tiberius verstand inzwischen zu viel, um einfach darüber hinweg gehen zu können. Verus spürte die Hand des väterlichen Claudius.


    Ein merkwürdiges Gefühl von Heimat durchfloss Verus, der sich irgendwie erlöst fühlte, weil dieser Mann ohne jeden Zwang ihm Gnade zeigte. Eine Gnade und eine Möglichkeit, die weitaus absolvierender war, als Verus sich je erhofft hatte. Menecrates durchschlug mit einer Geste die letzten Mauern einer falschen Absicht. Verus konnte sich nicht mehr in die militärische Doktrin flüchten und war dem Claudius ausgeliefert; auf eine positive Art. Es gab wieder einen Morgen, nach der langen Nacht. "Ich möchte soweit sein," war die Antwort, die Verus ohne Filter und Brücke sprach. "In den Senat," folgte dann träumerisch. Der Arrn seines fürsorglichen Gegenübers senkte sich. Verus brach ab und war überrascht, dass er das erste mal seit einer Ewigkeit überhaupt einen Wunsch für sich selbst benennen konnte. Es fühlte sich heilsam an. "Obwohl ich als Person wohl ungeeignet bin. Als Soldat wird man mich nicht ernst nehmen und im Allgemeinen wird der Kaiser mir nicht helfen wollen...," relativierte Verus wieder, um sich in seinen Trümmern zu halten, die sein Leben so perfekt einrahmten.

  • "Ist Güte tatsächlich eine emotionale Schwäche? Ich denke, darüber lässt sich streiten, denn sie könnte genauso gut eine von nicht allen erreichbare Stärke darstellen." Mehr als einen Gedankengang stellte die Aussage nicht dar und Menecrates beabsichtigte nicht, die Thematik länger zu erörtern. Das Militär war insgesamt kein Zuckerschlecken, eher ein knallhartes Geschäft. Eine Mühle, der man schwer entkam und entweder man erwies sich als geeignet und konnte Positives bewirken oder man wurde zermahlen.
    "Gnade meinte ich allerdings nicht, wenn ich von Güte sprach. Gnade zu erweisen, steht den meisten auch nicht zu, weil sie per Befehl an Vorgaben gebunden sind."
    Sie kannten beide das Militär, wenn auch aus verschiedenen Blickwinkeln. Dadurch unterschied sich weniger ihre Einschätzung als vielmehr die jeweilige Auswirkung auf die Person. Und um die Person Tiberius ging es im Folgenden.


    Menecrates empfand es als angenehm, anstelle des sonst vorherrschenden funktionierenden Offiziers, die Person Tiberius zu erleben. Sie wirkte unsicherer, aber gleichzeitig menschlicher. Menecrates glaubte Tiberius, als dieser sagte, er möchte so weit sein. Das anschließend formulierte Ziel - der Senat - überraschte Menecrates weniger als gedacht.
    "Ein weit gesteckte Zeil, ein ehrbares." Er dachte kurz nach, dann fuhr er fort. "Vielleicht bist du überrascht, aber ich traue es dir zu. Ich glaube sogar, du wärst ein Gewinn für das Gremium, ohne dich verstellen zu müssen." Er nickte zur Bekräftigung.
    "Wir machen es so: Ich unterstütze dich als dein Patron auf dem Weg dorthin. Biegst du ab, dann entfernt dich jeder Schritt von mir." Er ließ die Aussage wirken. Sie sollte verdeutlichen, dass Menecrates Tiberius nicht fallenlassen würde, solange jener einen ehrbaren Weg beschritt.
    "Verfügst du über den Ordo Senatorius?"

  • Philosophie war einst seine Sache aber nun musste sich Verus den harten Fakten einer komplexen Welt stellen, so dass für schöne Ideen kein Platz war. Somit konnte er zwar dem Gedanken des Claudius vollständig folgen aber wollte diesen nicht vollens vertiefen, so dass er weitere Betrachtungen des Begriffes Güte mit einem schlichten Begriff in seinem Schädel bei Seite schob. Philosophie war derzeit bedeutungslos, denn in Verus Arbeit zählten Ergebnisse und Ziele. Man defineirte stets neue Ziele, die es zu verfolgen galt. Und da war keine reale Möglichkeit für eine emotionale Betrachtung eines moralischen Dilemma. Wenigstens erlaubte Menecrates einen Ort für Verus Weltsicht, denn die befehlsgebundene Moral eines Soldaten und Staatsdieners war wohl auch eine Möglichkeit, die Menecrates nicht ausschließen wollte. Der trecenarius nickte ab und ging einheitlich auf die Frage des einstigen Konsuls ein, der ihm so wohlwollend einen Fluchtpunkt bereit hielt, den er wirklich nutzen wollte, denn sein Herz schulg heftig. Er fühlte wieder etwas und alles drängte ihn dazu, dem Claudius zu folgen und zu antworten. Ein wenig Dank zeigte sich in Verus Gesicht, dass der ehrbare Claudius ihn für würdig und bereichernd hielt. Der Senat brauchte in der Tat die harte Linie eines Soldaten, der auch bereit war, für Werte zu kämpfen aber ob Verus stetiger Kampf eine echte Bereicherung war, konnte nur die Zeit entscheiden. Einen echten Kampf zu führen und das konnte Verus mit erstaunlicher Akribie. "Einverstanden," kommentierte Verus schließlich mit einem vorsichtig menschlichen Lächeln, welches fern des Militärs war. "Ich besitze den Ordo leider nicht und bin somit auch nicht in diesen hineingeboren," sagte der flüchtende Soldat mit einer gewissen Emotionalität, die jedoch durch seine Hintergründe abrupt eingeschränkt wurde.

  • Der fehlende Ordo stellte also die erste Hürde dar, die Menecrates in seiner Funktion als Patron aus dem Weg räumen musste.
    "Gut. Das bedeutet für mich, ein Gespräch mit dem Kaiser zu führen. Es ließe sich besser argumentieren, wenn du mit der Verleihung des Ordo Senatorius aus dem Dienst der Garde austrittst." Menecrates' Blick suchte nach Regungen, die über Tiberius' Empfinden Aufschluss gaben. "Liegt das in deinem Interesse oder schwebt dir ein anderer Zeitplan oder eine andere Abfolge vor?"
    Sie näherten sich dem Gesprächsende, zumindest nahm Menecrates das an.

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