• Alpina hatte die Taberna medica zugesperrt und saß nun mit Ursi im warmen Triclinium. Die Kleine spielte am Boden mit ihren Holztieren und kam ab und an zu ihrer Mutter, die auf der Kline lag, ihrer Tochter beim Spielen zusah und trüben Gedanken nachhing. Sie wusste, sie würde Ursi sagen müssen, dass ihr Vater tot war. Doch wann und wie? Sie ging alle möglichen Varianten durch und verwarf jede wieder.


    Als sie hörte, dass Liam Besuch brachte, blickte sie auf. Massa kam. Wie versprochen. Ein Lächeln kam auf ihre Lippen auch wenn ihr sonst gerade gar nicht nach Lachen zumute war. Doch die Tatsache, dass er Wort gehalten hatte und sie ihm ganz offensichtlich wichtig war, tat ihr gut.
    "Massa, wie schön dich zu sehen!", begrüßte sie ihn. Und auch Ursi sprang auf und rannte, ein Holzpferd in der Hand auf den Tribun zu. Sie strahlte ihn an und plapperte drauflos.


    Massa würde sehen können, dass Alpinas Augen rot waren. Sie hatte geweint. Auch wenn sie jetzt vor ihrem Kind die Fassung behielt, war ihr anzusehen, dass sie etwas belastete.

  • Wie Liam gesagt hatte. Alpina war deutlich anzusehen, dass etwas nicht stimmte. Der kleine Wirbelwind Ursi beanspruchte sogleich seine volle Aufmerksamkeit. Massa kam nicht dazu Alpina zu begrüßen. Ganz gut so. Er wusste nicht, was er in dieser Situation hätte sagen sollen. „ Komm her kleine Domina.“ Massa hockte sich vor sie hin. „ Ich verrate dir was.“ Er ging ganz dicht an ihr Ohr und flüsterte. Liam hat viiiiele Honigkekse, die will er zu Neman bringen. Gehst du mit und passt auf Liam auf, dass ihm die Kekse nicht verloren gehen? Als Belohnung gibt es einen Keks von Neman. er zwinkerte ihr zu und erhob sich. „ Einen für dich und einen für dein Pferd.“ ergänzt Massa und widmete sich nun Alpina.
    Die ganze Situation war für ihn unangenehm. Mit der Trauer anderer konnte er schlecht umgehen. „ Ich freue mich auch.“ ja er freute sich , nur die Umstände waren nicht so, wie er es sich gewünscht hätte.
    Er setzt sich ohne zu Fragen zu ihr auf die Kline. Mit seinem Zeigefinger strich er ihr über die Wange. „ Du hast geweint.“ stellte er überflüssiger Weise fest. „ Komm her. Was ist los?“ Massa saß so, dass sie ihren Kopf auf sein Bein legen konnte.

  • Gleich wurde Massa mit Beschlag belegt und irgendwie schaffte er es Ursi aus dem Triclinium zu locken. Dann setzte er sich zu ihr. Natürlich erkannte er, dass sie geweint hatte. Wieder stiegen die Tränen auf und sie nahm das Angebot an sich auf seinen Oberschenkel zu legen. Dann erzählte sie von dem Brief von Corvinus Mutter Timarcha, der ihr vom Tod ihres ehemaligen Geliebten und Vater Ursicinas berichtete. Von dem Boten mit dem Schlüssel, der zum Höhlenversteck im Wald passte und dem Fell sagte sie jedoch nichts. Es spielte ja auch keine Rolle, Corvinus war tot. Sie wusste zwar nun, dass er sich nicht verlassen hatte um mit einer anderen zusammen zu sein, sondern auf dem Weg zurück nach Mogontiacum den Tod gefunden haben musste, aber die Tatsache war, dass er nicht wieder kommen würde.


    Für Alpina hatte sich das Leben in den letzten Wochen so glücklich verändert, dass sie den Tod von Corvinus leichter würde verwinden konnte. Doch blieb nach wie vor das Problem Ursi davon zu erzählen.
    "Weißt du, es ist nicht so sehr der Verlust für mich. Denn ich habe schon lange gefühlt, dass ich Corvinus verloren hatte, bevor er wohl sein Leben verlor. Er war aus meinem Leben gegangen und ich hatte keine Aussicht daruf, dass er zurückkommen würde. Aber Ursi lebt noch in dieser Hoffnung. Sie fragt noch nach ihrem Vater. Fragt wann er zurückkommt. Nun werde ich ihr sagen müssen, dass er nicht wieder kommt. Sie enttäuschen zu müssen tut mir so weh."


    Alpina kuschelte sich an Massa.. Die Trauer überwältigte sie und sie weinte. Weinte um den toten Corvinus und um die kleine Ursi, die ohne Vater bleiben würde.

  • Massa hörte zu, sagte kein Wort. Der Brief den Alpina erwähnte, dass man Corvinus für Tod erklärt hatte. Die secunda hatte ihn bis jetzt nicht für Tod erklärt. Vorerst schwieg er, lies Alpina erzählen. Bis sie geendet hatte und sich an ihn schmiegte. Ihr plötzliches Weinen, machte ihn unsicher. Er sah auf sie herab, zögernd hob er seine Hand und streichelte über ihre Kopf und flüsterte. " Ja, weine, weine es dir von der Seele."

    Irgendwann hörte sie auf. Massa wollte den Brief sehen. Vielleicht stand drin, bei wem sie nachgefragt hatten oder eine Hinweis wo es passiert war. „ Alpina? Könntest du mir den Brief zeigen? Die secunda hat ihn noch nicht für Tod erklärt. Vielleicht sind ein paar Hinweise drin und helfen Klarheit zu schaffen.“ Für ihn war das ebenso wichtig. Immer mit dem Hintergedanken zu leben, er könnte wieder auftauchen, das schmeckte ihm nicht.

  • Er wollte den Brief sehen. Alpina zögerte. Es war ein Brief ihrer Beinahe-Schwiegermutter. Sehr persönlich. Eigentlich wollte sie ihn nicht herzeigen.
    "Es ist ein sehr persönlicher Brief der Mutter von Corvinus. Aber ich habe auch andere Hinweise darauf, dass Corvinus tot ist."


    Nun erzählte sie die Geschichte von dem seltsamen Boten, dem Schlüssel und wie sie den Verletzten und später auch das Bärenfell gefunden hatte, auf dem die Zeichnung und die persönliche Nachricht standen. Alpina stand auf und holte das Fell. Sie zeigte es Massa.
    "Ich glaube es ist besser, wenn wir da nicht weiter in der Wunde wühlen. Ich hoffe nur, dass er seinen Frieden finden wird, dass die Lares besänftig werden können, wo auch immer seine Gebeine jetzt ruhen. Requiescat in pace."

  • Ein sehr persönlicher Brief, gut dann nicht. Damit hätte er vielleicht noch mal bei der Einheit nach grasen können, bei der er zuletzt war. Was ihm Alpina dann präsentierte und erzählte gab dem ganzen eine völlig anderes Bild. Massa hatte in Alexandria selbst nach verschollenen Legionären gesucht. Er zählte hier eins und eins zusammen. Das war kein Bote. Welcher Bote brauchte Jahre um an sein Ziel zu kommen? Welcher Bote würde freiwillig ein stinkendes ungegerbtes Fell überziehen? Welcher Jäger würde das tun? Die Germanen ließen sich nicht so gehen. Sie waren hier heimisch, wussten wie man in diesen Wäldern überlebte. Legten Wert auf ein gepflegtes äußeres. Massa war bis jetzt keinem Germanen begegnet, der sich mit ungegerbten Fellen behangen hatte. Für Massa stand fest wer das gewesen war. Und es offenbarte etwas, dass er Alpina ersparen wollte. Corvinus war ein Deserteur. Er hatte sein cingulum militare abgelegt, sich damit entehrt. War nach Alpina‘s Geschichte scheinbar schon länger hier und hatte sich nicht bei der Legio gemeldet. Weil er wusste was auf einen Deserteur wartete?


    Massa wusste nicht, was er sagen sollte. Hätte sie ihm das besser nicht erzählt. Das Wissen legte sich wie eine schwere Last auf das, was gerade zwischen Alpina und ihm im entstehen war. Die Toten hatten gut lachen, sie mussten nicht weiterleben. Massa brauchte Luft. Er musste einen klaren Kopf bekommen. Mit einem Schlag hatte sich alles geändert. Ihm kam es so vor, also ob Corvinus nicht mal im Tod wollte, dass Alpina einen anderen bekam. „ Ich muss an die Luft.“ Er brauchte Zeit um darüber nachzudenken ob und wie es weiterging. Nichts war mehr so, wie vor drei Tagen.

  • Alpina verstand Massas Reaktion nicht wirklich. Sie suchte Trost und Verständnis und er ließ sie allein. Sein "Ich muss an die Luft" war wie ein Schlag ins Gesicht. Sie hatte ihr Innterstes nach außen gekehrt, ihm ihre Trauer anvertraut und ihm sogar das Bärenfell gezeigt. Nun ließ er sie allein.
    Die Stimmung war vergiftet. Er hatte kaum den Raum verlassen, da brach Alpina erneut in Tränen aus. Sie spürte, dass sich ein Schatten auf ihre Beziehung gelegt hatte, die vor Tagen noch so glücklich gewesen war. Gerne hätte sie die Zeit zurückgedreht - doch das ging ja bekanntlich nicht. Fortuna wurde nicht umsonst mit dem Rad dargestellt. Mal ging es aufwärts, mal abwärts.

  • Massa sah zu den Sternen. Sie leuchteten wie eh und je. Als ob die Zeit da oben still stand. Nur hier, hier ging sie weiter. Was hatte er falsch gemacht? Hatte er von der Zukunft zu viel erhofft, zu viel gewollt? War es sein Schicksal nie zur Ruhe zu kommen? Wie sollte es weiter gehen? Was sollte er machen? Sie hatte seine Hilfe abgelehnt. Vertrauen gegen Vertrauen? Hatte sie kein Vertrauen zu ihm? Massa wusste nicht mehr was er denken sollte. Was brachte es länger hier draußen zu stehen. Nichts änderte sich dadurch. Massa ging wieder hinein.
    Alpina weinte immer noch oder wieder, langsam ging er zu ihr und setzte sich neben sie. Behutsam streichelte er ihren Kopf. „ Alpina.“ Massa zog sie zu sich, nahm sie in seine Arme.

  • Fast schon hatte Alpina nicht mehr damit gerechnet, dass Massa zurückkommen würde. Doch er tat es. Setzte sich zu ihr und tröstete sie. Alpina schmiegte sich an ihn. Es war ein schönes Gefühl in der Trauer nicht allein sein zu müssen. Sie wusste, dass sie ihn mit ihren noch immer vorhandenen Gefühlen für den verstorbenen Corvinus nicht über Gebühr belasten durfte, doch für dem Moment war die Trauer einfach übermächtig.


    Nach einer Weile aber ebbten die Tränen ab. Alpina konnte es nun genießen, gehalten zu werden. "Danke, Massa", hauchte sie.

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