Nach der Audienz beim Augustus kamen der Haruspex Aurelius Lupus und der Pontifex Flavius Gracchus neuerlich zusammen, um über das weitere Vorgehen in Hinblick auf das mögliche Ende des Saeculum zu beratschlagen. Gracchus hatte dafür die Taberna Apicia vorgeschlagen - in welcher er zwar schon lange nicht mehr gewesen, deren Ruf in Hinblick auf gehobene Küche in letzter Zeit jedoch wieder Gesprächsthema bei Cenae und abendlichen Gesellschaften war -, um während des Gespräches einen kleinen, exquisiten Imbiss einzunehmen. Ein Vorzug des Etablissements war es zudem, dass es für delikate Angelegenheiten - im gesellschaftspolitischen Sinne, denn im lukullischen konnte dies auch öffentlich zelebriert werden - stets einen etwas abgeschiedenen Tisch gab.
"Hast du vor, weitere Haruspices in diese Angelegenheit zu involvieren?"
fragte Gracchus ohne Umschweife, nachdem der Wein bereits aufgetischt war - ein deliziöser Tropfen gelesen auf den südlichen Ausläufern des Apenninus Mons.
"Das Collegium Pontificum ist selbstredend unterri'htet"
, denn staats-kultische Angelegenheiten im Alleingang zu lösen war in diesem Collegium nicht gern gesehen.
"Doch wie bei diesen Causae üblich, wurde mir die weitere Ausführung überlassen."
Bisweilen hatte Gracchus den Eindruck, dass mancher Pontifex zufrieden war, ab und an in diesem Collegium sein Votum pro oder contra einer Causa abzugeben, sich sonstig jedoch nicht weiter mit Aufgaben zu belasten - was indes eine Schwäche eines jeden römischen Gremiums zu sein schien und zweifelsohne ein Resultat der Verknüpfung mit gesteigertem Prestige durch schlichtes Innehaben eines Sitzes. Die Haruspices indes waren kein geeintes Collegium und stimmten sich, soweit der Flavier darin Einblick hatte, nicht einmal stadtrömisch in allen Belangen ab.
Klandestine Kult-Konversation
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Noch immer war Sextus nicht gerade euphorisch bezüglich des Gesprächsverlaufs mit ihrem Kaiser. Er konnte sich des anhaltenden Eindruckes einfach nicht erwehren, dass Aquilius recht wenig Ahnung vom eigentlichen, religiösen Geschehen hatte und daher diesbezügliche Fragen gerne von sich schob.
Dieser Eindruck wurde auch nicht gerade besser, als Flavius Gracchus nun mit ihm das Gespräch suchte und eigentlich nur bestätigte, dass ihm desöfteren kultische Angelegenheiten in der Gänze überlassen wurden. Vielleicht war es ein Zeichen der Zeit, denn äußerst selten traf Sextus jemanden, der in Fragen der Religion noch so bewandert war wie sein Freund hier oder er selbst. Die meisten hatten eher eine vage und recht verdrehte, von Aberglauben und Halbwissen durchsetzte Meinung.“Es böte sich an, weitere Haruspices zu involvieren. Meine Idealvorstellung einer Lösung wäre ja noch immer, einen astronomischen Experten hier nach Rom einladen zu können, um eventuelle kalendarischen Besonderheiten in allen Einzelheiten abklären und durch Rückfragen aufklären zu können. Doch nehme ich nicht an, dass der parthische Hof ohne weiteres einem solchen Unterfangen zustimmen würde. Allerdings könnte man es als eine Art Austausch formulieren und im Gegenzug ein paar Haruspices zeitlich begrenzt nach Seleukia entsenden, um dem parthischen König zur Seite zu stehen. Vielleicht könnte dies sogar dabei helfen, den momentan wackeligen Frieden ein wenig zu festigen.“ Sextus zuckte die Schultern. “Doch bin ich mir etwas unschlüssig, was unser Kaiser sich insgesamt vorstellt, oder ob er überhaupt eine Vorstellung hat.“
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"Nun"
, begann der Flavier, stockte jedoch als Sciurus näher trat und damit das Herannahen der Platte mit kaltem Fleischaufschnitt, eingelegtem Gemüse, etwas Brot und diverser Soßen ankündigte. Erst nachdem aufgetischt und der Bedienstete der Taverna um eine Ecke verschwunden war, fuhr Gracchus fort.
"Ich bezweifle, dass er eine allzu genaue Vorstellung kultischer Belange hat."
Bisweilen bezweifelte der Pontifex gar, dass der Augustus eine grobe Vorstellung kultischer Belange hatte.
"Letztlich ist er ein Mann des Militärs, und obgleich sich Kult und Militär stets ergänzen, so liegt eine intensive Dur'hdringung beider Bereiche zweifelsohne außerhalb menschlicher Möglichkeiten. Darob ist es durchaus klug von ihm, sich in dem ihm fremden Bereich auf jene zu verlassen, welche sich der Durchdringung dessen ver..schrieben haben, statt zu versuchen selbst alles zu beurteilen."
Der linke Mundwinkel des Flaviers hob sich zu einem pikarischen Lächeln.
"Solange Männer wie wir zu diesem Kreis gehören, können wir wohl unbesorgt sein."
Es lag ihm auf der Zunge, anzufügen, dass er derzeit zumindest keinen Grund sah, ob dessen einen Bürgerkrieg heraufzubeschwören, schluckte dies jedoch unausgesprochen hinab und wechselte rasch zum eigentlichen Thema.
"Aquilius hat uns gestattet, zur Überprüfung der Zeitbere'hnung die parthischen Experten hinzuzuziehen, gleichwohl gemahnt, die Erkundigungen unauffällig durchzuführen. Einer Entsendung oder Einladung hat er nicht widersprochen. Wäre es somit nicht eine Möglichkeit, dies zum reinen Austausch der Expertise zu arrangieren, einige weitere, politisch gänzlich irrelevante und un..bedenkliche Themen herauszuarbeiten und über den Abgleich der Daten ganz nebenbei zu sprechen? Die Einladung entsprechend formuliert wird die parthischen Astronomen - zweifelsohne Männer von Geist und großer Neugierde - enthusiasmieren von der Vorstellung gegenseitigen Austausches, so dass jene wiederum den parthischen Hof zur Zustimmung bewegen können." -
Dass Militär und Götterkult nicht miteinander kompatibel waren, würde einige Dinge erklären. Nicht nur den Kaiser. Im Bürgerkrieg – und davor und danach – hatte Sextus selbst mehrfach die Erfahrung machen müssen, dass bis in die höchsten Ränge hinauf ein Unwissen über alles Göttliche herrschte, das geradezu erschreckend war. Und nicht nur Unwissen, viel schlimmer fürchterlicher Aberglaube, gepaart mit dem Unwillen, auch nur das geringste zu lernen. Allerdings gab es da auch ihn selbst, der – zwar widerwillig, aber dennoch – Tribun gewesen war und sogar die gesamte, zweite Legion geführt hatte, und der dennoch kultisch bewandert war. Aber vielleicht war er diese eine Auster von tausenden, die eine Perle enthielt, während in den übrigen nur der übliche Glibber wartete.
“Dann wollen wir hoffen, dass der Kaiser auch auf uns hört, wenn wir ihn beraten“, stimmte Sextus also zu, wenngleich getragen von nachhaltiger Sorge. Der Kaiser hatte auf ihn bislang nämlich nicht den Eindruck gemacht, sich tatsächlich in kultischen Belangen auch beraten lassen zu wollen. Zumindest das Collegium Haruspicum hatte er bislang noch nie um vorherigen Rat gefragt.
“Nun, so ähnlich habe ich auch schon gedacht. Ich bin nur unsicher hinsichtlich der Frage der vordergründig zu erörternden Themen, welche geeignet wären, eben jene Neugierde bei besagten Astronomen hervorzurufen. Vermutlich würde auch schon ein genereller Austausch an Wissen genügen, doch sollten wir unseren Collegae in spe vielleicht das ein oder andere Argument an die Hand geben, um ihren Rex zu überzeugen. Ich zumindest habe keine Kenntnis darüber, ob der parthische König ähnlich unbedarft gegenüber derlei Themen ist wie unser geschätzter Kaiser.“ Sollte der Partherkönig durch den Willen der Götter aber auch nur ein wenig kultisch bewandert sein, sollte ihn die Aussicht auf eine Weissagung durch einen ausgebildeten Haruspex euphorisch stimmen. Aber wenn nicht, sollten sie schon irgend etwas haben, das seine Neugierde wecken würde.
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Der Flavier hegte in dieser Angelegenheit keine Bedenken in Hinblick auf die Zustimmung des Augustus, zumindest sofern nicht aus anderen Ursachen die derzeitige Situation mit dem parthischen Reich in Schieflage geriet.
"Deplorablerweise fehlen mir ebenfalls genaue Kenntnisse über die Interessen des parthischen Königs. Doch die Aussicht auf einigen Einblick in die disciplina etrusca würde mich zweifels..ohne dazu bewegen, hunderte Meilen durch die Welt zu reisen, respektive meine Gelehrten zu entsenden"
, lächelte Gracchus versonnen. Die Frage war eher, wie viel Wissen die Haruspices bereit waren, preiszugeben.
"Wir können zwar noch ein wenig mehr kultisches Wissen offerieren, indes sind die Bücher des Collegium Pontificum eher gefüllt mit Vergangenheit, denn mit Gegenwart oder Zukunft."
Er nahm einen Schluck Wein und blickte sinnieren in die tiefen Abgründe des Bechers.
"Andererseits ist die Zukunft ein heikles Thema sofern es von zwei sich gegenüber stehenden Reichen betra'htet wird, so dass ein Austausch darüber auch Risiken birgt." -
Kurz schmunzelte auch Sextus. “Solltest du die Senatsferien einmal in Tarquinia verbringen wollen, bin ich mir sicher, ich könnte es arrangieren, dass du als Gasthörer den Gelehrten an der Universität lauschen kannst“, bot Sextus scherzhaft an, wenngleich dieses Angebot durchaus auch einen ernstgemeinten Kern hatte. Wenn es Flavius Gracchus interessierte, war Sextus da nicht geheimniskrämerisch und durchaus bereit, Teile des etruskischen Wissens mit seinem Freund und Pontifex zu teilen. Für eine umfassende Kenntnis indes würde so ein Aufenthalt wohl kaum reichen, da das Studium der etrusca disciplina selbst im besten Fall sieben Jahre betrug. Wenn der angehende Haruspex sich auch gleichsam für noch besseren Rat fortbildete in Fragen von Architektur, Wasserbau, Ackerbau und Geologie, waren es schnell zehn. Kaum etwas, das in wenigen Wochen Senatsferien aufgeholt werden konnte, aber wohl genug, um sich ein wenig zu bilden und die Neugier zu befriedigen.
War nur die Frage, ob dies den Aufenthalt in Tarquinia rechtfertigte, welches zwar das Herz des etruskischen Reiches gewesen war, aber dennoch weder den Erholungsmöglichkeiten von Cumae oder Brundisium mithalten konnte, noch mit den kulturellen Zerstreuungen von Rom, oder den Gesellschaften in den Albaner Bergen.“Aber bezüglich des parthischen Königs bleibt uns wohl nicht viel Auswahl, als es einfach zu versuchen. Wir sollten nicht zu viel versprechen, aber unseren Abgesandten etwas Verhandlungsspielraum lassen. Ich wüsste auch zwei Haruspices, denen ich so eine Aufgabe anvertrauen würde. Vielleicht sollten wir überhaupt einmal über die Unterbreitung des Angebotes und den Weg dorthin sprechen. Im Winter ist die Reise über das Mittelmeer wohl auszuschließen, aber nach dem Abklingen der Frühjahrsunwetter sollte alles soweit bereit sein. Würdest du denn jemanden entsenden wollen?“
Das Collegium Pontificum war anders organisiert als die Haruspices. Letztere waren es durchaus gewohnt, durch das römische Reich auch einmal zu Reisen und diversen Statthaltern, Königen oder Fürsten ihre Dienste zu offerieren. Die Pontifices hingegen waren für Rom zuständig und daher beschränkte sich deren Reisetätigkeit üblicherweise auf ein Minimum. Doch war angesichts dieser speziellen Mission vielleicht einmal eine Ausnahme nötig, zumal viele Pontifices auch Senatoren oder angehende Senatoren waren, was der Reise ein zusätzliches Gewicht verleihen würde. -
"Tarquinia"
lächelte Gracchus versonnen.
"Dies wäre durchaus eine Überlegung wert."
Was konnte schlussendlich entspannender sein als neues Wissen anzuhäufen, sich Studien zu widmen und in Welten vorzudringen, welche bisherig ihm verschlossen geblieben waren? Der Flavier rechnete seinem Freund dieses Angebot hoch an, denn Lupus hätte es nicht ausgerochen, hätte er es nicht ernst gemeint. Zweifeslohne würde es ein wenig Überzeugungskunst benötigen - wein wenig mehr vermutlich -, Prisca diese Region schmackhaft zu machen, doch letztlich würde auch für sie sich etwas Vergnügliches finden lassen. Eine Reise nach Parthia hinwider - dies stand auf einem gänzlich anderen Blatt. Tagelang zu Pferde oder in einer Reisekutsche unterwegs zu sein, zudem eine tagelange Überfahrt per Schiff über das grauenvolle Meer - es gab kaum eine schrecklichere Vorstellung.
"Ich hatte an Apronius Pius gedacht, seine kultische Kompetenz steht außer Zweifel, zudem war sein Vater einige Jahre lang Statthalter in Syria bevor Cor..nelius das Amt hatte übernommen, sodass die Gepflogenheiten des Ostens ihm ein wenig vertraut sind. Darüberhinaus ist er ein Klient Gavius' und wird darob kaum im Senat fehlen."
Gracchus' Geringschätzung für Senator Gavius war deutlich in seiner Stimme zu vernehmen. Der Senator war ein neureicher Emporkömmling aus der Provinz, von welchem man munkelte, dass er all seine Klienten eingekauft hatte. Apronius' Vater hatte es nie geschafft, seinen Reichtum zu mehren, respektive ihn zu halten, sodass für seinen Sohn es augenscheinlich opportun erschien, seine Stimme zu verkaufen.
"Bezüglich der Reise stimme ich dir zu, doch die Na'hricht an den Parthischen König sollten wir bereits im Winter auf den Weg bringen. Immerhin wird auch die Antwort ein wenig dauern, und so bleibt genügend Zeit, die Reise vorzubereiten." -
Als Gracchus seine Ausführungen beendet hatte, dämmerte Sextus, wo bei ihnen beiden gerade offenbar ein Missverständnis herrschte. Allerdings wohl eher ein kleines, oder nicht einmal ein zwangsläufiges.
“Ah, ich hatte gedacht, die ausführliche Nachricht erst mit der Gesandtschaft an sich zu schicken. Wenn das Anliegen persönlich vorgebracht wird und nicht vorab durch einen Boten, mindert das die Wahrscheinlichkeit, dass die Berater des Königs es zerreden und sich Bedingungen ausdenken, die auszuhandeln unsere Gesandten dann keine Befugnisse haben. Wenn aber schon persönlich Haruspices und... Apronius, hattest du gesagt? Wenn diese also schon vor Ort sind, siegt hoffentlich die Neugier, und die nahe Versuchung tut das ihre dazu, so dass der König seinen Beratern nicht zu viel Zeit einräumt, das ganze zu zerreden“, gab Sextus also zu bedenken. -
"Oh"
, quittierte der Flavier das kleine kommunikative Missverständnis und nahm sich ein Stück süß-sauer-eingelegte Rübe von der Platte vor ihm. Allzu süße Naschereien gehörten nicht zu seinen Vorlieben, doch wenn auf den zart-cremigen Hauch von Honig ein kleines Feuerwerk an grün-rotfarbenen, essigsauren Geschmackseruptionen über die Zunge strich, so konnte er dem durchaus Entzücken abgewinnen.
"Dies ist in der Tat eine ... geschickte Strategie. Der König wird sich gewiss nicht die Blöße geben, eine re..präsentative Gesandtschaft aus Rom abzuweisen. Nun denn, so bleibt es bei dem Beginn der Reise in den Frühjahrsmonaten. Das gibt uns mehr als genügend Zeit, alles im Detail vorzubereiten."
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