Norius Carbo - Wahlkampfrede

  • Es war soweit, nach zahlreichen, von Carbo selbst initiierten Flüsterkampagnen und tatkräftiger Unterstützung durch lokale Berühmtheiten war der letzte Tag vor der Wahl gekommen. Wie Carbos Vögelchen es richtig unter den Leuten verbreitet hatten, war für heute eine Rede seinerseits am Forum angekündigt und zahlreiche Leute strömten herbei, neugierig auf jenen Mann, von dem man in letzter Zeit so viel gehört hatte. Carbo hatte ein kleines Podest aufbauen lassen und als es soweit war erstieg er es und begann laut und deutlich zu sprechen: "Bürger Mogontiacums, Vicani vom Vicus Apollinensis, hört mich an!" Er machte eine kurze Pause, damit auch das letzte Getratsche in der Menge verstummen konnte, während er noch einmal schluckte. Noch konnte er seine Nervosität sehr gut im Zaun halten. "Bürger, Vicani!" begann er noch einmal "Vor euch steht Norius Carbo, ich bin Stadtschreiber in der Curia Mogontiaci und gebe euch hiermit bekannt, dass ich für das Amt des Magister Vici für den Vicus Apollinensis bei der morgigen Wahl kandidieren möchte!" Wieder eine Pause, um es sacken zu lassen.
    Carbo ging nun in kleinen Schritten auf dem Podest auf und ab.
    "Gewiss fragt ihr euch jetzt, wer ist er schon, dass er für uns sprechen will? Ist er ein Einheimischer? Ein hier geborener Germane, oder wenigstens ein Römer? Nein! Vicani, viele von euch wissen, dass meine Ahnen im fernen Noricum zuhause waren und ich selbst gerade einmal ein Jahr hier wohne, mit welchem Recht will ich also für euch sprechen wollen? Wie kann ich mir anmaßen zu wissen, was eure Nöte und Anliegen sind als Zugewanderter? Nun, ihr fragt zurrecht!"
    Carbo blieb in der Mitte des Podestes stehen und zeigte auf die Menge.


    "Ich bin einer von euch! Und das schon ein ganzes Jahr lang. Ich bin ordentlicher Bürger Mogontiacums und viele eurer Gesichter habe ich schon einmal in der Curia gesehen, wenn ihr zu mir kamt mit einem Problem, oder Anliegen und ich euch weiterhalf!" donnerte er. "Zugegeben, ich bin nur ein einfacher Peregrinus, doch bereits seit einem Jahr lebe ich mit euch zusammen und seit einem Jahr höre ich eure Ängste, Sorgen und Probleme. Ich weiß, was euer Herz bewegt! Und ich will deshalb als Magister Vici kandidieren, um euren Anliegen noch besser Rechnung tragen zu können, denn als Scriba!"
    Vereinzelt zustimmendes Gemurmel, Carbo wischte sich über die Stirn und atmete tief ein. Soweit so gut. "Was aber will ich machen, wenn ich gewählt werde? Natürlich an erster Stelle für euch und dem Vicus Apollinensis eintreten vor den höheren Instanzen der Stadt und der Provinzverwaltung, Vicani! Auch habe ich bei meinen zahlreichen Gängen durch den Vicus gesehen, dass die Schreine der Laren an den Wegkreuzungen einer dringenden Renovierung bedürfen. Ich will der Mann für diese Aufgabe sein! Ich werde die maroden Schreine wieder in Stand setzen, auf dass die Geister der Wegkreuzungen uns wieder Glück auf unseren Wegen schenken! Auch eine völlig neue Aedicula regionis möchte ich an einer solchen Kreuzung stiften, zur Ehre der Laren und euch, den Vicani dieses Viertels!" Wieder machte Carbo eine kurze Pause. Der Kult an den Geistern der Wegkreuzungen war ein wichtiger Aspekt für das Amt des Magister Vici und Carbo rechnete er sich gute Chancen aus, wenn er als solcher sich verstärkt um diesen Aspekt kümmerte, wo er doch Zeit seiner Ankunft in Mogontiacum so sehr vernachlässigt worden war. Doch noch war das nicht alles, noch eine ganz besondere Überraschung hatte er für die Einwohner vorbereitet.
    "Vicani! Noch ein Wort! Denn das mag nicht alles gewesen sein, oh Nein! Hiermit kündige ich an, sollte ich gewählt werden, so wird das Theater Mogontiacums wieder eröffnet und regelmäßig Darbietungen geboten werden! Bei meiner Ehre, ich schwöre es euch! Vicani, Bürger Mogontiacums! Sollte euch gefallen haben, was ihr hier und heute gehört habt, so stimmt morgen für Norius Carbo und zusammen machen wir den Vicus Apollinensis wieder groß!"


    Carbo lächelte und verneigte sich vor der Menge. Er hatte es geschafft, er hatte soeben seine erste öffentliche Rede gehalten.

  • Curio fuhr grade mit dem Reisewagen am Forum vorbei, als er eine laute Rede hörte. Er streckte den Kopf aus der Fensteröffnung und sah auf einem Podium einen jungen Mann, in einer weißen Kandidatentoga, der offensichtlich eine Wahlkampfrede hielt. Curio ließ den Wagen stoppen und hörte sich die Worte an. Die Struktur war immerhin gut, wenn auch nicht ganz sein Geschmack, aber vermutlich hatte der junge Mann sowieso Hilfe von irgendwem gehabt. Als er dann jedoch zu seinen Vorhaben kam, stockte dem Helvetier der Atem. Die Renovierung der Kreuzungsschreine war schon seit seiner eigenen Kandidatur für das Amt des Magister Vici und später auch bei der Kandidatur für das Amt des städtischen Aedilen sein Herzensprojekt gewesen und nicht umsonst hatte er auch seitdem eine enge Verbindung mit den Lares Compitales. Viele der Kreuzungsschreine waren mit dem helvetischen Wappentier markiert, womöglich war es aber auch schon so weit verblasst, wie die Erinnerungen an eben jene Amtszeiten. Curio nahm sich jedenfalls vor, den jungen Mann im Auge zu behalten jetzt, wo er länger in der Stadt bleiben wollte und auch wieder an den Sitzungen des Ordo decurionum teilnehmen wollte, wo sich der junge Mann ja vermutlich auch nochmal würde vorstellen müssen. Auf ein Zeichen des Helvetiers setzte sich der Wagen wieder in Bewegung in Richtung Süden, zu den Canabae, wo ja immer noch die Casa Helvetia stand, die momentan aber recht verlassen wirken mochte.

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