Auf einem Karren in die Freiheit - oder: Die Lebende unter den Toten

  • Noch ehe Ygrid zu Wort kommen konnte hörte Carbo des Soldaten Worte. Ein Schock durchfuhr ihn, er fuhr herum und rief, ja schrie schon fast vor grenzenloser Überraschung: "WAS?!" Dann erst bemerkte er, dass er in seiner Überwältigung immer noch Norisch gesprochen hatte, weshalb er sich sofort selbst verbesserte und ins Lateinische wechselte: "Was hast du gesagt? Was bei Noreias ***** hast du da gerade gesagt, Soldat?!" Carbo verstand die Welt nicht mehr. Gerade noch hatte er fieberhaft überlegt, wie er den Kerl loswerden konnte, um Ygrid vor dem Zugriff der Römer zu retten, hatte darum gerungen eine Antwort auf diese Frage zu finden, während er sein kleines Scheingespräch mit Ygrid begonnen hatte um Zeit zu gewinnen und dann.....hatte der Soldat von sich aus Hilfe angeboten!
    "Aber was...wie, ich...äh...WAS?! Warum so plötzlich??????" stammelte er. Der Soldat hatte es geschafft den oft seiner Meinung nach allzuklugen und stets kühl denkenden Norius Carbo aus dem Konzept zu bringen.

  • Der decurio wurde ungeduldig. Verstand ihn der Mann nicht? Hatte der nicht begriffen, daß Eile geboten war?


    "Was soll das? Was heißt hier plötzlich? Ich verstehe dich nicht!"
    fuhr er den Fremden verständnislos an.
    "Willst du das Mädchen nicht auch retten?"
    Argwöhnisch fixierte er dessen Gesich, bevor er ihn nochmals ansprach.


    "Ich bin mir nicht bewußt, daß ich den Eindruck erweckte, die Kleine an irgendwen ausliefern zu wollen. Also, was ist? Kannst du mir einen Beweis erbringen, daß ich dir vertrauen kann? Ich muß mir vollkommen sicher sein!"


    Instinktiv fühlte er, daß die Lage in der dunklen Gasse begann brenzlig zu werden.

  • Auf diese Frage hatte Ygrid natürlich gewartet. Die Frage nach dem Warum. Der Chattin war sich sehr wohl bewusst, dass es sicher nicht klug war, die ganze Wahrheit auszuplaudern. Denn wer würde schon jemand helfen, der sich einer Horde Barbaren angeschlossen hatte, die sich den Zutritt ins Imperium mit Gewalt und Blutvergießen verschafft hatte? Und damit nicht genug, sie hatten außerdem dieses dämliche Weibstück entführt, einige Villen und Bauernhöfe überfallen, in Brand gesteckt, deren Eigentümer getötet und die Sklaven befreit. Nein, einer solchen Person würde bestimmt niemand helfen wollen. Darum überlegte Ygrid genau, was sie dem Mann antwortete. Vielleicht hatte sie einen Moment zu lange überlegt, denn als sie gerade antworten wollte, ergriff der Soldat das Wort und dies schien den anderen sehr zu empören.
    Erschrocken sah sie wieder zu den beiden auf, während diese miteinander sprachen. Oder stritten sie gar? Vielleicht darum, was mit ihr geschehen sollte? Der Soldat, so vermutete sie, wollte sie sicher zurück in die Zelle bringen. Nein, da wollte sie auf keinen Fall mehr hin! Lieber wollte sie sterben! „Bitte, nicht Carcer! Sonst tot“, jammerte sie und hob bittend die Hände.

  • Carbo beäugte misstrauisch den Soldaten. "Eher bräuchte ICH einen Beweis von DIR, dass du sie nicht gemäß deiner Pflicht wieder in die Kerker zurückschleifst, Soldat, aber nun gut. Wenn du mir wirklich helfen willst die Kleine zu retten dann hilf mir sie von hier wegzubringen! Komm her und fass mit an! Selbst kann sie ja nicht mehr laufen."


    Dann wandte er sich an Ygrid: "Kein Carcer. Soldat sagt er ist auch Freund. Wir retten dich." das musste einstweilen als Erklärung genügen. Carbo fasste Ygrid auf ihrer linken Seite in der Erwartung, dass der Soldat das Gleiche auf der rechten tun würde, damit sie Ygrid zusammen stützen und so wegbringen könnten.

  • Dem decurio wurde es zuviel. Er fuhr den Mann an.


    "Ich bin decurio. Wer bist du überhaupt, daß du dich erdreisten kannst, mich über meine Pflichten belehren zu wollen? Und, wie mir scheint, werde ich dir wohl auch nicht vertrauen können? Bis jetzt hatte es nicht danach den Anschein. Wer gibt mir die Gewähr, daß das Ganze hier nicht ein abgekartetes Spiel ist? Vielleicht sollte ich sogar in eine Falle gelockt werden. Das Mädchen läßt sich von dem Karren fallen, wer weiß, mit wessen Hilfe es da hinaufgekommen ist, wie aus dem Boden gewachsen bist du plötzlich zur Stelle. Es wäre vielleicht besser, euerem mysteriösen Verhalten auf den Grund zu gehen."


    Enttäuscht von allem wandte er sich zum Gehen.

  • Jetzt wurde Carbo überhaupt nicht mehr schlau aus dem Kerl. Was, beim Zerberus, faselte er da??? Zuerst bestand er auf seinem Rang als Decurio, was überhaupt nicht damit zusammenpasste, dass er damit seine Beihilfe zur Flucht einer entflohenen Gefangenen rechtfertigen wollte. Anschließend fantasierte er von irgendeiner Art Verschwörung gegen ihn, wobei Carbo keine Ahnung hatte, wieso sich jemand dazu die Mühe machen sollte. Aber ja...er hatte ja schon zu Beginn ihrer Begegnung gemerkt, dass der arme Kerl offenbar unter Verfolgungswahn litt.


    So sah er ihn nur stumm und mitleidig nach wie er beleidigt davonstolzierte und schüttelte einmal den Kopf. Dann wandte er sich an Ygrid, um ihr den aktuellen Sachverhalt der Situation zu erklären: "Soldat doch kein Freund. Ich rette dich alleine. Kannst du ein bisschen gehen? Ich stütze dich! Komm ich bringe dich in Sicherheit."

  • Zitat

    Original von Decimus Cursor
    "... Es wäre vielleicht besser, euerem mysteriösen Verhalten auf den Grund zu gehen."


    Der decurio sah nicht zurück. Er bestieg seinen Incitatus, aber nicht um wegzureiten, im Gegenteil, jetzt wurde das Geschehen für ihn interessant. Was hatte der Fremde, der dem Tonfall seiner Sprache nach kein Römer war und die Sprache der Kleinen wohl zu verstehen wußte, mit ihr vor? Wo wollte er sie hinbringen? So, wie es den Anschein hatte und das bereits Erlebte schien seine Vermutung zu bestätigen, wußte der, wie sich herausgetellt hatte, nichts verstehende Mann, was er zu tun hatte.


    Cursor nahm eine bequeme Haltung zu Pferd ein und wartete ab. Er war Soldat, und das konnte er.

  • Der Blick der Chattin musste ziemlich verwirrt gewirkt haben, als ihr der Mann erklärte, der Soldat sei ein Freund und zwar einer, der sie retten wollte. Bislang hatte sie römische Soldaten ganz anders erlebt, aber niemals als Freunde. Soldaten waren es schließlich, die ihren Bruder umgebracht hatten. Daher sah sie argwöhnisch zu ihm hinüber.
    Ob sie den beiden wirklich trauen sollte? Wer konnte ihr Gewissheit geben, dass die beiden sie nicht täuschten? Niemand! Sie musste einfach darauf hoffen, dass zumindest einer der beiden es ehrlich mit ihr meinte.
    Was sie aber dann wieder stutzig machte, war die Tatsache, dass die beiden miteinander zu streiten schienen. Langsam wurde ihr mulmig zumute. Das Chaos schien perfekt zu sein, als der Mann behauptete, der Soldat sei doch kein Freund.
    „Äh, der Soldat ist kein Freund? Aber wieso? Und du? Bist du ein Freund?“, fragte sie vorsichtig.


    Nachdem der Soldat dann plötzlich beleidigt das Weite gesucht und sie nun mit dem Fremden allein war, versuchte sie mit seiner Hilfe aufzustehen. Zwar schmerzten ihre Knie, doch zum Glück schien nichts gebrochen zu sein. Wahrscheinlich hatte sie nur etliche blaue Flecken und Schürfwunden davongetragen. „Ja, es geht ein bisschen,“ meinte sie und versuchte langsam einen Fuß vor den anderen zu setzen.

  • Carbo versuchte so gut es ging Ygrid beim Gehen zu helfen, ohne sie dabei zu verletzen. Als die Germanin nach seinen letzten Bemerkungen erst recht verwirrt war, konnte er sie nur zu gut verstehen. "Der Kerl wird uns noch Probleme machen, das sehe ich jetzt schon. Die Götter haben seinen Geist verwirrt. Zuerst will er dir helfen und jetzt will er uns schaden. Ich aber bin ein Freund, keine Angst. Komm! Versuchen wir deine Ketten irgendwo loszuwerden!" brummte er und überlegte im Gehen, wohin er sie bringen könnte.


    Sein erster Gedanke war natürlich Susina Alpina gewesen. Sie und ihre Heilkunst hatten ja auch ihn selbst schon einmal geholfen. Jedoch hatte er sie seit seiner Genesung nicht mehr gesehen, außerdem war ihm zu Ohren gekommen, dass Alpina überhaupt nicht mehr in Mogontiacum weilte, sondern nach Rom aufgebrochen war. Rom! Wie sehr Carbo sie beneidete. Eines Tages würde er die Ewige Stadt auch einmal sehen wollen, soviel war für den Jungen aus Noricum sicher. Der nächste Ort der ihm einfiel war sein Zimmer in der Taberna. Das war derzeit schon eher möglich, zudem die Ketten der Gefangenen auch kein Problem darstellten. Sklaven trugen auch Ketten und jeder der sie sehen würde, würde denken Carbo hätte sich eine billige Sklavin gekauft. Vor allem, wenn er das auch noch im Schankraum selbst verbreiten würde beim Hereinkommen. Das war ein Plan. Der Beste, der ihm im Moment einfiel. "Komm, ich bringe dich zu mir in die Taberna Silva Nigra. Dort kannst du dich ausruhen."


    >>>>

  • Das hörte sich nicht gut an, wenn der Soldat tatsächlich wegen ihr ihrem Helfer noch Probleme bereiten sollte. Sie wollte nicht weiter nachfragen. Lieber wollte sie das auf später verschieben, wenn sie sich endlich in Sicherheit befand.
    Wie zu erwarten war, konnte sie sich nur sehr langsam fortbewegen. Bei jedem Schritt machte sich immer noch diese verfluchte Kette bemerkbar. Der Mann hatte ihr versprochen, sie davon zu befreien. Wenn es nur schon so weit wäre, dachte sie. Sie sah sich nicht noch einmal um, sondern konzentrierte sich auf ihren Weg. Damit sie nicht wieder stolperte.

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