[Vicus Apollinensis] Inspektion der Larenschreine

  • Heute war es soweit. Heute würde Carbo beginnen seines Amtes zu walten und damit anzufangen seine Wahlversprechen in die Tat umzusetzen. Das erste auf seiner Liste waren die Larenschreine. Um genau zu wissen, wieviel Arbeit und Geld die Renovierung derselben kosten würde, hatte er vor heute zusammen mit einem Scriba als Gehilfen (wie ungewohnt, noch vor einer Woche war er selbst einer gewesen!) durch den ganzen Vicus zu spazieren und dabei jeden Schrein in Augenschein zu nehmen, um zu überprüfen, ob eine Renovierung, oder bloß eine Säuberung nötig war.


    Da der Vicus Apollinensis die eigentliche Stadt Mogontiacum war, hieß das, dass dieser Vicus auch die meisten großen Wegkreuzungen und damit Schreine der lares compitales hatte. Ungefähr 13-16 Stück und damit 13 bis 16 Schreine. Dass sich um die Schreine wirklich gekümmert worden war, war schon einige Zeit her, zuletzt zur Amtszeit von Magister Vici Iullus Helvetius Curio von vor einigen Jahren. Und dieses Mal wäre er nun an der Reihe diese Pflicht zu erfüllen.


    Carbo begann den Tag damit, dass er als Opfer an die lares vicani Weihrauch verbrannte und anschließend etwas Wein über einer Patera als Trankopfer vergoß. Dieses Ritual würde er nun täglich je einmal morgens und abends durchführen, da Carbo als Magister Vici dazu verpflichtet war den lares vicani zu opfern. Nachdem dies erledigt war, wurde es langsam Zeit sich um deren Kompagnons von den Wegkreuzungen zu kümmern. Früh am Morgen trat er aus der Taberna Silva Nigra heraus und streckte sich ordentlich. Es war kühl, aber immer noch erträglich, wie er fand. Er schlenderte gemächlich zum Tor der Castra Legionis II Germanicae, das er und der Scriba (mit Namen Titus) als Treffpunkt ausgemacht hatten. Von hier aus wollten sie im Uhrzeigersinn die ganze Stadt erwandern, zuerst der große Häuserblock links des Forums, dann (vom Tor der Castra aus gesehen) die Stirnseite und hinunter den großen Häuserblock rechts des Forums und zum Schluss zurück bei der Castra angelangt das Forum hinauf und anschließend durch das Gebiet der beiden großen Hauptstraßen.

  • "Morgen!" grüßte Carbo, als Titus der Schreiber sich endlich blicken ließ. Kalt war es noch und sein Atem stieg in kleinen sichtbaren Wölkchen zum Himmel. Nachdem auch Titus Carbo begrüßt hatte begannen sie gleich darauf ihre kleine Inspektionstour. Gleich direkt beim Eingang der Castra stand schon ein Kreuzungsschrein. Da er auf einer Hauptverkehrsroute stand, war er arg abgenutzt und abgegriffen. Keine Ahnung auch wie das passieren konnte, aber ein Teil der oberen Aedicula war tatsächlich auch abgebrochen. Dieser erste Schrein war auf jeden Fall ein Kanditat für einen Neubau.


    Carbo drehte sich daher um und wies Titus an: "Notiere: Schrein Nr. 1 bei der Porta zur Castra völlig ersetzen." Titus nickte und begann die mitgebrachte Tabula zu beschreiben.


    Als das erledigt war begannen sie ihren Rundgang zunächst in den Westen des Vicus. Sie folgten der großen Hauptstraße dieses Viertels bis zur spitzen Kurve in Richtung Nordwesten, bis sie zu dem Tor kamen, das nach Confluentes führte. Hier stand der zweite Schrein ihrer Tour. Es war jener Schrein, an dem Magister Vici Helvetius Curio vor Jahren die Malerei hatte erneuern lassen. Sie war immer noch gut zu sehen und auch der Widderkopf, als Symbol der Helvetier, prangte gut sichtbar, jedoch trotzdem nicht allzu auffällig am Larenschrein. Carbo hatte in seiner Zeit als Scriba in der Curia genug Zeit gehabt, um sich mit den Wappen der wichtigsten Familien dieser Stadt vertraut zu machen, also mit den Ducciern, Helvetiern, und Petronier. Carbo erkannte den Widder also als helvetisches Wappentier und natürlich fragte er sich sofort, wie er dahingekommen war, war es doch deutlich, dass der Schrein an sich schon viel älter sein musste, als die immer noch relativ frische Malerei. Während er sich den Widderkopf so besah, kam ihm der Gedanke, dass er in dem einen, oder anderen freien Moment einmal wieder ins Archiv von Mogontiacum gehen sollte. Dann wollte er sich ein wenig mehr über die Amtszeiten seiner vorangegangenen Kollegen schlau machen. Vielleicht würde er auch dann auf jenen mysteriösen Helvetier treffen, der sich hier verewigt hatte.


    Titus hatte von all dem keine Ahnung. Er sah nur, dass Carbo vor dem Schrein eine gute Ewigkeit verharrte und ins Leere starrte. Als es ihm zu blöd wurde, stieß er ihn an und räusperte sich. Carbo kehrte in die Realität zurück und murmelte nur: "Grundreinigung, ansonsten noch in Ordnung." was Titus sogleich auf der Tabula notierte.



    1. Schrein bei der Castra Legionis II Germanicae: Neubau
    2. Schrein bei der Porta Confluentes: Grundreinigung

  • Und weiter ging der Spaziergang von Carbo und Titus zur Überprüfung der Larenschreine. Der nächste war noch gut in Schuss, weshalb bei ihm wohl nichts gemacht werden musste und auch der übernächste sah so aus, als ob er noch ein paar Jährchen stehen würde. Anders jedoch der nächste, schon sehr weit im Norden, ja fast schon beim Stadttor gelegen. Der Schrein befand sich auf einem ganz kleinen, durch die hohen Mietshäuser rundum sehr beengt wirkenden, halbdunklen Plätzchen, an dem sich mehrere Gassen und eine Straße kreuzten. Nicht gerade einer der Hauptverkehrswege Mogontiacums, doch vor ein bis zwei Nebengassen war Carbo aus einer spontanen Laune heraus einfach von der großen Straße ins Gewirr des Stadtinneren abgebogen, nachdem sie sich zuvor die ganze Zeit ziehmlich exakt entlang der westlich-nordwestlichen Stadtmauer auf dem dortigen Hauptweg aufgehalten hatten. Doch jetzt, nachdem Carbo den Schrein jenes Platzes vor sich sah, war er froh, einmal auch auf einem der weniger wichtigen Plätze vorbeigeschaut zu haben, denn germanische Runen waren überall auf das Bauwerk geschmiert, gemalt, ja manche sogar eingemeißelt worden!
    Selbst der immer an allem etwas desinteressierte Titus pfiff beim Anblick dieses "Kunstwerks" und meinte: "Wow, entweder hat da jemand diesen Larenschrein mutwillig schänden wollen, oder wir haben einige äußerst engagierte Germanen in unserer schönen Stadt..." Carbo sah das weniger witzig. "Oder aber diese Schriftzeichen drücken eine Botschaft aus, die die Verfasser -ich tippe im Lichte dessen, dass es germanische Runen sind auf Germanen- die an die Römer, also an dich und die anderen hier, adressiert ist, wenn ich auch nicht sagen könnte, was da steht. Ähnliche Vorfälle kenne ich nämlich aus meiner Heimat Noricum, dort gab es einmal in Iuvavum eine Serie von Beschmierungen in norischer Sprache, initiiert durch einen halbstarken Häuptlingssohn und seiner Bande, die dachten, sie könnten eine Revolute gegen die Römer anzetteln. Es begann mit Geschmiere und römerfeindlichen Parolen, doch schnell artete es in echtem Terror aus. Römische Ortsansässige wurden auf offener Straße belästigt und bestohlen, oder verletzt und später dann gingen sie sogar soweit den einen oder anderen Soldaten während seines Wachdienstes anzugreifen und öffentliche Schmähreden gegen den Statthalter der Provinz zu führen und die Römer allgemein wo es nur ging zu beleidigen und..."
    "Ok ok, schon kapiert. Es war alles ganz ganz furchtbar damals und du fürchtest nun die gleiche Geschichte auch hier in Mogontiacum, stimmts?" unterbrach ihn da Titus, dem die zum immer längeren Monolog ausgearteten Einschätzung der Lage langweilig geworden war. Was interessierte es ihn auch? Dann war eben der Schrein beschmiert worden, du meine Güte, worüber sich der Magister Vici so alles aufregen konnte...


    Carbo schluckte eine bissige Antwort ob seiner Unterbrechung hinunter und meinte nur: "Nun, so etwas in der Art, ja."
    "Und wenn es so wäre, mich geht das dann sowieso nichts mehr an. Nach deiner Amtszeit, wenn du mich nicht mehr brauchst werde ich weg sein und dann heißt es "Salve Hellas"! Und wenn Mogontiacum abbrennen sollte, ich würds dann sowieso nicht mehr merken, also mir egal, wenn Germanen oder jugendliche Räuberbanden hier randalieren sollten." Carbo horchte auf. "Griechenland? Was willst du denn dort, so weit von Germanien weg?" fragte er überrascht. Titus meinte daraufhin nur, dass er jung sei und die Welt sehen wollte, außerdem würde er das warme Klima des Südens dem Frost des germanischen Nordens bevorzugen und vielleicht auch in Athen studieren, das wolle er sich später dann einmal genauer überlegen, wenn es soweit war darüber eine Entscheidung zu fällen, nur weg von diesem Kuhkaff an der Grenze.
    Carbo stimmte insbesondere Titus' letzter Behauptung von Mogontiacums Zivilisationsgrad nicht zu, doch beließ er es bei einem einfachen: "Na gut, wenn wir uns jetzt wieder auf unsere Arbeit konzentrieren könnten?" und ging mit seinem Scriba in Richtung nächster Schrein.

  • Die nächsten Schreine inspizierten sie (zurück auf der Hauptstraße und langsam in Richtung der südwestlichen bzw. rechten Stadthälfte wandernd) in eisigem Schweigen. Carbo war pikiert über Titus' Respektlosigkeit ihm und der Stadt Mogontiacum gegenüber und Titus war das alles hier sowieso egal...außerdem mochte er Carbos engagierte Art nicht. Aber Geld war nun mal Geld, für etwas (oder jemanden) anderes hätte er sowieso keinen Finger krumm gemacht.


    In dieser Stadthälfte gab es schätzungsweise um die elf Larenschreine an den elf großen Kreuzungen. Die ersten drei waren halbwegs in Ordnung, dem nächsten musste doch später noch etwas mehr Aufmerksamkeit gewidmet werden, als den anderen bisherigen und der jetzige war eine völlige Katastrophe. "Vermutlich noch ein Fall für einen Neubau" murmelte Carbo, während er dich den Schrein so besah und Titus pflichtgemäß ein "Neubau" neben dem Eintrag des besagten Schreins hinkritzelte.


    Nicht mehr viel und sie hätten auch diese Stadthälfte fertig. Dann würden nur noch die Larenschreine entlang der großen Hauptverkehrsstraßen in der Mitte Mogontiacums von Süd nach Nord fehlen und schon wäre die Inspektion vollständig und es könnten erste handfeste Maßnahmen unternommen werden.

  • "Ich würde sagen Grundreinigung und ein paar kleinere sonstige Ausbesserungen, vor allem hier oben bei den teils abgeschlagenen Verzierungen." meinte Carbo und deutete auf die besagten Stellen. Titus notierte auch diese letzten Details, anschließend ließ er sich auf die Schreinstufe fallen und seufzte tief. "Das war der letzte, endlich sind wir fertig mit diesem Gewaltmarsch." Carbo sah ihn mit einem mitleidigen Lächeln schief von der Seite her an. "Was ist los? War dieser kleine Stadtspaziergang etwa schon zu viel für dich?" Titus prustete. "Stadtspaziergang?! Du meinst wohl Gewaltmarsch mit Akkordschreibarbeit!" echauffierte sich der Kerl. Carbo konnte ihn einfach nicht ernst nehmen. Amüsiert den Kopf schüttelnd nahm er sich Titus' Aufzeichnungen und ging noch einmal die Liste der Reihe nach durch.
    "Das war bisher bloß die Bestandsaufnahme, das Vorspiel, wenn du so willst. Die harte Arbeit und der witzige Teil beginnen JETZT erst." Wieder seufzte Titus."Vorspiel! Ooooh! Was würd ich jetzt nicht alles für ein dralles Weib geben mit Brüsten wie..." Carbo schlug ihn mit der Tabula auf den Hinterkopf, "Reiß dich zusammen Mann!" wies er ihn zurecht. Das warf kein gutes Licht auf ihn als Amtsträger, sollten die Leute rund um sie mitbekommen wie und worüber der Gehilfe des Magister Vici in aller Öffentlichkeit sprach. "Du warst mir auf jeden Fall eine große Hilfe, Titus, danke! Du kannst dich zurückziehen, ich komme für heute von hier aus alleine in dieser Angelegenheit weiter." So verabschiedete sich sein Gehilfe und trollte sich in die nächste Taverne. Oder Lupanar, so genau wollte das carbo im Grunde auch gar nicht wissen.


    Für ihn zählte jetzt, dass er die heute angefertigten Unterlagen zuhause an seinem Schreibtisch noch einmal gründlich studieren wollte. Anschließend würde er sich um die praktische Umsetzung der Renovierungsarbeiten der einzelnen Larenschreine machen.

  • Fleißig wie immer wuselte es in letzter Zeit in Mogoniacum unter der Ägide von Magister Vici Carbo. Alle von ihm und Titus aufgenommenen Daten waren sorgfältig ausgewertet und verarbeitet worden und Carbo hatte daraus einen Ablaufplan erstellt, den er und einige andere von ihm zusammengestellten Bauteams abarbeiten mussten, gemäß des ebenfalls von ihm aufgestellten Zeitplans.
    So kam es, dass sich, nicht lange nach seinem kleinen Rundgang, die ersten zwei Gruppen bereits ans Werk machten, um den ersten Schrein bei der Castra Legionis II Germanicae komplett abzureißen und den zweiten bei der Porta Confluentes der angedachten Grundreinigung zu unterziehen. Carbo indess kontrollierte laufend beide Baustellen neben seinen zahlreichen anderen Pflichten als Magister Vici und er war für die Bautruppleiter laufend erreichbar in Form von Titus, der die "dankbare" Aufgabe erhalten hatte als Laufbursche zu fungieren. Der zweite Schrein war weit weniger Arbeit als der erste. Er wurde gründlich geschrubt und vom auf ihm lastenden Zahn der Zeit befreit, ehe er auch schon wieder in neuem Glanz erstrahlte und glänzte und das Team zum nächsten Schrein weiter konnte. Das war der, der mit den germanischen Runen beschmiert und bemeisselt worden war, ein sicherlich noch hartnäckiger Zeitgenosse, an dem die Arbeiter wohl ein Weilchen länger zu nagen hätten.


    Der andere Bautrupp indes hatte den ersten Schrein komplett abgetragen. Carbo war dabei anwesend gewesen und hatte die noch brauchbaren Teile nummeriert und katalogisiert, damit sie später im Neubau wiederverwendet werden konnten. Nachdem das Abbauen erledigt war, zog der Trupp zum nächsten Schrein weiter, ein absichtlich ausgewählter, der bloß gereinigt werden musste, da Carbo es vermeiden wollte, dass alle maroden Schreine gleichzeitig abgebaut wurden und es darüber vielleicht Verärgerungen in der Bevölkerung geben könnte. So hatte er vor immer nur einen Schrein auf einmal abzubauen. Zum Glück waren es nur ein paar, bei denen das wirklich nötig war. Die weiteren Arbeiten bei diesem speziellen Schrein übernahm dann eine eigene Spezialgruppe, die aus zwei Steinmetzen und einem Bildhauer bestand, die unter Verwendung der aufgehobenen Spolien den neuen Larenschrein aus diversen Gesteinen und Marmoren herauszuzimmern hatten. Auch ein Maler war schon gefunden und damit beauftragt worden sich um die neue Malerei des Geisterheiligtums zu kümmern. So nahm der Schrein nach und nach seine neue Form an Ort und Stelle an, während die beiden anderen Trupps weiterhin durch die Stadt zogen, um die zu reinigenden Schreine zu reinigen, ehe der erste vollkommen fertig und bereit zur Einweihung wäre und der nächste baufällige Kandidat bereit zur Erneuerung wäre und dann immer so weiter, alles zusammengehalten durch Carbos dichte Strukturplanung und zeitliche und ressourcentechnische Organisation.

  • "...ist es mir hiermit eine große Freude diesen Schrein der Öffentlichkeit zu übergeben", endete Carbo nach der Weihe und tosender Applaus brandete auf, während er grinsend und stolz auf den fertigen Larenschein, auf dem in der Malerei sein Wappen prangte, das er für sich verwendete, seit er dieses Amt inne hatte; ein doppelfischschwänziger Wassergott als Symbol für Danuvius, dem großen norischen Flussgott seiner Heimat. Mittlerweile war dieses Wappen als Zeichen Carbos bekannt bei einigen Leuten, da es auf inzwischen drei neu gebauten und fertiggestellten Larenschreinen erstrahlte, inklusive dem gerade eingeweihten Bau (auch Carbos amtliche Verkündungen nicht zu vergessen, wo er es ebenfalls verwendete).


    Es hatte sich gerade der Applaus wieder gelegt und Carbo wollte sich abwenden, um sich dem Tagesgeschäft zu widmen, als da Titus in der Menge auftauchte und sich zu ihm durchboxte. Er zog Carbo am Ärmel und dieser drehte sich zu ihm um. "Es ist aussichtslos, die Schmierereien lassen sich nicht restlos entfernen, ohne, dass die Grundsubstanz des Schreins irreparablen Schaden nimmt." raunte er ihm zu. Mittlerweile hatte er sich in seinem Botendasein abgefunden und motzte nicht mehr ganz so häufig darüber. Carbo brummte. "Und wenn man es einfach kitten und übermalen würde?"
    "Alles schon versucht, doch die abgeschlagenen Teile haben zu große Löcher im Bau hinterlassen. Man könnte sie natürlich anstückeln, doch wie lange würde das halten?" Ein Seuftzer entfuhr dem Magister Vici, während er sich umdrehte und überlegte. "Geld für noch einen Neubau ist einfach nicht mehr drinn im Budget", sprach er mehr zu sich selbst als zu Titus. Was sollte er also tun? Das war vielleicht die Gelegenheit, um sein Vorhaben anzufangen, eine eigene Aedicula der Stadt zu spenden. Doch an jenem abgelegenen Standort, wo bereits jetzt schon einer stand? Offenbar musste er sich entscheiden; entweder Extrageld organisieren und diesen Schrein ersetzen, dafür aber auf den Bau einer eigenen Aedicula verzichten , oder ihn bloß die geplante Reinigung im Rahmen des Budgets zukommen zu lassen und das noch zu beschaffende Extrageld für eine eigene Aedicula verwenden?
    Nun gut, kam dieser Punkt also auf seine gut gefüllte Liste an offenen Posten. "Wie stehen die Arbeiten bei den übrigen Schreinen?" fragte er deshalb. "Die Grundreinigungen konnten alle abgeschlossen werden, es fehlt nur noch der mit den germanischen Runen. Bei den Neubauten muss nur noch einer in Angriff genommen werden, dann ist auch dies vollendet." meinte Titus mit kurzem Kontrollblick auf seine Tabulae. Wenigstens das waren gute Nachrichten. "Gut, gibt es sonst noch etwas?" Titus prüfte kurz seine Notizen. "Ein Händler namens Asinus benötigt später deine Hilfe, Magister Vici, ich habe ihm gesagt, er soll zur Mittagsstunde am Eingang der Curia Mogontiaci auf dich warten, ansonsten jedoch nichts im Moment."
    "Ich kümmere mich darum, danke, das wäre alles für heute, du kannst nachhause gehen." Sein Scriba nickte und wandte sich zum Gehen. Carbo, indessen, wandte sich wieder zum soeben eingeweihten Schrein um, wo bereits ein zwei Vicani mit dem einen, oder anderen Anliegen auf ihn zukamen.

  • Norijs Carbos' größtes Projekt während seiner Amtszeit, der Renovierung der Larenschreine, näherte sich dem Abschluss. Alle Schreine waren gereinigt worden und erstrahlten in neuem Glanz. Der Marmor erstrahlte wieder in blütenweißem Schein, beschädigte, oder abgebrochene Teile waren ersetzt worden und die auf den Schreinen zu sehenden Malereien waren wieder gestochen scharf zu sehen in ihren kräftigen Farben. Auch die neu zu errichtenden Larenschreine standen allesamt wieder und waren eingeweiht. Bei ihnen war das besondere, dass Carbo in den Malerein dezent sein Wappen, den doppelfischschwänzigen Flussgott einarbeiten hatte lassen, so wie das auch schon frühere Amtsvorgänger von ihm beim Neubau eines Schreines gehandhabt hatten.


    Alle Schreine waren also abgeschlossen, alle bis auf einen.
    Carbo stand vor dem erbärmlichen Stückwerk von Schrein, der über und über mit germanischen Runen beschmiert war. Dieser Schrein hatte Carbo bereits in seinen Alpträumen verfolgt, war er doch in eine weit dunklere Geschichte verwickelt. Die Rettungsversuche des Bauwerks durch einen von Carbos Renovierungstrupps, hatten dem Schrein eher noch mehr geschadet, als genutzt. Überall sah man, wo man die Oberfläche abgekratzt hatte, um eingemeisselte Runen zu entfernen und um die aufgemalten Schmähungen loszuwerden hatte man kurzerhand den ganzen Schrein übermalt. Leider jedoch hatte man die abgeschlagenen Stellen erst später versucht zu ersetzen (was teils sowieso misslungen war, oder völlig schräg aussah) und dann noch einmal darübergemalt, das zu allem auch noch mit einem anderen Weiß-Ton, sodass man deutlich die unterschiedlichen Renovierungsschichten ausmachen konnte. Ein Graus von einem Flickenteppich, der sich Larenschrein schimpfte.


    Nun, da er das Geld (dank Asinus) dafür hatte, war es Carbo mehr als ein Vergnügen, diesen Schandfleck endlich und entgültig vom Erdboden zu tilgen und durch einen makellosen Neubau zu ersetzen. Nichts sollte mehr auf die unrühmliche Vergangenheit und die Rolle dieses Schreins hinweisen, die er bei dem germanischen Komplott gespielt hatte. So sah Carbo ihn nur noch einen Moment voller Verachtung an, ehe er dann dem hinter ihm wartenden Bautrupp befahl: "Reißt das verdammte Ding ein, ich will nicht den Hauch eines Überrests davon je wieder sehen müssen."
    Die Arbeiter traten vor und begannen damit den geschändeten Larenschrein mit ihren Spitzhacken zu bearbeiten...

  • Der, etwas abgelegene, Platz, unweit des nordwestlichen Stadttores, war kaum wiederzuerkennen mit seinem prächtigen neuen Larenschrein. Carbo stand dort und war mehr als stolz auf seine Baukumpane. Sie hatten ganze Arbeit geleistet, nichts deutete mehr auf den Schandfleck hin, der sich hier einst befunden hatte. So war es Carbo eine ganz besondere Freude, den Schrein in seiner Anwesenheit von einem kundigen Aedituus einweihen zu lassen und ihn anschließend der Öffentlichkeit zu übergeben. Dann würde nur noch eine letzte Tat in dieser Geschichte fehlen...


    Eine Woche später war es dann soweit. Es war die letzte von Carbos Amtszeit. Direkt am Morgen stand er auf und streckte sich zuerst einmal ordentlich. Anschließend ging er an sein morgendliches Opferritual an die lares vicani, indem er zu ihren Ehren Weihrauch verbrannte und ein Trankopfer darbrachte durch das Ausgießen von Wein über seiner Patera. Auch diese Opfer würden schon sehr bald enden, wenn Carbo erst wieder Privatmann wäre. Danach machte er sich ausgehfertig und eilte zu einer großen Straßenkreuzung im Nordosten der Stadt. Hier hatten die letzten noch angestellten Steinmetze und Bildhauer in den letzten Tagen an jener persönlichen Aedicula gearbeitet, die Carbo von sich aus Mogontiacum stiften wollte, um damit die Laren zu ehren, genauso wie der Stadt ein dauerhaftes Denkmal seiner Amtszeit zu hinterlassen. Es war ein hübsches kleines Podest aus cremefarbenem Marmor, darauf befand sich die Aedicula mit dem aufgemalten Larenbildnis, das alles abgedeckt durch ein Dächlein. Es waren auch seitlich am Marmorpodest Carbos Wappen, der doppelfischschwänzige Flussgott, sowie eine Inschrift darauf zu sehen, die im üblichen, abgekürzten Latein besagte:


    DER MAGISTER VICI
    NORIUS CARBO
    HAT DIES IM VIERTEN REGIERUNGSJAHRE DES
    IMPERATOR CAESAR AUGUSTUS
    TIBERIUS AQUILIUS SEVERUS
    IM JAHRE ACHTHUNDERTNEUNUNDSECHZIG
    SEIT GRÜNDUNG DER STADT
    ERRICHTEN UND WEIHEN LASSEN


    Nachdem auch dieser Schrein der Öffentlichkeit übergeben war, war es endlich vollbracht, die Renovierung der Larenschreine war abgeschlossen! Wohin man ging, erstrahlten diese kleinen Heiligtümer in ihrem neuen Glanz, keiner, der einen Makel aufzuweisen hätte. Die Leute konnten guten Gewissens ihren Arbeiten nachgehen, darauf vertrauend, dass ihr Verhältnis zu den Geistern der Wegkreuzungen, dank der Arbeit Carbos, bestmöglich ausgestaltet und mehr als positiv war. Immerhin hatten sie sogar einen Schrein mehr hinzugewonnen, als am Anfang da gewesen waren, was wollte man als Kreuzungsgeist da mehr?

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