Es war durchaus schon etwas kühler als z.B. im Sommer, doch der klare Himmel der sich heute zeigte ohne jeden Wolkenfetzen und die warmen Strahlen der Sonne mussten Caesoninus heute einfach aus dem Haus locken. Einiges Volk war auf den Straßen Roms unterwegs und helles Stimmengewirr erfüllte die Gassen und Plätze. Er erfreute sich an all diesen Leuten um ihn herum. Doch wohin sollte ihn sein Weg führen? Sollte Caesoninus zum Forum Romanum schauen und den Rednern lauschen? Oder besser auf einen der Märkte, oder in eine Taverne? Während er so überlegte sah er über sich einen Vogel fliegen. Ach, der hatte es gut. Er konnte fliegen wohin er wollte. Den hielten keine Zäune, oder Mauern. Die Mauern! Das war eine Idee. Ein Spaziergang um die Stadtmauern sollte es werden.
Trotz dass die nähere Umgebung um Rom natürlich landwirtschaftlich erschlossen war, doch gab es direkt an der Mauer noch einige Büsche und Wiesen, die einem als malerischer Hintergrund für einen wunderschönen Spaziergang dienen konnte. Caesoninus wusste auch schon welche Route er nehmen wollte.
Nach Südosten durch die Stadt sollte ihn sein Weg führen, dann durch die Porta Capena hindurch, vonwo aus die Via Appia begann und dann auf freiem Terrain in Richtung Süden die Mauer entlang und an der Porta Naevia vorbei immer weiter, bis er um den Mauerspitz herum wieder nach Nordwesten abschwenkte und die Ewige Stadt wieder durch die Porta Lavernalis betreten würde. Ein wunderschöner kleiner Spaziergang also.
Schon bald hatte er nach Beginn seines Ausgangs den Circus Maximus passiert und nicht viel später das erste der genannten Tore hinter sich. Caesoninus stand somit jetzt am Beginn der Königin aller Straßen, der Via Appia. Diese majestätische, breit ausgebaute Hauptverkehrsader verband Rom mit der kampanischen Stadt Capua und danach weiter bis nach Brundisium an der Küste des italienischen Stiefels. Schon von der Porta Capena aus konnte man so einige Grabmäler und Tavernen ausmachen, die diese wichtigste aller römischen Ausfallstraßen der Länge nach säumten. Einen Moment war Caesoninus versucht einfach auf der Via Appia weiter nach Süden zu marschieren, doch nein, heute nicht. Er gab sich einen Ruck und verließ nach einigen Schrittlängen die Straße nach rechts, hinein ins sonnendurchflutete lockere Buschwerk. Was mussten die Götter heute nur für eine gute Laune haben, dachte er. Solch schönes Wetter hatte es schon lange nicht mehr gegeben und mit derart guten Sichtverhältnissen und trockenem Boden kam er rasch voran. Die Vögelein sangen ihr Lied und allerhand Kleinigkeiten gab es da und dort zu entdecken. Einmal sah Caesoninus eine kleine Feldmaus rasch in ihr Erdloch huschen, ein anderes Mal bemerkte er in der Ferne einen Bauern, der sein Feld bestellte. Was er wohl um diese Jahreszeit dort treiben mochte? Caesoninus blieb eine Weile stehen, um ihn zu beobachten, ehe er dann weiterging, nicht schlauer geworden, als zuvor. Nachdem er um den breitesten Südbogen der Mauer herum war, ging er wieder gemächlichen Schrittes nach Norden.
In der Ferne war schon sein Ziel, die Porta Lavernalis, in Sicht und in ihrer Nähe war auch der Verkehr auf der Via Ostiensis zu erkennen, jener wichtigen Ausfallstraße, die Rom mit seinem Hafen Ostia verband. Sie führte nicht direkt zur Porta Lavernalis, sondern westlich von dieser vorbei noch weiter nördlich, bis sie bei der Porta Trigemina Rom erreichte. Jedoch zweigte von der Via Ostiensis jene Straße ab, die zu Caesoninus' Zieltor führte und auch den Vicus Armilustri mit der genannten Fernstraße verband. Einiges Volk war auf den Straßen unterwegs. Auch einige Karren, die jedoch noch einige Stunden vor den Mauern Roms ausharren müssten, ehe es dunkel werden würde und sie dann erst passieren dürften.
Caesoninus spazierte gemütlich in Richtung Tor, als er da plötzlich von einem hohen, schwachen Fiepen abgelenkt wurde. Es war etwas daran, das ihn aufhorchen ließ. Es klang irgendwie "gedrängter", als er dies von Vögeln gewohnt war und so gab er seiner Neugierde nach und wollte erkunden, was die Quelle dieser Laute war. Caesoninus musste nicht lange suchen, denn schnell war die Quelle ermittelt. Es war ein ganz junges Turmfalkenweibchen (zu erkennen am nicht grauen Kopfgefieder), das am Rücken liegend mit gebrochenem rechten Flügel herumschaukelte und rief. "Oh, was ist denn mit dir passiert, kleiner Kerl? murmelte Caesoninus mitleidig, ehe er sich dem Turmfalkenweibchen langsam näherte. Dieses hatte sein Kommen bemerkt und fasste ihn scharf ins Auge. Er musste dem armen Tier helfen! Doch wie nur? Er war kein Heilkundiger und die Falkendame litt offenbar unter Schmerzen. Kurz blickte Caesoninus zur Servianischen Mauer vor sich. Sollte er Hilfe holen? Oder besser den Vogel schnappen und zu einem Heiler bringen? Hmm...er bezweifete, dass vielbeschäftigte Medici und andere Meister bloß wegen eines verletzten Vogels ihre menschlichen Patienten verlassen würden....also blieb ihm nur noch übrig den Vogel irgendwie zu transportieren, ohne Schaden anzurichten.