Molosserspaziergang - Einohr, Stumpfnase und Reißzahn mit Grian und Silas

  • Von der Casa Decima hatten sie den schnellsten Weg aus der Stadt heraus genommen, quer über die Via Tusculana, durchs Stadttor und dann vorbei am Minerva-Medica-Tempel in die maecenatischen Parkanlagen.
    Die Molosserhunde zogen ganz schön, hüpften ungeduldig, ihre Schlappohren wackelten und die Gesichtsfalten schwabbelten, sie wedelten mit den Schwänzen, als es hinaus ins Grüne ging, schnüffelten eifrig am Wegesrand. Silas hatte, wenn er die Hunde ausführte, immer mehr das Gefühl, dass sie ihn ausführten, und war darum gerade, ganz unabhängig von seinem Sonder-Spezial-Auftrag, froh, dass Grian mit dabei war.
    Das Wetter war schön, und einige Spaziergänger genossen geruhsam die Gärten. Die Molosser fingen immer gleich an zu bellen und sich wichtig zu machen, wenn jemand auf sie zu kam, darum steuerte Silas den hinteren Bereich der Anlagen an, wo es ins Brachland überging und kaum Leute waren.

  • Die Hunde freuten sich wie Bolle darauf, endlich rauszukommen. Da ging es ihnen genauso wie mir. Sie zogen ordentlich an ihren Leinen und ich musste echt aufpassen, dass Einohr sich nicht losriss, sobald uns jemand entgegen kam. Es bedurfte doch schon einige Kraft, die Viecher in Schach zu halten. Aber das machte mir nichts aus. Doch nach einiger Zeit hatte Silas einen Weg eingeschlagen, auf dem uns nur noch selten Leute entgegen kamen.


    Bisher hatten wir kaum ein Wort gewechselt, seitdem er mich zum Hundespaziergang eingeladen hatte und wir die Casa verlassen hatten. Überhaupt wusste ich nicht besonders viel über Silas. Außer das er im Hause geboren worden war und seine ganze Familie auch den Decimern diente. Daher dachte ich, es wäre doch eine gute Idee, sich mit Silas ein wenig zu unterhalten.
    „Führst du öfters die Hunde aus?“ Ich sah zu dem Jungen hinüber, der nun direkt auf gleicher Höhe neben mir lief. Wie alt er wohl sein mochte? Ich schätzte ihn mal auf vierzehn oder fünfzehn Jahre.
    „Echt schön, dass du mich mitgenommen hast!“, sagte ich lächelnd. Ich musste kaum noch an Philodemos, den blöden Affen denken.

  • "Normalerweise macht's Paulinus, aber ich helf ihm oft" antwortete Silas, und wurde ein Stück nach vorne gerissen, als Stumpfnase einen fröhlichen Satz ins Gebüsch machte. "Wir sind beste Kumpels. Bei ihm hören sie auch ziemlich gut..." Silas versuchte, die große Hündin zurück auf den Weg zu ziehen und gleichzeitig Reißzahn nicht zu verlieren. "Stumpfnase, komm!"
    Aber sie hatte etwas Interessantes gerochen, schnüffelte wie eine Wilde zwischen dem welken Herbstlaub herum und fing an zu buddeln. Da blieb Silas eben stehen und ließ sie buddeln.
    "Bei mir nicht so. Aber ich bin eigentlich auch Mundschenk, das ist meine Aufgabe, nur trinken halt die Herrschaften nicht den ganzen Tag Wein."
    Paulinus ließ die Hunde in einiger Entfernung von der Stadt manchmal heimlich sogar frei laufen. Das traute Silas sich nicht. Besonders heute wollte er sich keinen Patzer leisten, denn Dominus Serapio hatte ihm versprochen, ihn in den nächsten Tagen auf dem Streitwagen mit nach Ostia zu nehmen, und das wollte Silas sich nicht versauen.


    Das Lächeln von Grian ließ gleich wieder einen Anflug von Röte auf seinen Wangen entstehen.
    "Meine Mama sagt immer, wenn einem schon der Rauch aus den Ohren kommt, soll man lieber erst mal eine Runde durch den Wald gehen."
    Oh Mann! Warum war ihm jetzt ausgerechnet ein Spruch von seiner Mama rausgerutscht?! Wie mega-blöd, Grian musste ihn ja für einen kleinen Bub halten, dabei war Silas schon fünfzehneinhalb und ein Mann.
    "Du kennst dich mit Hunden aus, nicht wahr?" Sie war gar nicht zimperlich. "Was... ähm... machst du... ähm... normalerweise so?"

  • Auch Einohr zog nicht minder an seiner Leine. Die Schnauze hielt er knapp über dem Boden gestreckt und begann zu schnüffeln. Es schien so, als habe er eine Witterung aufgenommen. Vielleicht war an der Stelle kurz zuvor ein Kaninchen entlang gehoppelt oder eine Maus lang getippelt. Aber vielleicht suchte er sich auch nur die passende Stelle, um sein Geschäft zu verrichten, was er dann auch prompt tat. Ich hielt notgedrungen an, um auf den Hund zu warten, während Silas schon ein Stück weiter gezogen wurde.


    „Paulinus, aha!“, meinte ich dann, was ja auch logisch war. Schließlich war er ja auch Stallbursche. Einohr hatte sich wieder in Bewegung gesetzt, so dass ich Silas bald wieder einholen konnte. Diesmal war es Reißzahn, die schnüffelte und zu graben begann. Ich zog an Einohrs Leine, um ihm zu signalisieren, dass er kurz stehenbleiben sollte, denn ich wollte nicht, dass meine Unterhaltung mit Silas abbrach.
    „Also dann hilfst du Paulinus nur mal gelegentlich aus, weil er dein Kumpel ist. Verstehe.“ Na klar, wenn seine Hauptaufgabe nur die des Mundschenks war, dann hatte er doch jede Menge „freie Zeit“, die er mit anderen Arbeiten füllte. Anscheinend kam er dabei nicht auf so dumme Ideen, wie ich sie gelegentlich hatte.
    Ich erwiderte sein Lächeln und musste leise kichern, als ich sein Erröten bemerkte. Anscheinend hatte er noch nicht so viel Erfahrung mit Mädchen oder überhaupt mit Frauen. Mal abgesehen von seinen Schwestern. Aber das war ja auch etwas völlig anderes.


    „Deine Mama hat vollkommen Recht!“, antwortete ich, denn ich merkte, wie es ihm peinlich war, über seine Mama zu sprechen. „Sei froh, dass du noch eine hast! Eine Mama, meine ich.“ Es lag ein wenig Wehmut in meiner Stimme. Zwar konnte ich mich kaum noch an meine Eltern erinnern, doch ich wusste genau, wie es war, wenn man auf sich allein gestellt war.


    „Na ja, ein bisschen kenne ich mich mit ihnen aus. Mein Papa hatte auch welche. Zur Jagd.“ Es war bestimmt eine gefühlte Ewigkeit her, seit ich meinen Vater Papa genannt hatte. „Damals war ich noch klein. Ich habe oft mit den Hunden gespielt. Ja und später war ich bei einem Dominus, der auch Hunde hatte.“ Die hatte er genauso schlecht behandelt, wie mich. Manchmal hatte ich mich mit ihnen um das Essen streiten müssen. Zum Glück waren diese Zeiten längst vorbei!


    „Ach na ja, eigentlich soll ich mich um meinen Dominus kümmern. Du weißt schon, sein Cubiculum sauber halten, mich um seine Wäsche kümmern und seinen Bedürfnissen entsprechen.“ Was das auch immer heißen sollte. „Aber du hast sicher schon selbst gemerkt, dass er in letzter Zeit kaum zu Hause ist.“ Also hatte ich auch jede Menge ‚freie Zeit‘, die meist Rhea zu füllen wusste.


    „Und, hast du schon eine Freundin?“ Ein so hübscher Kerl wie Silas konnte sich garantiert kaum vor den Mädels retten. Ich dachte gar nicht daran, dass ihm meine Frage vielleicht peinlich sein könnte. Dummerweise sprach ich eben immer alles laut aus, was ich dachte, ohne vorher nachzudenken. Auch so ein Fehler von mir.

  • Galt dieses Kichern ihm? Silas rieb sich verlegen die Nase. Dass Mädchen immer so kichern mussten. Dann wiederum brachte Grian genau den Spruch, den er immer wieder hören musste, wenn er sich über seine nervtötenden Eltern beschwerte. 'Sei froh, dass du sie noch hast!'
    Silas rollte die Augen gen Himmel. Natürlich hatte er seine Eltern doll lieb, aber sie wurden in den letzten Jahren eben immer, immer schwieriger, gluckten rum wie blöde, verlangten mal von ihm, erwachsen zu sein (wenn es zu Arbeiten galt, oder wenn Susaria ihn biestig anzickte), dann wieder behandelten sie ihn wie ein kleines Kind und wollten ihm alles, was Spaß machte, verbieten. Dabei waren sie auch nur Sklaven und hatten auch zu spuren vor der Vilica und den Herrschaften.


    Aber traurig hatte Grian ausgesehen, als sie das sagte. Natürlich, die wenigsten Sklaven hatten heile Familien. Sklavenmarkt, der Horror! Die Hunde rumorten im Gebüsch herum, und für den Augenblick konnte Silas sich ganz in Ruhe mit Grian unterhalten.
    "Bist du frei geboren?" fragte er neugierig nach. "Dann war dein Papa ein Jäger?" Oder sogar ein Krieger? Wie spannend! "Wo hast du gewohnt?"
    Ihn beschäftigte noch immer sehr die Frage, inwiefern Sklaven und Herrschaften sich unterschieden. So im Inneren, im Kern, das Äußere war ja klar. Wenn man erst frei war und dann versklavt wurde, so wie Silas' Großvater, der glücklose Glücksspieler – veränderte sich dann etwas im Inneren?
    "Mit Dominus Casca hast du es aber gut getroffen. Er ist der allernetteste von allen. Wenn er da ist. Er sieht alles nicht so eng und spielt manchmal Brettspiele mit mir. Domina Valentina ist ganz traurig, dass er immer im Cultus so viel zu tun hat. Meine Schwester hat einen tollen Hochzeitskuchen für die beiden entworfen, mit ganz viel Rosen und Ziegen verziert... aus Konfekt mein ich natürlich, die Rosen und Ziegen.... aber Candace findet, es ist gerade nicht der richtige Moment um der Domina das zu zeigen."
    Darum hatte Olivia die Pläne beiseite gepackt.


    Eine Freundin? Silas spürte die heiße Röte in seinen Wangen - oh nein, nicht schon wieder! - schlug peinlich berührt die Augen nieder und lachte verlegen, als diese Traumfrau ihn einfach sowas fragte! Seit kurzem erst, seit der Heilung von den schlimmen Pickeln, schauten ihn die Mädchen überhaupt an (Lupae zählten ja nicht), und eine Weile war Nachbars Camilla mit ihm gegangen, die Freundschaft mit Paulinus auf eine harte Probe stellend, aber dann hatte sie sich diesem Deppen von Gärtnerburschen zugewandt und Silas' Herz gebrochen, aber er war immer noch verliebt in sie. Alle liebten Camilla. Wenn sie den Hof betrat, um die Hühner zu füttern, ging die Sonne auf.
    "Uh... ähm.... also... gerade nichts festes." Silas fasste seinen Mut zusammen und gab die Frage zurück. "Und du?"
    Philodemus' Beschreibung spukte natürlich in Silas' Kopf herum und er musste sich gerade sehr drauf konzentrieren, Grian in die Augen zu gucken anstatt eine Etage tiefer.

  • Ja, ich war auch traurig! Nicht umsonst versuchte ich so wenig wie möglich an damals zu denken, als ich noch meine Eltern hatte und alles noch gut war. Aber es gab einfach Dinge, die man nie vergisst, ganz egal, wie lange sie schon her waren. Der Tag, an dem Papa mir einen Welpen mitgebracht hatte zum Beispiel. Der Tag, an dem Mama mit mir geschimpft hatte und ich vor lauter Wut davongelaufen war oder der Tag, an dem mir unsere Nachbarin sagte, meine Eltern seien bei einem Unfall ums Leben gekommen. Der Tag an dem mich fremde Männer gepackt hatten und mich aus unserem Haus gezerrt hatten, nachdem sie mir gesagt hatten, es sei nicht mehr unser Haus und ich müsse die Schulden meines Vaters begleichen. Mist, jetzt kam das alles wieder hoch und auch der Schmerz, der mein Inneres ergriff und meine Augen feucht werden ließ.


    „Ja, bin ich“, sagte ich knapp mit belegter Stimme und versuchte nicht wieder loszuheulen. „Wir hatten einen Hof in der Nähe von Augustonemetum in Gallien. Aber das ist schon so lange her.“ Nur noch spärlich konnte ich mich an die wilde Landschaft erinnern und an die grünen Berge. Immer wenn ich nachts weinend auf meinem Lager gelegen hatte als ich noch jünger war, versuchte ich die Bilder in meinem Kopf wachzuhalten. Doch allmählich begannen meine Erinnerungen zu verblassen.


    Silas‘ Einwurf brachte mich dann wieder aus meinen Gedanken zurück. Ja, das stimmte wohl, was er da sagte. Das hatte ich schon an meinem ersten Tag begriffen, das Dominus Casca ein guter Dominus war. Deswegen war ich ja auch immer so bemüht, nicht unangenehm aufzufallen. Nur schaffte ich es einfach nicht. Immer wieder scheiterte ich an mir selbst. Vielleicht weil mich nie jemand an die Hand genommen hatte und sich um mich gekümmert hatte und weil ich nie wirklich etwas Richtiges gelernt hatte.


    „Ich würde auch gerne mal so was Tolles machen können“, warf ich plötzlich ein, als er so anerkennend von seiner Schwester sprach. „Aber alles, was ich anfange, geht schief. Und irgendwann passiert dann das, was bisher jedes Mal passiert ist, wenn ich zu viel Murks gemacht habe: Ab zum Sklavenmarkt!“ Das letzte Wort untermalte ich mit einer passenden Handbewegung – Daumen nach unten. „Mich wundert es echt, dass man mich noch dahin zurück verfrachtet hat, nach allem, was ich mir mit Dominus Serapio geleistet hab.“ Bestimmt hatte Silas davon gehört. Wahrscheinlich hatte es sich schon überall herumgesprochen. Genauso wie die blöde Sache mit dem blöden Philomenus.


    Anscheinend hatte ich mich geradewegs bereits zum nächsten Fettnäpfchen aufgemacht, als ich mich nach Silas‘ Beziehungsstatus erkundigt hatte. Das Thema war ihm sichtlich unangenehm, so rot wie er plötzlich wurde. Und natürlich hatte er nichts Festes. Wahrscheinlich hätte er auch nichts erzählt, wenn es anders gewesen wäre. Da war es nur fair, dass er mir dieselbe Frage stellte. „Och, bei mir ist es genauso. Ich hab nix am Laufen. Oder meinst du, ich fang mit was mit dem Volldepp Philodemus was an?“

  • Das hätte Silas wohl besser nicht fragen sollen, mit dem freigeboren sein, es machte Grian noch trauriger. Er kannte das von seiner Mama, die manchmal, nur ganz selten, wehmütig ein bisschen was von früher erzählte, von ihrer alten Heimat, und Geschichten von den tiefen, tiefen Wäldern, in denen wilde Wesen hausten, und unter der Erde Dwergaz, die kunstfertigen Schmiede, und von der Herrin Frija, die alles wachsen ließ, viel grüner als hier, und wie die Riesen sie geraubt hatten. Anders als die Herrin Frija hatte niemand seine Mama zurückgeraubt. Sie sagte immer, dass sie sich an Rom gewöhnt hatte, dankbar für ihren Mann und ihre Kinder war und gar nicht mehr zurück wollen würde, aber wenn sie von damals sprach, war ihre Stimme komisch, so ähnlich wie gerade die von Grian.
    Silas sah auf die Pinien am Wegesrand, auf silbergrüne Sträucher und einen noch immer blühenden Zitronenbaum. Langweilig. Er kannte nichts anderes als Rom und ein bisschen drumherum. Da draußen lag eine ganze Welt, und er war dazu verurteilt, immer nur in den gleichen vier Wänden rumzuhängen und Wein einzugiessen... oder höchstens mal die Hunde auszuführen.


    "Ich auch!!" stimmte er heftig zu, als Grian meinte, sie würde gern was Tolles machen. Aber was? Gelegenheiten für Heldentaten gab es nicht im öden Alltag der Casa.
    Als sie vom Sklavenmarkt sprach, war er ehrlich bestürzt.
    "Echt, du bist mehrmals schon verkauft worden?! Du Arme! Ich würd sterben, wenn ich da stehen müsste, ich schwör!"
    Darauf grub er die Zähne in die Unterlippe, um sich jetzt nicht zu verplappern. Denn Dominus Serapio war ja der, der ihm gesagt hatte, Grian könne gefährlich sein, er solle ihr mal auf den Zahn fühlen. Silas konnte sich aber nicht vorstellen, dass eine so nette und schöne Frau gefährlich sein könnte.
    "Was hast du gemacht?" fragte er verschwörerisch. "Für Murks? Und mit dem Dominus?" Die Tratschtanten des Hauses sagten, es sei wohl ganz schlecht gelaufen im Theater ('das hat der Dominus davon, eine Dahergelaufene vom Markt mitzunehmen anstatt eine von uns'), aber die Gerüchte waren vage. "Dominus Serapio ist auch sehr nett. Er hat mir versprochen, dass er mich bald schon auf seinem Streitwagen mitnimmt, wenn er nach Ostia fährt. Weil ich geholfen habe, seinen Wagen zu reparieren." Doch, das war was Tolles! Silas' Augen leuchteten jedenfalls vor Vorfreude auf den Ausflug.
    Ganz lässig antwortete Grian auf seine Frage. Nix am Laufen, alles klar.
    "Philodemus spielt sich immer auf, keiner hört auf sein Blablabla."
    Mit wem Grian was anfangen würde oder nicht, das... war wohl ausserhalb von Silas' Liga zu beurteilen. Schüchtern zuckte er die Schultern. Eine Frau wie sie konnte sich bestimmt aussuchen wen sie wollte. Wahrscheinlich würde sie einen Leibwächter nehmen, die hatten immer Glück bei den Frauen, oder einen von den weltgewandten Weitgereisten aus Dominus Scapulas Tross.

  • Ich sah Silas fragend an und wunderte mich ein wenig, als er meinte, er würde auch gerne was Tolles können. Tat er das nicht schon bereits? Er hatte einen festen Platz, an dem er bleiben konnte, eine Familie, die ihn liebte und eine Aufgabe, in der er mit der Zeit noch weiter wachsen konnte, so dass sein Dominus mit ihm voll zufrieden sein konnte. „Du kannst doch schon viele tolle Sachen! Und du wirst garantiert noch mehr dazulernen mit der Zeit.“ Wie das allerdings bei mir aussah und überhaupt, wie lange ich noch Zeit hatte, stand in den Sternen. Der Gedanke an den Sklavenmarkt hing immer wie ein Damoklesschwert über mir. Wahrscheinlich ging auch deshalb immer alles schief.


    „Ja, ich wurde schon ziemlich oft verkauft. Und ich kann dir sagen, es ist echt ein mieses Gefühl, dort oben stehen zu müssen. Das Schlimmste ist dann, wenn du bei so einem miesen Drecksack oder einem Totalversager landest, der dich schlägt, weil er die Wahrheit über sich nicht vertragen kann.“ Oh ja, ich hatte schon sehr viele Facetten der Gattung Mensch kennenlernen dürfen. Ein paar weniger, wären auch ausreichend gewesen. „Mein erster Dominus war eigentlich ganz nett gewesen. Er lebte mit seiner Frau und seinen Kindern in Colonia Agrippinensum in Germanien und hatte es im Laufe seines Lebens zu etwas gebracht. Ich war für ihn wie ein weiteres eigenes Kind. Ich durfte sogar mit seinen Kindern Lesen und Schreiben lernen und ich bekam immer reichlich. Dumm nur, dass er so ein paar krumme Geschäfte am Laufen gehabt hatte, von denen nicht mal seine Frau wusste und er dann richtigen Ärger mit der Obrigkeit kriegte.“ Dumm für mich, denn was dann kam, war alles andere als Schön. „Danach wurde ich an einen fahrenden Händler verhökert, der den Leuten eine selbstgebraute Wundermedizin andrehte. Klar, es war toll, mit ihm so durch die Lande zu tingeln. Aber als ich seinen Kunden erzählte, wofür sie in Wirklichkeit ihr Geld ausgegeben hatten, wurde er richtig sauer.“ Der Typ hatte mir das richtig übel genommen. besonders dann, als er unter Androhung von Waffengewalt aus einem norischen Kaff hinauskomplimentiert wurde. „Na ja, was danach kam, war auch nicht viel besser. Eher schlechter. Als ich so ungefähr dreizehn oder vierzehn war, wollte mir mein damaliger Dominus an die Wäsche. Ich hab mich gewährt. Dabei ist dann dummerweise eine Kanne zu Bruch gegangen, die ich ihm über den Schädel gezogen hatte. Schade nur, dass der Dreckskerl nicht auch den Löffel abgeben hatte. Mein lieber Schwan, danach hatte ich was erleben können!“ Ein paar meiner Narben auf meinem Rücken rührten davon her. Ich hätte ihm sicher noch stundenlang von meinen zweifelhaften Begegnungen mit meinen zahlreichen Vorbesitzern erzählen können, aber das hätte Silas sicher irgendwann gelangweilt. Zumal das alles Schnee von gestern und vorgestern war. „Aber jetzt kannst du dir sicher vorstellen, wie froh ich bin, bei den Decimern gelandet zu sein. In so‘ nem vornehmen Haus war ich vorher noch nie. Und klar, Dominus Casca und Dominus Serapio sind tausendmal besser als die ganzen Vollpfosten, denen ich vorher gehört habe. Doch genau darin liegt das Problem, denn manchmal mach ich richtig dumme Sachen. Bei Dominus Serapio zum Beispiel. Letztens im Theater hab ich was ganz Dummes gesagt und damit zwei fremde Damen erschreckt. Seitdem bin ich, glaube ich, bei ihm unten durch. So ein bisschen jedenfalls. Na ja, und als wir uns kennenlernten, hab ich auch was Blödes gemacht. Ich hatte mich in sein Cubiculum geschlichen, weil mich das Zeugs so interessierte, was bei ihm so rumsteht. Aber ich hab nichts geklaut! Ehrlich!“, betonte ich.
    Ob Silas auch schon mal in Dominus Serapios Cubiculum war? Wenn ja, konnte er sicher verstehen, was mich dorthin getrieben hatte. „Hast du schon mal ´ne geflügelte Sonne gesehen? Warte mal, wie hieß das gleich nochmal? Orisis-Serapio, oder so.“ Diese Truhe und die Einlegearbeit darauf, die ich bei ihm entdeckt hatte, ließen mich noch immer nicht los. Außerdem hatte mir Dominus Serapio noch immer nicht diese Geschichte erzählt. Würde er wahrscheinlich auch nicht mehr, nachdem, was im Theater gelaufen war. Hätte ich mich nur so verhalten, wie Silas, dann stünde ich noch immer in seiner Gunst!


    Als der Junge mir von Dominus Serapios Versprechen erzählte, lächelte ich anerkennend. Das war schon eine tolle Sache! „Ja, ich denke, er kann auch voll nett sein. Nur wenn man sich so dämlich benimmt, wie ich, dann eben nicht!“ Auf jeden Fall freute ich mich für Silas, denn er würde es nicht bei dem Decimer verkacken, so wie ich es getan hatte. Wenn es jemand verdient hatte, für etwas belohnt zu werden, dann Silas! Er war richtig nett und lieb. Wie sehr er sich Mühe gab, mich zu trösten. Schade, dass er noch so jung war! Aber das hielt mich nicht davon ab, ihm meine Dankbarkeit zu zeigen. „Weißt du was? Du bist echt süß!“, sagte ich, trat auf ihn zu und küsste ihn auf die Backe.

  • So toll fand Silas seine Aufgaben nicht. Klar war es nicht schlecht, Mundschenk zu sein. Es gab Schlimmeres. Und wenn er das mit dem Griechischlernen noch hinbekäme, dann könnte er sogar vielleicht mit etwas Glück bis zum Sekretär aufsteigen, dann würden seine Eltern vor Stolz platzen. Aber er hätte gern was richtig Bedeutsames und Aufregendes gemacht, etwas das zählte! Vigil sein, Rom vor Bränden beschützen, lichtscheues Gesindel zur Strecke bringen, das wär's!
    Manchmal tagträumte er, in der Casa würde eine schlimme Feuersbrunst ausbrechen, er wäre derjenige, der die Herrschaften retten würde, dann würden sie ihn zum Dank freilassen, und er könnte Vigil werden. Natürlich wünschte er sich nicht wirklich, dass ein Feuer im Haus ausbrach, natürlich war das ein kindischer Tagtraum, den er nicht mal Paulinus erzählt hatte... Und Grian würde ihn bestimmt auch auslachen, wenn sie das wüsste. Silas machte ein verdrossenes Gesicht. Keiner verstand ihn.


    Als Grian von der Odyssee, die sie hinter sich hatte, erzählte, wurde er immer betroffener. So schlecht war es im Vergleich dann wohl doch nicht in der Casa. Viermal... oder noch öfter verkauft! Auch wenn er schon viele schlimme Geschichten von Mitsklaven gehört hatte, hatte er doll Mitleid mit Grian und wußte gar nicht mehr, was er sagen sollte. Also schwieg er betreten.
    Erst als sie das Haus lobte, sagte er wieder was, denn bei allem Aufbruchsdrang war er ja doch stolz darauf, zu einem so vornehmen Haushalt zu gehören. "Es ist sogar noch vornehmer, wenn Dominus Livianus im Haus ist, der Pater familias, weil er Consular ist, und als seine Frau noch gelebt hat, die Domina Vespa, die war vom Kaiser die Nichte, das kannst du mir glauben, da war es echt piekfein bei uns."
    In die Cubicula der Herrschaften einfach reinzugehen war ein Tabu, und Silas machte große Augen, als Grian das so locker erzählte.
    "Oh, das darfst du nicht." Jetzt konnte er sich zusammenreimen, warum er Grian auf den Zahn fühlen sollte. Aber Silas wusste schon, dass er einfach nur Gutes über sie sagen würde.
    "Wie meinst du?" überlegte er dann zur Flügelsonne, "Ja schon, in Stein halt. Ich war mal mit dem Dominus bei einem Tempel, von Serapis, auf der anderen Tiberseite, für ein Opfer, da war das auch groß angebracht." Silas hatte den Wein angereicht und sich (später) über die komischen glatzköpfigen Kultbrüder lustig gemacht.
    "Du Grian! Du musst dir nicht so viel Sorgen machen!" versuchte er sie zu beruhigen und auch ein bisschen mit seinem Expertenwissen zu glänzen. "Es gibt einen Geheimtipp, nämlich Domina Valentina, die ist mega lieb, und wenn du was ausgefressen hast und Dominus Serapio sauer ist, Domina Valentina kann dich immer retten."


    Dann passierte etwas total Verrücktes. Auf einmal stand diese Traumfrau direkt vor ihm und gab ihm einen Kuss. Nur auf die Wange, aber trotzdem, Silas war wie vom Donner gerührt. Unvermeidlich war es, dass sein Kopf wieder heiß zu glühen begann, dazu wurde sein Mund ganz trocken und das Herz hämmerte wie wild.
    "... Du auch..." krächzte Silas. Groß sah er sie an. Wollte sie was von ihm??! Oder war das so ein Kuss wie ihn 'oh wie bist du süß'-säuselnde Tanten kleinen Buben gaben??! Ob er den himmelweiten Unterschied an Jahren (bestimmt mindestens drei!) vielleicht nicht doch irgendwie wett machen konnte, mit Rom-Erfahrung oder tollen Geschenken (aber woher nehmen und nicht stehlen)...
    Was er natürlich völlig vergessen hatte, das war, auf die Hunde zu achten – und als diese plötzlich, nicht einmal besonders fest, an ihren Stricken zogen, entglitten diese seiner Hand. Flink sprangen die Molosser davon, durchs Gebüsch und über eine Wiese, mit schlackernden Ohren, sich ihres Lebens freuend.
    "Verdammter Mist!!"
    Silas nahm die Verfolgung auf.
    Reißzahn! Stumpfnase! Hiiiier!"
    Er rannte hinterher und rief nach ihnen, verheißungsvoll mit einer Speckschwarte wedelnd.
    "Reißzahn! Stumpfnase! Hiiier! Kommt zurück! Speck! Lecker Speck! Hiiier!"
    Reißzahn zockelte noch ein bisschen über die Wiese, dann wälzte er sich genüsslich im Gras, und Silas konnte seinen Strick wieder erhaschen. Aber Stumpfnase war irgendetwas auf der Spur und schon halb am Horizont verschwunden.
    "Verdammter Mist."

  • Tja, in meinem recht kurzen Leben hatte ich schon eine ganze Menge erlebt. Nach den nicht so schönen Ereignissen in meiner Kindheit und Jugend, hoffte ich doch, dass nun die besseren Zeiten anbrachen. Dabei fand ich es gar nicht so schlimm, nicht frei zu sein. Denn mal ehrlich gesagt, so eine tolle Hütte, wie ich sie nun hatte, hätte ich mir nie im Leben leisten können, wenn ich frei gewesen wäre. Dennoch steckte mir immer die Angst im Nacken, einen Fehler zu begehen, der für mich, da ich ja nicht frei war, fatale Folgen haben konnte. Das war eben der Nachteil, wenn man auf die Gunst seines Dominus angewiesen war. Als Silas dann erzählte dann, dass die Casa früher noch vornehmer gewesen war, konnte ich mir das gar nicht vorstellen. „Echt?! Na ja, wenn die Chefin des Hauses die Nichte des Kaisers gewesen war…“, dann ging es wahrscheinlich schon. „Und warum wohnt der Consular und seine Frau nicht mehr in der Casa?“, wollte ich dann noch wissen, denn es musste ja irgendeinen Grund dafür geben. Und da sich Silas ja so prima mit allem auskannte, wusste er auch bestimmt eine Antwort darauf.


    Natürlich fand er es auch nicht so toll, dass ich in den Cubicula der Herrschaften herumgeschnüffelt hatte. Mittlerweile wusste ich ja selbst, dass es eine ganz dumme Idee gewesen war. Aber was konnte ich denn gegen meine Neugier machen? Als Dominus Serapio angekommen war, hatte ich einen Blick auf seine Sachen werfen können. Danach hatte ich einfach nicht mehr an mich halten können. Und als mir nun Silas erzählte, dass der Dominus ihn einmal mit in den Serapis-Tempel mitgenommen hatte, in dem er die Flügelsonne gesehen hatte, wurde die Sache noch mysteriöser. Natürlich war mir klar, dass der Name des Dominus vom Gott Serapis abgeleitet worden war. Aber nun fragte ich mich, worum es in seinem Kult ging. Doch eine Antwort auf diese Frage bekam ich nicht. Zumindest nicht heute. Denn Silas meinte plötzlich, ich solle mir keine Sorgen machen. Wie er das wohl meinte? Dachte er vielleicht, vom Dominus hätte ich keine Strafe zu erwarten? Wenn er das dachte, dann war er ziemlich naiv. Wobei ich ja noch ziemlich glimpflich davongekommen war. Aber was Silas dann sagte, brachte mich dann doch zum Erstaunen.
    „Aha“, meinte ich zu seinem Geheimtipp. Ehrlich gesagt, wusste ich nicht, was ich davon halten sollte. Zwar hatte ich mit Domina Valentina noch nichts zu tun. Aber ich hatte immer den Eindruck, sie sei eifersüchtig auf mich, weil ich die Sklavin ihres Verlobten war. Obwohl es da überhaupt keinen Grund dafür gab. Mein Dominus war so beschäftigt, dass er für mich sowieso keine Zeit hatte.
    „Meinst du wirklich?“, fragte ich schließlich, denn wie hätte ich sie überzeugen können, dass es keinen Grund für ihre Befürchtungen gab. Vielleicht sollte ich sie einmal ansprechen. Allerdings war das wohl auch nicht die feine Art, wenn Sklaven einfach so die Herrschaften anquatschten.


    Zugegeben, mit meinem Küsschen hatte ich Silas ganz schön aus dem Konzept gebracht. Dabei wollte ich mich doch nur bedanken. Ob ich ihn mochte? Na klar, nach diesem Tag war er auf jeden Fall mein bester Freund, denn einen anderen hatte ich ja nicht. Und ob da mehr war? Das wusste ich selbst nicht so genau, da ich gar nicht so genau wusste, was Liebe ist, denn ich war noch nie richtig verliebt gewesen. Bevor ich noch länger darüber nachdenken konnte, riss mich Silas‘ Geschrei aus dem Moment heraus. Mist! Die Hunde waren weg! Erst jetzt merkte ich auch, dass Einohr sich ebenfalls klammheimlich davongemacht hatte. „Einohr! Wo bist du? Sofort hierher!!!“, schrie ich, aber Einohr ließ sich davon wenig beeindrucken. Ob Silas‘ Speck-Trick Wirkung zeigte?

  • Die Casa Octavia war verwaist und er, Hephitios, ganz alleine in Rom.
    Gut ok nicht gaaanz alleine, denn eine Minimalbelegschaft gab es ja immer noch in der Casa, damit das Haus bei der Rückkehr der Herrschaft nicht einer verstaubten Ruine glich, aber die meisten Sklaven und die Familie selbst weilte derzeit außerhalb Roms auf irgendeinem Landgut. Hephitios war unendlich traurig, dass er nicht mitgenommen worden war, er vermisste Floras Anwesenheit Tag um Tag mehr, doch da war nun einmal nichts zu machen.
    Er war in Rom und seine Domina nicht, daran war nicht zu rütteln. Was sollte er schon tun in dem verdammten Haus! Staubwischen und Fußboden kehren erledigten die anderen, so blieb Hephitios nichts anderes übrig als Trübsal zu blasen.
    Anfangs hatte er sich noch damit beschäftigt alleine weiter lesen zu üben, aber das hatte ihn ständig an Flora erinnert, weshalb er es bald wieder aufgegeben hatte und die Schriftrollen mit den Abenteuern des Odysseus lagen vergessen in einem Winkel seines Cubiculums.
    Das nervenaufzehrendste war auch, dass er nicht einmal wusste wann die Familie wieder zurückkehren würde. So verbrachte er schon nach wenigen Wochen mehr Zeit außerhalb der Casa, auf den Straßen und Gassen der Ewigen Stadt. Er streunte von einer Ecke zur anderen, gehobenes wie verufenes Viertel, da machte er keinen Unterschied. Er war ein junger kräftiger Sklave, der nichts besaß, welcher Vollidiot würde ihm schon was zu Leide tun wollen?


    Worin sich Hephitios auch vermehrt übte war Ausdauer- und Krafttraining. Die seiner Meinung nach beste Art, um seinen angestauten Frust über das viele Nichtstun loszuwerden. So stemmte er immer wieder den einen oder anderen Felsbrocken, wenn er vor den Stadtmauern über die weite Flur einen kleinen Dauelauf machte, oder betrieb im Hof der octavischen Casa Übungen mit dem eigenen Körpergewicht wie Liegestütze, Kniebeugen und dergleichen mehr. Jeden Tag dann auch mindestens ein oder zwei Stunden vor den Mauern laufen gehen.
    Verbunden mit der kargen Sklavenkost bewirkte es schon bald, dass Hephitios noch muskulöser und stärker wurde, als er es zuvor sowieso schon gewesen war, doch der Frust blieb und so investierte er die zusätzliche Kraft in noch intensiveren Übungen. Bald waren es schon drei Stunden Laufen jeden Tag und nicht mehr nur Felsbrocken, sondern ganze Steinbänke stemmte der Junge. Am liebsten die auf der Flora früher immer im Hortus gesessen und ihm Lesen beigebracht hatte. Auch den einen oder anderen Besuch in einem Lupanar hatte er inzwischen mit seinem Erspartem gewagt. Schnell hatte er die Erfahrung gemacht, dass DAS ein besonders gutes und befriedigendes Ventil für seine Gefühle war, aber es war teuer, also nichts für den Alltag.
    Diese Leere in ihm war so unendlich nagend, wieso ging sie nicht einfach weg? Wieso nur quälte sie ihn so sehr jeden Tag? War das alles wirklich nur wegen dem Fehlen seiner Herrin? Es war echt zum Mäusemelken...


    Diese und ähnliche Gedanken gingen ihm durch den Kopf, als er nach ein paar Übungen mit der Steinbank wieder hinaus aufs Land gekommen war um ein wenig zu laufen. Wie immer trug er dabei nur seine Laufsandalen und einen Lendenschurz. Eine Oberbekleidung hielt er für unnötig, wo er doch sowieso schwitzen würde. Hephitios war sich sicher, könnte er sich auf diesem Wege nicht täglich körperlich zumindest ein wenig verausgaben, er würde sehr schnell überschnappen. Es glich schon fast einer Manie dieser Bewegungsdrang. Komisch, früher hatte er das nicht gekannt, als er noch nicht im Dienste der Octavier gestanden und Flora gekannt hatte, da... was war das?
    Ihm war, als ob er plötzlich nicht mehr alleine wäre. Irgendetwas hörte er hinter sich herhecheln und grunzen. Ohne stehen zu bleiben wandte Hephitios den Kopf. Ein gewaltiger Bär von einem Hund [Stumpfnase] hetzte hinter ihm her!
    Hephitios' Augen weiteten sich schreckerfüllt, als diese Bestie langsam aber immer mehr aufholte und alle Anstalten machte ihn einfach niederzumähen, sollte sie ihn erst mal erwischen! "AAAAAAAHHHHHHHHRR!!!!!!!!"
    Gut dass er nicht stehengeblieben war! Hephitios beschleunigte noch einmal ordentlich und rannte (wie er meinte) um sein Leben.

  • Weitere Geheimnisse der Casa Decima sowie Spezialtricks und Überlebensstrategien hausgeborener Sklaven sollten heute unausgesprochen bleiben. Die Hunde waren weg! Jedenfalls zwei von drei. Mit dem verbliebenen Rüden am Strick flitzte Silas - wie der Blitz aber doch nicht schnell genug - hinter Stumpfnase her.
    "WUFF! WUFFWUFF! WUFF!" tönte das Freudengebell.
    Die Molosser, sonst im Hof an der Kette, hatten einen Heidenspaß am Rennen und sausten nur so über Wiese, Stoppelfeld und Weg.
    "WUFF! WUFFWUFF! WUFF!"


    Oh nein! Ein Läufer! Stumpfnase hatte sich an die Fersen des Athleten geheftet, der sprintete wie bei den olympischen Spielen, hatte aber nur zwei Beine, nicht vier, wie die Hündin, die ihn fast eingeholt hatte und nun zum großen Sprung ansetzte.
    "Stumpfnase! Nein! AUS! HIIIER!" brüllte Silas aus voller Kehle. Aber da war nichts zu machen. Als würde die Zeit sich verlangsamen, so sah Silas das Unglück kommen: wie die Hinterläufe die Hündin in die Luft katapultierten, wie die Schnauzenfalten schwabbelten, die Ohren mit Schwung nach oben flogen, die Lefzen zu grinsen schienen und der Sabber spritzte, als der bullige Hundekörper von hinten auf den Athleten zuschnellte...
    Bestimmt tut sie nix! hoffte Silas inständig. Bestimmt will sie nur spielen!

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    SKLAVE - GENS DECIMA

    Einmal editiert, zuletzt von Silas ()

  • Tja, Einohr blieb völlig unbeeindruckt von meinen Herumgebrülle. Er rannte munter weiter und ich konnte sehen, wie ich dem Viech wieder habhaft werden konnte. Auch Silas‘ Strategie schien eher suboptimal aufzugehen. Verdammt, was zum Tartaros war denn verlockender als Speck für so einen Köter?! Diese Viecher waren einfach zu verwöhnt!


    Natürlich nahm ich auch meine Beine in die Hand und rannte den Hunden und Silas hinterher. Die Hunde bellten wie wild. Kein Wunder, sie freuten sich, endlich mal frei herumtollen zu können und nicht ständig an der blöden Kette im Hof liegen zu müssen.
    Bald konnte ich auch erkennen, warum die Viecher dermaßen aus dem Häuschen waren. Sie waren auf der Jagd und rannten einem Läufer hinterher, der augenscheinlich gerade um sein Leben lief. Mal sehen, wer die größere Ausdauer besaß. Wenn das mal keine gut Trainingsmethode war, dachte ich ein wenig gehässig. Die massigen Hunde waren ihm ganz dicht auf den Fersen. Ob es Fluch oder Segen war, dass er so gut wie nackt war? Es war bestimmt nicht angenehm, wenn es einem solchen Fleischberg auf vier Pfoten gelang, ein Bein seines Opfers zu erhaschen. Ich wusste nicht genau, ob die Hunde abgerichtet waren. Doch eines war mir klar, wenn ein Molosser zubiss, dann ließ er nicht mehr locker.


    „EINOHR AUS!!!“, schrie ich ‚meinem‘ Hund hinter. „SOFORT HIER HER, DU BLÖDES VIEH!“ Und dem flüchtenden Athleten: „Keine Sorge, die wollen nur Spielen!“ Hoffentlich! Genau in dem Moment schnappte sich Stumpfnase den Läufer und auch Einohr tat es ihm nach und stürzte sich auf das Opfer. „Oh Scheiße!“, rief ich und sah ängstlich zu Silas hinüber. Entweder fraßen die beiden den armen Kerl nun oder sie schlabberten ihn von Kopf bis Fuß ab. Beides war keine schöne Vorstellung, nur letztere war weniger schmerzhaft.

  • Genau wie Grian erkannt hatte war es eine besonders gute Laufmotivation, wenn einem ein zentnerschwerer Koloss von einem Hund hinterherhetzte. Dazu dann auch noch ein Tier wo man fragen konnte; "Ist das noch ein großer Hund, oder schon ein kleiner Bär?"
    Ob Hund oder Bär, von der Masse her machte es wohl auch keinen Unterschied mehr.
    So oder so, Hephitios raste weiter stur geradeaus. Gut, dass sie sich auf offenem Land und nicht in der Stadt befanden, oder konnte ihm das doch noch zum Nachteil gereichen?
    Wäre ein verwinkeltes Areal voller Ecken und Abbiegungen vielleicht besser? Oder könnten die Hunde selbst dort mit ihren vier Pfoten schneller am Absatz kehrt machen und ihn so einholen?
    Naja, herauszufinden war das wohl nicht mehr, denn wenn ihn der Hund erwischte war es sowieso mit ihm aus. Doch was war das? Das Hecheln hatte sich plötzlich hinter ihm verdoppelt!
    Hephitios wagte es nicht sich umzudrehen, denn das würde den Verlust von Geschwindigkeit bedeuten, doch nach dem, was ihm seine Sinne und sein Gefühl sagten, musste ihm nun ein zweiter Riesenhund hinterherjagen. Das wurde ja immer besser mit den Kötern.
    Hephitios sandte ein Stoßgebet gen Himmel, wenn ich das hier überlebe, opfere ich der göttlichen Trinität ein Lamm!
    Ob die Götter dies gefiel, oder nicht mochte sich jetzt in den nächsten Sekunden zeigen, denn plötzlich die Hunde zum Sprung an, genau auf den Sklavenjungen zu!
    Eine gewaltige Wucht und Kraft rammte Hephitios da mitten ins Kreuz, ihm blieb direkt die Luft weg. Wie ein Strohhalm wurde er zu Boden geworfen, wo er völlig fertig liegen blieb, während die Hunde über ihm waren...

  • "Aus! Böse Hunde! Hier!"
    Mit schreckgeweiteten Augen tauschte Silas einen Blick mit Grian, dann stürzte er sich in das Getümmel von einem zu Boden gerissenen Athleten und zwei sabbernden, schlabbernden, übermütigen, wedelnden Molossern. In der Casa, wenn sie ihr Revier verteidigten, war mit den Hunden nicht zu spaßen, aber hier gerade schienen sie wirklich nur.... spielen.... zu wollen. Schimpfend zerrte Silas an den Halsbändern der Hunde und versuchte, sie mit dem Speck von ihrem Opfer abzulenken.
    "Verdammter Mist! Hier, ihr Sabbermonster, lecker Speck, schmeckt viel besser als Mensch! - L... lebst du noch...?" fragte er den Dahingestreckten bang.
    Oh je, das würde Ärger geben! Hoffentlich hatte der Sportler sich nix getan! Und hoffentlich war er nicht eine hochgestellte Persönlichkeit. So nur im Lendenschurz konnte man ihm das nicht ansehen. Er könnte ein Senatorensohn sein, der für die Olympiade trainierte. Das wäre übel! Blieb nur die Hoffnung, dass Grian die Wogen glätten konnte!
    "T...tut mir leid!!" stotterte Silas, und behauptete: "Das machen sie sonst nie!"
    Endlich nahmen die Hunde den Speck zur Kenntnis. Wie hypnotisiert hefteten sich die großen glänzenden Augen darauf, und plötzlich taten sie ganz gehorsam, als wären sie die liebsten und besterzogensten Hunde der Welt, alle drei folgten Silas zum Wegesrand, hoben erfreut die Ohren und setzten sich sogar auf ihre Hintern. Verdient hatten sie es zwar nicht, aber jeder bekam ein Stückchen.

  • Es war aus mit ihm, er war tot.
    Hephitios sah es schon vor sich, die Tore der Unterwelt hatten sich schon weit für ihn geöffnet, der Fährmann erwartete ihn schon, bereit Hephitios über den Styx überzusetzen. Nicht mehr lange und...


    Irgendwie dauerte das aber schon ein wenig lange dieses Sterben. Er fühlte immer noch seine fleischliche Hülle um sich rum. War das normal? Oder war er...
    Hephitios öffnete die Augen.
    Er lag am Bauch im stoppeligen Gras der Ebenen vor der Stadt Rom. Neben ihm brav aufgereiht drei Bären von Hunden sabbernd und schwanzwedelnd. Er keuchte und wälzte sich herum, um sich aufzusetzen. „Ich... ich lebe noch?
    Wie um sich zu vergewissern blickte er auf seine Handflächen hinab und drehte sie prüfend herum.
    Ich lebe ja noch!
    Hephitios brach in erleichtertes Gelächter aus und ließ sich wieder zurück ins Gras sinken. Ach war das schön!

  • Der blöde Hund machte alles, nur hörte er nicht auf meine Befehle. Zum Glück hatte Silas noch vor mir den armen Kerl erreicht. Ich hoffte nur, dass die Hunde ihn nicht schon zu Hackfleisch verarbeitet hatten.


    Völlig aus der Puste erreichte ich schließlich auch das Opfer der Molosser. „Lebt er noch? Atmet er noch? Hat er Schmerzen?“ Meine bangen Fragen prasselten auf den armen Silas ein, der ähnlich wie ich völlig fertig mit der Welt war. Was, wenn die Viecher dem Typen da auf dem Boden etwas Schlimmes angetan hatten? Dann konnten wir beide einpacken! Dann hieß es „Schwefelmienen auf Sizilien ohne Wiederkehr“ für uns beide.


    Wenigstens war es Silas gelungen, die Viecher mit seinem Speck abzulenken, so dass sie von dem armen Kerl am Boden abließen. Igitt, der war von oben bis unten voll mit Sabber! Aber so wie es aussah, war er noch heil. Äußerlich. Die Hunde hatten ihn nicht angeknabbert. Und falls sie ihn durchgekaut hatten, dann blutete er nicht. Nach einer Weile rührte er sich sogar, keuchte und wälzte sich herum (hoffentlich nicht vor Schmerzen!) Dann begann er, wie ein Irrer zu lachen. Er lebte! Ein Stein fiel mir vom Herzen!
    „Oh Mann! Hey, das tut uns furchtbar leid! Ehrlich! Die Viecher sind sonst lammfromm. Können wir irgendwas für dich tun?“ Ja, ich weiß, diese Frage war saublöd. Aber vielleicht half sie ja dabei, die Wogen etwas zu glätten.

  • Eine ganze Weile lag Hephitios einfach nur dar auf seinem Rücken und erfreute sich seines Lebens. Das Leben durchströmte seinen Körper, als wäre es erst vor kurzem in ihn gefahren, jeden Zeh und jeden Finger spürte er pulsieren. Und sein Herz, jeden einzelnen Schlag seines Herzens fühlte er gegen das Innere seines Brustkorbs hämmern. Offenbar musste man beinahe zerfleischt worden sein, um erst wieder einmal das wahre Leben in sich fühlen zu können.


    Endlich schlug der Junge seine Augen wieder auf und blickte Grian an. „Ich denke mir geht es gut aber gegen einen Schluck Cervisia würd ich jetzt nicht Nein sagen.“ meinte er. So kurz zuvor noch Charon aus dem Boot gesprungen, überkam ihm jetzt ein Funken Übermut, wo das Adrenalin noch durch alle seine Adern schoß, ähnlich dem Zustande, wenn man betrunken war und so betrachtete Hephitios unverhohlen neugierig Grians Erscheinung, besonders ihre Rundungen.

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