• Casa Valeria



    Hinter den Fassaden dieses schmucken kleinen Stadthäuschens griechischen Stils befindet sich das alexandrinische Nebendomizil der altehrwürdigen römischen Gens Valeria.


    Titus Valerius Alienus war nach Ende seiner Dienstzeit von Germanien hierher nach Ägypten gekommen und hatte dieses Haus erworben in dem seine Familie auch nach seinem Tod immer noch lebt.

  • Es war eine Sklavin und nicht die Sonne die Nasica an diesem Morgen weckte. Im Schlaf hatte das junge Ding sich gedreht und dabei ihren Arm mit Schwung ins Gesicht ihres ebenfalls noch ruhenden Herrn gewischt. Von diesem Schlag getroffen fuhr Nasica hoch, noch komplett erschrocken und orientierungslos.


    "Was? Wie?" Ein Gähnen drängte sich ihm auf, jetzt wo er wach war und nach einem ausgiebigen Kratzen im Gesicht sah er sich um. Sein Zimmer war typisch für einen heranwachsenden jungen Mann eingerichtet, der Ambitionen hegte einmal ein Gelehrter am Museion zu werden. Viele Schriftrollen bedeckten den nahen Schreibtisch und nicht wenige kugelten auch am Boden herum. Neben sich im Bett fand er die Sklavin von letzter Nacht vor, die ihn so unsanft geweckt hatte. Sie war nackt.


    Eine Weile sah Nasica verträumt grinsend auf ihre Rundungen, ehe es ihm siedend heiß wieder einfiel, dass er ja für diesen Morgen verabredet war! Ein Blitz durchfuhr ihn, als er aufsprang und hinaus auf den Gang lief, um den erstbesten Sklaven nach der Tageszeit zu fragen, der ihm begegnete. "Wir befinden uns in der hora quinta, Dominus", antwortete der Angesprochene mit einem verlegenen Gesichtsausdruck. So spät schon! Nasica hatte verschlafen! Schon wollte er weitereilen, als er doch nochmal am merkwürdigen Blick des Sklaven hängen blieb. Was war mit dem Kerl, dass er ihn so ansah?
    Erst dabei bemerkte er, dass er in seiner Aufregung nackt aus dem Zimmer gelaufen war...
    Mit ganz rotem Gesicht lief er also wieder zurück in sein Cubiculum, wo sein Radau auch schon die hübsche Sklavin in seinem Bett geweckt hatte, die noch ganz verschlafen aus der Wäsche sah. Nasica indessen war zu seiner Kleidertruhe geeilt und hatte sich eine Tunika übergeworfen. "Hilf mir mit der Toga! Schnell!" befahl er ihr. Das Mädchen schüttelte noch einmal ihren Kopf um richtig wach zu werden und stand dann aus dem Bett auf, um dem Befehl ihres Herrn nachzukommen. Gemeinsam bekamen sie Nasica zeitnah in seine Toga und kaum war die letzte Falte ordentlich drapiert lief er auch schon wieder, gleich einem Sausewind, aus dem Zimmer.

  • Nach seinem sehr emotionalen Abschied von Penelope war Nasica in die Casa Valeria zurückgekehrt, um schon einmal ein paar erste Sachen für die Reise nach Rom zusammenzupacken. Viel würde es nicht werden.
    Ob er eine ganze Truhe mitnehmen sollte, oder doch nur so viel, dass er das Gepäck problemlos auf dem Rücken transportieren könnte? Papyri und Schreibzeug konnte er für seine Notizen auf jeden Fall zuhause lassen, so ein Schreibzeug würde er sich dann vor Ort kaufen und benutzen, doch seine bisherigen Aufzeichnungen und Abschriften aus der Großen Bibliothek würde er mitnehmen. Wie stand es mit Büchern? Vielleicht zwei oder drei für die Überfahrt? Nasica hatte keine Ahnung wie lange man mit dem Schiff von Alexandria nach Rom unterwegs war, doch bestimmt würde es lange dauern. Wasser nahm er nur in einem einzigen Schlauch mit und auch die Wegzehrung bemaß er nicht allzu üppig. Er wollte ja nicht in die Wildnis und bestimmt hätten sie am Schiff auch etwas Essen für ihn übrig. Und später dann in Ostia und in Rom konnte man sich sowieso an jeder Ecke einen Happen für zwischendurch kaufen. Soweit also so gut.


    Kleidung hatte er sowieso nicht viel, da nahm er einfach alles mit. Seine Brennschere für eine feine hellenisch anmutende Lockenpracht und einige andere Pflegeprodukte für Haut und Haar und ja...das sollte es dann wohl so ziehmlich gewesen sein. Um das alles zu verstauen musste er also doch eine Reisetruhe bemühen. Ob er vielleicht auch einen, oder zwei Sklaven mitnehmen sollte? Zum Tragen der Truhe?
    Doch andererseits würde das bestimmt wieder den Preis seiner Überfahrt in die Höhe treiben, wenn er mit so viel zusätzlichem (lebenden) Gepäck im Hafen aufkreuzte, also besser nicht. Zwei Sklaven sollte ihm abends dann die Truhe hinunter zum Schiff tragen und später in Ostia würde er schon jemanden finden für diese lästige Arbeit. Alles gut also.


    Endlich war alles zusammengepackt und richtig verstaut. Mittlerweile war es Mittag geworden. Er hatte sich von Penelope verabschiedet und war mehr oder weniger reisefertig, was sollte er jetzt nur den gewaltigen Rest dieses Tages anfangen, bis abends sein Schiff dann endlich auslaufen würde? Ein wenig ratlos ließ sich Nasica auf seinem Bett nieder und grübelte, was er jetzt mit dem Nachmittag noch anfangen wollte.

  • Nach dem Mittagessen fiel Nasica ein, dass er in all seinen Studien und Reisevorbereitungen ja noch gar nicht die Verwandtschaft in Rom über sein Kommen informiert hatte!
    Oh ihr Götter, was war er nur für ein Schussel... besser er holte das nach und gab seinern Brief gleich sofort danach auf, denn immerhin wollte er ja, dass er nicht zeitgleich mit diesem in Rom ankam. Am besten vielleicht noch, wenn er dort dann angekommen den Verwandten sein Ankündigungsschreiben persönlich in die Hand drückte, das wäre vielleicht ein Spaß.
    Doch der Kapitän hatte sowieso etwas von einem kleinen Zwischenaufenthalt auf Kreta und danach nochmal in Athen gesprochen, also sollte diese Sorge schon einmal ausgemerzt sein. Der Brief würde auf jeden Fall vor ihm in Rom ankommen, so viel war sicher.


    Nasica setzte sich hin und wollte gerade den Adressblock formulieren, als er erkannte, dass er überhaupt keine Ahnung hatte an wen er eigentlich sein Schreiben richten sollte. So stand er also wieder auf und lief ins Triclinium, wo er seine Mutter vorfand. "Mater, wem soll ich in Rom genau schreiben, um mein Kommen anzukündigen?" Seine Mutter, Pinnia Sabina, blickte von ihrer Näharbeit auf und überlegte kurz.



    Pinnia Sabina, Witwe des Titus Valerius Alienus


    "Ich denke ein entfernter Vetter deines Vaters lebt zurzeit in der Casa Valeria in Rom, aber ich komme gerade nicht auf seinen Namen..."
    "Mater, das ist wichtig..."
    "Schon gut schon gut ich hab es ja gleich, Moment..."
    Mit leicht zweifelndem Blick beobachtete Nasica seine Mutter dabei, wie diese versuchte sich an den Namen des derzeitigen valerischen Hausherrn in Rom zu erinnern.
    "Es war auf jeden Fall so ein ganz eigentümlicher Name, den man nicht so schnell vergisst..."
    "Das merke ich Mater"
    "Still jetzt! Ich muss nachdenken. Hmm, der Vorname klang so wie ein patrizisches Gensnomen habe ich mir gemerkt, war es Cornelius? Oder Aurelius? Nein, Tiberius! Ja genau Tiberius war es. Tiberius Valerius!"
    "Schön und wie lautet sein Cognomen?"
    Pinnia Sabina fuchtelte mit ihrer Hand wirsch durch die Luft.
    "Lass mich nachdenken. Das war ein eher botanischer Name, sowas vom Klang her wie eine Pflanze...aber was? Weizerus? Leinsamus? Nein..."
    "Dauert das noch länger Mater, oder weißt du es jetzt?"
    Eine ganze Weile probierte Nasicas Mutter die verschiedensten Pflanzen aus, ehe sie endlich auf den richtigen Nenner kam.
    "Roggen, Baumwolle, Flachs....Flachs! Genau Flachs war es, sein Cognomen lautet Flaccus! Tiberius Valerius Flaccus!"
    "Tiberius Valerius Flaccus? Und du bist dir da auch ganz sicher?"
    Mit noch mehr Zweifel in den Augen betrachtete er seine Mutter und etwas Unglauben erschien ihm durchaus angebracht angesichts der Art und Weise wie Pinnia Sabina da gerade eben den Namen ihres Verwandten in Rom aus den verrücktesten Eselsbrücken zusammengestöpselt hatte. Für Nasica klang das daher eher nach einem Fantasienamen, als nach dem von einer realen Person.
    "Ja doch ich bin mir ganz sicher, jetzt wo er mir wieder eingefallen ist. Tiberius Valerius Flaccus, so ist's. Wohnhaft in der Casa Valeria in Roma."
    Dann war es wohl so. Schulterzuckend ging Nasica also wieder zurück in sein Zimmer.


    Dort angekommen setzte er sich wieder hinter seinen Schreibtisch, holte Tinte, Feder und Papyrus hervor und begann zu schreiben:



    Ad
    Tiberius Valerius Flaccus
    Casa Valeria
    ROMA


    Salve, werter Verwandter!


    Mein Name ist Marcus Valerius Nasica aus Alexandria, ich bin der Sohn von Titus Valerius Alienus, einem entfernten Vetter von dir. Ich schreibe dir heute, weil ich dich darüber informieren will, dass ich euch bald schon besuchen kommen werde.
    Noch heute Abend besteige ich ein Schiff, das mich von Alexandria nach Rom bringen wird, ich hoffe ich bereite euch damit keine allzu großen Umstände.


    Der Zweck meines Besuchs ist es, dass ich nach Informationen über die jüngere Vergangenheit unserer Gens suche, in der
    Großen Bibliothek von Alexandria fanden sich leider nur ältere Aufzeichnungen über schon etwas länger verstorbene berühmte Vorfahren, weshalb ich hoffe in euren Archiven fündiger zu werden. So ziehmlich alles von vor 2-3 Generationen an, etwa ab Gaius Valerius Flaccus und seiner Frau Valeria Argonautica würde ich suchen.


    Ich benötige diese Informationen für eine große schriftliche Arbeit über die historische Vergangenheit der Gens Valeria, die ich später einmal beim Museion einreichen möchte, um mich dort als Akroates zu qualifizieren.


    Ich freue mich darauf dich bald schon persönlich kennenlernen zu dürfen!


    Vale Bene


    M. Valerius Nasica


    So konnte man den Brief stehen lassen! Hoffentlich aber gab es diesen Tiberius Valerius Flaccus wirklich, ansonsten würde er eine riesige Blamage erleiden, wenn die römischen Verwandten erst diesen Brief in die Finger bekommen und somit was zu lachen hätten.


    >>>>>

  • Mit dem ersten Buch des Gilgamesch-Epos und der Schriftrolle mit der Geschichte von David gegen Goliath in Händen kehrte Nasica aus dem Delta zurück, nach seinem Besuch von Ezra ben Abrahams Schrifthandel dort. Die elf anderen Schriftrollen des babylonischen Mythos und die vierundzwanzig Bücher des Tanach würde der Jude -laut seinen eigenen Worten- im Laufe des Nachmittags in die Casa Valeria liefern lassen, immerhin hätte Nasica unmöglich ganz alleine siebenundzwanzig Papyri auf einmal nachhause schleppen können!
    So also saß Nasica später noch eine ganze Weile zuhause und wartete auf seine Bestellung, bis sie endlich eintraf. Ganz aufgeregt war er, als er von einem Sklaven benachrichtigt wurde, dass die Bücherkisten sicher angekommen wäre. Gleich sofort sprang er auf und lief los, um die beiden Holzkisten in sein Cubiculum zu holen, wobei eine alle Bücher des Gilgamesch-Epos und die andere alle Bücher des Tanach auf Griechisch in sich bargen.


    Interessiert begann er ein wenig in einigen Schriftrollen querzulesen, einfach, um seine erste Neugier zu befriedigen und dabei machte er eine interessante Entdeckung. Er besaß die Geschichte von David gegen Goliath jetzt zwei Mal. Einmal in der einen Schriftrolle, die er von Ezra ben Abraham aus dem kleinen Regal neben der Tür erhalten hatte, die nur diese eine Geschichte alleine umfasste und ein zweites Mal im Buch Samuel (genauer im 1. Buch Samuel) als regulärer Teil der gekauften Tanach-Ausgabe. Offenbar war erstere nur als ein Ansichtsexemplar für einen interessierten Käufer gedacht gewesen, so wie es bei Nasica ja doch schlussendlich geklappt hatte. Ezra ben Abraham hatte dem Valerier die Vorführschriftrolle unter die Nase gehalten und er hatte als Reaktion darauf gleich den ganzen Tanach mit allen seinen vierundzwanzig Schriftrollen gekauft. So machte man platzsparend Verkäufe, wenn man die eigentliche Ware getrost im Lager lassen konnte mit Ansichtsexemplaren im Verkaufsraum. Doch Nasica war das egal, im Gegenteil, er freute sich sogar ein wenig deswegen. So konnte er diese eine spezielle Geschichte jetzt immer überall mithinnehmen, wenn er wollte, ohne gleich den ganzen Tanach mitschleppen zu müssen und die Geschichte war spannend, was er bei einem ersten kleinen reinlesen so mitbekommen hatte.


    So vertrieb sich Nasica die Zeit und der Abend rückte schneller heran, als ihm lieb war. Bald musste er aufbrechen, wenn er sein Schiff nach Rom erwischen wollte. Er ließ also ein paar Sklaven seine Truhe mit seinen Reisehabseligkeiten und die beiden neuen Bücherkisten hinunter zum Hafen tragen, während er noch einmal die Gegenwart seiner Mutter aufsuchte, um sich auch von ihr zu verabschieden. Auf dem Weg zu ihr spürte er, wie ein Kloß in seinem Hals immer größer wurde. Jetzt wo sein Aufbruch unmittelbar bevorstand wurde der Junge doch etwas aufgeregt. Nasica hatte noch nie Ägypten verlassen, geschweige denn war er weiter von Alexandria weg als Memphis gewesen, die Fahrt nach Rom wäre seine erste größere Reise alleine. Als er das Tablinum betrat und Pinnia Sabina seiner gewahr wurde, stand sie auf und schritt ihm entgegen. Auf ihrem Gesicht zeigte sich der Kummer einer Mutter, für die der Zeitpunkt gekommen war ihr geliebtes Kind hinaus in die Welt zu entlassen. Bei Nasica angekommen küsste sie seine Stirn und drückte ihn dann fest an sich.



    Pinnia Sabina, Witwe des Titus Valerius Alienus


    "Pass auf dich auf mein Sohn und vergiss nie, ich liebe dich."
    Nasica trieb dieser beherzte Abschied doch eine Träne in sein Auge, während er ihre Umarmung erwiderte und ihr antwortete: "Das werde ich, Mater, versprochen!"
    Auch Pinnia Sabina hatte Tränen in den Augen, als sie mit einem tapferen Lächeln ihrem Sohn ins Gesicht sah und über sein Haar streichelte.
    "Du bist so schnell groß geworden, möge Serapis dich auch in der Fremde beschützen."
    "Das wird er bestimmt. Ich bringe dir etwas schönes aus Rom mit, ja?"
    Das Lächeln seiner Mutter wurde noch breiter, während sie ihre Tränen mit dem Handrücken abwischte.
    "Mach das, mein Sohn, viel Glück. Vale."
    "Vale, Mater."


    Und mit einem letzten Blick zurück zu ihr verließ Nasica das Tablinum wieder und steuerte dann auf die Porta der Casa Valeria zu. Hinaus und dann direkt zum Hafen.

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