[Hortus] Und Gott wird abwischen alle Tränen von ihren Augen.

  • Eine seltsame Schwere lag über der Domus Iulia und auch über ihren Bewohnern. Seit dem Eintreffen der Todesnachricht des Iulius Caesoninus und der Iulia Phoebe, waren viele Tränen geflossen. Klageweiber, die eigens bestellt worden waren, beklagten lautstark den großen Verlust. Das ganze Haus war in eine Art Schockstarre verfallen, aus der es sehr schwer war, wieder heraus zu kommen. Besonders diejenigen unter den Sklaven hatte es am schwersten getroffen, die die Leichname der beiden Iulier gefunden hatten. Eine davon war Iduna gewesen.


    Nach ihrer letzten Begegnung im Garten, hatte Sulamith sich vorgenommen, die germanische Sklavin in einem passenden Moment anzusprechen. Die Ärmste hatte es in jüngster Zeit nicht besonders einfach gehabt. Da war die Sache mit ihrem Gefährten Angus, dann war sie bei ihrem Dominus in Ungnade gefallen und nun hatte sie auch noch seinen Tod zu beklagen. Für eine junge Mutter, die neben ihrer Arbeit auch noch ihr Kind alleine versorgen musste, war dies sicher äußert schwer. Natürlich wusste die Hebräerin, dass sie Iduna nichts von alledem abnehmen konnte. Doch ein wenig Trost und ein paar gute Worte vertrug jeder Mensch!


    Sulamith hatte gehofft, sie irgendwo im Hortus zu finden, wo sie mit ihrem Kind an der frischen Luft die letzten sommerlichen Sonnenstrahlen genoss und dabei eine Arbeit verrichtete. So hatte man es ihr immerhin gesagt, als sie nach Iduna gefragt hatte.
    Sie trat hinaus und wurde zunächst durch das helle Sonnenlicht geblendet. Dann begann sie, nach ihr zu suchen.

  • Seitdem Iduna die Leichen ihres Dominus und Domina Iulia Phoebe gesehen hatte, wurde sie von nächtlichen Albträumen heimgesucht. Albträume die sie immer wieder empor schrecken ließen, wann immer sie im Begriff war fest einzuschlafen. Tonlose Albträume. Schließlich wollte die Germanin ihre Tochter unter keinen Umständen wecken. Nachdenklich ließ Iduna ihren Blick auf ihrer Tochter ruhen und spürte im selben Moment wie sich Tränen in ihren Augen sammelten. Tränen der Trauer ob des Verlustes der beiden Iulii.


    Könnte man meinen. Aber auch Trauer um den Verlust ihres Gefährten. Denn Angus Worten hallten noch deutlich in Idunas Hinterkopf wieder. Er wollte mit ihr und ihrer gemeinsamen Tochter nichts zu tun haben. Und die Rothaarige hatte dieses Urteil des Kelten stillschweigend akzeptiert. Was hätte sie denn sonst machen sollen? Sie konnte Angus schließlich nicht zwingen bei ihr zu bleiben. Denn einen gemeinsamen Bund hatten sie nie geschlossen. Der Flavier war es der Angus dieses Angebot unterbreitet hatte.


    Zärtlich drückte sie Aislin an sich und streichelte ihr sanft über das flaumige Köpfchen. Ob die Halbgermanin ihren Vater jemals wiedersehen würde? Denn seitdem Iduna dem Kelten im Hortus begegnet war, hielt er sich kategorisch von ihr fern. Als hätte sie eine ansteckende Krankheit. Und nun auch noch der tragische Tod ihres Dominus. Als hätten sich die Götter gegen die kleine Germanin verschworen. Hastig musste Iduna auch schon blinzeln, um die aufsteigenden Tränen niederzukämpfen. Erfolgreich.


    Mit bedächtigen Schritten hatte es Iduna hinaus gezogen. Hinaus in den Hortus und den strahlenden Sonnenschein. Eigentlich hätten Wolken die Sonne verbergen sollen. Schließlich herrschte Trauer in den Mauern der Domus Iulia. Doch das Wetter ließ sich nun mal dahingehend nicht beeinflussen. Vorsichtig setzte Iduna ihre Tochter ins Gras, als sie sich tiefer in den Hortus gewagt hatte, um dort stumm zu trauern. Ihre Tochter behielt die Rothaarige dabei immer im Blick. Und erhob sich im nächsten Momet, als sich Aislin zu weit entfernte. Rasch hatte sie die Halbgermanin eingeholt und setzte sie sich auf die Hüfte.


    Dann vernahm sie das leise rascheln, wie wenn Gras von Schritten nieder gedrückt wurde. Langsam drehte sich die Rothaarige herum und erblickte ...Sulamith.
    “Salve Sulamith.“
    War Idunas leises Stimmlein zu vernehmen.

  • Behutsam schritt die Hebräerin weiter, denn es gab keinen Grund zur Eile. Im Haus, sowie auch im Garten herrschte eine gespenstige Ruhe. Meist bewegten sich die Sklaven nur auf leisen Sohlen und sprachen sehr leise miteinander. Sicher mochte bei manchen dabei auch eine Portion Furcht gewesen sein. Furcht vor den Toten.


    Fast schon am anderen Ende des Hortus fand sie schließlich Iduna und ihr kleines Töchterchen. Die beiden hatten sich im Gras niedergelassen und die Kleine saß nun auf ihrer Mutter.
    „Salve Iduna,“ antwortete sie freundlich lächelnd. „Ich hoffe, ich störe euch beide nicht. Darf ich mich zu euch setzen?“ Vielleicht wollte die Germanin ja Sulamiths Angebot annehmen. Wenn sie sich ihr dann auch noch öffnete, hätte sie die Möglichkeit, all ihren Ballast, den sie momentan mit sich trug, loszuwerden. Natürlich würde die Hebräerin nicht ihre Probleme lösen können, doch wenn sie ihr die Gelegenheit bot, sich bei ihr all ihren Kummer von der Seele zu reden, dann war das schon mal ein erster Schritt. Die Hebräerin wusste das aus Erfahrung. Sie wusste aber auch, wie schwer es war, sich überhaupt zu öffnen, um das manchmal Unaussprechliche los zu werden. Doch Iduna konnte sich gewiss sein, in Sulamith eine geduldige Zuhörerin gefunden zu haben.

  • Quietschend und strampelnd gab Aislin ihrer Mutter zu verstehen das sie wieder auf den Boden gesetzt werden wollte. Und Iduna erfüllte ihrer Tochter diesen Wunsch. Behielt sie jedoch sanft an ihrem schmalen Handgelenk gepackt. Das Mädchen sollte schließlich in ihrer Nähe bleiben und nicht wieder auf eigene Faust den Hortus erkunden. Nicht auszudenken ihre Tochter fiel in das Wasserbassin. Bei diesem Gedanken spürte Iduna wir ein eisiger Schauer über ihre Wirbelsäule kroch. Was für ein schrecklicher Gedanke. Und so streichelte sie über Aislins rötliche Locken. Wie um sich selbst auf andere Gedanken zu bringen. Einige Schritte wurden noch getan. Dann ließ sich die kleine Germanin in das Gras sinken und zog ihre Tochter auf den Schoß. Behutsam hielt Iduna das Mädchen umfasst. Bevor sie ihr einen sanften Kuss auf's Köpfchen setzte.


    Die sich nähernden Schritte nahm Iduna nur so überdeutlich wahr, weil in der Domus Iulia Totenstille herrschte. Selbst die bunten Singvögel hatten ihre Lieder eingestellt.
    “Wie gut das du das alles noch nicht wirklich mitbekommst Aislin.“
    Murmelte die Germanin und wiegte ihre Tochter sanft in den Armen. Denn das Mädchen war im Begriff einzuschlafen. Und Iduna würde sie garantiert nicht daran hindern. Im Gegenteil. Schließlich konnte man nur noch Aislins sanfte Atemzüge hören. Denn die kleine Halbgermanin war tatsächlich eingeschlafen.


    Vorsichtig hob die Rothaarigen ihren Kopf an, als Sulamiths Stimme an ihr Gehör drang. Freundlich nickte Iduna darauf hin.
    “Du darfst mir gerne Gesellschaft leisten Sulamith.“
    Gab die Cheruskerin zur Antwort und neigte ihren Kopf kaum merklich auf die Seite.
    “Wie geht es Domina Graecina?“
    Erkundigte sich Iduna mit leiser Stimme.

  • „Danke!“ Die Hebräerin lächelte und setzte sich neben die Germanin ins Gras. Sie zog ihre Beine an und umschlag sie mit ihren Armen. Für einen Moment ruhte ihr Blick auf dem Kind in Idunas Armen. Wie unschuldig es war. Die Kleine war im Begriff einzuschlafen. Immer wieder wollten ihr die Augen zufallen, doch dann hatte sie es geschafft und schien endlich ihren Schlaf zu finden. Schlafende Kleinkinder sahen so niedlich aus. Ganz gleich woher sie kamen oder zu welchem Stand sie gehörten. Darin waren alle gleich. Die Gebräerin nickte zustimmend, denn die Mutter der Kleinen hatte recht, wie gut, dass ihr Kind von all den schlimmen Ereignissen, die die Germanin in letzter Zeit getroffen hatten, nichts mitbekam. Dann beantwortete sie Idunas Frage. Die Iulia hatte sich in letzter Zeit oft zurückgezogen. Sie ging kaum noch aus dem Haus. Selbst Sulamith hätte nicht sagrn können, ob sie dies aus lauter Angst tat.
    „Sie ist natürlich sehr über die beiden Morde schockiert und sehr traurig.“, antwortete Sulamith. „Ausgerechnet jetzt, da sie doch bald heiraten wollte.“ Oh je, hatte sie da zu viel verraten. Denn die Verlobung der Iulia war noch gar nicht spruchreif. Die Verhandlungen über eine mögliche standen noch ganz am Anfang. Aber der Decimus hatte doch ganz deutlich bewiesen, dass er es ernst mit Graecina meinte. Wäre er denn sonst am Abend der beiden Morde hier erschien mit seinen Freigelassenen, um die Domus zu beschützen?


    Doch was war mit Iduna? Wie fühlte sie sich? Schließlich hatte sie doch ihren Dominus und seine Cousine gefunden. Solch einen Anblick vergaß man lange nicht. Womöglich litt sie unter Alpträumen.
    „Und wie geht es dir, Iduna?“

  • “Du brauchst dich bei mir nicht zu bedanken Sulamith.“
    Antwortete Iduna mit leiser Stimme auf die Worte der jungen Hebräerin. Sie waren beides iulische Sklaven und teilten obendrein noch das selbe Schicksal. Auch wenn Iduna die Leibsklavin Iulia Graecinas niemals auf diese schreckliche Tat ansprechen würde. Nein. So etwas machte man nicht. Schließlich ging Iduna mit ihrer eigenen Vergewaltigung auch nicht hausieren, sondern verschloss diese schreckliche Tat tief in ihrem Innersten. Um nicht länger in ihren düsteren Gedanken gefangen zu sein, richtete Iduna ihre Aufmerksamkeit auf die leise quäkende Aislin.
    “Sie braucht immer etwas bis sie eingeschlafen ist.“
    Fühlte sich Iduna bemüßigt erklärend hinzuzufügen. Während sie ihrer Tochter leise zuredetete und Aislin beruhigend über den Rücken und das Köpfchen streichelte. Und schließlich schlossen sich Aislins Augen flatternd und die kleine Halbgermanin rutschte in einen tiefen Schlummer. Erleichtert atmete Iduna durch und warf Sulamith einen raschen Blick aus dem Augenwinkel entgegen. Ihre Mitsklavin sollte ihre Worte bloß nicht falsch auffassen.


    Natürlich war die Iulia traurig? Wer wäre das nicht? Schließlich hing die Trauerwolke wie eine schwarze Decke über der Domus Iulia und ihrer aller Häupter. Als Sulamith dann jedoch versehentlich hervor plapperte das Iulia Graecina kurz vor ihrer Hochzeit stand, weiteten sich Idunas Augen.
    “Domina Iulia Graecina wird heiraten?“
    Das bedeutete die Iulia würde die Domus Iulia verlassen und zu ihrem Zukünftigen ziehen und Sulamith als ihre Leibsklavin würde der jungen Herrin garantiert nicht von der Seite weichen. Dies bedeutete aber auch die rothaarige Germanin würde alleine in der Domus Iulia zurück bleiben. Und dieser Gedanke versetzte Iduna in innerliche Unruhe. Eine Unruhe die sich zum Glück nicht auf ihre schlafende Tochter auswirkte.
    “Ich freue mich für Domina Iulia Graecina, dass sie den Mann ihres Herzens gefunden hat.“


    Doch schließlich erkundigte sich die Hebräerin nach ihrem Wohlbefinden und Iduna biss sich kurzzeitig auf die Unterlippe. Bevor sie ihre Stimme wiederfand.
    “Ich traue mich nicht mehr meine Augen zu schließen. Denn wenn ich das tue dann sehe ich immer wieder Dominus Caesoninus und Domina Iulia Phoebes leblose Körper. Und ihre starren Blicke. Und das viele Blut.“
    Erneut begann Idunas Unterlippe verdächtig zu beben.

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