Eine okkulte Melodie zog Stella weit ab ihres Stammhauses in ihren Bann. Sie war an diesen Ort gekommen, um der Vergangenheit zu gedenken. Der Kampf schien verloren und gleich fatal war ihre Lage, dass selbst der Kaiser ein Dämon in Menschengestalt war. Stella hatte gehofft, sich von ihrer Agonie zu verabschieden und diese Einsamkeit endlich zu verlassen. Die Passanten waren vorbei gezogen, die Menschen gefangen in ihren Kreisen, so dass Stella fast unbemerkt in die Nebenstraße der Villa Tiberia gelangte. Was sie einmal geglaubt hatte, hatte keine Bedeutung mehr. Unschuldig und doch die Schuld der Familie tragend, kämpfte sie sich durch die Nacht. Die schwachen Lichter der Straße verdeckten nur mühsam die hereinbrechende Nacht. Die meisten Menschen gingen nach Hause und Stella tat dies ebenso. Nur war ihr Zuhause längst ein verlassenes Geisterhaus. Geheime Zeichen, die nur Einwegeihte deuten konnten, führten sie an der Außenwand entlang. Ihr Vater hatte von diesem Ort berichtet und ebenso gewarnt. Es war ein Ort unterhalb der Villa Tiberia, der seit Anbeginn der ersten Zeit existierte und von vielen Tiberii vergessen worden war. Ein Ort, den erst ihr Vater wieder entdeckt hatte. Es war ein Ort, der nicht nur Versteck war, sondern auch Schutz bot. Stella fand jenen losen Stein, den sie tief in die Wand drückte, um einen Mechanismus zu starten. Die Bodenplatte vor ihr sprang ein wenig hervor und ließ sich mit ein wenig Kraftaufwand schieben. Eine Treppe zeigte sich, die tief unter die Villa führte. Mit einem Schulterblicke blickte die Tiberia hinter sich. Ängstlich stieg sie die Treppe hinab und fand sich vor einer Eisentür wieder, die fest verschlossen war. Hektisch suchte Stella einen Schlüssel aus dem großen Lederbeutel hervor, den sie bei sich trug. Der Schlüssel passte in das übergroße Schloss und Stella konnte die Eisentür öffnen. Der Korridor hinter der Tür lag im Dunkeln, so dass Stella einige kleine Öllämpchen entzünden musste, die an der Wand des Korridors angebracht waren. Der Gang führte noch ein paar Schritte hinab und in einen großen Saal. Eine verwitterte Holztür gab den letzten Blick frei. Stella entzündete einige Fackeln, die an den tragenden Säulen hingen und urplötzlich erstrahlte der Raum in einem diesigen Licht. Im Zentrum lag ein großes Becken, welches mit schwarzen Fliesen verkleidet war und in diesem Becken befand sich Wasser, welches durch die schwarzen Fliesen eine merkwürdige Färbung fand. Am Ende der Halle stand eine große Statue des Pluto und ein Altar lag unmittelbar davor. An der Decke standen kryptische Worte in verschiedenen Sprachen, die kaum im Licht zu entziffern waren. Auf dem Altar stand in großen römischen Lettern: memento mori. Auf dem Alter lagen mehrere Dolche, welche das Siegel Prätorianer trugen, aber auch Dolche ohne Wappenprägung. Im Zwielicht am anderen Ende der Halle standen zwei Statuen des Thanatos, in seiner typischen Gestalt mit Kapuze und Mantel. Der Boden des Raumes war mit schwarzem Marmor belegt, der jedoch an einigen Stellen bereits gebrochen war und es schien eine rote Flüssigkeit unter dem Marmor zu fließen, der durch die Risse hervortrat und an der Oberfläche erstarrte. Stella wankte ehrfürchtig und gleichzeitig ängstlich durch die Halle. "Das ist es also," murmelte sie. "Das ist der Ort." Stella näherte sich dem Alter, wobei sie dem großen Wasserbecken ausweichen musste. Sie ließ den Lederbeutel fallen, um frei von jedem Gewicht zu sein. Stella strich mit ihren beiden Handflächen über den schwarzen Marmor des Alters, der sich seltsam kalt anfühlte. Dabei berührte sie einen der Dolche, der sich etwas bewegte. Im Zentrum aufgereihten Dolche lag eine Klinge aus einem schwarzen Metall, welche kryptische Zeichen trug. Die Klinge zog Stella magisch an, so das die Tiberia die Klinge am Handgriff packte und im Licht der Feuer anhob. Sie funkelte nicht. Der Dolch war leicht, sehr leicht sogar und lag sehr gut in der Hand. Er schien fast für sie gemacht zu sein, da sie ohne jede Mühe die antrainierten Bewegungen erinnerte. Ihr Vater hatte ihr Kunst des Dolchkampfes beigebracht. Doch Stella legte den Dolch zurück. Stella sank vor dem Altar zusammen, lehnte sich mit dem Rücken an den Stein und blickte in das scheinbar endlose Becken mit dem dunklen Wasser. Es gab keinen Grund weiter zu suchen. Dieser Ort war der letzte Ort, den ihr Vater für sie bereit hielt. Es war eine Gruft der Träume und Hoffnungen. An diesem Ort hatte ihr Vater versucht, seine Seele von Pluto zurück zu fordern. An diesem Ort waren die speculatores in geheimer Bruderschaft zusammengekommen, um nicht nur dem Kaiser zu dienen. Ihr Vater hatte seinen Eid nie verraten aber sicherlich den falschen Personen gedient. Dieser elende Kaiser hatte sich offenbart und es kümmerte ihn keinen Deut, was wirklich in menschlichen Herzen vor sich ging. Er interessierte sich nur für seine Macht. Und Macht war bekanntermaßen nur ein Atemzug. Das wusste Stella ganz sicher, denn die Meuchelinstrumente in unmittelbarer Nähe legten Zeugnis von vielen vergangenen Leben ab. Nun war ihr wirklich klar, was er ihr Vater war. Er hatte für diesen Kaiser heimtückisch gemordet, nur damit dieser seine Macht behielt. Kurz kam in Stella ein rachsüchtiger Gedanke auf, dass sie vielleicht den Kaiser heimsuchen sollte und ihm das gleiche Schicksal zuteil werden lassen sollte, was er anderen angedacht hatte. Doch schnell verwarf sie diesen Gedanken. Sicherlich würde sie ihn töten können aber dabei auch ihr eigenes Leben verwirken, für sie das so hart gekämpft hatte. Noch dazu würde es dem Namen der Familie schaden. Sollte das die letzte Erinnerung an die Tiberii sein? Nein, das wollte Stella nicht. Doch der Hass auf diesen Kaiser war so groß, dass er einerseits ihren Vater verdammt hatte und andererseits so ein furchtbarer Mensch war, ohne jegliches Mitgefühl und eher getarnter Wolf, denn als Mensch. Sie wollte ihn verfluchen, so abgrundtief verfluchen, dass ihm kein Glück mehr widerfuhr - und doch tat es Stella noch nicht. Hier an diesem Ort, der sicherlich viele dienstbare Geister des Pluto gesehen hatte, wäre ein Fluch sicherlich wirkungsvoller als an einem Marktstand. Interessant war, dass genau diese Grotte ihr Ruhe brauchte. Genau hier, an dem Ort der Flüche und Todes, der geheimen Versammlungen und Rituale zur Huldigung des Todes und vielleicht auch das Lebens bis zu seinem Ende, fand Stella eine okkulte Ruhe, da dieser Ort losgelöst von Rom schien. Das leichte Rauschen des Wasserbeckens, welches durch den Wind, welcher die Treppe hinab kam, in Bewegung gesetzt wurde und das Knistern der Fackeln, beruhigten Stella, die so voller Schmerz war, dass nicht einmal der Tod Vergebung erwarten konnte. Die Tiberia war nicht stark genug,ihre Trauer zu überwinden. Sie wollte nur nach Hause. "Pluto!" Ein lauter Ruf durchfuhr diesen Tempel. "Du bist bei meinem Vater. Du gabst ihm die Macht und die Tatkraft für sein Handwerk," rief sie. "Gib' nun auch mir jene Macht und Tatkraft." Stella stand auf, griff zum schwarzen Dolch, den sie empor streckte und dabei laut rief: "Ich widme dir mein Leben, du sollst es haben, damit ich meine Familie rächen kann." Stella wollte kein Besitztümer, keine politische Macht, sondern allein die Gewissheit, dass ihre Familie nicht umsonst vergangen war. "Ich verfluche den Imperator Caesar Augustus, der für alles verantwortlich ist! Er soll lange leben. Jeden Angehörigen überleben, bis er am Ende allein ist, vollkommen allein und einsam stirbt. Er soll allein sein, genauso allein, wie ich es bin." Stella hielt sich die Klinge an die Kehle, bereit ihren Eid gegenüber Pluto zu erfüllen. Ein Leben für ein Leben. "Nimm' mein Leben als Opfer. Pluto, nimm' mein Leben."
RetterInnen sind gerne eingeladen!