Nannaia Surena - Das Haus des Mondes

  • Letter-OIKOS TOU Letter-SELENE


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    In Caesarea lag das Haus von Nannaia Surena aus dem Hause Suren. Sie galt als junge Witwe, obgleich niemand wusste, ob ihr Gatte nur ein Verbannter oder wirklich nicht mehr am Leben war.

    Zurückgezogen lebte sie; umgeben von ihren Dienerinnen und ihren Verschnittenen. Nannaia bedeutete auf Parthisch "Mond".

    Nannaia Surena nannte sich selbst eine Frau, die in ihrem Geiste eine Griechin, an Tugend eine Römerin und in ihrem Herzen eine glühende parthische Patriotin war.

  • Man munkelte, Parther hätten sich in Caesarea niedergelassen. Von der Sache her war das nichts Ungewöhnliches. In Cappadocia lebten Menschen aus aller Herren Länder in einer bunten kulturellen Synthese. Fortschritt traf auf Rückständigkeit, Ost traf auf West und Süden auf Norden - ein Durcheinander, das konservativen Patrioten ebenso die Tränen in die Augen trieb wie reisenden Geschichtsschreibern. Steppenreiter mit breiten Gesichtern durchstreiften die Provinz, rothaarige Kelten legten heilige Haine an gleich ihren Vorfahren, die einst aus dem regnerischen Norden gekommen waren, um hier als Söldner zu kämpfen und schwarzäugige Perser brachten bunte Seide mit Kamelen aus dem Süden.


    Die Provinz war nacheinander persianisiert, hellenisiert und romanisiert worden und zwischendurch blühten immer noch ureigene kappadokische Elemente wie Wildblumen in einem Garten, die niemand jätete. Griechische Götter wurden in Cappadocia ebenso verehrt wie Ahura Mazda und die uralten Wettergottheiten dieses Landes. Galater hatten den Westen der Provinz regiert, Meder und Phryger und das Land war von etlichen weiteren Stämmen geprägt worden, deren Namen heute keine Rolle mehr spielten, da man sie alle nur noch Cappadox nannte.


    Das Haus des Mondes fügte sich trotz seines südländischen Charmes daher störungsfrei in die Umgebung. Das war es also nicht, weshalb Tappo heute beschloss, die Nachbarin in Augenschein zu nehmen. Mit einem kleinen Gastgeschenk in der Hand klopfte er an die hohe Porta, das weißblonde Haar sauber gescheitelt und die beste Toga an seinem zierlichen, nicht ganz symmetrisch wirkenden Leib.

  • Bitte melde dich an, um diesen Anhang zu sehen. Elahbel Sceptuch


    Elahbel war vielleicht das, was die Römer als Maiordomus bezeichnet hätten, doch der große, schlanke Eunuch war mehr als das; Hüter und Vertrauter seiner Herrin, und er trug den Titel Sceptuch, das bedeutete "Hüter des Szepters" und bezeichnete seine hohe Stellung.

    Als die Torhüter die Porta geöffnet hatten, trat er also auf einen Fremden zu, dessen Haar so weiß war wie der schneebedeckte Gipfel des Argaios*. Doch sein Gesicht war noch jung. Der Sceptuch sprach ihn auf Koiné an, da der Besucher offensichtlich aus dem Westen stammte: Seine Toga wies ihn als römischer Bürger aus, doch Elahbel sprach kein Latein.

    " Chaire Fremder", sagte er: "Wie heißt du und wer sind dein Vater und deine Heimatstadt und was führt dich in das Haus von Despoina** Nannaia Surena?"


    Sim-Off:

    * heute Berg Erciyes ** griech. Gebieterin, Herrin

  • Wie angenehm. "Chaire", grüßte Tappo zurück.


    Er antwortete in fehlerfreiem Griechisch, denn dies war die Sprache seiner Familie, seit das Makedonische in der Koine aufgegangen war. Latein bildete für ihn ein notwendiges Übel, es war nicht seine Muttersprache und daheim sprachen sie nur Griechisch. Die Tuccii hatten zwar das römische Bürgerrecht inne, doch sie waren keine Römer, weder genealogisch noch im Herzen.


    "Cossus Tuccius Tappo lautet mein Name, Sohn des Titus Tuccius Tychicus. Ich lebe in Caesarea, gar nicht weit von hier in der Casa Tuccia. Aus diesem Wohnverhältnis entspringt mein heutiges Anliegen: der Wunsch, nachbarliche Bande zu knüpfen, welche über räumliche Nähe hinausgehen."


    Und natürlich die große Untugend der Tuccier: Neugier.

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    "So folge mir bitte in den aiwān*, Tappo Sohn des Tychicus", sprach der Sceptuch und flocht an dieser Stelle das parthische Wort ein, denn obwohl der oikos tou Selene griechisch war, besaß er die zum Hofe hin offene und mit einem Tonnengewölbe überdeckte Halle der parthischen großen Häuser:

    "Ich werde meiner Herrin Bescheid sagen, dass ein Gast gekommen ist."


    Elahbel ging voraus.

    Der Aiwan war nur klein, wenn man ihn mit dem der Paläste verglich, dafür aber mit Sesseln und Teppichen ausgestattet. Das Murmeln einer Wasserfontäne erquickte den Besucher und der Duft von Weihrauch aus Arabia Felix erfrischte die Sinne. Mosaike in parthischem Stil schmückten die Wände, hier die strenge Frontalität der drei Gottheiten: Die Mondgöttin Nannaia, die Göttin des Wassers Anahita und in ihrer Mitte Aramazd, den die Perser Ahura Mazda nannten.


    Der Sceptuch wies Tappo einen Platz an und klatschte in die Hände. Sofort kamen zwei junge Mädchen, die zwischen sich eine große silberne Platte mit Bechern, Wasser, Wein, Obst und Konfekt aus Granatäpfeln, Mandeln und Honig herbeitrugen. Stumm, bereit dem Gast jeden Wunsch von den Augen abzulesen, warteten sie.


    Elahbel entfernte sich gemessenen Schrittes. Auch wenn der Gastfreundschaft genüge getan worden war, hatte er es nicht eilig, denn der Römer war nach seiner Meinung nicht allzu hochgestellt, obwohl sein vornehmes Griechisch bewies, dass er kein kompletter Barbar war.

  • Edel. Nicht schlecht. Tappo ließ den Blick seiner hellen Augen die imposanten architektonischen Eindrücke aufnehmen. Die Nachbarin schien finanziell ausgesorgt zu haben. Er hatte sie selbst noch nicht gesehen, sich nur sagen lassen, dass sie hier wohnhaft sei. Ein solcher Palast erregte natürlich Aufsehen. Gleichsam sperrte er die Gewöhnlichen sehr deutlich aus, sodass kaum jemand Näheres über die Bewohnerin wusste, auch wenn man dies und das munkelte.


    Sogar Eunuchen konnte sie sich leisten. In Cappadocia nicht direkt etwas Außergewöhnliches, aber dennoch etwas, das nicht jeder sein Eigen nannte. Die Anwesenheit des Verschnittenen zeugte von gutem Geschmack und Verbundenheit zur hiesigen Tradition. Tappo nahm etwas von dem Obst und ließ sich in einem der Sessel nieder. Um diese Jahreszeit war Frischobst keine Selbstverständlichkeit. Seine Neugier stieg ins Unermessliche, wer die Dame denn wohl sei, die ihn so gut bewirtete. Da die beiden Sklavinnen in der Nähe seiner Wünsche harrten, nutzte Tappo die Gelegenheit für einen kleinen Plausch, um sich die Zeit zu vertreiben, bis man für ihn Zeit fände.


    "Du, bitte mische mir etwas Wasser mit Wein an im Verhältnis eins zu drei, und gib ein Löffelchen Honig dazu. Dies ist ein rein parthischer Haushalt, der Gestaltung und dem Inventar nach zu urteilen?"

  • Das Mädchen lächelte freundlich, aber die Frage verstand es nicht. Was bedeutete „parthischer Haushalt“? Es gab nur einen einzigen Haushalt in ihrem Leben, den ihrer Herrin.

    Und so antwortete es: „Dies ist der Haushalt der despoina Nannaia aus dem Hause Suren, Herr.“ und mischte den Wein; Wasser mit Wein im Verhältnis eins zu drei und ein Löffelchen Honig dazu.


    Nannaia Surena hatte von ihrem Besucher erfahren. Neugierig war sie auf den Westler; sie kannte zwar einige griechische Eunuchen, die ihre Lehrer gewesen waren, doch keine Römer. Den römischen Sklaven, die im parthischen Reich zum Straßenbau eingesetzt wurden, pflegte sie keine Beachtung zu schenken.

    Sie kleidete sich sehr sorgfältig; ein Unterkleid und darüber eine langärmlige, bestickte Robe; viel Goldschmuck und den langen

    Rückenschleier einer freien Dame; doch ihr Haar trug sie zu einem griechischen Knoten aufgesteckt.

    Dann winkte sie ihren beiden Lieblingsdienern, dem Sceptuch Elahbel und ihrer Milchschwester Hadirat, sie sollten sie zu dem Gast begleiten.

    Nannaia legte den Finger auf die Lippen, trat zu dem Fremden und nahm einen großen Schluck Wein aus seinem Becher. Nachlässig stellte sie das Gefäß zurück und leckte sich einen Tropfen von ihren Mund.

    Dabei ließ sie Tappo nicht aus den Augen.

    Tappos helle Haare, seine Augen wie sappheiros,Saphir; der Besucher glich mehr einem Schneeleoparden in Männergestalt als einem wirklichen Menschen.

    Nannaia war fasziniert. Elahbel hatte nicht zu viel versprochen.

    Nun sagte Nannaia langsam auf Griechisch: „Chaire, Tappo Sohn des Tychicus. Mögest du mit Vertrauen trinken. Willkommen in meinem Haus. Mein Name ist Nannaia, griechisch Selene und in deiner...“
    Eine kleine abschätzige Pause: „ ...Sprache ist es Luna.“

    Nannaia Surena setzte sich dem Römer in den Sessel gegenüber, während sich Hadirat zu ihren Füßen kauerte und Elahbel stumm mit verschränkten Armen in ihrer Nähe stehen blieb.

  • Die beiden Menschen hätten äußerlich nicht unterschiedlicher sein können: Tappo weißblond, zierlich und etwas verwachsen, Nannaia schwarzhaarig, dunkeläugig und aufrecht. Fast hätte man sie für ein Mitglied der verhassten Seia halten können und diese hätten mit ihrem Faible für brünette Partner sicher Gefallen an ihr gefunden. Die Sklaven beachtete Tappo nun nicht mehr.


    Tappos Gastgeberin kostete von dem Wein aus seinem Becher. Ein amüsiertes Schmunzeln spielte um seine Mundwinkel. Doch dann klärte sich auf, weshalb sie diese Geste wählte - sie wollte dem Gast veranschaulichen, dass kein Gift darin zu finden sei. Ein vergifteter Tuccius - das wäre eine schöne Ironie.


    "Meine Sprache ist Koine, Nannaia. Der Lateinischen bin ich lediglich mächtig. Meine Familie wurzelte nie in einer anderen Provinz als den Östlichen, dies ist meine Heimat und die meiner Vorväter seit sehr vielen Generationen. Danke für das freundliche Willkommen. Ich hoffe, du legst es mir nicht als Schmeichelei aus, wenn ich die Poesie in deinem Namen lobe. Ein Geist mit Verständnis für das Schöne muss ihn für dich ausgesucht haben. Wer wählte ihn?"


    In vielen Kulturen gab der Vater dem Kind den Namen in einer offiziellen Zeremonie, doch musste dies nicht bedeuten, dass er ihn erwählt hatte. Genauso gut konnte er dem Wunsch seiner Gemahlin nachkommen oder der Name Tradition in dieser Familie haben. Und wer wusste schon, wie es die Parther hielten?

  • Nannaia sah Tappo nun nachdenklich an und erwiderte: "Ein Römer, der sich als ein Mann des Ostens darstellt, das ist sehr interessant. Sonst seid ihr doch sehr stolz darauf, die gens togata, das togatragende Volk zu sein. Aber es regiert ja auch ein parthischer Shahanshah, der glaubt, ein Mann des Westens zu sein. Zweifellos hätten die Griechen aus diesem Thema eine hinreißende Tragödie gemacht, glaubst du nicht?", als sie Vologases erwähnte, nahm ihre Stimme einen kalten Unterton an. Mal sehen, was Tuccius Tappo darauf erwidern würde.


    Das Kompliment über ihren Namen zauberte ein Lächeln auf ihre schön geschwungenen Lippen; er hatte Manieren, der Schneeleopard:

    "Mein vollständiger Name lautet Nannaia - ana, von der Göttin am Tag der Geburt geschenkt. Jeder sechste Tag im Monat ist Artemis- Selene heilig, und ich bin gar an einem sechsten thargelion* geboren.", erläuterte sie die parthische Sitte, Kindern den Namen der Schutzgottheit ihres Geburtstages zu geben. In ihrem Fall fielen der parthische und griechische Namenstag sogar zusammen.:

    "Ich freue mich, dass dir mein Name gefällt. Erzähle mir bitte etwas über die Tuccia, deine gens, denn ich bin mit römischen Familien wenig vertraut, Tappo Sohn des Tychicus."



    Sim-Off:

    *Thargelion

  • "Dann darf ich wohl annehmen, dass deine Sympathie dem Gegner des heutigen Schahanschah, dem Gegenkönig Osroes gilt? Wohnst du deshalb hier in Cappadocia, abseits des Landes, in dem das Blut deiner Vorväter vergossen wurde - abseits des Landes, zu dem auch dein Blut dich zieht?"


    Das war freilich Spekulation, doch musste es einen Grund geben, warum Nannaia nicht in Parthia lebte. Womöglich trug sie mehr als nur Antipathie im Herzen, ein dunkles Geheimnis, welche sie in das Exil zwang. Eines war sicher: Wer in solch einem Palast residierte, umschwärmt von Eunuchen, der musste einem Haus entstammen, dass sich ein solch exquisites Exil für die Tochter leisten konnte.


    "Der Name Nannaia oder Nanaja war in Babylon nicht unbekannt. In alten Zeiten galt sie als Göttin des Begehrens und ihr Name ist älter als jener der Venus."


    Nannaia erweckte den Eindruck eines in der Fremde versteckten Schatzes. Zweifelsohne war sie eine Frau von Intellekt und es würde nur so viel preisgeben, wie sie für unbedenklich hielt. Doch vielleicht würde sie sich entspannen, wenn Tappo über seine eigene Abstammung berichtete, die kein Geheimnis war.


    "Was mein Blut betrifft, so sehnt es sich zurück nach Babylon. Meine Familie fiel mit der Stadt, als die Arsakiden an die Macht kamen. Als Abkömmlinge eines Getreuen von Alexander dem Großen blieben wir stets den Seleukiden treu. Wir haben nie die Seiten gewechselt, weder im Wind noch im Sturm und kein Geld und keine Versprechungen konnten das uralte Gelübde brechen. Wir versprachen, Babylon zu halten, zu verwalten, und in die Herrlichkeit zu führen. Und wir haben unser Wort nicht vergessen, auch wenn wir den wichtigsten Teil des Gelöbnisses nicht ohne Unterbrechung erfüllen konnten."


    Nun lächelte er und wenngleich von Tappo oft etwas Freundliches, aber Kühles ausging, so war dieses Lächeln für seine Verhältnisse warm, was daran lag, dass es ein ehrliches war.


    "Das Imperium Romanum ist für die Gens Tuccia nur ein Rastplatz. Wir haben das römische Bürgerrecht erlangt, doch unsere Herzen schlagen nicht römisch."

  • " Keiner der beiden Könige ist der Grund dafür, dass eine Tochter des Hauses Suren außerhalb des Partherreiches leben muss. Du weißt doch wohl, dass es immer ein Surena ist, der den Shahanshah krönt? Es ist meine Familie selbst, die mich weit weg von Ktesiphon und dem, was das Leben lebenswert macht, wissen wollte."


    Einen Moment lang sah Nannaia Surena gekränkt aus, in ihrer Vorstellung war sie von solch edlem Blut, dass es kein von ihr begangenes Verbrechen gab, das ein Exil gerechtfertigte.

    "Dennoch liebe ich mein Land, Tappo. Doch Osroes - ist er denn stark genug? Weshalb ist Vologases noch am Leben? In alter Zeit hätte man ihn zu einem Gastmahl geladen, welches er nicht mehr verlassen würde oder als Gast zu einem Theaterstück, in dem sein Kopf den gleichen Ehrenplatz erhalten hätte wie der des Crassus in den Bacchen des Euripides."*


    Nun war ihre Bemerkung über die hinreißende Tragödie wohl eindeutiger:

    "Sympathie werde ich für den Stärksten haben." Ihr Blick unter ihren schweren Lidern war beredet und

    mit geneigtem Kopf hörte sie dem Römer zu:

    " Babylon ist älter als Seleukos, älter als Alexander und auch älter als wir.", gab sie zu: "Als die ersten Menschen im Frühling des Menschengeschlechts die Augen öffneten und erkannten, dass die Welt gut war, war das zweifellos in Babylon. So seid ihr Tuccia die Satrapen, die Hüter? Warum seid ihr denn Römer geworden?"

    Nannaia Surena spielte den Ball zurück. Sie fragte lieber, als dass sie antwortete. Aber auch Ballspielen machte ihr nur Freude, wenn der andere Spieler sich darauf verstand, und ihr helläugiger Besucher verstand sich darauf.



    Sim-Off:

    * Laut Plutarch soll 53 v. Chr. der abgetrennte Kopf des Römers M. Licinus Crassus von Partherkönig Orodes II anstelle eines Bühnenkopfes verwendet worden sein. https://de.qaz.wiki/wiki/Parthian_Empire

  • Die Erwähnung dieser Abstammung ließ Tappo seine Gastgeberin ein weiteres Mal betrachten, diesmal mit einem anderen Augenmerk. Aus der schönen Tochter eines wohlhabenden Parthers war nun die Tochter eines Aspbed* geworden, eines Herrn der Pferde, des Oberbefehlshabers der Kavallerie. Da die Panzerreiter das Rückgrat der parthischen Streitmacht bildeten und nur Söhne der besten Adelsfamilien Kataphraktoi wurden, war dieses Amt nicht mit einem römischen Decurio zu vergleichen. Ein Kataphrakt zu sein bedeutete höchstes Prestige, hieß, der obersten Kaste des parthischen Volkes anzugehören und so wohlhabend zu sein, dass man sich die kostspielige Ausrüstung, zahlreiche Waffen und den Unterhalt mehrerer Schlachtrösser leisten konnte. Aber auch eine besondere Form von Gemeinschaftsbewusstsein schwang in der Bezeichnung mit. So war es nur naheliegend, dass der höchste Befehlshaber der Kataphraktoi es war, welcher den König krönte. Und Nannaia entstammte diesem Haus.


    "Nannaia Surena, bitte gestatte mir eine Frage!" Die Faszination und Bewunderung von Tappo war nicht gespielt. Er konnte eine manipulative Schlange sein, wie jeder seiner Gens, doch bedeutete dies nicht, dass er unempfänglich war für menschliche Regungen. "Wenn das Haus Surena seit Generationen die parthischen Könige krönt - haben sie folgerichtig auch beiden Schahanschah die Krone auf das Haupt gesetzt?"


    Raffinierter ging es kaum. Nannaias Aussage, dass ihre Sympathie dem Stärksten gelte, wäre unter einem noch weitaus interessanteren Licht zu betrachten. Sie mochten nicht jene sein, die entschieden, wer König wurde, doch die Loyalitätsfrage des Hauses Surena machte das Ganze spannend, war sie doch viel mehr als nur das berüchtigte Gerstenkorn, welches die Waagschale zum Kippen bringen konnte. Tappo verschränkte die Fingerspitzen, während seine Augen unverwandt auf dieses Gesicht gerichtet waren, hinter dessen Stirn so viel Wissen lag, aber auch ein scharfer Verstand.


    Offen blieb die Frage, warum ihre Familie sie fortschickte. Nannaia deutete an, dass sie nicht freiwillig hier weilte. Doch nur, wenn er seinerseits von sich erzählte, würde sie, einer Sphinx gleich, das Rätsel vielleicht lüften.


    "Wir wurden Römer, weil wir es werden mussten. Babylon war unsere Heimat und sie zu hüten war unsere heilige Pflicht. Als die parthischen Arsakiden die hellenischen Seleukiden vertrieben, beließen sie zunächst die alte Elite in Amt und Würden. Einen funktionierenden Staat zu okkupieren mit einer Bevölkerung, der man Gnade erwies, ist praktischer, als ein zerstörtes Land mit verbitterter Bevölkerung neu aufzubauen. Das wissen die Römer, das wissen die Parther, das wissen alle Herrscher großer Reiche. Und doch blieben mit der Zeit Konflikte nicht aus."


    Er öffnete entwaffnend die Hände. Ihm ging es nicht darum, die Parther anzuschuldigen, doch wenn Nannaia die Antwort auf ihre Frage hören wollte, musste sie mit der Sicht eines Mannes konfrontiert werden, dessen Familie unter den parthischen Arsakiden alles verloren hatte.


    "Die Arsakiden, die anfangs nur Besatzer waren, Steppenreiter, die ein Mischvolk beherrschten, sehen sich schon längst nicht mehr mit den gleichen Augen, wie ihre barbarischen Vorfahren. Sie sind nicht mehr stolz auf ihr wildes Erbe, das mehrere Hochkulturen in die Knie zwang und unter ihre Knechtschaft zwingt. Die heutigen Parther sind selbst zu einer Hochkultur geworden, sie schaffen eigene Werke und es bildet sich ein parthischer Nationalstolz heraus. Erinnerungen an die Seleukiden haben darin keinen Platz."


    Wenngleich Vologases genau jene wieder schürte und damit das Volk spaltete.


    "Alles Hellenische sollte weichen und der sich entwickelnden parthischen Kultur Raum geben. Meine Familie aber wollte nicht zusehen, wie das Erbe Alexanders systematisch ausgelöscht und die Erinnerungen zerstört wurden. Die Arsakiden ihrerseits reagierten darauf mit den üblichen wirtschaftlichen und politischen Repressalien, sodass die Stadt Babylon langsam begann zu sterben. Die Bevölkerung wanderte ab nach Seleukia, der neuen Hauptstadt. Schlussendlich mussten meine Vorfahren, wollten sie wenigstens einen Teil des Wohlstandes erhalten, ihre Ämter und Würden aufgeben und so zogen sie ebenfalls nach Seleukia, um zu sehen, ob sich nicht von dort aus etwas retten ließe.


    Seleukia jedoch teilte bald darauf das Schicksal von Babylon, als Artabanos der Zweite in die Selbstverwaltung der Stadt eingriff, die bis dahin noch immer nach hellenischem Vorbild regiert wurde. Der parthische Adel sollte regieren, wo zuvor der Rat der 300 und die Ekklesia tagten. Seleukia verlor seinen hellenischen Charakter und wurde zu einer parthischen Stadt.


    Und meine Vorfahren verließen auch diese zweite Heimat, um einer möglichen Säuberung zuvorzukommen. Und so zogen wir in das Imperium Romanum - nach Cappadocia, in dem noch immer das hellenische Erbe stark ist. Hier fühlen wir uns wohl, doch ist es nicht Babylon. Einige alte Freunde in Cappadocia halfen uns, hier Fuß zu fassen und schlussendlich erlangten wir das Bürgerrecht durch Fleiß."


    Und reichlich geflossene Bestechungsgelder.


  • "Deine Frage nach beiden Shahanshah ist berechtigt. Doch ich weilte während jener Zeit nicht in Ktesiphon.“, antwortete Nannaia nachdenklich:

    „Nur der von dem Surena gekrönte Shahanshah hat das Recht, seine Urkunden mit Arsakes zu unterzeichnen*, denn nur er ist der théos ktístes, der reinkarnierte Gründer-Gott der Arsakiden. Usupatoren unterschreiben mit ihrem eigenem Namen. Sollten dennoch beide gekrönt worden sein, so ist auch das Haus Suren bestechlich und niedrig bis ins Mark geworden.“


    Sie zuckte die Achseln.

    Dann lauschte sie der Geschichte der Tuccia und ihrer großen Vergangenheit. Die Tatsache, dass Tappos Geschlecht jetzt römisch war, war eher dem Zufall geschuldet als allem anderen. Da war keine Liebe; wie sollte auch jemand Liebe empfinden zu jenem Flecken Erde am Tiber, auf dem nur Eisen wuchs? Welch geistloses Volk war zum Herren der Erde berufen worden, dachte die Partherin verächtlich.


    Tappo jedoch hatte eine alte Seele. Seine scharfen Züge spiegelten wieder, was Nannaia an einem Mann am meisten schätzte:
    Analytischen Verstand und einen starken Willen. Sie hatte ihm ja schon gesagt, dass sie dem Stärksten folgen würde.


    Leise sprach sie:

    "Auch ich träume noch Alexanders Traum, Tappo Sohn des Tychicus.

    Aber nicht gemeinsam mit den Seleukiden, die wir uns unterworfen haben und auch nicht mit den Nachfahren der besiegten Achaemeniden, denn sie sind nur noch Geister der Vergangenheit.

    Mein Sehnen gilt einem Reich des Ostens, das erst noch geboren werden muss. Erwachsen aus parthischem unverbrauchten Blut, erstanden aus hellenischem Geist und getränkt mit der Weisheit Babylons, ein Reich, welches im Osten bis an die Grenzen des Seidenlandes stößt und im Westen Syria, Aegyptus und Cappadocia umfasst.“


    Absichtlich erwähnte Nannaia Roma nicht.


    Unwillkürlich hob sie die Hand und streichelte die Dienerin zu ihren Füßen, als sei Hadirat ein zahmes Tier. Das Mädchen seufzte und schmiegte sich enger an das Gewand ihrer Herrin. Während Nannaias Finger mit den Lippen Hadirats spielten, schenkte sie Tappo einen Blick unter ihren langen dunklen Wimpern.


  • Der zärtliche Umgang der Herrin mit dem sklavischen Geschöpf beflügelte einen schillernden Tagtraum, der wie ein Schmetterling durch Tappos Geist gaukelte. Welch Liebreiz und Harmonie, ein lebendes Gemälde. Um den Zauber nicht zu trüben, unterließ er einen Kommentar, doch ein Lächeln zierte sein Gesicht. In Roma mochte Nannaia Surena nur eine Peregrini sein, doch außerhalb vom Romas Grenzen war sie eine Tochter des parthischen Hochadels, gegen welchen die intriganten Tempelfürsten Cappadocias sich wie böse Spukgespinste ausmachten.


    "Ich danke dir für deine offene Antwort bezüglich der Krönungsfrage und deiner Gedanken zur Zukunft des Landes. Deine Träume sind Visionen", sprach er schließlich freundlich. "Alexanders Traum war einst Wirklichkeit geworden. Doch Träume können zerschlagen werden wie Glas und darum muss man sie in die Welt des Greifbaren holen und fest darin verankern. Was Alexander dazu fehlte, waren Zeit und ein Erbe. Das Tragische an den Ereignissen, die nach seinem Tode folgten, war, dass jeder der Diadochen sich letztlich tatsächlich für den wahren Erben hielt. Es ging dort nicht um Macht, es ging um das, woran sie glaubten und wofür ihre Herzen schlugen. Alexander hatte sie durch die halbe Welt geführt und sie mit ihnen gemeinsam erobert. Diesen Männern ging es um etwas, das so groß war, dass man einen Dichter bräuchte, um es in angemessene Worte zu kleiden. Die Energien, die damals mobilisiert wurden, können wir uns in unserer heutigen Trägheit kaum noch vorstellen. Und doch ... so lange es Menschen gibt, die den Traum weiter leben, ist er nicht vorbei."


    Wie zufällig wechselte er scheinbar das Thema.


    "Cappadocia ist die Provinz mit dem meisten Militäraufgebot, obgleich Parthien sich nie aggressiv verhielt. Ganze vier Legionen, zwei Auxiliareinheiten und die Classis in Trapezus sind hier stationiert. Ahnst du, warum das so ist, Nannaia?"

  • Nannaia Surena schwieg bewegt, als ausgerechnet der Römer Tappo in flammende Worte fasste, was auch in ihren Gedanken war: Die große Vision einer Erneuerung... geboren aus glühender Alexanderverehrung und dem Abscheu, den sie vor der Weltordnung empfand, die die Römer der bekannten bewohnten Erde auferlegt hatten.... der Besucher schien sie ganz und gar zu verstehen.


    Die Partherin strich Hadirat ein letztes Mal durchs Haar, löste sich von ihr und sah Tappo in seine saphirblauen Augen. Seit langer Zeit – sie lebte wirklich wie eine keusche Witwe – spürte sie einmal wieder Begehren nach einem Mann.

    Wie wäre es wohl, mit Tappo zwischen Küssen und Umarmungen über
    Rebellion und den Tod vieler Menschen zu sprechen, seinen hellen Leib mit ihren Armen zu umfangen, sein Greisenhaar zu durchwühlen und ihn auf ihrem Lager willkommen zu heißen?


    Der Gedanke verwirrte sie, ließ sie einen Moment lang tief Luft holen. Dennoch hatte sie genau hingehört.

    „Vier Legionen, zwei Auxiliareinheiten und die Classis.“, wiederholte sie Tappos Worte und zuckte die Schultern:

    „Nein, ich weiß nicht, warum die Römer so viel Militär hier stationiert haben. Aber ich hege keine Zweifel, mein Schneeleopard, das du mich gleich darüber aufklären wirst, weshalb das so ist.“


    Ein ironisches Lächeln spielte um Nannaia Surenas Lippen, als sie Cossus Tappo seinen Kosenamen verriet. Doch in ihren Augen lag keine Heiterkeit, sie waren dunkel vor Sehnsucht.

  • Kykeon

    Im Aiwan mischte Nannaia Surena den Trank von Demeter, das Kykeon, aus Wein, Gerste, Bilsenkraut und Pulegium, und während sich ihre Lippen lautlos bewegten, gab sie sich dem entheogenen Zustand hin, die Göttin des Tages ihrer Geburt beschwörend.

    Sie nannte sie Nannaia und Selene,
    Pandia und Mene und mit geheimeren Namen.


    Du
    bist ich und ich bin du, dein Name ist mein Name und mein Name ist
    dein Name.",
    und dann sah die Partherfürstin
    während sie trank, Bilder vor sich wie den wabernden Umhang ihrer Mondgottheit:


    "Tuccius Tappo“,
    sagte sie mit süßem und grausigem Lächeln:

    „Ich gab dir die Freundschaft meiner Seele und die meiner Hüfte, doch wieder gekommen
    bist du nicht. Sei froh darum vielleicht, so schläft es sich leichter, schöner Schneeleopard mit den Saphiraugen. Leichten Herzens tausche ich das Reich der Rhomäer gegen das der hyrkanischen Tiger.“
    ,
    sie lachte berauscht vom Bilsenkraut auf:

    „Denn kein Tiger wäre je so maßlos wie ein Römer es sein kann. Wann
    jemals habt ihr genug geraubt, Söhne des Mars?“

    Sie trank einen Schluck und mit dem Rest des
    Kykeon löschte sie das letzte Feuer.

    Sceptuch, Hadirat, auf geht es!“, befahl sie ihren Dienern: "Wir kehren heim!"


    Dann wurde das Haus des Mondes geschlossen; die Weisen verstummten, die Fackeln erloschen, die prachtvollen Kacheln wurde blind von Staub, nur der silbrige Mondschein blieb wie eh und je und das Flüstern des Windes, während
    es verwaist da lag für sehr lange Zeit.

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