Octavena liebte den Frühling. Das hatte sie immer, schon seit ihrem ersten Jahr in Mogontiacum. Damals hatte sie gemischte Gefühle bei dem Gedanken gehabt, Tarraco zu verlassen, und die kalten Winter im Norden waren nie etwas gewesen, womit sie sich richtig hatte anfreunden können. Doch wenn der Schnee endlich schmolz und die Sonne wieder hervorbrach, dann hatte auch Octavena insgeheim ein wenig das Gefühl, dass ihr eine Last von den Schultern genommen wurde. Ein wenig fand sie das selbst albern, aber diese Art von Sentimentalität konnte sie sich dann doch nicht verkneifen. Auch in diesem Jahr hatte sie sich eigentlich auf den Frühling gefreut. Darauf, dass die Tage wieder nicht nur länger, sondern auch wärmer wurden, auf entspannte Spaziergänge über den Markt bei Sonnenschein, auf frisches Grün im Garten und eine erwachende Natur. Sie hatte ja nicht ahnen können, dass in diesem Jahr alles ganz anders kommen würde.
Es begann damit, dass ihr Mann hustend nach Hause kam. Eine Erkältung sagte er ihr, nichts Besonderes. Und tatsächlich dachte Octavena sich auch zuerst selbst nichts dabei. Ein paar Tage zuvor hatte Farold schon vor sich hin geschnieft und es wäre ja schließlich nicht das erste Mal gewesen, dass das halbe Haus sich irgendetwas von einem der Kinder eingefangen hätte. Doch dann kam zu dem Husten Fieber und zwei Tage später lag Witjon hustend und glühend im Bett, ohne dass sich sein Zustand zu bessern schien. Auch der Arzt, den Octavena schließlich rufen ließ, konnte offenbar nichts daran ändern. Er redete nur irgendetwas von Behandlungen und Mitteln, die Octavena, die sich zu diesem Zeitpunkt schon seit Tagen nicht nur mit ihren eigenen Sorgen, sondern auch mit ihren mehr und mehr verstörten Kindern rumschlug, allerdings kaum verstand. Am Ende schloss er mit dem Rat, dass sie am besten beten sollte - was sie auch tat. Doch vielleicht lag es daran, dass Witjons Götter andere waren als ihre, oder vielleicht hörte keiner von ihnen gerade zu, doch Octavenas Gebete wurden nicht erhört.
Der Frühling erreichte Mogontiacum, die ersten sonnigen Tage tauchten die Villa Duccia in ein warmes Licht und Numerius Duccius Marsus starb. Und Octavenas so bequem gewordenes Leben geriet wieder einmal ins Wanken.