Diarium der Aemilia Faustina

  • Der Sonne goldener Schein


    Es gab einmal eine Zeit in meinem Leben, in der ich nur glücklich war. Ich war der Stern meines Vaters, meine Mutter lehrte mich all ihre Künste und mein älterer Bruder liebte mich. Es mangelte uns an nichts - ob nun materiell oder immateriell.


    Ich erinnere mich an das Lachen meiner Mutter. Sie sang wunderschön und wenn ich meine Augen schließe, dann kann ich sie heute noch in meinem Geist hören. Ihr Haar duftete immer nach Gladiolen, ihren Lieblingsblumen. Sie war oft streng mit mir, da ich kein Interesse und keine Begabung für Hausarbeiten als Kind hatte. Nur widerwillig lernte ich Spinnen und Weben, hatten wir doch mehr als genug Vermögen um Kleidung und Stoffe zu kaufen wie ich oft trotzig erwiderte. Selbst heute noch verabscheue ich das Spinnen und Weben, auch wenn ich gerne nähe und sticke.


    Oft stahl ich mich davon und steckte meine Nase in Schriftrollen, Sprachen erlernte ich sehr leicht. Manchmal war ich ein wenig neidisch auf Pius, der so viele spannende Dinge lernen konnte und ich musste stundenlang am Webstuhl stehen oder Wolle spinnen bis mir die Finger bluteten. Aber oft genug belohnte mich Mutter mit einem Lied oder einer Geschichte während wir im Sonnenschein draußen saßen nach der getanen Arbeit zwischen den duftenden Blumen im hortus.


    Pius leistete oft uns dabei oft Gesellschaft und selbst Vater stand oft am Rande des Gartens und lauschte der warmen Stimme seiner Frau. Ich lag im Gras und schaute den Wolken beim Vorbeiziehen zu und Pius setzte sich zu Mutter auf die alte Steinbank, seinen Kopf an ihre Schulter gelehnt. Lepidus stand lässig an eine Säule gelehnt mit verschränkten Armen am Rande des Gartens, wollte den Moment nicht stören. Alles war in das goldene Licht des Spätnachmittags getaucht, alles war perfekt. Hätte dieser Tag doch niemals geendet, wäre diesem Tag doch niemals eine Nacht gefolgt.

  • Die kalte, schwarze Nacht


    Mutter war bereits hochschwanger und kurz vor der Niederkunft an diesem sonnigen Spätnachmittag. Sie war in den Jahren seit meiner Geburt mehrere Male schwanger gewesen, aber sie erlitt immer wieder Fehlgeburten. Sie sprach nicht über ihre Traurigkeit, aber sie sagte oft, dass sie sich weitere Kinder gewünscht hatte. Sie war so glücklich darüber gewesen in ihrem Alter noch einmal gesegnet worden zu sein, war Pius doch schon fünfzehn und ich zehn - beide schon groß und bald erwachsen.


    Nur wenige Stunden später, als die Nacht hereinbrach, setzten die Wehen ein. Das ganze Haus war in Aufruhr und alle waren in Bewegung. Man schickte nach einem Medicus und einer Obstetrix, während die Sklaven Feuer entfachten, heißes Wasser herbeischafften, saubere Tücher bereitlegten. Mit meinen zehn Jahren in dieser Nacht war ich Teil dieser Kolonne an Tüchern, heißem Wasser, Lampen die entfacht wurden, Gewändern und Haaren die gelöst wurden.


    Ich erinnere mich an die Angst und Panik und die Worte der Obstetrix, die mir versicherte, dass dies normal bei Geburten war. Die Stunden erschienen mir gleichzeitig endlos und wie Augenblicke an mir vorüber zu ziehen. Das schmerzverzerrte Gesicht meiner Mutter, der Schweiß und der Geruch der vielen Frauen in dem Raum, das nicht durch Weihrauch überdeckt werden konnte. Die ganze Nacht hindurch lag, kroch und ging meine Mutter im Kreis und je länger es dauerte, desto animalischer wurde der Ausdruck in ihren Augen.


    Die Schmerzen hatten die Güte und Milde in ihrem Antlitz ausgelöscht. Sie sah mich an, wie ein verletztes Tier, das in eine Ecke gedrängt wurde und keinen Ausweg kannte. Sie sprach kaum noch im Laufe der Nacht. Die Laute waren tief und guttural, wenn die Obstetrix sie anherrschte, dass sie aufstehen und gehen musste, dass sie nicht aufgeben durfte. Links und rechts wurde Mutter von Frauen gestützt, die sich abwechselten. Auch ich drehte meine Runden mit ihr, in denen sie sich an mich krallte. Ich weiß nicht, ob sie mich überhaupt noch erkannte am Ende, da ihre Augen so leer waren.


    Wo mein Vater und Bruder in dieser Nacht waren kann ich nicht sagen. Nur der Medicus war einige Male hier, warf einen Blick auf Mutter und unterhielt sich leise mit der Obstetrix, ehe er wieder ging. Als die Sonne aufging, verließen Mutter langsam die Kräfte. Sie lag fast nur noch im Bett und wand sich, wenn eine Wehe ihr Schmerzen verursachte. Sie konnte nicht mehr Stehen, Gehen oder auch nur Hocken. Sie war einfach am Ende und mehr als einmal verlor sie auch das Bewusstsein. Nur kurz verschwand eine der Frauen und kehrte dann mit einigen Vogelfedern wieder zurück.


    Nachdem sie die Federn angezündet und mit dem stinkenden Rauch Mutter wieder geweckt hatte, platzte endlich die Fruchtblase. Eine der Frauen legte sich auf Mutters Brust um ihr dabei zu helfen, das Kind aus dem Leib zu drücken, während die Obstetrix an dem Kind zog und es so auf die Welt holte. Mutter schrie wie am Spieß bis das Kind endlich ihren Leib verließ und wurde dann wieder ohnmächtig, überall war Blut. Sie würde nie wieder erwachen und auch das Kind schien mehr tot als lebendig und hatte noch keinen Mucks von sich gegeben.


    Die Frauen wickelten das Kind in ein Tuch und rieben ihm den Rücken, entfernten Schleim und Flüssigkeit aus seinem Gesicht und Mund. Nach einer gefühlten Ewigkeit ertönte das Quäken des Neugeborenen, während Mutter ihren letzten Atemzug in einem Bett voll Blut machte. Ich war einfach nur geschockt von dem Grauen, dem Blut, dem Geruch und Anblick. Ich konnte nicht einmal weinen in diesem Moment. Ich war kein kleines Kind mehr und kannte die Gefahren des Gebärens, aber keine Worte können einen auf etwas dergleichen vorbereiten.


    Die folgenden Stunden zogen wie ein weit entfernter Traum an mir vorbei. Ich sehe nur noch Fragmente davon in meinem Geist. Frauen, die die besudelten Laken wegbrachten. Meine Mutter, die notdürftig gesäubert und in eine frische Tunica gesteckt wurde. Der leere Blick von Lepidus. Die Tränen von Pius. Das Herz und Glück der Familie, tot und kalt. Das schreiende Bündel, das nach der Brust einer Mutter suchte, die es nie kennen lernen würde. Antigonos, der nach einigen Stunden mit einer Amme zurückkam.


    Ich hasste dieses Kind. Es war ein neues Gefühl und damals wusste ich noch nicht, dass es nur der Schmerz war, dem ich nichts entgegen zu setzen hatte. Aber in diesem Moment verwünschte ich dieses hässliche, schreiende Ding, das meine Mutter getötet hatte. Ich hoffte, dass es die Nacht nicht überleben würde, denn das wäre nur gerecht. Ich wollte niemals Kinder haben und niemals heiraten, wenn das das Ergebnis von Liebe und Ehe war.

  • Leben im Schatten


    Mutters Tod war wie das Erlöschen der Sonne in unserer Familie. Es half auch nicht, dass Nero ein kränkliches und ständig schreiendes Baby war. Oft schrie er bis zur Heiserkeit oder bis er vor Erschöpfung einschlief. Lepidus zog sich vollends vor uns zurück und ich sah nicht viel von ihm in den kommenden Jahren. Nur Pius, mein älterer Bruder, war mein Fels in der Brandung. Selbst in seinem Schmerz war er noch gutmütig genug und versuchte mich aufzuheitern.


    Bis zu meinem dreizehnten Lebensjahr verbrachte ich fast all meine freie Zeit mit Pius. Nach Mutters Tod kam eine weit entfernte Cousine Vaters in die Villa Aemilia um meine Erziehung abzuschließen. Ich nannte sie einfach Tante Agrippina, obwohl sie nicht wirklich meine Tante war. Sie war keine mütterliche Frau und zwischen uns herrschte immer eine gewisse Distanz, auch wenn sie nicht herrisch oder gemein zu mir war.


    Wenn ich nicht gerade nähen, sticken, spinnen, weben oder nach Agrippinas Anleitung Kräutersud gegen Magenbeschwerden oder Fettsalbe anrühren musste, spielte ich oft mit Pius Brettspiele oder er las mir vor. Er hatte schon immer eine angenehme Stimme gehabt und ich mochte vor allem die Geschichten der tragischen Heldinnen der griechischen Literatur. Ich konnte einige Passagen auswendig aufsagen, während Pius las. Ich liebte diese langen Nachmittage mit ihm in der Bibliotheca. Es waren rare Lichtblicke in diesem Kapitel meines Lebens.


    Doch vieles änderte sich in den Jahren als Nero heranwuchs. Pius war bereits erwachsen und ging immer mehr seinen eigenen Weg, während mein Hass auf Nero nur stärker wurde mit den Jahren. Er war kein hübsches Baby gewesen und als er zum Kleinkind wurde, sind seine Froschaugen nur noch deutlicher hervor getreten. Ich nannte ihn oft den hässlichen Frosch, wenn niemand in der Nähe war. Ich weiß nicht, wie oft Vater den kleinen Nero besucht hat - oder ob er es überhaupt jemals tat.


    Die Kinderfrauen hatten Nero einige Male in den Garten gebracht, wenn ich auch gerade zufällig dort war, aber ich ertrug seine Anwesenheit nicht. In den Tiefen der Froschaugen sah ich nichts von Mutters Güte. Er wollte auch nicht wie ein kleines Kind spielen und entwickelte sich seltsam langsam. Es dauerte sehr lange, bis er sprechen lernte und selbst als er es beherrschte, sprach er nur wenig und oft merkwürdiges Zeug.


    Ich fühlte mich auch vernachlässigt und allein gelassen von Vater in diesen Jahren - nicht nur Nero. Agrippina war kein Ersatz für meine Eltern und so verbrachte ich viel Zeit mit Einkaufen. In die Menschenmasse einzutauchen gab mir ein Gefühl nicht mehr so alleine zu sein und ich liebte es Schätze in den Geschäften zu entdecken. In meinem vierzehnten Jahr begann ich endlich auch nicht mehr dürr wie ein Weidenzweig zu sein und weibliche Formen anzunehmen. Ich sonnte mich in den Blicken der Männer. Ich genoss die Aufmerksamkeit und im Mittelpunkt zu stehen und mich dafür heraus zu putzen.


    Nur wenige Male hatte Vater versucht das Thema Heirat oder Ehemann anzuschneiden, nachdem ich meine menses hatte und auch optisch alle weiblichen Attribute zur Schau stellte. Zuerst lehnte ich ab, da ich mich zu jung fühlte und dann lehnte ich die Bewerber direkt ab als zu alt, zu hässlich, zu arm, zu dumm. Als Lepidus es ein letztes Mal versuchte, flüchtete ich mich in Bedenkzeit um den Vestalinnen beizutreten. Es war eine Ausrede, denn ich hatte kein Interesse an einem religiösen Leben, aber ich ertrug den Gedanken nicht vielleicht wie Mutter zu enden.


    Agrippina blieb bis zum meinem achtzehnten Lebensjahr in der Villa Aemilia, bis sie ihrem jüngsten Sohn nach Corsica folgte, um dort ihren Lebensabend zu verbringen. Auch Pius war kaum noch in der Villa Aemilia in diesen Tagen. Er bereiste die Provinzen in Vaters Auftrag und war nur selten in Rom. Vater verbrachte immer öfter seine Zeit in Surrentum wegen seiner bereits nachlassenden Gesundheit und das Haus wurde leerer und leerer.

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