Triclinium | Tiberia Stella

  • Er traf zeitiger als Stella ein und legte sich zurecht. Eine Ahnung beschlich ihn, dass keine leichten Gespräche auf ihn warteten. Sie hatte viele Fragen und Punkte vorgelegt, auf die er einzugehen beabsichtigte. Basis einer tragfähigen Freundschaft oder Beziehung stellte nach seiner Ansicht Vertrauen dar und Vertrauen wuchs einzig auf ehrlichem Boden. Er erinnerte sich an Lepidus, mit dem er dieses Thema anriss. Eine Vielzahl an Römern hielt weniger von Ehrlichkeit, aber Menecrates stand dazu selbst dann, wenn ihm Ehrlichkeit schadete. Heute konnte sein Hang zur Offenheit Schaden anrichten. Er spürte es.

  • Stella trat auf, zurecht gemacht und anders, als sie erschienen war. Sie wirkte natürlicher, freier und ihre Kleidung war angemessen aber schlicht. Die aufgeplusterte Eitelkeit, die sie als Maske aufgelegt hatte, war verschwunden. All die Schminke, die Seide, und modischen Farben, waren fort und ersetzt durch eine Auswahl an erdfarbenen Kleidern. Ihr Augen waren befreit von jenem schwarzen Lidstrich und ergaben sich in einem klugen Angesicht, welches ehrlich und offen auf Claudius Menecrates schien. Sie war hier, nicht als Kämpferin vergangener Hoffnungen, sondern als die Person, die sie schon immer war. Stella brauchte keinen Lorbeer, kein Gold und kein wertvolles Geschmeide, um einen Raum in Besitz zu nehmen. Wenn sie etwas einnahm, nahm sie dies mit Sinnen, Wissen und Ausstrahlung ein. Die kalte Maske war zerbrochen, fiel mit jenem Lächeln, welches bis in die Wangen reichte, hinab. Es tat gut, an einem Ort, zu sein, wo sie einfach sein konnte, ohne eine Flucht vorzubereiten. Stella trat durch das schmale Portal ins Triclinium. Sie verweilte einen Moment mit ihrem Lächeln und nickte Menecrates mit diesem sonnigen Strahlen zu. Er wusste nicht, dass er sie gerettet hatte. Nicht allein vor Hunger oder Gefahren, sondern vor jeder vergangenen Absicht und der wütenden Trauer, geboren aus Flucht, Tod und Gewalt. "Ich habe lange nicht mehr so gegessen," meinte sie und deutete auf die Kline und setzte sich lieber auf einen Sedes unweit der Kline des Hausherren. Sich - trotz eines neuen Zuhauses - unwohl und unsicher mit jener Tischsitte fühlend, schlug sie die Beine übereinander und legte beide Hände auf das obere Knie. "Oft aßen wir auf dem Boden oder ich aß mit einem Holzlöffel von einer Holzkiste aus," erklärte sie, um sich ein wenig rechtzufertigen. Ihre Flucht war auch mit Armut verbunden gewesen. Natürlich kannte sie die römischen Tischsitten aber wusste auch, dass unter Umständen auch ein Sedes akzeptiert wurde; insbesondere bei Frauen. "Danke," versuchte sie sich erneut zu bedanken und blickte sich etwas verloren um. "Es ist so ungewohnt." Stella lächelte unsicher.

  • Er sah ihr mit einem Lächeln entgegen und nahm die Veränderungen wahr. Allein die Tatsache, dass Stella nicht wie ein gehetztes Reh wirkte, erfüllte sein Herz mit Freude und sein aufgeflammter Beschützerinstinkt durfte runterfahren. Er atmete befreit aus und entspannte sich, bis ihm einfiel, was er beabsichtigte anzuschneiden. Bevor er begann, sollte sie aber etwas in den Magen bekommen. Stella setzte sich, was für Menecrates als Ausdruck traditionellen Verhaltens galt. Mit seiner Beobachtungsgabe erkannte er allerdings auch Unsicherheit, die ebenso als Begründung infrage kam.

    "Der größte Dank wäre für mich, wenn ich sehe, dass es dir schmeckt." Anderen eine Freude zu bereiten, bot ihm weitaus mehr Erfüllung als die Befriedigung eigener Bedürfnisse. Menecrates hoffte, sie würde seine Worte als Einladung sehen. Um den Prozess zu fördern, griff er nach einem hart gekochten Ei.


    Stella wählte ihren Appetitanreger und Menecrates wartete, bis sie zu einer Vorspeise griff, dann eröffnete er das Gespräch.

    "Du hattest vorhin einige Fragen gestellt und Aussagen getroffen, auf die ich - wie versprochen - noch eingehen möchte." Sein Blick löste sich vom Brotstück in seinen Fingern und suchte den Kontakt zu Stella. "Befehle, Stella, sind im Militär nicht wegzudenken. Du bist eine Offizierstochter, dir muss ich das nicht erklären. Befehlsempfänger sind niemals frei in ihrem Tun." Er stockte. Sicherlich kam es auf die Art der Befehle an, ob sie den Empfänger und Ausführenden zerstörten oder Sicherheit gaben. Wer Befehlen folgte, trug keine Verantwortung. Das Thema besaß so viele Facetten, dass er sich entschloss, es nicht weiter zu erörtert. Der schwierige Part folgte ohnehin.

    "Stella, ich möchte ehrlich zu dir sein, und ich bitte dich, auch stets ehrlich zu mir zu sein. Es hilft uns nichts, wenn wir uns gegenseitig etwas vormachen." Er blickte noch einmal prüfend, dann senkte er den Blick, um ausgiebig das Brotstück zu mustern, während er gestand. "Ich bereue mein Urteil nicht. Es ist richtig aus damaliger und aus heutiger Sicht!" Er liebte das direkte Wort, also sprach er alles an. "Auch auf die Gefahr hin, dass du mich abstoßend findest, oder verachtest und nicht mit mir unter einem Dach wohnen möchtest", er blickte kurz auf, dann fuhr er mit Blick auf das Brotstück fort, "ich habe gar nichts empfunden, als die Christen brannten." Wieder sah er auf, denn er schämte sich dessen nicht. Er senkte häufig in Gesprächen, wo er sich stark konzentrieren musste, den Blick, um sich besser zu sammeln.


    "Ich glaube nicht, dass dein Vater bei diesem Akt etwas verloren hat, wie du sagst, denn die Christen bedrohen unser Reich und er will das Reich schützen. Er hat etwas verloren, als ihm seitens eines Vorgesetzten übel mitgespielt wurde - wegen dieser Hinrichtungen. Sein Handeln war richtig und das Urteil war korrekt. Dank hatte er dafür gewiss nicht erwartet, aber auch nicht die Demontage der eigenen Person." Menecrates fügte diese Erklärung an, weil er nicht sicher sein konnte, dass Stella nach seiner Eröffnung blieb, aber sie sollte die gesamte Geschichte wissen.

  • Die Begrüßungshäppchen, die sie bereits mit spitzen Fingern genommen hatte, schmeckten gar himmlisch. Besser als die billigen Eintöpfe, zu sehr gewürzt mit Garum, aus den Straßenläden in der Nähe der Subura. Stella nahm schnell weitere Häppchen, immer hektischer, bis ihr gesamter Mund voll war, und sie kaum noch kauen konnte. Ein paar Reste bahnten sich ihren Weg über ihre inzwischen öligen Lippen. Diese wurden mit einem Streich ihrer Handfläche beseitigt. "Lecker," sagte sie zufrieden, während ihr Magen lautstark nach mehr verlangte. "Es schmeckt mir bereits. Ich bin gespannt auf die anderen Speisen!" Stella nickte eifrig, wobei ihre zugehamsterten Bäckchen leicht zu erkennen waren. Noch immer kaute sie aus diesem Reservoir, bis dieses leer war. Gerade wollte sie die letzten Häppchen greifen aber sie bremste sich, damit Claudius auch noch ein paar erhalten konnte. Es war keine Höflichkeit, denn die besaß sie nur grob, sondern einfach eine Nettigkeit und Rücksichtnahme, die Stella sehr wohl verstand. Er hatte sich fast zeitgleich mit ihrem hungrigen Hamsterangriff ein Ei gegriffen. Langweilig, befand sie in Gedanken, aber auch sie mochte Eier. Gerade verschiedene Eierspeisen waren ihre Favoriten. Stella blickte Claudius an. Jetzt begann wohl das Gespräch. Die Tiberia war nicht vorbereitet, da ihr Fokus gerade auf dem wundertollen Essen lag aber dennoch wusste sie darum, dass gerade aristokratische Römer gerne beim Essen sprachen. Bei diesen Essen wurden ganze Kriege entschieden, Politiken beschlossen oder auch nur über Gossip gesprochen. Stella sprach selten aktiv beim Essen, da es primär der Nahrungsaufnahme gedient hatte und sie ohnehin oft allein aß. Claudius sprang gleich in das schwerste Thema. Von einem leichten Einstieg verstand er wohl nichts, dachte sie sich Stella und griff nach einem Becher mit verdünntem Wein, der jedoch nicht so süß war, wie sie erwartet hatte. Mist. Dabei mochte sie süßen Wein sehr gerne. Scheinbar tranken alte Herren eher anders. Andächtig nippte sie am Becher, während ihre intelligenten Augen Claudius beobachteten, während dieser sprach. Wirklich. Er konnte nicht einfach ein paar Stunden damit warten? Jetzt musste sie mit ihm, trotz des wunderbaren Essens, nachdenkliche Themen bereden. Stella hatte Prioritäten. In diesem Fall Essen. Viel Essen, da sie selten so gutes Essen gehabt hatte.


    Stella konnte dennoch die Situation antizipieren, sich anpassen und verstand, dass Claudius gerne die wichtigen Fragen, vorallem die von emotionaler und persönlicher Natur, gleich klären wollte. Die Tiberia suchte seinen Augenkontakt, um seine Emotionen deuten zu können. Er schien zu stocken. Stella wurde unruhig, denn sie wollte ihm nicht dieses Gefühl geben, etwas notwendig anzusprechen. Es waren nur Fragen gewesen, die sie aus rein philosophischer Neugier gestellt hatte.


    Befehle. Die billigste Begründung, die auch immer ihr Vater verwendet hatte. Jetzt hatte Claudius Stella wirklich abgeholt und so verschob sich ihre Priorität vom Essen hin zu diesem Gespräch. Es war schwer zu erklären, warum sie so ambivalent handelte, vielleicht war es der frühe Verlust der Mutter, der Verlust ihres Vater oder ihres Bruders; möglicherweise alle Verluste in ihrem Leben, die sie grundsätzlich an allem zweifeln ließen. Zweifel war ein heimtückischer Begleiter, der Stella, fast wie Pluto, nicht losließ. Claudius konnte sich vor anderen verstecken, möglicherweise sogar vor sich selbst, aber nicht vor Stella, die einfache Begründungen niemals zuließ; nicht, wenn es um menschliche Fragen ging. Denn genau diese einfachen Lösungen hatten ihren Papa geraubt, ihren Bruder und auch jede Hilfe wertlos gemacht, da selbst die Getreuen, die sie versteckt hatten, immer noch einfache Antworten gaben, meistens sogar garkeine Antworten. Stella wollte Claudius nicht einfach so davonkommen lassen. Ihre Augen weiteten sich, während sie jede Regung in seinem Gesicht wahrnahm. Er wollte ehrlich sein? Aber versteckte sich hinter Befehlen. Natürlich waren Soldaten niemals frei. Das war gerade ihr Schicksal. Ihr Vater war es wahrscheinlich niemals gewesen und lebte aus ihrer Sicht ein schlimmeres Leben als ein Sklave. Oft war er von der Familie getrennt gewesen, kehrte verstört oder zerstört nach Hause zurück, und in stillen Momenten blickte ihr Vater so seltsam traurig. Stella verstand jedes Wort aber konnte es nicht so stehen lassen.


    "Ich finde dich nicht abstoßend. Ich fälle keine schnellen und einfachen Urteile. Jeder Mensch ist doch auch abhängig von seinem Schicksal, Umfeld und jener Zeit, in der er lebt," stellte sie klar und nickte ihm ernst zu, während sie eine kreisende Geste mit ihrer Hand machte. "Claudius, ich bin die Tochter des Trecenarius. Ich bin eine Tochter, die auf der Flucht zur Frau gereift ist, in bin ein Mensch, der nichts beständig in seinem Leben besessen hatte. Ich urteile nicht über dich. Ich bin keine Richterin. Glaube mir, ich habe genug gesehen auf meiner Reise. Wirklich genug und du bist kein Mann, der grundlos schlecht agiert," erklärte sie, während sie den Becher aus ihrer linken Hand auf dem kleinen Tisch neben sich abstellte. "Dennoch ist nichts zu empfinden, auch ein Zustand. Du wirst deine Gründe dafür haben aber ich finde, dass man sich auch seinen Entscheidungen stellen sollte, sie nicht übergehen darf. Mein Vater zog von Schlachtfeld zu Schlachtfeld, tat, was er eben tat, aber sprach niemals darüber. Nicht mal mit uns, seiner Familie. Er trug alle Entscheidungen alleine und ich möchte nicht, dass Menschen in dieser einsamen Hölle vergehen," teilte sie ihre Sorge mit. "Auch ist es immer wichtig, zu wissen, wer man selbst ist. Ich selbst weiß meinen Namen, kenne meine Geschichte aber weiß nicht, wer ich wirklich bin. Ich stelle mir solche Fragen oft, Claudius. Ich suche nach etwas und möchte mich nicht davor verstecken. Viele verstecken sich hinter Befehlen, einem Ziel oder auch einer Vision. Es sind nur Rechtfertigungen. Du brauchst dich vor mir nicht zu rechtfertigen. Wie gesagt, ich bin keine Richterin. Ich bin nur eine Suchende, die gerne bei dir im Hause bleiben möchte." Stella seufzte leise, während sie sich über ihren nach germanischer Sitte geflochtenen Zopf fuhr und diesen nach vorne legte.


    "Die Christianer tun es auch. Sie verstecken sich hinter einer Nachwelt, einem Gott und opfern alles in ihrem Leben, für einen Gewinn im Jenseitigen. Sie lehnen unseren Augustus ab, sie lehnen Rom und unsere Götter ab, aber im Kern verstecken sie sich auch vor ihren Entscheidungen. Sie greifen Menschen an, zünden Tempel an, und wollen unsere Welt wirklich brennen sehen. Sie suchen im Untergang ein Heil, was sie im Leben wohl nicht fanden. Mein Vater fürchtete sie sehr und nahm jedes Risiko auf sich, um die Christianer als das zu entlarven, was sie sind. Du hast deine guten Gründe, sie zu hassen aber man darf vor Hass nicht blind werden. Mein Vater hat sich in seinem Eifer verloren, wollte immer mehr Macht gegen die Christianer richten und was brachte es?" Stella schloss für wenige Sekunden ihre Augen, um die schmerzliche Erinnerung an ihren Vater zu verdrängen, bevor sie diese wieder öffnete. Sie blickte Claudius klug aber auch leicht traurig an. "Sie wüten immer noch in Rom. Ich hörte, dass sie einen Tempel schändeten. Alles, was mein Vater versuchte, war umsonst, genauso bedeutungslos, wie jede Rechtfertigung. Wir treffen Entscheidungen, Claudius. Darauf kommt es an." Es schmerzte die Tiberia sehr, so dass ihre Fingerspitzen leicht eingekrümmt waren. Sie machte eine längere Pause, bevor sie weiter sprach, immer wieder den Blick mit Claudius Menecrates suchend.


    "Es war mir immer klar gewesen, dass Rom voller Intrigen ist. Aber das Rom seinen Beschützer mit einer Intrige stürzen wollte, ist an Grausamkeit nicht zu überbieten," nahm sie Menecrates Gedanken auf und dieser passte ihr sehr gut. Es schloss ein Bild des bösen Roms ab, welches Stella ohnehin hatte. Ihr Vater war verraten worden. Nein, er musste verraten worden sein. Das passte sogar so gut, dass diese Antwort eine kleinere Erleichterung brachte, denn ihr Zorn war nun nicht mehr ungerichtet. Es gab Verräter in Rom, vielleicht sogar den Kaiser selbst. Stella würde ihre Namen erfahren. Sie musste sie erfahren. "Mein Vater hat stets still und verborgen gedient. Er hat wirklich nie einen Dank erwartet aber dieser Verrat ... " Stella wischte sich zwei Tränen aus ihrem Gesicht. "Wie ist seine Person demontiert worden? Was ist passiert? Ist er verraten worden? Haben sie ihn umgebracht? Was hat dieses Rom, welches er immer beschützt, ihm angetan?" Die Fragen brodelten aus ihrer heraus. Ihre Stimme war ernst aber immer noch zielgerichtet, fast schon beruhigend kalt.

  • Während Stella die Häppchen mundeten, hielt Menecrates im Kauen inne. Der Anblick seines Gastes wirkte wenig appetitanregend und so blickte er wie magisch angezogen auf den verölten Mund. Schließlich riss er sich gewaltsam los, spülte mit etwas Quellwasser die Eireste hinunter und ging auf Stellas Anmerkungen ein. Sie sagte, er sei kein Mensch, der grundlos schlecht agiert. Wo auch immer Stella Schlechtes erkannte, Menecrates konnte es nicht sehen.

    "Ich sehe nichts Schlechtes darin, Christen zu verurteilen und hinzurichten", betonte er. "Ich werde diese Entscheidung, mit der auch dein Vater abgesichert ist, vor jedem verteidigen. Wo siehst du, dass ich mich meinen Entscheidungen nicht stelle?" Vielleicht missverstand er sie auch nur, deswegen legte er nicht zu viel Gewicht auf ihre Worte. Trotzdem lösten sie keine Freude aus.

    Als sie über ihren Vater sprach, überlegte er, ob es zutraf, dass er mit niemandem redete. Plötzlich fiel ihm ein Gespräch ein, eines der letzten. In diesem hatte sich Verus geöffnet.

    "Er wollte euch sicherlich schützen, ihr wart beide noch jung", verteidigte er das Schweigen des Vaters. "Gesprächig war er nie, aber an eine Unterredung kann ich mich erinnern." Kein Vater zeigte sich gern niedergedrückt, verletzlich oder verbittert vor seinen Kindern. "Gespräche dieser Art führe auch ich unter Männern. Nicht mit jedem, am besten mit einem Freund. Dein Vater besaß mindestens einen." Er lächelte, natürlich meinte er sich. Während Stella über sich sprach, versuchte Menecrates erneut, den Hunger zu stillen. Wenn sie redete, konnte sie unmöglich den Mund vollstopfen. Das Eistück fand demonstrativ langsam den Weg in seinen Mund und er kaute bedächtig. Da er es versäumte, fortlaufend zuzugreifen, blieb es bei diesen zwei Eistückchen, denn die Sklaven trugen andere Speisen auf. Brot, Fisch und Gemüse verschiedenster Art verbreitete einen angenehmen Duft und luden zum Essen ein.


    Nachdenklich stieg er wieder in das Gespräch ein. "Es ist in deinem Alter normal, Suchende zu sein. Die einen wissen es früher, andere später, wo sie stehen, welche Ziele sie verfolgen und welchen Werten sie anhängen. Suchende nach einer Bleibe bist du jedenfalls nicht mehr. Selbstverständlich kannst du bei mir wohnen. Ich freue mich sogar über Gesellschaft." Wieder lächelte er. Römer halfen einander, wobei im Fall Stella die Hilfsbereitschaft über das normale Maß hinausging. Menecrates verspürte ein Bedürfnis danach.


    Immer wieder kam Stella auf ihren Vater zu sprechen. Menecrates wollte das auch, allerdings um zu erörtern, wo er mit der Suche nach ihm ansetzen konnte. Bislang kam er nicht zum Zug, weil zu viele Dinge seinen Gast belasteten. "Ich sehe nichts, was umsonst gewesen wäre. Nicht jeder Erfolg fällt ins Auge. Manchmal sind es sogar die kleinen Dinge, die Wirkung zeigen, nämlich dann, wenn etwas aus dem Stillstand in Bewegung gerät. Ein wenig hat sich in Rom getan, manchmal geht mir das auch nicht schnell genug. Junge Menschen sind noch um ein Vielfaches ungeduldiger." Stellas Ungeduld zeigte sich besonders, als sie auf den Verrat einging, und Menecrates bereute es, ihr davon erzählt zu haben.


    "Stella, meine Liebe, wir richten ab sofort unsere Energie darauf, deinen Vater zu finden. Er selbst soll entscheiden, wie viel er dir erzählt. Vielleicht gelingt es sogar, ihn zu rehabilitieren, aber diese Chance würdest du im Vorfeld zunichtemachen, wenn du rachwütig durch Rom ziehst und genau das traue ich dir zu." Er blickte eindringlich, bevor er fortfuhr. "Also, wo könnte dein Vater jeweils Halt gemacht haben? Versetze dich nach Möglichkeit in seine Lage."

  • Was war schon wirklich gut oder was war wirklich schlecht? Stella hatte keine Angst davor, Gedanken zu erkunden, die andere niemals fanden. Oft genug hatte sie über viele Dinge nachdenken müssen, denn viel hatte sie im Leben nicht besessen, was sie hätte ablenken können. Die Tiberia war eine Renegatin, die gegen jeden Widerstand überlebte und es irgendwie schaffte weiter zu machen. Eine Eigenschaft, die auch ihr Vater besaß. So schlecht ein Schicksal auch sein mochte, man erkämpfte sich immer eine Möglichkeit, um einen Platz in der Welt zu finden. "Wenn die Urteile gerecht und objektiv waren, ist es nicht falsch, Christianer brennen zu lassen..." Doch waren sie es nicht, hatte auch Menecrates Schuld auf sich geladen. Genau auf diesen Punkt wollte Stella hinaus. Nicht, dass sie jene Hinrichtungen verurteilte oder seine Urteile in Gänze in Frage stellte. Stella wollte wissen, ob dieser Claudius eine Bereitschaft zeigte, im Zweifel auch Schuld für andere auf sich selbst zu laden. Manchmal mussten Dinge getan werden, so falsch sie auch erscheinen mochten, weil sie unabdingbar waren oder durch die eigene Position vorgegeben. Wenn er diese Bereitschaft zeigte, würde sie mit Vorsicht in seinem Haus leben und sich vorsichtig in seinem Umfeld bewegen, denn sie kannte diese Bereitschaft von ihrem Vater. Es war keine gute Eigenschaft. Dennoch würde auch diese Eigenschaft Stella nicht vertreiben. Sie regte nur dazu an, bedächtiger zu agieren.


    "Mein Vater muss nicht verteidigt werden," stellte sie kalt fast. Er hatte nie darum gebeten und hatte nie auch nur eine Rechtfertigung verlangt. Er hat es einfach getan, weil er es tun musste. Andere mochten nach Rechtfertigungen und Gründen suchen, doch so war ihr Vater in ihren Augen nicht, denn er tat es einfach, wie Pluto höchstselbst. Ein Befehl erging an ihn und er führte ihn aus. Manchmal verschwand er einfach und kehrte mit Blut an den Händen zurück, welches er einsam im Balneum von sich wusch. Stella hatte ihn als Mädchen heimlich dabei beoachtet und sich insgeheim davor gefürchtet, was ihr Vater als Beruf ausübte. Seine Fürsorge, seine Hingabe zur Familie, mochte dieses ungute Gefühl nicht völlig erlöschen lassen, aber sie wusste, dass er seine Familie vor dem Dunklen beschützen würde, welchem er wohl er diente. - Und nun diente sie selbst Pluto. Eine gewisse Ironie lag darin, dass sie selbst jenem Gott huldigte, dem ihr Vater so viele Menschen geschickt hatte.


    Stella war sehr wohl klar, was für ein Mann ihr Vater war und wusste auch um seine kalte Berechnung außerhalb seiner familiären Strukturen. Es schien ihr fast so, als ob es zwei Personen gab: ihren Vater, der liebte und lebte, und jenen Dunkelmann, welcher alles tat, was man ihm auftrug. Bis heute konnte sie nicht zusammenbringen, welche Person ihr Vater wirklich war. Verachtung empfand sie keine mehr; eher Mitgefühl. Aus diesem Aspekt betrachtete sie nun auch Claudius Menecrates. Auch dieser versuchte etwas zu verteidigen, was keiner Verteidigung bedurfte. Manche Fakten und auch Taten standen für sich selbst. Der Claudius hatte eine Hinrichtung befohlen, und Männer, wie ihr Vater, führten sie aus. Stella sah keinen Grund etwas zu verteidigen, was für sich absolut war und bereits abgeschlossen. Man verteidigte die Lebenden und nicht die Toten. Die Toten waren wortlos, längst verschwunden, und brauchten keine Rechtfertigung mehr. Jedoch die Lebenden brauchten etwas, woran sie glauben konnten. Etwas, was die Herzen wärmte, auch im Anbetracht jener Handlungen. Lebende brauchten Rechtfertigungen und Gründe. Ihr Vater war mit aller Wahrscheinlichkeit tot und wenn er lebte, diente er dem Pluto, und hatte selbst nie nach diesen Rechtfertigungen gesucht. Stella nahm an, dass er diese Rechtfertigungen auf seinem langen Weg ins Dunkle einfach aufgegeben hatte. Irgendwann funktionierten Rechtfertigungen einfach nicht mehr, dass wusste auch Stella. Sie hatte auch nach Rechtfertigungen für ihr Leben gesucht. Doch jeder Grund war seltsam leer gewesen. Es war, so sah es Stella, einfach besser, weiter zu machen.


    Doch eines wollte sie unbedingt, dass ihre Familie für ihre Opfer geehrt wurde. Sie wollte keine Gründe, kein Mitleid, sondern schlicht, dass man den Namen wahrnahm und auch ihren Vater nicht vergaß. Er hatte zumindest partiell ein gutes Leben geführt. Dieses Leben wollte sie zeigen, nicht seinen mutmaßlichen Tod hervorheben. An jenen glaubte sie selbst nicht mehr wirklich, so dass die Suche sich gewandelt hatte. Und mit etwas Glück konnte sie noch erfahren, was wirklich geschehen war aber diese Wahrheit brauchte sie nicht als Rechtfertigung, sondern schlicht als Abschluss.


    "Er hat uns immer beschützt," sagte sie nachdenklich. "Doch hat er nie verlangt, dass ihn jemand verteidigt. Ich glaube sogar, dass er zufrieden wäre, wenn seine Kinder in Sicherheit sind. Für sich selbst hat er nie nach Sicherheit gesucht," erklärte sich Stella. "Es ehrt dich, dass du ihn als Freund siehst. Er sah dich ebenso als Freund," offenbarte sie und ließ ihren kleinen Finger an der rechten Hand kreisen. Ihr Vater hat diesem Claudius vertraut. Aus diesem Grund war sie hier und glaubte sich sicher. Sie konnte offen sprechen, weil ihr Vater durch seine Loyalität, auch zu Claudius Menecrates, ein Fundament für das Überleben seiner Kinder gelegt hatte; egal, was passieren mochte. Stella hatte in Rom, trotz aller Widrigkeiten, einen Hafen gefunden, von dem sie endlich in ein gutes Leben starten konnte. "Es schmerzt, dass er nicht hier sein kann. Ich glaube, dass er dir sehr dankbar sein würde, dass du zumindest eines seiner Kinder in größter Not aufgenommen hast," sagte sie mit einbrechender Stimme, als erneut jene Gefühle von Trauer über sie kamen. Es fühlte sich seltsam fremd an. Es passte nicht mehr in ihr Weltbild, welches von Konversationen mit einer imaginären Gestalt, namens Pluto, geprägt war. Endlich konnte konnte sie ihr Schicksal wieder beeinflussen und mit ihrem Herzen sprechen, ohne Maske und Theater. Sein Lächeln hatte ihr versichert, dass ihr Vater und der Claudius wirklich Freunde waren aber hatte auch ihr gleichzeitig versichert, dass Claudius Menecrates wirklich auch für sie da war. "Wenn du nichts gegen Gespräche hast, wird die Suchende, dich gerne häufiger aufsuchen, um ein paar Gedanken zu teilen. Ich glaube, dass wir gemeinsam einer Wahrheit näher kommen können, egal, was uns in dieser Stadt erwartet," fragte sie mit einem traurig-süßen Lächeln, während drei kleinere Träne auf ihren Wangen verharrten.


    "Da fällt mir ein...," erinnerte sie sich an den Grund, warum sie eigentlich zum Claudius gekommen war. Es war unpassend, dennoch wollte Stella die Frage einschieben, bevor sie das Gespräch, getrieben auch durch ihre eigenen Emotionen und Ungeduld, in die Aufklärung des Verrates an ihrem Vater treiben würde. "Möchtest du mein Tutor sein? Ich kann mir keinen besseren Mann vorstellen, der diese Rolle erfüllen kann." Das war ehrlich gemeint und mit ihren großen Augen blickte sie Claudius Menecrates an. Hoffentlich sagte er ja, denn nur so würde sie sich wirklich in Rom bewegen können und auch rechtlich ein Zuhause gefunden haben. Die Frage war nur, ob Menecrates bereit war, diese Ersatz-Vater-Rolle einzunehmen. Es bedeutete auch, dass er für jedwede Entscheidung von Stella, zumindest finanziell, gerade stehen musste. Denn rein rechtlich vertrat er Stella von diesem Tag an, in allen großen Dingen aber auch Stella war von diesem Moment an Claudius Menecrates als Vaterfigur gebunden, so dass die Beziehung auf Gegenseitigkeit beruhte. Stella erschien es nicht einmal schlimm, einen Mann, wie Claudius Menecrates, als Ersatz-Vater, viel mehr Ersatz-Großvater, zu wissen. Es machte einen großen Unterschied, ein echtes Zuhause zu haben.


    "Ja," antwortete sie auf die Absicht ihren Vater ausfindig zu machen. Sie nickte ernst, sich ein wenig Zuversicht in ihr Angesicht mischte. "Wir werden uns darauf konzentrieren, aber wir dürfen auch nicht meinen Bruder vergessen. Auch er will gefunden werden. Ich werde nicht als Furie durch Rom ziehen," erklärte sie eine halbgelogene Absicht, denn sie war nicht bereit, stillschweigend zu warten. Auch musste sie ihren Bruder finden, den sie ebenso vermisste. Doch mit einer noch größeren Wahrscheinlichkeit lebte dieser und zwar immer noch in jenem Versteck, welches die Getreuen geschaffen hatten. "Themiskyra*," überlegte sie und ließ dieses Wort fallen aber war sich nicht sicher. "Themiskyra. Dieses Wort fiel gelegentlich unter den Männern meines Vaters," sagte sie und legte ihre linke Hand nachdenklich an ihr Kinn.


    Doch urplötzlich rumorte es in ihrem Magen. Der Hunger kehrte zurück. Und zwar erheblich. Stella wurde dezent unleidlich, und auch die Gedanken flossen nicht mehr so schnell, so dass sie beherzt zu einem großen Stück Brot griff und sich kauend in den Mund schob. Wieder rumorte es so laut, dass auch Claudius Menecrates vernehmen konnte, dass die Tiberia sehr hungrig war.


    Sim-Off:

    *ein Ingame-Platzhalter, der im Verlauf auch als Trugschluss deklariert werden kann, da noch nicht geklärt ist, was wirklich geschehen ist. ^^

  • Als Stella feststellte, es sei legitim Christen zu verbrennen, wenn die Urteile gerecht waren, wies Menecrates die leere Handfläche vor, was ausdrücken sollte: 'Sag ich doch!'. Er brauchte zwar nicht die Freisprechung durch ein Mädchen, aber ihre Erkenntnis erleichterte das Gespräch. Der Claudier besaß Prinzipien und gewann im Laufe des Lebens Erkenntnisse, von denen er sich - wenn es um Christen ging - gewiss nicht verabschieden würde. Die Ereignisse in Rom trugen eher zu deren Verfestigung bei.


    Das Gespräch vereinnahmte ihn, sodass er das Essen vergaß. Da Reden durstig machte, nahm er einen Schluck des Quellwassers und hörte weiter zu. Aber nicht alles, was er zu hören bekam, gefiel ihm. Dabei ging es weniger um die Inhalte als vielmehr um den Tonfall. Er stellte in einer demonstrativ langsamen Bewegung den Becher ab, suchte und hielt den Blickkontakt.

    "Ich weiß nicht, welche Form der Konversation du gewöhnt bist, aber ... in meinem Haus reden wir respektvoll miteinander." Seine Stimme wirkte zwar nicht kühl wie die Stellas, aber entschieden. "Diese Bedingung hatte ich offensichtlich vorhin vergessen zu erwähnen." Nach einem Moment des Schweigens fügte er an: "Ich belasse jedem die eigene Meinung und schätze Ehrlichkeit, sofern dies nicht in Belehrungen endet." Stella hatte ein Stück der Sympathie verspielt, denn es gab nichts, womit Claudius ihren Tonfall rechtfertigen konnte, und auch wenn die nachfolgenden Worte gemäßigter klangen, zog er sich innerlich ein wenig zurück.


    Ihre Tränen berührten ihn, aber nicht mehr so tief wie noch vor Augenblicken. Nichtsdestotrotz stand er für Hilfe bereit. "Wenn du etwas auf dem Herzen hast, werde ich Zeit für dich finden." Dieses Versprechen gab er ohne Bedenken ab. Nach was auch immer Stella suchen würde, die Verpflichtung zur Hilfe ging er bereits damals ein, als er Verus als Klient annahm.

    Als Stella fragte, ob er sie als Mündel annehmen würde, löste das Nachdenklichkeit aus.

    "Zwei Gedankenanstöße, Stella. Gerade habe ich dich zurechtgewiesen. Ich bin nicht nur der liebe Freund deines Vaters, ich hänge Idealen an, stelle Ansprüche an das Auftreten und die Grundhaltung, erwarte Sittlichkeit. Prüfe zunächst, ob du dich mit dem arrangieren kannst." Er lächelte leicht, denn die Empfehlung meinte er gut. "Der zweite Gedankenanstoß betrifft deinen Vater. Indem du mich bittest, dein Tutor zu sein, sendest du deine geringe Hoffnung in Bezug auf sein Überleben an die Götter. Wollen wir nicht zunächst nach deinem Vater suchen, bevor wir endgültige Maßnahmen beschließen?"

    Zum Glück hielt Stella einen ersten Hinweis zum Aufenthalt bereit, wobei Menecrates den Ort noch nie zuvor gehört hatte. Themiskyra - er bemühte sich, den Namen einzuprägen. In einem flüchtigen Rundblick schloss er die Provinzen Germanien, Britannien, Spanien und Ägypten aus. Er tippte auf den Osten, irgendwo in Richtung dieser Proconsulprovinzen. Er würde Karten zu Rate ziehen müssen und mit etwas Glück stellten sich bessere Bedingungen heraus als spontan befürchtet. Ob Proconsul oder Legatus Augusti pro Praetore, vielleicht fand er in der Provinzverwaltung einen Römer vor, zu dem eine ferne Beziehung bestand.

    "Ich werde Nachforschungen anstellen", versprach er, bevor Stellas Magen unverschämt laut rumorte. "Jetzt iss erst einmal und denk währenddem über alles nach. Uns hetzt nichts." Er winkte den Sklaven, um den nächsten Gang in Auftrag zu geben. Seine väterliche Seite kam zögerlich zurück.

  • Warum war es nur so schwierig, so zu sprechen, wie man sprechen wollte? Diese ganzen Regeln, diese ganzen Spiele, und Lügen. Stella wollte frei sprechen, alles sagen, was sie dachte und fühlte aber spürte instinktiv, dass bei Claudius Menecrates eine Grenze erreicht hatte. Farben schwebten sanft vor ihren Augen vorbei, zuckten im Licht aus der Ferne und bildeten neue Formen. Die Tiberia betrachtete die Formen, welche sich in sich spiegelten. Farben umspielten nun auch Claudius Menecrates. Strahlend wirkte das Weiß seiner Aufmachung. Stella wusste nicht, was sie sagen sollte. Was sollte sie auch sagen? Sie erneut verstellen und in diese falsche Höflichkeit flüchten, die ihr zuwider war? Ein Schauspiel aufführen und jene Bühne betreten, die sich so falsch anfühlte? Wahrheit. Sie suchte nach Wahrheit und Menecrates suchte nach Bestätigung. Das nahm sie nun an. Der alte Mann wollte bestätigt werden, umgeben von Menschen, die er beschützen konnte aber gleichzeitig wollte er diese Menschen formen. Respektvolles Reden verwechselte er mit verbaler Unterwerfung. Stella war sich keiner Respektlosigkeit bewusst. Stella betrachtete für einen langen Augenblick wortlos ihr Essen. Oft war sie verurteilt worden, vertrieben worden und die Menschen sahen, je nach Lage und Aufmachung, etwas anderes in ihr. Mal war sie kluge und hübsche Tochter aus einem höhergestellten Haus und wenige Augenblicke später war sie die vorlaute Göre, die ihren Platz nicht kannte. Sie war überfordert und wollte Claudius Menecrates alles sagen, was sie fühlte aber dies schien ihn nur in seinen eigenen Kreisen zu kümmern. Seine Kreise waren schön, fast fürsorglich, und doch war dort etwas, was Stella nicht ertragen konnte.


    Die Hoffnung, dass sie ein Zuhause gefunden hatte, wich der Erkenntnis, dass es auch ein schöner Käfig sein konnte. Vielleicht hatte ihr Vater sie deswegen stets vor den großen Häusern gewarnt. Was sollte sie Claudius sagen? Was hatte sie jetzt wieder falsch gemacht? Diese Welt war ihr zu kompliziert, zu unfrei und zu sehr gebunden an eitle und selbstgerechte Regeln, die viel mehr der eigenen Position dienten und weniger der Allgemeinheit. Es kümmerte sie nicht mehr, was sie werden sollte und werden musste, denn ihr Herz ließ sie sich nicht in Ketten legen. Was Claudius Menecrates erwartete, konnte sie nur als Schauspiel erfüllen, als ständiges Theater aber hatte sie eine echte Wahl? Die Hoffnung, ein Zuhause zu finden, war größer als jener Freiheitsdrang. Stella war zerrissen. In Gedanken, fast teilnahmslos, fiel ihr ein Stück Brot aus der Hand, unmittelbar auf den Boden. Pluto war wieder hier.


    Er kauerte in der dunklen Ecke, in den Schatten, und wartete nur darauf, dass sich Stella ihm wieder zuwandte. Dieser ewige Schatten war wieder dort. Die Kälte kroch über den Boden. Die Zeit schien sich zu verlieren. Stella legte ihren Kopf zur Seite und betrachtete den Schatten, der die Form eines Mannes mit einer Kapuze über seinem Haupt angenommen hatte. Es war Pluto. Er ließ sie einfach nicht los. Beschützte er sie erneut? Die Farben, die noch immer getanzt hatten, zogen sich dezent zurück und wurden durch jenen Schleier ersetzt, welcher die Welt in ein milchiges Grau legte. Dieser Zustand hielt einige Atemzüge an, bis sich der Schleier auflöste und mit ihm auch Pluto verschwand. Es gab kein Entkommen von jenem Fluch. Niemals würden sie jener tiefsitzenden Furcht entkommen. "Es tut mir leid," sagte sie leise, fast tonlos mit inzwischen fest verschlossenen Augen, da sie dem Blick ihres Gegenübers nicht mehr standhalten konnte. Es tat ihr weh, seine Ausdrücke und Emotionen anzusehen, denn sie wusste, dass sie wieder etwas falsch gemacht hatte. Egal, wo sie war, sie war irgendwie fehl am Platz. Sie war nicht kaltherzig, konnte dies nicht einfach übergehen und war inzwischen gefangen auf diesem Stuhl, denn nicht einmal eine Flucht war möglich. Nein, Claudius Menecrates war nicht der Hafen, den sie erwartet hatte und wie er sich zwischenzeitig präsentiert hatte aber er war wahrscheinlich der Hafen, den sie brauchte. Auch er war ein Mann seiner Zeit, seiner Umstände und gleichzeitig unfähig sich auf Stellas Welt wirklich einzulassen. Der jungen Frau war sehr wohl klar, was passieren würde und doch konnte sie dies nicht vollens akzeptieren. Die Freiheit der Straße kam mit einem zu großen Preis. Ein Zuhause, egal, mit welchen Ketten es versehen war, war besser als hungrig und allein durch die Zeit zu treiben. Mit einer eleganten Bewegung ihrer Augenlider öffnete sie ihre Augen.


    "Ich bin bereit, mich den Regeln dieses Hauses zu beugen," kapitulierte sie mit leisen Worten, die etwas machtlos über ihre Lippen brachen. Der Wandel kostete sie Kraft, denn die Ketten, die Claudius Menecrates ausgebreitet hatte, wogen schwer für Stella. Er sah sie wahrscheinlich nicht einmal, da für ihn die Ausübung jener familiären Macht normal war. Doch Stella war bis zu diesem Tag frei und selbstbestimmt gewesen. Sie ordnete sich jenem Regime unter, welches Claudius Menecrates zwar benevolent, sicherlich auch nicht feindlich, ausübte. Sein Gedankenanstöße waren nur die ersten Hiebe des Hammers, die jene Kettenglieder verbanden. "Mit der Hilfe einer guten Römerin mag ich es erlernen," unterwarf sie sich jenem Stand, dem sie vom Status angehörte aber für den sie nie gelebt hatte. Sie brauchte einen Tutor, denn ansonsten konnten sie in Rom nichts bewegen, nichts erwerben und ihr Haus nicht schützen. So einfach war es. Egal, was dies aussenden mochte, so faktisch war es auch, dass sie als Frau in ihrem Alter und ohne Kinder eines Mannes von Stand nicht frei agieren konnte. Für ihre weiteren Pläne war es wichtig, dass sie Geschäfte tätigen konnte. "Die Götter wissen sehr wohl, was wir tun und fühlen, Claudius. Du wärest ja nur solange Tutor bis mein Pater familias wieder zur Verfügung steht. Das Tutoriat wäre ja nur von begrenzter Dauer aber ich darf mich in Rom nicht so einfach bewegen, wenn ich keinen Tutor vorweisen kann. Ich kann meinen Stammsitz nicht herrichten lassen, weil ich keine Verträge schließen kann und ich kann auch keine anderen Stellen um Hilfe bitten, da das römische Recht mich dazu zwingt, einen Tutor zu wählen. Sobald mein Vater aufgefunden werden sollte, würde deine Verantwortung mit diesem Augenblick enden," erklärte sie mit vorsichtig aneinander gereihten Worten. Er wollte Nachforschungen anstellen, doch das tat Stella auch bereits, doch in dieser Sache brauchte sie wahrlich seine Hilfe. Sie brauchte einen Tutor, so einfach war es. Und Claudius Menecrates war der einzige Mann, der aus Sicht ihres Vaters, dazu in der Lage sein würde. "Ich bin bereit zu lernen, auf dich zu hören und mich zu einer guten römischen Frau zu entwickeln," ergänzte sie die bittere Wahrheit, dass dies eine langsame aber beständige Veränderung ihres Selbst bedeuten würde. Sie musste sich anpassen.

  • Mitunter grenzte es an Sturheit, wie Menecrates an bestimmten Prinzipien festhielt. Seine Ideale hingen hoch, Verus wusste das. Etliche teilte er sogar mit ihm. Bei aller Strenge galt der alte Mann aber nicht als nachtragend, wenn jemand Reue oder Entgegenkommen zeigte. Stella entschuldigte sich und taute damit die frostige Stimmung auf.

    "Das höre ich gern", erwiderte Menecrates mit einem feinen Lächeln. Er kannte Stellas Gedanken nicht, daher machte er sich keine Sorgen. Er lebte nach der Devise, man sagte, was man dachte. Alles andere strengte nur an, führte zu Missverständnissen oder Unzufriedenheit.

    Der bestellte Gang traf auf verschiedenen Tabletts ein und Menecrates griff zu, um Stella zu ermuntern, es ihm nachzutun. Ihr Magen meldete schon vor Minuten mehrmals Bedarf an. Währenddessen hörte er zu. Das Thema, ungebührliche Schärfe im Tonfall, lag längst in einer Ablage, als Stella zunächst eine gute Römerin erwähnte und im nächsten Augenblick auf einen Tutor zu sprechen kam. Da die junge Frau etwas eingeschüchtert wirkte - er gestand sich nicht ein, dass sie sich auch in einer Abwehrhaltung befinden könnte - sparte er sich den Witz, dass er wohl nicht als gute Römerin durchgehen könne. Stattdessen nickte er ernst.

    "Wir können das gern so machen. In dem Augenblick, wo Verus zu uns stößt, wird er wieder Vater für dich sein und ich bestenfalls ein netter Onkel." Ob er als nett durchging, würde sich erweisen müssen. Viel hing von Stellas Willen und ihren Zielen ab.

    "Ich habe dich so verstanden, dass es dir nur um die rechtliche Absegnung geht. Willst du dich wirklich selbst um die Villa Tiberia kümmern? Geld regelt vieles, aber zuweilen braucht es auch fordernde Worte. Einem Mann steht Strenge in der Öffentlichkeit gut zu Gesicht, aber einer Frau schmeichelt das nicht. Ich schlage vor, solange du mit Freundlichkeit zum Ziel kommst, entscheide allein. Sobald du Unterstützung brauchst, scheue dich nicht, mich zu fragen."


    Er wartete auf ihre Zustimmung, bevor er fortfuhr. "Die finanziellen Regelungen treffe ich." Er legte das ungefragt fest, um Stella nicht in Verlegenheit zu bringen. Woher sollte er auch wissen, wie es um das tiberische Vermögen stand.

    Zum Abschluss nickte er nochmals zufrieden. "Wenn du als eine vorbildliche römische Frau deinem Vater entgegentreten kannst, wird er sich umso mehr freuen. Das verspreche ich dir!" Nichts konnte er leichter zusagen als das, stand Verus doch als Einziger an Menecrates' Seite, als es vor Jahren darum ging, abgehobenen Frauenzimmer wieder auf den römischen Boden zu zwingen.

    Er wappnete sich mit einer Handvoll Trauben, bevor Stella antwortete. In der Berechnung ihrer Reaktionen lag er heute schon mehrmals falsch.

  • Die Situation war vorerst bereinigt aber Stella fühlte sich noch immer unwohl. Etwas passte noch immer nicht. Irgendwie konnte sie nicht ganz in diesem Moment, in diesem Augenblick, ankommen. Etwas hielt sie in einem Gefühl der Ferne fest, fast so, als ob ständig etwas fehlte und nicht an seinem Platz war. Pluto, in seiner kriechenden Kälte, war stets um Stella herum anwesend, denn sie spürte seinen kalten Hauch beständig, wie dieser ungut über den Boden unter ihren Füßen glitt. Es war nicht einfach für Stella, denn ihr Verstand spielte ihr oft genug Streiche, machte Momente seltsam undurchdringlich und unklar aber zauberte auch augenblicklich Heilung und Wunder herbei, denn jene Erscheinungen waren auch ein wichtiger Teil von ihr. Pluto, mitunter nur Einbildung, war jener Schutz gewesen, den sie immer gebraucht hatte, um mit allen Sorgen und Nöten nicht allein zu sein. Für Stella war dieser Gott so real, wie für andere, ein Stein in ihren Händen. Er war ein unsichtbarer Freund und Beschützer, der Stellas Gedanken aufnahm und bewahrte. Doch die Realität brauchte die Tiberia zurück, so dass sie nicht lange in jenen (alb)traumhaften Visionen verweilen konnte. Es gab immer noch etwas zu tun und Stella wollte sich jetzt nicht aufgeben. Das konnte sie später in ihrem Bett tun, wenn sie allein mit ihren Träumen, Erinnerungen und dunklen Wundern war. "Machen wir es so," versicherte sie dem Claudius und machte dazu eine römische Geste mit ihrer Hand, die so viel bedeutete, wie volle Zusicherung. Die Geste bestand darin, dass sie beide Hände ineinander legte und dann andächtig mit beiden Hände kreiste, dann öffnete sie ihre Hände und zeigte sie dem Claudius. Selbstverständlich waren sie leer. Nach einem altem Brauch in Italia sollte dies zeigen, dass man keine Hintergedanken hatte. In dieser Sache hatte Stella diese Gedanken tatsächlich nicht. "Wir können uns je nach Bedarf ja abstimmen, Claudius. Ich möchte mich um die Villa kümmern aber du kannst mir sicherlich helfen. Mich wollten schon viele Leute betrügen. Ich stimme dir zu, dass wir es besser so machen. Solange ich mit meiner freundlichen Art zum Ziel gelange, werde ich dies versuchen aber wenn ich betrogen werde oder nicht weiterkomme, werde ich dich fragen," fasste sie zusammen und nickte dann. "Die finanziellen Regelungen?" Stella legte ihr linke Hand unter ihr Kinn. "Ich besitze..." Sie brach ab, denn sie verstand, dass Claudius einer Frau diese Aufgabe abnehmen wollte. Dies würde zum einen das Vermögen des Hauses Tiberius schonen und zum anderen wohl die Tradition bewahren, die Claudius Menecrates so sehr schätzte. Stella wollte sich nicht gegen ihren baldig neuen Tutor stellen. "Ich verstehe. Also besprechen wir die Planungen für den Wiederaufbau bald?" Stella sprang bereits in die größere Aufgabe, die Wiederherstellung des Stammsitzes ihres einstig großen Hauses. "Aber lass uns nicht weiter über diese Aufgaben sprechen, sondern lieber diesen Abend genießen. Ich freue mich, dich im Namen meines Vaters, als Tutor gewonnen zu haben," sagte und lächelte honigsüß und griff sich ein kleines Tablett mit verschiedenen gewickelten Häppchen. Sie wollte jetzt nicht mehr über unschöne Aufgaben sprechen, oder ihre Pflichten, sondern wollte einfach gutes Essen genießen und vielleicht etwas mehr von ihrem neuen Vormund in Rom erfahren. Immerhin würde er nach Gesetzt, wie ihr Vater oder Großvater, sein. Dann war es gut mehr zu erfahren aber dies wollte sie behutsam angehen. "Danke," sagte sie noch, bevor sie sich ein Häppchen in den Mund legte. Das mit der guten römischen Frau blendete sie vorerst aus. Denn in der Tat war sie noch keine mustergültige Römerin, auch wenn sie wohl ein wenig durch ihre Kleidung und Aufmachung so aussah.

  • Wenn jemand sein Einverständnis gab und sich dabei aufrichtig zeigte, vertraute Menecrates ohne Vorbehalt. Allerdings ging er mit den Wenigsten ein Vertrauensverhältnis ein. Die meisten Personen hielt Menecrates auf Abstand. Stella schlüpfte durch die engen Maschen seines Abwehrnetzes, obwohl der Claudier nicht wusste, ob sie als vertrauenswürdig galt. Er ließ sich darauf ein - Verus zuliebe.

    "Dann haben wir einen Pakt", resümierte er. Um für Stella die Bedeutung hervorzuheben, wählte er einen für ihn unüblichen Begriff.

    "Wir kommunizieren offen unsere gegenseitigen Wünsche und Erwartungen. Fangen wir am besten gleich damit an." Während er zu einem Fleischhappen griff und ihn genüsslich kaute, überlegte er. Dabei fiel ihm auf, dass ihm jedwede Kenntnis über den aktuellen Zustand der Villa Tiberia fehlte. Nach seiner Ansicht konnten sie auch sofort mit der Planung für den Wiederaufbau beginnen. Die Atmosphäre einer Mahlzeit ließ Gedanken und Ideen fließen. Seine Bürozeiten ließen zudem wenig Spielraum zu.

    "Beim Sklavenaufstand wurde die Villa deiner Familie in Schutt und Asche gelegt, danach aber - meine ich - wieder aufgebaut? Zumindest wurde sie bewohnt. Wie sieht es denn jetzt bei euch aus? Hast du dich nach deiner Ankunft dort umgesehen?"


    Während er zuhörte, gönnte sich Menecrates ein Potpourri aus verschiedenem Gemüse. Er liebte Pflanzenkost, weil sie - anders als Brot - den Körper nicht verformte. Die Eitelkeit des Claudiers beschränkte sich auf seine Figur, sowie sämtliche Haare. Die Haare am Kopf und im Gesicht ließ er wöchentlich schneiden, die am Körper wurden jeden zweiten Tag entfernt. Duftwässerchen hasste er förmlich.

    Als Stella vorschlug, nicht weiter über Aufgaben zu sprechen, sondern lieber den Abend zu genießen, zeigte er demonstrativ das Karottenstück in seiner Hand. "Ich genieße!" Er schmunzelte, bevor er anfügte: "Was für Wünsche bewegen dich sonst noch?"

  • Ja, sie hatten einen Pakt. Nur wusste Claudius Menecrates nicht, welchen Fluch er damit übernahm. Tiberia Stella war, wie so viele einsame und vertriebene Seelen, umgeben von Ungemach. Eifrig nickte die relativ junge Frau. "Ich war nach meiner Ankunft kurz dort. Habe dort diesen furchtbaren kaiserlichen Beamten empfangen und ein paar Leute auftreiben können, die Aufräumarbeiten erledigt haben. Dennoch ist die Villa recht verwahrlost, die Wände müssen saniert werden und im Allgemeinen müssen viele kleinere Instandsetzungen gemacht werden," fasste sie ihren Eindruck zusammen. Immerhin ging dies schnell. Es würde nicht Jahre dauern, bis ihr einstiges Zuhause wieder bewohnbar war. Auch Stella entschied sich für das Potpourri, da auch sie sehr gerne Gemüse verspeiste und dies sogar am liebsten mit einer kräftigen Sauce. Als Claudius das Karottenstück in seiner Hand zeigte und dazu sagte, dass er genießen würde, lachte Stella fast überfreundlich auf und hielt sich die Hand vor den Mund, da sie sich fast verschluckt hatte. Mit einer geringen Anstrengung würkte sie das Gegessene herunter, um den Reiz zu unterbrechen, bevor sie breit grinste. "Ich möchte in die schönste Therme der Stadt... und ich möchte Lesen... etwas Tolles lesen... ehm... und ich möchte diese Wagenrennen sehen, davon habe ich gehört... und ich möchte Freunde finden, die auch diesen Namen verdienen ... und ich möchte ...," sagte sie hektisch und schnell, um dann mit einem breiten Schmunzeln abzubrechen. "Ich möchte einfach leben," sagte sie zusammenfassend, während ihre Augen zuversichtlich strahlten. Doch ihren Vater und Bruder hatte sie nicht vergessen. All diese Wünsche wären ohne diese leer und bedeutungslos. Besonders ihren Bruder vermisste sie, wenn sie daran dachte, wie sie früher immer mit ihm gespielt hatte. Er hatte ihr mühsam Geschichten vorgelesen. Doch er hätte nicht gewollt, dass sich Stella versteckte. Sie nahm sich vor, für ihre Familie das Leben wieder zu entdecken.

  • Er horchte auf und hakte nach. "Wie hieß dieser kaiserliche Beamte?" Er wollte wissen, ob er ihn kannte, und mit dem eigenen Eindruck abgleichen. Anschließend hörte er weiter zu, während er zu weiterem geschnippelten Gemüse griff. Die Villa stand also, war nur in Teilen heruntergekommen, was ihn nicht verwunderte. Die Schilderung warf allerdings Fragen auf.

    "Sind die Wände auf Tragfähigkeit geprüft? Oder meinst du nur die optische Komponente, die einer Sanierung bedarf. Das wäre ja leicht: Putzen und dann wahlweise Mosaik oder Farbe samt Bildern. Wie stellst du es dir vor?"

    Sein Magen meldete Platznot an, daher unterließ er weitere Naschereien. Der Höflichkeit halber blieb er aber liegen, denn Stella musste zwangsläufig noch Hunger haben. In jungen Jahren aß man mehr, sie kam mit Kohldampf in der Villa an und redete jetzt mehr als dass sie aß.

    "Wähle dir morgen Sklaven aus, die dich begleiten. Versuche dein Glück bei Handwerkern und solltest du auf Schwierigkeiten stoßen, lass es mich wissen. Ich bin immer nachmittags in der Praefectura Urbis, also leicht erreichbar. Notfalls musst du etwas warten." Er überlegte, dann fügte er an: "Ach ja, ein paar neue Sklaven können wir auch gebrauchen, seit hier mehr Gäste und Familienmitglieder weilen. Das bekommst du hin, oder?"

    Als Stella ihre Wünsche aufzählte, wirkte sie zum ersten Mal unbeschwert, was Menecrates ein Lächeln ins Gesicht zeichnete. "Das sollst du alles haben, mein Kind. Das und vieles mehr." Seine Stimme klang warm. In die Terme musste sie selbst gehen, aber er merkte sich, dass sie gerne las und Wagenrennen erleben wollte. Er würde es nicht vergessen. "Leben bedeutet, Erfahrungen machen und Eindrücke sammeln. Leben heißt auch Lieben, sich öffnen, damit verletzlich sein und sich spüren. Für alles Schöne gehst du zunächst ein Risiko ein, aber du hast es in der Hand, wo und bei wem." Es blieb abzuwarten, ob Stella vertrauensvoll eintauchte, oder aus Erfahrung zurückschreckte. So oder so, er würde mehr über sie erfahren.

  • Die Erinnerung war schmerzhaft. Nicht, weil der Beamte sich ihr gegenüber gemein und grausam verhalten hatte, zumindest aus ihrer Sicht, sondern weil es so unglaublich kompliziert war, in Rom zu agieren und nicht über jeden sozialen Fallstrick zu fallen. "Fabius Torquatus," erinnerte sich an den Namen und gab ihn preis. Sie wollte dieses Thema schnell beenden, denn egal, was ihr neuer "Ziehvater" tun konnte, es würde erneut Fragen aufwerfen und diese Fragen waren schmerzhafter als jedwede verbale Grausamkeit oder Heimtücke, denn es waren erlebte Erinnerungen an eine Zeit des Leids und Verlustes. Manchmal fragte sich Stella, was sie falsch gemacht hatte, um von einem Teil der Gesellschaft abgestraft zu werden. Es schien einfach zu reichen, dass sie lebte und in Erscheinung getreten war. Doch sie würde sie nicht von falschen sozialen Regeln vertreiben lassen. Umso mehr sie abgelehnt wurde, umso mehr strahlte sie und es kümmerte sie mit jeder verbalen Grausamkeit weniger. Immerhin hatte sie im Dreck gelebt und unter keinen Umständen würden sie die Stimmen und Beleidigungen dorthin zurücktreiben. Dies war ihre Zeit. Zum Hades mit diesem Fabius und seinen Beamten! Und zum Hades mit all den stillen Regeln! Stella verzog das Gesicht, stoppte ihre Kaubewegung und dachte nach. Nicht über diesen schäbigen Beamten, der sich am Leid anderer erfreute, sondern sie dachte daran, was sie tun konnte, um in Rom zu leben. Dies war nun ihr Leben und sie wollte leben. Doch Claudius Menecrates füllte den Raum mit Sachfragen. Stella überlächelte dies für einen Moment, während sie träumte. "Die Wände sind geprüft. Einige Wände müssen erneuert werden. Optische Komponenten müssen ebenfalls saniert werden. Ich habe keine Vorstellung und würde mich wohl in den Details verlieren. Ich liebe Farben! Und kann mich schlecht entscheiden und viele Entscheidungen habe ich aufgeschoben... aber bei den Göttern... ich habe ja nun dich," sagte sie und kaute dann weiter. Sie sollte Sklaven auswählen? Eine unangenehme Aufgabe für sie. "Ehm, ja," antwortete sie und nickte dezent, wobei sie ein Fleischspießchen von einem Tablett nahm, um genüsslich die Fleischbällchen vom Spieß zu beißen. Wenigstens versicherte ihr Claudius Menecrates, dass sie ein Leben, wenn möglich ein gutes Leben, in Rom haben würde. Stella war beruhigt, auch wenn Claudius Menecrates eine versteckte Warnung aussprach, dass sie sich öffnen musste.

  • Menecrates hörte den Namen und reagierte prompt. "Es sind die lächerlichsten aller Männer, die sich gegenüber Frauen aufspielen und an der eigenen Front versagen!" Er kannte als Praefectus Urbi beileibe nicht jeden Beamten in Rom, aber diesen wüsste er selbst dann einzuordnen, wenn er nicht Stadtpräfekt wäre: Fabius Torquatus gelangte im Senat zu einem Namen, wenn auch nicht zu einem ruhmreichen, und zu keinem Rang.

    Menecrates - ohnehin bereits gesättigt - erhob sich von innerer Empörung getrieben hurtig von der Kline und stapfte einige Schritte auf und ab. Er - als Verfechter, der Frauen die eingeräumten Rechte einschränken oder wieder wegnehmen wollte - verabscheute es, wenn sie unhöflich und ohne Respekt behandelt wurden. Er störte sich mehr und mehr an der aus seiner Sicht falschen Entwicklung der Gesellschaft, die immer mehr von den Traditionen abwich. Das eine zog das andere nach sich, fand er.


    "Wenn ich diesen Feigling je zu Gesicht bekomme, dann kann der sich was anhören! Schwört den Eid als Magistrat und flieht anschließend vor der Pflicht. Gegenüber Frauen plustert er sich aber auf. Vor DEM", Menecrates hielt vor Stella an, "musst du dir nichts bieten lassen. Halte ihm einfach sein Versagen vor. Aber auch von anderen brauchst du dir nichts mehr gefallen lassen. Jetzt bin ich da und werde für respektvolle Umgangsformen sorgen."

    Er atmete mehrmals durch, dann fügte er zerknirscht an: "Was du gerade erlebt hast, ist auch nicht die feine römische Art. Ein Römer beherrscht sich, zumindest vor Gästen und in der Öffentlichkeit. Manchmal ist es aber auch zum aus der Haut fahren." Er setzte sich auf seine Kline. "Du siehst, ich bin auch nicht fehlerfrei."

    Er griff zu einem Pastetchen, damit Stella sich traute weiterzuessen. Anschließend hörte er ihr beim Renovierungsbedarf zu. Er musste lächeln, als sie feststellte, sie habe nun ihn. "Die Frage ist, ob mein Geschmack deinen trifft. Wir können gern mal eine Besichtigung vornehmen und uns darin austauschen." Er überlegte, wann er dafür Zeit erübrigen könnte. "Du führst mich am besten übermorgen zur Villa Tiberia. Dann listen wir die nötigen Gewerke und Materialien auf, um die du dich anschließend samt neuer Sklaven kümmern kannst. Wir testen einmal, wie höflich und hilfsbereit die Anbieter zu dir sind."

  • Es war beruhigend, dass ihr neuer Ziehpapa diesen Schurken ähnlich bedachte, wie sie selbst. Eine Machtposition zum eigenen Gewinn auszuschlachten, war schlimm aber eine Machtposition noch dazu zu verwenden, eigene Unzulänglichkeiten auszuleben und noch dazu darzustellen, war furchtbar. Ämter waren würdevolle Stellungen und sollten stets mit Personen besetzt werden, die charakterlich auch geeignet waren. Doch dieser Beamte, der sich so falsch verhalten, war offensichtlich ungeeignet. Zu ihrem Glück kannte sie nun den vielleicht zweitmächtigsten Mann in Rom und dieser war nun nicht nur durch Pflicht, sondern auch durch Familie (ein Tutor wurde rechtlich, wie ein Vater betrachtet), mit ihr verbunden. Pech gehabt, Fabius! Stella konnte ihre bösartige Freude daran nicht vollens verbergen aber sie ekelte sich selbst augenblickblich vor diesem Gedanken. Es gefiel ihr, diesen Mann politisch zu vernichten und doch ging sie nicht weiter, denn sie wollte nicht diese intrigante Frau sein, die einen Mann, der mit ihr in einem Vertrauensverhältnis stand, dazu zu benutzen, ihre eigenen Kämpfe auszutragen und einen unfähigen Mann zu bestrafen. "Ich denke, dass er sich selbst ein Bein stellen wird und wir garnicht viel tun müssen," sagte sie und versuchte Claudius damit zu besänftigen. Stella wollte nicht, dass er sich dafür politisch verbrannte und verausgabte. "Danke, Claudius," antwortete sie schließlich und versuchte diesem Thema zu entkommen, da es unangenehm sein konnte, wenn sich ihr Tutor nun schützend vor jeden Konflikt stellte und sie nicht mehr frei sprechen konnte, ohne ein Gegenüber sprichwörtlich an den Galgen oder das Kreuz zu bringen. Claudius konnte Männer in Rom einfach vernichten und dies wollte sie wahrlich nicht, dass wegen einer ihrer Dummheiten, ein Mensch unnötig Schaden erlitt. "Du brauchst dich vor mir nicht beherrschen. Wir sind doch jetzt Familie und Emotionen sind ein wichtiger Bestandteil unserer Persönlichkeiten," meinte sie und nickte ihrem Tutor zu. Immerhin war er auch ein Mensch, der seine Emotionen nicht verloren hatte.


    Es kam ihr gelegen, dass er selbst erneut die Sanierungs- und Renovierungsarbeiten ansprach. "Eine Besichtigung ist eine gute Idee!" Mit einem freudigen Lächeln nickte sie abermals. "Das kann ich gerne machen!"

  • Zum ersten Mal erlebte Menecrates eine umsichtige Stella, die abgeklärt wirkte und in sich ruhte. Vielleicht lag es daran, dass sie einen Ankerplatz gefunden hatte. Seinen Ärger konnte er dennoch nicht zur Seite schieben. Je öfter er mit den Auswüchsen eines falschen Frauenumgangs oder Frauenauftretens konfrontiert wurde, umso höher schaukelte er sich auf. Viel fehlte nicht mehr, dann würde er wieder vor den Senatoren stehen und sie auf ein Gesetz zum Schutz der Traditionen in Bezug auf die Frauen einschwören.

    Er brummte vor sich hin, als Stella erwähnte, er bräuchte sich vor ihr nicht beherrschen, während er weiterkaute. Sein eigener Anspruch lautete anders. Er wollte Vorbild sein und Ärger war nie ein guter Ratgeber. Umsicht, Disziplin und ein gezielter Vorstoß zur rechten Zeit versprachen die größeren Erfolge. Emotionen gehörten zur Persönlichkeit, er nickte, als Stella davon sprach. Trotzdem lag die Stärke eines Mannes auch darin, seine Emotionen zu herrschen und er hatte kurz die Kontrolle verloren. Sich in der Öffentlichkeit vorbildlich geben und zu Hause gehenlassen, kam für ihn nicht in Frage.


    Wieder nickte er, als sein MÜndel die Idee einer baldigen Besichtigung für gut befand.

    Die Cena währte noch geraume Zeit, in der nicht nur gegessen, sondern vor allem gesprochen wurde. Sie wollten nach vorn blicken, daher drehte es sich um Zukunftsthemen.

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