Grenzlande | Ein letztes oder vielleicht ein neues Kapitel?

  • Am Rande seines eigenen Lebens, irrte Verus durch das Nichts der weiten Nichtwege, welche im steinigen Staub ihrer eigenen Wüsten lagen. Die Tunika, die er trug war zerschlissen, und auch die Wunden an seinen Armen waren längst vertrocknet und gaben sich nur noch farblich zu erkennen. Sein Rücken war durchnässt von salzigen Narben, die ihm Stockhiebe zugefügt hatten. Der Schweiß brannte auf den Narben, während das Leine bei jeder Bewegung merklich scheuerte. Mit jedem Schritt ließ er etwas Vergangenheit allein zurück. Dies war möglicherweise sein Ende, sein letzter Schritt, da bereits seine Augen schwächelten. Das Licht war entschwunden und hüllte die Welt in ein melancholisches Grau, während sich seine Füße in den steinigen Sand gruben. Er trug keine Schuhe, so dass seine Füße ihn kaum noch tragen konnten und jeder Schritt schmerzte, da sich kleine Steinchen in seine Sohle gruben. Hier war er allein. So allein, dass er bereits Dinge in der Ferne sah. Waren dort Städte oder Dörfer? Gesichter huschten vorbei. Personen, die er kannte, zogen vorbei und lachten höhnisch im Nichts des Windes. Hier am Rand seines eigenes Lebens war er sich seiner eigenen Schuld bewusst. Er wusste, was er getan hatte. Das Buch mit den Lügen und Wahrheiten seines Lebens lag unsichtbar vor ihm ausgebreitet.


    Die Wüste brachte ihm etwas näher, was er im Leben stets gesucht hatte. Die Magie lag darin, dass dieser Pfad ihn dazu zwang, sich seinen Entscheidungen zu stellen. Hier konnte er nicht flüchten, obwohl er auf der Flucht war. Das Blut an seinen Händen gehörte nicht ihm. Die Blutspritzer auf dem hellbraunen Leinen zeichneten sich deutlich ab. Verus war entkommen, um nicht in der Ferne, weit ab von dem Licht zu sterben, welchem er glaubte, zu dienen. Doch Verus war auch bereit allein zu sterben. Denn er wusste, dass jeder Mensch für sich starb und es möglicherweise nichts gab, was daran etwas ändern konnte. Es gab nur die stetige Gewissheit, dass jene, die einen liebten, einen vermissen würden. Er vermisste seine Kinder. Seine Luna. Und doch waren sie hier bei ihm. Denn jeden Kampf, jeder Krieg, den er führte, sollte eine bessere Welt hinterlassen. Doch die Welt, die er gebaut hatte, war brutal, seltsam fremd und auch voller Irrungen. Sein Dienst hatte ihn hart gemacht, herzlos wirken lassen, und doch war er immer noch ein Mann von Herz und Liebe. Diese Liebe lebte in ihm, trug ihn weiter und ließ ihn leben, obwohl seine Taten und Handlungen nach schicksalhafter und ironischer Gerechtigkeit verlangten. Vielleicht war genau dieses Schicksal hier, in dieser Wüste, geschunden und gefoltert, jene Ironie, die er verdiente. Wenn dies sein letztes Kapitel sein sollte, dann war es möglicherweise auch gut so. Verus hatte seinen Frieden damit gemacht, wenn er beim Versuch in die Heimat zu gelangen, sterben würde.


    Der Tod war nichts, was er wirklich fürchtete. Denn durch seine Hand waren viele Leben verloren gegangen und in jedem Augenblick des Todes, hatte er die Menschen gehen sehen. Ihr Kampf, die Angst und dann diese furchtbare leere Ruhe. In gewisser Hinsicht glaubte Verus sogar daran, einen grausamen Tod zu verdienen. Sein Herz schlug in tiefer Reue und doch konnte es nicht entkommen, denn er war jener Meuchelmeister des Kaisers, der nicht nur Rom und seiner Macht diente, sondern auch dem ewigen Kreislauf der Gewalt. Leider hatten Männer, wie er selbst, mehr verändert und bewahrt, als jede friedliche Absicht. Männer, wie er, waren dafür verantwortlich, dass es vielen Menschen gut erging und ebenso vielen schrecklich schlecht. Das Böse lag nicht in der Absicht, sondern in der Wirkung, die sein Leben bisher erzielt hatte. Die Gedanken wagten sich in jene Gefilde, die Verus vor sich selbst verbarg. Wie ein tiefes Gewässer, in seiner dunklen Tiefe, lagen dort die Namen und Taten. Jene Morde, auf Geheiß des Kaisers, jene Handlungen gegen Menschen, die er als Feinde zählte und jene Lügen und falschen Anschuldigen, die er benutzt hatte, um seinem Rom einen weiteren Tag Sicherheit zu schenken. Lügen waren sein Geschäft und vorallem hatte er sich selbst belogen. Rom war nicht hier. Diese Stadt, dieses ewige Imperium, war fern von ihm. Er war allein und keine Rechtfertigung konnte diesen Weg erleichtern. Der Schmerz wurde zu einem Gefühl im Gleichklang mit seiner Erscheinung. Dies war seine Wahrheit. Eine Epiphanie des Augenblicks. Es tat ihm so schrecklich leid, was er vollbracht hat und was er aus Rom gemacht hatte. Er hatte nicht mit Hoffnung gedient, das Leben vieler Menschen nicht verbessert, sondern Menschen und Ideen unterworfen. Verus war ein Eroberer, ein Unterdrücker und ein Mann der Machtausübung aber dabei wollte er eigentlich nur Vater, Liebender und Hoffnungsträger sein. Doch das Blut an seinen Händen wog schwer und zog jene dunkle Seite an, die allen Dingen anhaftete, die auf Missgunst und Gewalt erwuchsen. Sein Irrglauben hatte ihn geformt, längst verloren aber dennoch treu dienend. Es gab nichts mehr und doch ging Verus weiter. Immer weiter, denn eines wusste er: Hier sollte es nicht geschehen. Diese Wüste, so passend sie erschien, war nicht der Ort, an dem er Pluto willkommen hieß.


    Verus sank auf seine Knie, suchte nach Luft und Atem, um dieser Schwäche zu entkommen, die seinen ausgemergelten Körper befallen hatte. Mit aller Mühe stand der Mann, der einst Kriege und Kämpfe gefochten hatte, auf und suchte seinen wankenden Schritt zu festigen. Irgendwo in dieser Richtung lag das Imperium. Er musste weitergehen. Die Parther würden wissen, dass er geflohen war. Sie wussten es ohnehin, da er seine Bewacher getötet hatte. Er sah es noch vor seinen Augen. Die Kette, die er dem parthischen Krieger um den Hals gelegt hatte, um ihn zu erwürgen. Jener Wache, die seinem Kameraden zur Hilfe kam, erstach er mit dem Dolch und löste die Ketten mittels eines Schlüssel, um sich dann einen Kampf mit einem Reiter zu liefern. Es gelang ihm, auch diesen zu töten, um dann mit dessen Pferd zu entkommen, mit mutmaßlich weiteren Parthern im Rücken. Doch er musste entkommen, da ein weiteres Jahr Folter schlimmer als ein möglicher Tod auf der Flucht war. Das Pferd war auf der Flucht verendet. Doch Verus konnte sich an den Sternen orientieren. Er fand seinen Weg und ging weiter. Bis zu diesem Punkt. Diese Wüste drohte ihm den Rest zu geben. Doch er fand ein kleines Dorf aus einfachen Zelten, welches an einer Oase lag. Er schleppte sich zur Oase, warf sich zwischen zwei Palmen nieder und kroch zum Wasser, welches er mit beiden Händen in seinen Mund schaufelte. Es schmeckte frisch und schien aus einer unterirdischen Quelle zu kommen. Verus hatte keine Zeit es zu prüfen. Zwei Frauen in ortsüblicher Tracht traten heran und beäugten den nahtoten Verus. Sie riefen etwas in einer für ihn unbekannten Sprache und es traten mehrere Männer heran, die ihn umringten. Verus blickte auf, konnte sich aber nicht aufraffen. Die Männer ließen ihn gewähren aber packten ihn dann, nachdem sie - nach ihrer Ansicht - genug Wasser an den Fremden abgetreten hatten. Sie beäugten aufmerksam und sprachen etwas. Verus wusste nicht, was sie sagten, aber er kannte diese Augen. Sie wollten Geld. Es war klar, was passieren würde. Ein älterer Mann, behängt mit wenig Gold, deutete auf Verus und ließ ihn Fesseln. Verus, viel zu schwach, wehrte sich nicht einmal. Die Männer ahnten, was geschehen war und wuschen ihm das Blut von seinem Körper, verbrachten ihn eines der Zelte, wo er eine Nacht verweilte. Eine Frau brachte ihm ein wenig seltsames Essen, was hauptsächlich ein Brei mit Früchten war. Verus musste, wie ein Hund, aus einer Schale fressen aber tat es, weil er Kraft brauchte. Die Nacht war kalt aber er lag zumindest auf einer Decke. Verus war klar, dass sie ihn wohl als Sklaven auf einem lokalen Markt verkaufen wollten oder an die Parther ausliefern würden, da diese Interesse an römischen Sklaven hatten. Doch Verus entschied sich, eine Nacht zu ruhen und die Situation ihre Gelegenheit zur Entwicklung zu lassen. Am nächsten Tag wurde Verus in einen Karren gebeten. Verus trat in den Karren, der nicht wirklich geschützt oder gesichert war. Er setzte sich auf eine Holzbank, die Handfessel inzwischen nicht mehr wirklich wahrnehmend. Einige Männer aus dem Zeltdorf begleiteten den Tross, nachdem man noch weitere Waren auf den Karren geworfen hatte. Verus wandte sich zum Wagenlenker um und fragte: "Wohin geht es?" Der Wagenlenker schmunzelte, während er sich eine Leinenkapuze über das Gesicht zog. "Caesarea, Sklave," war die Antwort. Immerhin etwas. Es war sogar etwas Glück dabei. Denn Caesarea war römisches Gebiet. Dort könnte er weitere Pläne machen und musste nicht mehr durch die Wüste wandern. Sie übernahmen seinen Transport. Bei Zeiten würde er sich aber dieser Leute entledigen müssen oder geschickt entkommen. Doch bis dahin nutzte Verus diese Gelegenheit. Er atmete ruhig ein und aus. Seine Gedanken wanderten in Richtung Heimat. Er wollte seine Kinder wiedersehen. Wenigstens für einen Augenblick, auch wenn der Tod jederzeit möglich war. "Danke, Pluto," murmelte er in seinen ranzigen Mehrwochen-Bart, der bereits mehrfach verfilzt war. Der Karren rollte an und mit dem schicksalhaften Glück eines Unheiligen wurde Verus in die gewünschte Richtung transportiert. Noch als Sklave aber immerhin lebendiger als noch vor wenigen Tagen in parthischer Gefangenschaft.

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