[Markt] Schleier des Vergessens haben immer einen Preis.

  • In tiefen Gedanken wankte Verus, halbwegs genesen, durch die Menschenmengen. Es war egal, wirklich vollkommen bedeutungslos, wie er sich fühlte, denn in diesen Augenblick galt sein Weg dem letzten Eid, dem ewigen Versprechen, welches sich die Speculatores gaben, dass niemand ihnen entkam und Verrat stets mit dem Tod bestraft wurde. Verus war ein furchtbarer Mensch geworden, wie ein Geist, war jede Handlung, die er tat, nur noch Erinnerung an einen Menschen, denn alles, was ihn auszeichnete, war kalter Zorn, der sich als böswillige Vernunft tarnte. Er dachte an die schönen Dinge, die er einst gekannt hatte und glaubte nicht einmal mehr daran, diese erneut zu sehen. Verus war längst verloren, so verloren, wie jeder der unter ihm gedient hatte. Die Mission war gescheitert und mit dem Scheitern war die Pflicht in seine Welt gekommen; eine beunruhigende und bösartige Pflicht. Mit einem Ruck riss er den Vorhang zur Seite, die den Innenraum vor Staub schützte. Tücher und Stoffe stapelten sich auf verschiedenen Regalen und Tischen. Ein Tuchhändler. Verus war gezielt an diesen Ort gekommen. Mit seinen toten Augen durchsuchte Verus den Raum. Aus dem Hinterzimmer trat ein hagerer Mann, der erschreckt schien, als Verus vor ihm stand. "Demetrios," grüßte Verus die Person und lächelte dabei kalt-zynisch. Der Tuchhändler trat vorsichtig auf Verus zu. "Herr," sagte dieser und wies in das Hinterzimmer. "Wir können hinten sprechen." Verus nickte und folgte dem Händler, der sich offensichtlich beunruhigt durch Verus Erscheinung war. "Marcus," sagte Verus und gab damit zu verstehen, dass die Tarnung des Tuchhändlers nicht mehr notwendig war. "Aulus, es tut mir leid. Ich konnte nichts für euch tun," offenbarte sich der Händler. "Sie sind alle tot, Marcus. Alle sind sie tot...," spuckte Verus jedes Wort wütend aus, wobei seine Lippen, die noch immer trocken und rissig war, einriss. Er schmeckte sein eigenes Blut. "Wir sind verraten worden," sprach Marcus, der wohl auch zur geheimen Operation der Speculatores gehört hatte. "Das sind wir wohl und ich frage mich von wem wir verraten wurden. Dir scheint es ja sehr gut ergangen zu sein?" Verus packte Marcus mit beiden Händen und würgte diesen überraschten Mann, der sich nicht einmal wehrte. "Warst du es?" Verus konnte sich kaum beherrschen und doch ließ er vom Mann ab. Dieser torkelte einen Schritt zurück, rang nach Luft und musste mit sich kämpfen, um wieder sprechen zu können. "Ich kann die Truppe zusammenrufen. Wir werden den Verräter finden, Aulus." Verus schwieg, denn Worte waren ihm in diesem Augenblick gleichgültig. Es war so vieles gleichgültig geworden. War es nicht einfach egal, wer der Verräter war? War es nicht egal, was aus ihnen - den berühmten Speculatores - wurde? Wie viele Tote hatte er hinter sich gelassen? Diese Dunkelheit lag hinter ihm und ebnete den Weg vor ihm, doch alles war kalt und herzlos geworden. Verus wollte mehr Mensch sein und doch war er nur ein selbstsüchtiges Monster, welches vorgab, selbstlos zu sein. Er war ein Monster geworden - oder schon immer gewesen. Es war nur ein perfides Spiel, welches die Welt und Verus spielten. Erst wenn die Asche vor seinen Füßen lag, konnte er sich einen Sieg eingestehen oder wenn er selbst zu jener Asche verbrannte. Doch das Schicksal gab ihm nie jene Erleichterung, nie einen endgültigen Sieg oder ein Ende seines Dienstes. Das Monster musste schließlich dienen, immer wieder dienen, um nicht an sich selbst und den den eigenen Taten zu erkranken. "Ich werde warten," antwortete Verus mit brüchiger Stimme, da sich die Luft in seinen Lungen wehrte. "Ich werde mich beeilen," entgegnete der ängstliche Untergebene, während dieser seine Kapuze über sein Haupt zog, um die letzten Überlebenden der Mission, die sich in Caesarea versteckten, aufzufinden. Marcus kannte sie alle und auch Verus kannte sie alle, doch war es ihm in seinem Zustand zu mühselig und es würde seine Tarnung gefährden. Er war ja nur ein Sklave, der für seine Herrin Tücher kaufen sollte. Es war immer eine andere Maske, die er trug und er hatte inzwischen viele Namen. Manche Gefangene in seinen Kerkern nannten ihn Herr der Fliegen, den namenlosen Schrecken, Unmensch oder Gesichtsloser. Doch keiner dieser Namen traf den Kern seines Wesens, das einfach nur verloren war. Verus war verloren und konnte nicht entkommen.


    Es dauerte eine Weile bis sich jene Personen der Mission im Laden versammelten. "Hier sind sie," sagte der Speculator, der sich als Tuchhändler ausgegeben hatte, während die Männer in unterschiedlichen lokalen Aufmachungen eintraten. "Wo ist Primus?" - Verus schreckte von seinem Stuhl auf, da er Primus fest zu den Überlebenden gerechnet hatte, da dieser in Parthien aufgebrochen war, um Hilfe zu holen. Seine Reise war nicht ungefährlich aber auch nicht übermäßig lang gewesen, so dass Verus annehmen musste, dass dieser Speculator überlebt hatte. "Primus betreibt eine kleine Taberna am Hafen und kehrte als einziger von der Reise zurück. Er berichtete uns, dass du gefallen bist," erklärte der falsche Tuchhändler. Verus hustete, da ihm noch immer das Sprechen schwer fiel aber sein Verstand war klar. Er konnte Dinge zusammen zählen aber diese Sache war zu einfach. "Er ist nicht gekommen, nachdem ich das Zeichen gegeben habe," erklärte der Marcus, der sich als Tuchhändler ein gutes Auskommen erwirtschaftet hatte. "Wie viele Monate warst du fort? War es nicht fast ein Jahr," fragte einer der Anwesenden. "Das ist unwichtig. Ich bin jetzt wieder hier und wir alle kennen unseren Eid. Ich muss annehmen, dass Primus ein Verräter ist. Gibt es Hinweise?" Marcus nickte. Er preschte sogar ein wenig hervor, was Verus suspekt war aber er ließ den falschen Händler machen. "Er heiratete eine Partherin, mit der er wohl drei Kinder hat. Zudem scheint er zu einem gewissen Wohlstand gekommen zu sein," erklärte Marcus und Verus lauschte aufmerksam. Die Dinge fielen viel zu passend zusammen, so dass Verus aus einer natürlichen Paranoia und einem erlernten Misstrauen zweifelte. Marcus konnte lügen, um sich selbst zu retten oder es gab eine Verschwörung gegen ihn und die Mission. Verrat konnte überall lauern. Doch Verus hatte jetzt keine Gewissheit. Er musste mit Primus sprechen und die Aussagen vergleichen. Verrat musste stets bestraft werden, denn auf die unumstößliche Loyalität zueinander baute der gesamte Machtapparat der Speculatores und letztlich der Prätorianer. Wer Schrecken über andere brachte, musste sich selbst festigen und dürfte nicht durch Verrat oder Missgunst zerfallen. "Dann sollten wir uns zum Hafen begeben." Marcus schüttelte seinen Kopf. "Wir alle haben uns hier Leben aufbauen müssen. Wir sind loyal aber diesen Weg können wir nicht mehr gehen, Aulus." Verus ballte beide Hände zu Fäusten. "Die Wahl liegt bei euch aber ich kann nicht hier bleiben." Die anderen Anwesenden schwiegen tonlos. Sie warteten ab, wie sich die Lage entwickeln würden. Doch auch sie hatten hier Frauen und somit ein Zuhause gefunden. Auch sie wollten vielleicht diesem dunklen Leben als Speculator entkommen, nach all den Jahren der Entbehrungen und der unsäglichen Schrecken, die sie durchleiden mussten. "Ich werde euch gehen lassen können, wenn wir diese Sache aufgeklärt haben. Es sind Brüder dort gestorben. Es waren unsere Brüder und Pluto verlangt Rache für deren Tode," erklärte Verus und schlug auf einen Tuchballen, wobei ihm eine verkümmerte Träne aus dem linken Auge fiel und sich auf seiner Wange auflöste. "Du hast Recht. Diese eine Sache noch...," antwortete Marcus, der falsche Tuchhändler, und die anderen Anwesenden stimmten ein. "Für unsere Brüder," sagten alle gleichzeitig und verließen gemeinsam mit Verus den Tuchladen, um sich in Richtung des etwas entfernten Hafens zu begeben. Sie würden Primus aufsuchen. Es gab genügend Fragen für alle.

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