Es war einer der merkwürdigeren Tagesanfänge in Tariqs Leben, denn als er aufwachte, wusste er zunächst nicht, wo er war. Das Zimmer war fremd, das Bett war fremd, und sein Rücken tat weh, obwohl er so weich lag wie selten in seinem Leben. Sein Körper erinnerte sich immer noch an die Strapazen der Reise – der Reise? –, aber gleichzeitig fühlte er sich auch ausgeruhter. Er schlug die Augen auf, blickte eine hölzerne Decke an und fragte sich, was ihn geweckt hatte. Es dauerte einige Augenblicke, bis er wusste, was es war. Die Stille. Er hörte … nichts. Niemand redete, niemand brüllte herum, kein Pferdestampfen, kein Schnauben, kein Geklapper von Geschirr, kein Knarzen von Leder, … kurz: keine Geräusche eines erwachenden Lagers, die ihn die letzten Tage stets begleitet hatten.
Vorsichtig setzte er sich auf und sah sich um. Das Bett nahm den Großteil des Raumes ein, ansonsten gab es noch eine fremdartig verzierte Truhe, auf der unzeremoniell seine Kleidung und sein Reisebeutel lagen, einen Tisch mit einem Krug und einer Schüssel. Die Tatsache, dass er all dies in bester Klarheit erkennen konnte, zeigte ihm, dass der Tag schon weit fortgeschritten sein musste. Die letzten Tage war er immer in der Dunkelheit aufgestanden. Das Licht … war anders. Es dauerte eine Weile, bis er begriff, dass die Sonne schien. Die Sonne, die er seit einer gefühlten Ewigkeit nicht mehr gesehen hatte! Eilig stand er auf und ging zum Fenster. Der Himmel war bedeckt, doch hinter der weißen Wolkendecke schimmerte goldenes Licht, gedimmt zwar, verdeckt von einem Schleier, aber trotzdem ganz eindeutig da. Er hatte tatsächlich angefangen zu zweifeln, ob in Germanien jemals die Sonne schien, auch wenn Hadamar anderes behauptet hatte. Nun sah er sie mit eigenen Augen und war einfach nur unglaublich erleichtert.
Jetzt, wo er direkt am Fenster stand, begann er auch Geräusche wahrzunehmen. Stimmen, die irgendwo miteinander redeten – gerade soweit weg, dass er nicht genau verstehen konnte, was sie sagten, aber doch nahe genug, dass er sie zumindest hören konnte. Er nahm an, dass sich die Sprecher auf der anderen Seite des Hauses aufhielten. Er konnte zu seiner Verwunderung aus dem Fenster einen Fluss sehen, der sich einen Weg durch eine grün-braune Landschaft bahnte.
Langsam kam auch die Erinnerung an den gestrigen Abend zurück, die Ankunft im Haus der Duccier, die Begrüßung durch Hadamars Familie und … den Abschied von Hadamar, den Tariq nur deshalb mehr oder weniger hatte geschehen lassen, weil er einfach zu müde gewesen war, um zu protestieren. Vielleicht war das gut so, denn jetzt, nach einer guten Portion Schlaf, wusste er selbst, dass ein Protest nur lächerlich gewesen wäre. Er war schließlich kein Kind mehr und Hadamar hatte ihm gesagt, dass es so kommen würde. Er musste sich sofort bei der Legio melden und er, Tariq, würde so lange bei Hadamars Familie unterkommen, bis er zur Ala ging. Anders ging es auch gar nicht und eigentlich konnte er ja froh sein, dass Hadamars Familie ihn so freundlich aufgenommen hatte. Und ihm dieses in seinen Augen riesige Zimmer gegeben hatte, in dem er schlafen konnte. Er hatte noch nie ein so riesiges Zimmer nur für sich gehabt. Dunkel erinnerte er sich auch, dass Octavena es ihm gezeigt und ihm auch einen Krug mit Wasser auf den Tisch hatte stellen lassen.
Er riss seinen Blick von dem Fluss los – noch immer war er über die Menge an Wasser, die in diesem Land existierte, verblüfft. Er nutzte das Wasser im Krug und die Schüssel, um sich zumindest notdürftig zu reinigen. Um ein Badehaus würde er allerdings nicht herumkommen, vielleicht könnte er später einen von Hadamars Verwandten fragen, ob sie ihm eines zeigten. Er zog sich die sauberste seiner Kleidung an, die er finden konnte und fügte als weiteren Punkt auf seiner Liste hinzu, seine dreckige Kleidung in dem Fluss da drüben zu waschen. Auf die Idee, sie hier jemandem zu geben, der sie für ihn wusch, kam er schlicht und ergreifend nicht – so fremd war ihm der Gedanke, dass andere eine Arbeit für ihn erledigten.
So weit vorzeigbar, entschloss er sich, das Haus und die Umgebung zu erkunden. Er öffnete die Tür … und stolperte fast über Farold, der offensichtlich schon länger da draußen herumgelungert hatte und nun zusammenzuckte, als Tariq plötzlich vor ihm stand. Tariq grinste. „... und da habe ich mich grade gefragt, wer mir vielleicht das Haus zeigen könnte. Guten Morgen Farold!“