Die Salutatio war eine einigermaßen deprimierende Affäre gewesen. Von den alten Klienten der Tiberii, die einmal existiert haben mochten, war kaum jemand aufgetaucht, sofern sie noch existierten. Und warum sollten sie auch? Hier gab es nicht viel für sie. der Brief der Decemviri hatte selbst Marcus' ohnehin geringen Erwartungen enttäuscht, dass irgendwo noch ein Haufen Geld seines senatorischen Vaters herum lag. Pleite war er zwar nicht und er hatte dieses riesige Haus hier. Das würde sicher eine hübsche Summe einbringen. Marcus hatte aber keinerlei Zweifel, dass ihn die Geister seiner Ahnen mit furioser Unbarmherzigkeit heimsuchen würden, falls er Anstalten machen würde, das Familienanwesen zu verscherbeln. Rauschende Feste würde er in näherer Zukunft jedenfalls nicht geben können. Was fing man also in dieser Stadt an, wenn man keine Ahnung, keine Verbindungen und kein Geld hatte?
Er hatte neben der Feuerschale platz genommen, die er sich hatte heraus in den Hortus bringen lassen um an der frischen Luft zu sein. Das half beim Denken, auch wenn selbiges Denken ihn gerade nirgendwo hin zu führen schien. Gerade hatte er beschlossen sich eine der paar philosophischen Schriften aus der Bibliothek zu holen, als Munos, der Hausverwalter wie immer diskret an ihn heran trat. Auch wenn sonst weit und breit niemand zu sehen war, schien Munos bestenfalls zu flüstern und tauchte unbermerkt hinter einem auf, als wäre er ein verschwörerischer Höfling auf dem Palatin.
"Herr, Tullus Andro wartet am Dienstboteneingang." verkündete er Marcus mit gewichtiger Miene. Der Name sagte Marcus überhaupt nichts. "So? Die Salutatio war vorhin schon."
Munos lächelte dünn. "Andro ist auch kein Klient in dem Sinne, Herr."
"Ach nein?"
"Nein. Er ist... er gehörte zu einem gewissen Kreis, der mit dem Dominus Verus, sagen wir, bekannt war."
Das setze bei Marcus die Alarmglocken in Gang. "Von den Prätorianern?"
Wieder dieses dünne Lächeln. "Götter nein, Herr. Bei der Garde ist der Mann auf keinen Fall. Grotesk."
"Ah. Dann, was hatte er mit Verus zu tun?" Die Direktheit seiner Fragen irritierte den Maiordomus offenbar zunehmend. Genaugenommen nicht ungewöhnlich, dachte Marcus, in diesem Haus.
"Äh, sagen wir, er war dem Dominus Verus oft... zu Diensten." Munos raufte kurz nervös die Hände. Diese Antwort war anscheinend so direkt, wie er nur konnte. "Es ist in der Tat, Herr, nicht angemessen für meine bescheidene Person über Angelegenheiten der Herrschaften genauer Bescheid zu wissen. Ähm, vielleicht, wenn du meinen Rat hören willst, äh, warum bittest du ihn nicht herein und siehst für dich selbst, Herr."
Keine besonders einladenede Idee. Wer konnte wissen, was Verus mit diesem Kerl zu schaffen hatte. Nun, Munos konnte es wissen und wusste es wahrscheinlich auch, wollte es aber nicht sagen. Verus war der Trecenarius der Prätorianer gewesen. Der Problembeseitiger des Augustus. Und was sollte Marcus mit einem der Messerstecher, Vergifter oder Spitzel der dunklen Emminenz der Garde zu schaffen haben wollen? Wahrscheinlich war es höchst gefährlich, diesen Mann einfach zu einem Plausch herein zu bitten. Worüber sollten sie sich überhaupt unterhalten? Ja das Wetter ist in der Tat furchtbar, mein lieber, wie geht's der Familie, ich hoffe die Geschäfte des Verschwindenlassens gehen gut? Ah hier kommt der Wein.
Andererseits wollte Marcus auch nicht feige da stehen. In dieser Stadt konnte es nicht ausbleiben, sich mit allem möglichen Gelichter abgeben zu müssen. Und wenn man aus seiner Familie kam, war das wahrscheinlich ganz unmöglich. Also warum nicht jetzt damit anfangen, diese Seite der ewigen Stadt kennen zu lernen?
"Na schön. Dann sei doch so gut und bitte den guten Mann hier in den Hortus, nachdem du ihn auf Waffen überprüft hast. Alar und Pico aus der Küche sind ja zwei stämmige Kerle, die ihn im Zaum halten können. Schick uns ein bisschen Wein, sieh zu dass er nicht vergiftet ist und behalte uns im Auge, falls der gute Tullus Andro irgendwelchen Schabernack im Sinn hat."
Der Maiordomus lächelte sein dünnes Lächeln und sah Marcus an wie ein Lehrer dessen begriffsstutziger Schüler gerade endlich eine gewisse Lektion gerafft hatte.
"Wie du wünschst, Herr."