• Die Salutatio war eine einigermaßen deprimierende Affäre gewesen. Von den alten Klienten der Tiberii, die einmal existiert haben mochten, war kaum jemand aufgetaucht, sofern sie noch existierten. Und warum sollten sie auch? Hier gab es nicht viel für sie. der Brief der Decemviri hatte selbst Marcus' ohnehin geringen Erwartungen enttäuscht, dass irgendwo noch ein Haufen Geld seines senatorischen Vaters herum lag. Pleite war er zwar nicht und er hatte dieses riesige Haus hier. Das würde sicher eine hübsche Summe einbringen. Marcus hatte aber keinerlei Zweifel, dass ihn die Geister seiner Ahnen mit furioser Unbarmherzigkeit heimsuchen würden, falls er Anstalten machen würde, das Familienanwesen zu verscherbeln. Rauschende Feste würde er in näherer Zukunft jedenfalls nicht geben können. Was fing man also in dieser Stadt an, wenn man keine Ahnung, keine Verbindungen und kein Geld hatte?

    Er hatte neben der Feuerschale platz genommen, die er sich hatte heraus in den Hortus bringen lassen um an der frischen Luft zu sein. Das half beim Denken, auch wenn selbiges Denken ihn gerade nirgendwo hin zu führen schien. Gerade hatte er beschlossen sich eine der paar philosophischen Schriften aus der Bibliothek zu holen, als Munos, der Hausverwalter wie immer diskret an ihn heran trat. Auch wenn sonst weit und breit niemand zu sehen war, schien Munos bestenfalls zu flüstern und tauchte unbermerkt hinter einem auf, als wäre er ein verschwörerischer Höfling auf dem Palatin.

    "Herr, Tullus Andro wartet am Dienstboteneingang." verkündete er Marcus mit gewichtiger Miene. Der Name sagte Marcus überhaupt nichts. "So? Die Salutatio war vorhin schon."

    Munos lächelte dünn. "Andro ist auch kein Klient in dem Sinne, Herr."


    "Ach nein?"

    "Nein. Er ist... er gehörte zu einem gewissen Kreis, der mit dem Dominus Verus, sagen wir, bekannt war."

    Das setze bei Marcus die Alarmglocken in Gang. "Von den Prätorianern?"

    Wieder dieses dünne Lächeln. "Götter nein, Herr. Bei der Garde ist der Mann auf keinen Fall. Grotesk."

    "Ah. Dann, was hatte er mit Verus zu tun?" Die Direktheit seiner Fragen irritierte den Maiordomus offenbar zunehmend. Genaugenommen nicht ungewöhnlich, dachte Marcus, in diesem Haus.


    "Äh, sagen wir, er war dem Dominus Verus oft... zu Diensten." Munos raufte kurz nervös die Hände. Diese Antwort war anscheinend so direkt, wie er nur konnte. "Es ist in der Tat, Herr, nicht angemessen für meine bescheidene Person über Angelegenheiten der Herrschaften genauer Bescheid zu wissen. Ähm, vielleicht, wenn du meinen Rat hören willst, äh, warum bittest du ihn nicht herein und siehst für dich selbst, Herr."


    Keine besonders einladenede Idee. Wer konnte wissen, was Verus mit diesem Kerl zu schaffen hatte. Nun, Munos konnte es wissen und wusste es wahrscheinlich auch, wollte es aber nicht sagen. Verus war der Trecenarius der Prätorianer gewesen. Der Problembeseitiger des Augustus. Und was sollte Marcus mit einem der Messerstecher, Vergifter oder Spitzel der dunklen Emminenz der Garde zu schaffen haben wollen? Wahrscheinlich war es höchst gefährlich, diesen Mann einfach zu einem Plausch herein zu bitten. Worüber sollten sie sich überhaupt unterhalten? Ja das Wetter ist in der Tat furchtbar, mein lieber, wie geht's der Familie, ich hoffe die Geschäfte des Verschwindenlassens gehen gut? Ah hier kommt der Wein.

    Andererseits wollte Marcus auch nicht feige da stehen. In dieser Stadt konnte es nicht ausbleiben, sich mit allem möglichen Gelichter abgeben zu müssen. Und wenn man aus seiner Familie kam, war das wahrscheinlich ganz unmöglich. Also warum nicht jetzt damit anfangen, diese Seite der ewigen Stadt kennen zu lernen?

    "Na schön. Dann sei doch so gut und bitte den guten Mann hier in den Hortus, nachdem du ihn auf Waffen überprüft hast. Alar und Pico aus der Küche sind ja zwei stämmige Kerle, die ihn im Zaum halten können. Schick uns ein bisschen Wein, sieh zu dass er nicht vergiftet ist und behalte uns im Auge, falls der gute Tullus Andro irgendwelchen Schabernack im Sinn hat."

    Der Maiordomus lächelte sein dünnes Lächeln und sah Marcus an wie ein Lehrer dessen begriffsstutziger Schüler gerade endlich eine gewisse Lektion gerafft hatte.

    "Wie du wünschst, Herr."

  • Dieser Andro, den man kurz darauf in den Garten führte, war nicht der grobe Kolben, den Marcus erwartet hatte. Tatsächlich hätte er ihn, wären sie sich auf der Straße begegnet, mit Sicherheit übersehen. Der Mann war einigermaßen dürr, mittleren Alters und nicht besonders groß.

    " Tullus Andro?"

    "In der Tat, Herr." Sogar seine Stimme war unauffällig. Weder laut, noch leise, weder hoch noch tief. Was er wohl für Verus getan hatte? Wie ein Messerstecher wirkte er nicht. Spitzelei schloss Marcus.

    "Nun, willkommen. Ich hätte ja gerne gesagt, dein Ruf eilt dir voraus. Das ist allerdings nicht der Fall fürchte ich. Ah, hier kommt auch schon der Wein."

    "Gut. Danke, Herr. Ich weiß deine Zeit für mich zu schätzen."

    "Keine Ursache. Immerhin scheint dein Anliegen so wichtig zu sein, dass es nicht für die Salutatio taugte."

    Hoffentlich schuldete man dem Mann nicht noch einen Haufen Geld.

    Der andere lachte kurz mit einem unangenehmen Quietschen auf. "Ich glaube, du wirst mir durchaus dankbar sein, dass ich damit nicht in deine... Salutatio gekommen bin."

    Also schuldete man ihm wahrscheinlich tatsächlich Geld, dachte Marcus und ihm Dank das Herz.

    "Nun, du hast meine ungeteilte Aufmerksamkeit."

  • Andro nahm einen ordentlichen Zug von seinem Wein. "Sehr schön. Ich dachte tatsächlich nicht, dass du über alle Vorgänge, bei denen illustrer Verwandter Verus die Strippen gezogen hat, informiert bist. Das wäre höchst ungewöhnlich. Und du warst sehr lange nicht in Rom, ja? Dein Akzent ist... merkwürdig."

    Marcus räusperte sich und nickte kurz angebunden.

    "Wie auch immer, Herr, der Trecenarius haben gewisse beiderseits nützliche Beziehungen gepflegt."

    "Ja, so viel hat man mir gesagt."

    Andro ließ wieder sein kurzes quietschiges Auflachen hören. "Ah, du solltest Munos ruhig ein bisschen eingehender befragen. Der alte weiß Sachen, da würde dir glatt deine fremdländische Zunge austrocknen."


    Nach diesem kleinen Seitenhieb schien Andro aber beschlossen zu haben, zur Sache zu kommen. "Was allerdings vorher ausgetrocknet war, ist die Geschäftsbeziehung zwischen meiner Wenigkeit und Verus, bedingt natürlich das tragische Ableben des ehrenwerten Trecenarius. Ich für meinen Teil fand die Geschäfte mit ihm immer sehr... lukrativ und ich würde gerne über eine Fortsetzung reden."


    Er trank den Becher in einem Zug leer. Marcus zögerte einen Moment. Der Mann hatte einen ordentlichen Durst an sich. Marcus widerstand dem Drang, diese Type umgehend raus zu werfen zu lassen und winkte dann einen neuen Becher herbei. Andro war offensichtlich gefährlich. Trotzdem war Marcus neugierig und noch hatte er ja keinen Kontrakt mit der Unterwelt geschlossen. Nur ein Gespräch mit einem aufrechten Bürger, der dem alten Trecenarius patriotisch in seiner heldenhaften Arbeit zur Hand gegangen war. Ja sicher. "So? Nun bin ich allerdings nicht der Trecenarius. Welche Dienstleistungen könntest du für mich erbringen und welchen Lohn könnte ich dir dafür anbieten?"

    Teures Geld für zweifellos interessante aber für Marcus erstmal wertlose G'schichten aus welchem zwielichtigem Loch auch immer wollte er jedenfalls nicht bezahlen. Doch Andro antwortete: "Mir ist klar, dass wir unser Geschäftsarrangement ein bisschen anders als früher gestalten müssten. Für Verus habe ich grob gesagt zwei Dienstleistungen erbracht. Ich war sehr gut darin Informationen zu beschaffen. Der Beste."

    Ja sicher, dachte Marcus. Vielleicht stimmte das ja sogar. "Was soll ich mit Suburatratsch anfangen?" Andro grinste schief. "Suburatratsch ist wertvoller als Gold. In bestimmten Lagen jedenfalls. Wenn man bestimmte Leute sucht zum Beispiel. Aber das ist nicht die einzige Dienstleistung, für die Verus mir immer sehr dankbar war. Ich organisiere auch."

    "Straßenfeste und Spenden für die Bona Dea?"

    "Fast mein Junge. Ich organisiere gewisse Gruppen, die in vom Schicksal gepeinigten Stadtteilen und anderen Orten eine gewisse Ordnung aufrecht erhalten. Einen geregelten Alltag."


    Marcus glaubte dem Mann kein Wort. Dieser Sekretärtyp wollte Untergrundgruppierungen kontrollieren. Er konnte sich durchaus vorstellen, wie dieser Alltag in dieser gewissen Ordnung aussah und druchgesetzt wurde. Aber dafür brauchte es doch wohl ganz andere Charaktäre, als diesen da.

    "Nehmen wir mal für einen kleinen Moment an ich hielte deine Geschichte nicht für blanken Unfug."


    Mit übertrieben gespielter Verletztheit antwortete Andro: "Ach die Tiberier, immer so misstrauisch." Er trank auch den zweiten Becher leer. "Naja, wie auch immer. Hier ist der Fakt. Zwei Fakten, um genau zu sein. Ohne Organisationen wie die meine, bräche in der Stadt das völlige Chaos aus. Die Cohortes Urbanae können noch so hoch erhobenen Helmes herum watscheln, ohne unsere Schranken, die eine geregelte Kriminalität gewährleisten, würde der Mob von Gewalttätern, Perversen und Spinnern innerhalb von Tagen die Stadt in Schutt und Asche legen. Die Geschichte hat jedoch gezeigt, dass das nicht ohne eine gewisse Protektion von höher oben geht."

    "Und du willst meine... Protektion?!"

    "Jetzt schau nicht so schockiert, Herr. So läuft das hier nunmal. Und die Protektion von Tiberius Verus war immer sehr wertvoll. Für dich nun, kann ich noch wertvoller sein."

    "Ach ja?"

    "Oh ja. Es ist nun wahrlich kein Geheimnis, dass die große Gens Tiberia ein bisschen auf einem morschen Ast sitzt. Finanziell gesehen. Der Punkt ist allerdings, dass sich gewisse Kreise immer noch einscheißen, wenn auch nur euer Name fällt. Dein Verwandter war sehr effizient, kann man nicht anders sagen. Du kannst dir gar nicht vorstellen, wie zwielichtig, ja düster eure Reputation bei vielen Leuten ist. Und wenn du mich fragst kann man eine düstere Reputation nicht mit allem Gold der Welt aufwiegen. Deswegen habe ich den Trecenarius auch immer in Informationen bezahlt. Dich würde ich in dem Gold bezahlen, dass du so dringend brauchst um auch nur diese Hütte hier am Laufen zu halten."

    Andros ironischer Blick wanderte zu den mittlerweile etwas schäbigen Gartenarrangements und den Wandmalereien, die dringend nachgefärbt werden mussten.

    "Und als kleine Entscheidungshilfe kann ich dir versprechen, dass ich wärend meines patriotischen Dienstes für Kaiser und Trecenarius einiges gesehen und gehört und dokumentiert habe, was für den Fall, dass bestimmte Leute davon Wind bekämen, dazu führen würde, dass diese Bude niedergebrannt und du dahin zurück gejagt würdest, wo du her gekommen bist. Im besten Fall."

    "Du erpresst mich?"

    "Willkommen in Rom, Junge."

    "Und wieso sollte ich dir da alles glauben und nicht annehmen, dass du bloß ein herum schnüffelnder Sekretär mit einem Saufproblem und einem zu großen Ego bist?"


    Doch Andro winkte den Einwand selbstbewusst beiseite. "Du musst mir gar nichts glauben. Ich werde dich durch eine kleine Geste des guten Willens überzeugen, Herr. Du wirst ein ein paar Tagen eine Anzahlung erhalten. Eine Geste des guten Willens. Um der alten Zeiten Willen. Für die musst du auch nichts tun. Sag einfach Munos, alles wie immer. Dann kommen wir ins Geschäft mit meiner Diskretion und deinem Profit. Falls du das ablehnen solltest... naja, ich habe ja angedeutet, was dann los wäre." Andro räusperte sich zog sich die Kapuze über und stand auf. "Ja ich glaube, das wollte ich sagen. Vielen Dank für den Wein, Herr. Der tiberische Weinkeller war schon immer grandios. Alsdann."


    Mechanisch bedeutete Marcus dem stämmigen Alar aus der Küche, den Gast zur Hintertür zu begleiten und stellte sich dann an die Feuerschale, tief in Gedanken versenkt.

  • Die versprochene Anzahlung war tatsächlich einige Zeit später eingetroffen. Ein nettes Sümmchen mit dem sich Marcus selbst und das Haus über Wasser halten konnte. Danach hatte er allerdings nichts mehr von Andro und seinen Machenschaften gehört. Schon war Marcus hin und hergerissen zwischen Erleichterung dieser zwielichtigen Gestalt entronnen zu sein und Enttäuschung darüber, dass die plötzlich auftauchende Einnahmequelle vielleicht schon wieder versiegt sein könnte. Doch Munos schleppte eines Tages doch wieder eine Nachricht des Unterweltsekretärs herein, in der er dem Tiberier seiner Existenz versicherte, aber behauptete, das im Moment sowieso alles wie geschmiert laufe und patrizische Rückendeckung im Moment nicht von Nöten war. Er würde wieder auf Marcus zurück kommen.


    Nun denn. Das gab Marcus Zeit, sich seiner Karriere zu widmen. Den ersten Schritt bei den Augustales hatte er ja gemacht. Das war alles sehr reibungslos gelaufen und Marcus kam der Gedanke, dass er als Mann seiner Klasse wahrscheinlich an vielen Türen nur sachte klopfen musste und schon würden diese sperrangelweit aufgerissen.

    Das war in Alexandria nicht wirklich so gewesen, oder hatte sich jedenfalls nicht so angefühlt. Die hellenisch-ägyptische Oberklasse dort hatte ihre eigenen Vorstellungen von Aristokratie, die sich in eine jahrtausende alte Tradition stellte und sich wahlweise auf Alexander oder die Pharaonen bezog. Die Römer blieben da schlicht ein unmöglicher Haufen neureicher Emporkömmlinge deren Stadt eben noch ein italisches Bauernkaff am äußersten Rand der relevanten Welt gewesen war. Wenn man die große Bahnen der Geschichte betrachtete jedenfalls. Und niemand war in dieser Disziplin besser als die nichtrömische Oberklasse Ägyptens.


    Bevor Marcus allerdings richtig loslegen konnte, sich einen Namen zu machen, gab es noch ein paar Dinge zu erledigen. Dazu gehörte diese spezielle römische Form der Ausbildung in den Dingen des Gemeinwesens, mit der man gleichsam sein Debut auf der urbanen Bühne zu machen hatte. Tirocinium fori. Normalerweise hätten die Beziehungen seines Vaters und seiner Familie da ohne weiteres eine Lösung präsentieren können. Allerdings war beides nicht vorhanden und so beauftragte er Munos damit eine Liste mit tauglichen Lehrern zusammen zu stellen. Es gab keine Zeit zu verlieren.

  • "Wenn du meinen Rat hören willst, Herr: Ich würde diesen ehrenwerten Herrn zu Rate ziehen." Marcus' Hausverwalter Munos deutete auf einen der Namen, die er seinem Herrn als mögliche Lehrer aufgeschrieben hatte. Marcus hob die Schultern. Die meisten dieser Namen sagten ihm nicht besonders viel. Alles gute ehemalige Parteigänger seines Vaters, hatte Munos ihm versichert. "Quintus Geminus Chaera, ja?" Er sprach den Namen Schära aus. "Äh Kaira, Herr. Der Senator besteht auf dieser Aussprache. Er meint Schära klinge, als wenn er gerade den Fluten des Nordmeers entsprungen sei." Der Hausverwalter machte eine lässige Geste, die wohl zum Ausdruck bringen sollte, dass nach seiner Ansicht genau dies der Fall sein könnte. "Soso. Und was genau zeichnet diesen Chaera," er betonte den harten K-Laut überdeutlich, "gegenüber den anderen Kandidaten so besonders aus?" Munos lächelte sein spitzes Lächeln. "Oh, bei diesem Senator würdest du wahrscheinlich mit der, sagen wir, komplettesten Ausbildung gesegnet. Einer, die sozusagen... abgerundet ist und dich für alle Eventualitäten gewappnet sieht." "Aha?"

    "Oh ja. Der Senator versteht sich nicht nur auf die Kunst des Rechts und des Staates. Also Politik, Intrige, Lächeln und Erpressung, sondern hat sich auch in diversen Feldaktionen in Niedergermania ausgezeichnet. Nordmeer wie ich sagte. Schwert und Schild, Speer und Dolch, Herr. Chaera ist bei Weitem der kompetensteste Mann. Und der vertrauenswürdigste, seit ihn der große Verus einmal aus einer üblen Sache diskret heraus geholfen hat. Es scheint, selbst die Helden des Schwertes und des Wurfspeers bringen sich gelegentlich in Schwierigkeiten. Aber der Mann ist absolut verlässlich." endete Munos mit einem gönnerhaften Grinsen.

    Marcus war durchaus überzeugt. Von Politik hatte er nicht allzu viel Ahnung und mit einem Schwert konnte er auch nicht vernünftig umgehen. Fit war er allerdings. Auf sowas hatten nicht nur seine Erzieher in Alexandria Wert gelegt. Sportliche Leistungsfähigkeit war dort geradezu eine Obsession. Ein Erbe der ungezählten Stunden, die sie und ihre Vorfahren in den Gymnasia auf und ab der Ostmittelmeerküste mit Rennen, Werfen und Ringen zugebracht hatten. Anstrengungen sah Marcus also gelassen entgegen.

    "Nun, dann wollen wir es doch mit diesem Schära versuchen, nicht wahr? Sei so gut, Munos und eruiere seine Konditionen." "Wie du wünschst, Herr."

  • Quintus Geminus Chaeras Konditionen waren in der Tat akzeptabel gewesen und schon am nächsten Tag stand der Senator auf der Matte. Er hatte sich ausbedungen, dass das Tirocinium in der Villa Tiberia stattfinden sollte. Ein ungewöhnliches Arrangement, aber Chaera hatte behauptet, dass euer alter Kasten hier in jeder Hinsicht besser geeignet wäre als seine Hütte auf dem Aventin. Inwiefern das stimmte, oder ob der Senator einfach nur Fremde davon abhalten wollte zu intensiv in seiner Privatsphäre herum zu schnüffeln, wusste Marcus nicht und es ging ihn auch nichts an. In seiner heimischen Umgebung zu üben war ihm sowieso lieber.


    So war Chaera also in die Villa marschiert. Alles an dem Mann war furchterregend. Groß wie ein Schrank mit trotz offenbar fortgeschrittenen Alters schneidig kurzen schwarzen Haare stand er im Atrium und musterte Marcus mit unangenehm hellgrünen Augen. Die Förmlichkeiten der Begrüßung waren zügig abgehandelt.

    "Dann wollen wir mal. Zum Hortus geht's hier lang?" "Richtig, Senator. Wenn du mir folgen willst?"

    Hier angekommen gab Chaera auch Antwort auf Marcus Frage, was sie denn im Hortus wollten. "Draußen lernt man am besten. Das ist so. Keine Ahnung warum. Außerdem können wir hier besser mit dem Schwert und so weiter üben. Du scheinst ja einigermaßen stabil auf den Beinen zu stehen?" Eine rhetorische Frage, denn der Senator fuhr fort. "Oh ja Schwert, Schild und der verdammte Schreibgriffel. Das sind die Dinge, die das Reich zusammen halten. Du sagtest, du wärst in Alexandria aufgewachsen?"

    "Ja, Senator."

    "Mhm. Sinnvoll würde ich meinen, nach allem was mit deinem Vater passiert ist. Aber das bedeutet auch, dass du eine halbwegs anständige Erziehung genossen hast und wir nicht mit dem halten eines Schreibgriffels anfangen müssen, ja?"

    "Ja, Senator."
    "Ja, SeNAtOr. Na Spaß, alles gut. Kurze Antworten auf den Punkt. Guter Anfang. Für quasselnde Cretins hab ich nichts übrig. Äh ja. In die feine römische Gesellschaft kann ich dich nicht so richtig einführen, fürchte ich. Dazu bin ich zu neureich und zu klobig in meinen werten Umgangsformen aber das wird dein glitzernder Familienname schon richten."

    "Das tut er allerdings. Er führt mich anscheinend auch in weniger als feine Gesellschaft ein. Und damit meine ich natürlich nicht dich, Senator." antwortete Marcus mit einem sarkastischen Grinsen.

    "HA!" das Lachen des Senators klang wie ein kräftiger Schlag auf einen Blecheimer. "Das glaub ich dir, mein lieber. Apropos, Falls du das noch nicht getan hast: Du tätest gut daran, ein paar, sagen wir mal, Künste einzuüben, die ich dir nicht beibringen kann und die zwar höchst nützlich für Leute im öffentlichen Leben sind, aber höchst skandalös sind. Der gute Munos ist da dein Mann. Hinter seinem öligen Grinsen stecken Abgründe, du würdest es nicht glauben."

    Marcus konnte sich das sehr gut vorstellen, nickte aber lediglich unverbindlich.

    "Gut. Wenn du das verstanden hast, können wir ja loslegen. Ich sehe, du hast dich meinetwegen nicht in Staatsrobe geworfen. Prima, dann können wir ordntlich üben. Beginnen wir bei den Fundamenten und schauen mal was du weißst. Erkläre mir doch mal den Staatsaufbau und die Ämterlaufbahn unseres Gemeinwesen. Und währenddessen gib mir hundert Liegestütze. Los geht's"

  • Chaeras Lektionen schritten voran. Nicht so zügig, wie es sich der Senator erhoffte natürlich. Doch unter reichlichem Gezeter und sarkastischen Bemerkungen über verweichlichte Patriziersöhnchen und "dich würden sie mit viel gutem Willen bei der Marine nehmen. Die sind auch alle so unkoordiniert mit dem Schild. Weiß gar nicht woher das kommt." machte Marcus trotzdem gesunde Fortschritte.


    Er ahnte aber da noch nicht, dass die wahre Prüfung noch bevor stand und sehr bald über ihn herein brechen würde. Schneller und plötzlicher, als ihm lieb sein konnte.

  • An einem arg warmen Sommerabend standen sie vor der Tür. "Herr?" Munos traf Marcus eine der letzten Orchideen betrachtend im Garten. "Der Senator Chaera und Andro wünschen dem Herrn ihre Aufwartung zu machen." Die überdrehte Formulierung konnte natürlich über den noch um ein Vielfaches absonderlicheren Inhalt dieses Satzes hinweg täuschen.

    "Der Senator und Andro."

    "In der Tat, Herr. Die beiden kamen zusammen. Andro spielt zu diesem Zweck wohl den Diener des Senators." Das dünne Grinsen des Maiordomus verriet, dass ihn eine so krude Deckung natürlich niemals täuschen würde, aber das war auch nicht der Punkt.

    Andro der Suburakriminelle hatte ihn weitgehend in Ruhe gelassen und Marcus hatte das dumpfe Gefühl, dass ihm nun die Rechnung für diesen Frieden präsentiert werden würde. Dass er im Schlepptau eines leibhaftigen Senators aufkreuzte, war mehr als aussagekräftig... und gab trotzdem Rätsel auf. Nun, es gab nur einen Weg dies heraus zu finden.

    "Mhm. Dann bitte die Herren doch herein, sei so gut."

    "Natürlich, Herr"
    1/x

  • Ein paar Momente später standen die beiden auch schon vor Marcus. "Willkommen an diesem schönen Abend. Senator." Andro bekam zur Begrüßung immerhin ein Nicken ab.

    Senator Chaera winkte Andro mit einer unwirschen Geste in die Schatten des Atriums hinter ihnen, damit sich Marcus und er ungestört unterhalten konnten. Augenscheinlich wurde der Kriminelle erst später gebraucht.


    "Ich gestehe, keine Gesellschaft mehr erwartet zu haben.", sagte Marcus. Diese gewisse aalglatt höfliche und gleichzeitig ausdruckslose Ausdrucksweise, die ihm der Senator beigebracht hatte, beherrschte Marcus mittlerweile ganz ordentlich, fand er. Doch natürlich hatte sein Lehrmeister trotzdem etwas auszusetzen.

    "Mhm. Du solltest immer so viel erwarten, wie es dein Vorstellungsvermögen zulässt. Selbiges ist trotz gelegentlicher und nervtötender Begriffsstutzigkeit durchaus in ausreichender Menge vorhanden. Und dass auch zu unmöglichen Zeiten jemand vor deiner aufgebrezelten Hütte hier steht, solltest du immer und ständig erwarten."

    "Natürlich Senator."

    "Wenn eitles Begrüßungsgeplauder notwendig ist, nutze am besten Worte, die deinem Gegenüber nicht signalisieren, dass er dich überrumpelt hat. Lüge lieber ein bisschen rum und behaupte, du würdest dich freuen, deine Besucher zu sehen, mhm?"

    Marcus nickte.

    "Gut. Ähm ja. Ich musste diese Ratte" Chaera ruckte mit dem Kopf in Richtung Atrium und Andro "heute Abend leider mitschleppen. Es geht leider um eine arg delikate und brenzlige Angelegenheit und ich warne dich schon mal vor: Du wirst es unangenehm finden. Mehr als unangenehm. Aber wenn ich dir einen Rat geben darf: Zeige das vor der Ratte nicht."

    Marcus nickte erneut. "Danke Senator."


    Dieser bedeutete Munos den Suburakriminellen, der sich im Atrium die Ahnenmasken der Tiberier angesehen hatte (und wahrscheinlich ihren Schwarzmarktwert abschätze) wieder herbei zu pfeifen.

    "Lange nicht gesehen, Herr Marcus Tiberius." Andro war offenbar in aufgeräumter Stimmung. Aber nicht angetrunken. Was immer hier los war, es war dem Saufkopf wohl so wichtig, dass er klaren Kopfes bleiben wollte. "Ich hoffe der ehrenwerte Senator hat nicht alles ausgeplaudert, ja?"

    Der Senator schnaubte. "Nachdem du mir eindringlichst gesagt hast, es wäre absolut notwendig, dass du die Lage erklärst... Und wer wäre ich, den Anordnungen des großen Andro zuwider zu handeln."

    Andro war zufrieden. "Der Senator und ich sind durch gegenseitige Gefallen und gemeinsame Interessen miteinander verbunden, Herr. Man könnte sagen, wir sind ein eingespieltes Duo."

    Auf dem Gesicht des Senators zeigte sich keine Regung.

    "Und das", fuhr Andro fort, "ist auch gut so. Denn es gibt Arbeit, meine erlauchten Herren."

    Schon allein davon, wie Andro das Wort "Arbeit" aussprach, wurde Marcus übel. Aber er hielt sich an die Lektion seines Mentors und widerstand sowohl dem Drang eine Grimasse zu verziehen oder nachzufragen.

    2/x

  • "Oh ja." setzte Andro in nun entschieden geschäftsmäßigerem Tonfall fort. "Wisst ihr, viele Leute treffen in ihrem Leben nunmal Entscheidungen, die sich zumindest im Rückblick als nicht eben optimal heraus stellen. Sie kaufen Klamotten, für die sie zu fett sind. Sie treffen Geschäftsentscheidungen, die nicht so lukrativ sind, wie erhofft. Und so weiter. Doch manche Entscheidungen, die manche Leute treffen, sind ein bisschen sehr weit vom Optimum entfernt. Das kann - rein zufälliges Beispiel - sogar ein erlauchtes Mitglied des hochehrenwerten Senates unseres glorreichen Gemeinwesens betreffen. Ganz alltäglich."

    War es Marcus vorher übel gewesen, war er nun kurz davor sich in die Orchidee zu übergeben. Das ging besser nicht in die Richtung, in die er vermutete.

    "Oh ja, sogar jemand, wie vielleicht ein gewisser Marcus Caelius Soranus zum Beispiel."

    "Soranus war immer schon ein Idiot." warf Chaera ein.


    "Ah. Ich würde doch niemals die Intelligenz eines hohen Senators in Frage stellen." antwortete Andro. "Oh nein. Dieser bestimmte Senator hat die Würfel geworfen. Und verloren. Wie gesagt, manche Fehlentscheidungen sind schlimmer als andere. Es begann alles vollkommen normal. Geschäftlich. Der gute Soranus hatte vor einigen Monaten ein schönes Stückchen Land in Cisalpina gekauft. Ufer des Padus, wunderbar. Auf dem Papyrus jedenfalls. Der Kerl, von dem der Senator es gekauft hat, hat ihn beschissen. Ein Typ aus Ägypten, wie wir heraus gefunden haben." fügte Andro mit einem ironischen Blick zu Marcus hinzu, der seinen in alexandrinischen Akzent noch immer nicht los geworden war.


    "Dort hin ist er auch wieder hin verschwunden. Jedenfalls hatte das Landgut nur vielleicht die Hälfte der Sklaven, die eigentlich beim Kauf inbegriffen waren. Ich verstehe ungefähr gar nichts von Landwirtschaft, aber dass man ganze Getreide nicht mit nur der Hälfte der notwendigen Hände ins Trockene bringen kann, leuchtet sogar mir ein. Jedenfalls brauchte der gute Soranus einen Kredit und die Geldverleiher wollten ihm nichts mehr geben. Schlechte Kundschaft, nicht das erste mal, dass er ordentlich was in den Sand gesetzt hat. Und was macht man, wenn man auf die grade Tour keine Kohle mehr bekommt? Man besorgt sie sich auf die krumme.

    Und so wurde der gute Soranus bei einem.. Freund von mir vorstellig. Er repräsentiert das Zedernkollegium. Gute Geschäftspartner. Sie sind, sagen wir mal, auf Landwirtschaft spezialisiert sind. Wenn du irgendwem die Ernte abfackeln oder einen Sklavenaufstand anzetteln, sind das deine Leute."


    Marcus ging auf, was hier gespielt wurde. "Und der üble Ägypter, der Soranus beschissen und die Hälfte der Sklaven weggezaubert hat, war auch ein guter Geschäftspartner des Zedernkollegiums?"

    Andros Antwort bestand aus seinem gackernden Lachen. "Fast. Sie wussten über den Verkauf Bescheid und haben die Sklaven diskret, sagen wir mal, anderweitig beschäftigt. Ein anderer Geschäftspartner hat ihm dann den Floh ins Ohr gesetzt, man könnte sich das Geld doch interimsweise bei dem Kollegium borgen, korrekt."

    Chaera schnaubte. "Ich hab doch gesagt Soranus ist ein Idiot."

    "Aber irgendwas ist aus dem Ruder gelaufen, ja?" fragte Marcus, wider Willen fasziniert von der Intrige und der Cleverness dieser Unterweltler.


    "Mhm." antwortete Andro. "Den Zedern war natürlich klar, dass Soranus das Geld nicht zurück zahlen konnte. Sie hätten ihn dazu gebracht, das Landgut für eine Pflaume und ein Ei an einen ihrer Strohleute zu verkaufen. Es ist selbst für die Kollegien nicht alltäglich, Landbesitz in die Finger zu bekommen und es wäre ein gutes Geschäft für sie gewesen. Aber statt sich weiter wie eine Kuh die Weide runter treiben zu lassen, tat Soranus etwas... außergewöhnliches."

  • Marcus hatte so eine Ahnung. "Soranus hat versucht die Zedern loszuwerden, indem... was? Ihre Geldeintreiber zusammen schlagen lassen? Klingt nicht nachhaltig. Ihren Anführer aus dem Weg räumen? Damit hätte er ja nur einen Kopf der Hydra abgesenst. Nicht ausreichend, oder?"

    "Fast, Herr." antwortete Andro ernst. "Das Hauptquartier der Zedern befindet tatsächlich nicht in der Subura, sondern am Tiber hinter dem Marsfeld. Etwas unauffällig. Und nicht so notorisch wie Subura. Der Senator stand, wie du gesagt hast, vor dem Problem, dass er das ganze Syndikat hätte loswerden müssen. Oder zumindest diejenigen, die von der Abmachung wussten. Offenbar hat er es geschafft mit einigen diskreten Erkundigungen heraus zu finden, wo dieses Haus ist. Der hoch ehrenwerte Senator ist dann sehr, wie hast du es ausgedrückt, nachhaltig vorgegangen. Geradezu effizient." meinte der Kriminelle mit widerwillger Bewunderung in der Stimme.


    "Er hat herausgebracht, wenn sich die Führung der Zedern trifft. Sie tun dies natürlich zu unterschiedlichen Zeiten an unterschiedlichen Tagen. Man will es den Urbanern ja nicht herschenken, nicht wahr? Jedenfalls haben die Zedern irgendwo ein Leck und Soranus hat es genutzt. Beim nächsten Treffen stand die ganze Bude in Flammen. Soranus ist kein Idiot, wie der ehrenwerte Senator Chaera hier behauptet, aber eben auch kein Profi und man konnte mindestens einen seiner Leute identifizieren, als er zur relevanten Zeit am fraglichen Ort war. Nun trotzdem ist beinahe die ganze Führungsriege ist verbrutzelt, kannst du dir das vorstellen. Eines der angesehensten und honorigsten Kollegien, einfach so,"

    Andro schnippste zur Verdeutlichung. In seinem Gesicht fand sich zu Marcus' Erstaunen echtes Bedauernund ehrliche Entrüstung über einen derartigen Affront und Verstoß. Ja schlimm, wo kommen wir denn da hin, wenn sich das krumme Gelichter anfängt selbst den Garaus zu machen, dachte Marcus sarkastisch.

    "Bei sowas muss man sich immer fragen, wer profitiert?"

    "Naja, du sagtest fast die ganze Führungsebene war in dem Haus. Derjenige der übrig ist."

    "Genau. Und da haben wir das Leck, bin ich mir sicher. Sein Name spielt für unsere Zwecke hier keine Rolle, aber sagen wir mal, die Zedern hatten ziemlich schnell einen neuen Geschäftsführer. Und dieser hat mich unlängst um einen Gefallen gebeten."

    "Lass mich raten. Der profitierende neue Geschäftsführer muss jetzt irgendwie die losen Enden zusammen friemeln. Und das bedeutet, Soranus muss weg, richtig?"

    "Du hattest guten Unterricht, Herr."


    Ein Kompliment von dieser Person fand Marcus einigermaßen ekelhaft. In der Sache war es aber natürlich korrekt. Wie man ihm geraten hatte, hatte er zu seiner Unterweisung in allen klandestinen Dingen seinen eigenen Maiordomus Munos aufgesucht. Dessen Methode war so effektiv gewesen wie ungewöhnlich. Im Grunde war es genau diese Situation. Munos erzählte Marcus eine Geschichte. Normalerweise natürlich mit allerlei Verräterei, Drohungen, Erpressungen, Gewalt. Und Marcus sollte dann an verschiedenen Stellen heraus denken, was als nächstes passiert sein mochte, oder was etwa die korrekte Vorgehensweise gewesen wäre.


    "Und wo komme ich da ins Spiel?" Marcus war in diesem Gespräch nicht nach raten zumute.

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