[Trajansmärkte] Im Tartaros des Konsums

  • Tacitus hatte ihn um Schreibmaterialien gebeten und die besten gab es in den Trajansmärkten.


    Als Terpander sich durch die Menschenmassen auf dem Vorplatz drängte, fühlte er sich paradoxer Weise allein. Ein unüberbrückbarer innerer Unwillen gegen die Händler wie die Kunden trennte ihn von übrigen Besuchern, als er auf das Halbrund zu schritt, das sich über sechs prall mit Waren und Menschen gefüllte Etagen erhob. Gab es irgendwo eine Karte oder Hinweisschilder? Unglaublich, bei einem Einkauf an so etwas denken zu müssen! Bei den Trajansmärkten handelte es sich nicht um ein einzelnes Bauwerk, sondern um einen zusammenhängenden Komplex aus 170 Einzelgebäuden, der in der gesamten Welt seinesgleichen suchte. Für den Bau war es notwendig gewesen, Teile des Quirinal abzutragen und eine Vielzahl kleiner Ladengeschäfte, die vorher auf der Hügelkuppe gestanden hatten, waren dafür dem Erdboden gleich gemacht worden.


    Mit einem unguten Gefühl und einem Korb in der Hand betrat Terpander den Tartaros des Konsums, in dessen labyrinthischen Eingeweiden sich irgendwo ein kleiner Schreibwarenladen befinden musste ...

  • Ein Durcheinander von Eindrücken attackierte seine Sinne wie ein Sperrfeuer aus parthischen Pfeilen. Niemand benötigte so viele verschiedene Kleidungsstücke oder Geschirr zur Auswahl, eine unüberschaubare Anzahl an Weinen oder ganze Festbehänge von Schmuckstücken. Das konnte nicht gut sein für eine Gesellschaft, es lenkte sie ab vom Wesentlichen. Die Menschen verloren ihren Fokus. Die Enge und der ständige Körperkontakt mit Fremden widerten ihn an, besonders, wenn ein untrainierter Oberarm ihn berührte. Nichts vermochte seine Libido so zuverlässig zu ersticken wie körperliche und geistige Weichheit. Und Rom erschien ihm in vielerlei Hinsicht weich. Eigentlich hätten die Römer damals gar nicht siegen können. Wahrscheinlich lag es mehr noch an der Verweichlichung von Athen und Korinth, und vor allen Dingen an Theben, das zu allen Zeiten eine diplomatische Katastrophe gewesen war. Ja, es musste an Theben gelegen haben. Thebens vermeintlicher Sieg war in Wahrheit die Niederlage der hellenischen Welt.


    Durch Terpaners Gedanken rollten die Streitwägen einer Schlacht, die er nie erlebt hatte und in der Kleombrotos in die Erde von Leuktra getrampelt worden war bis ihn seine eigenen Angehörigen nicht mehr erkannten, doch erlebt hatte es der alte Aspis mit dem Lamda, der seither nicht mehr zu reparieren gewesen war und an der Wand von Terpanders Haus seinen Frieden gefunden hatte. Terpander glaubte wieder das lastende Gewicht seines eigenen Aspis auf dem linken Arm zu spüren während der endlosen Übungsmärsche von Spartas heute nur noch der Tradition dienenden Streitmacht. Er schmeckte den Sand der Heimat auf den Lippen und roch den Duft des Olivenhains, spürte den glatten Schaft des Dory in seinen Fingern und die enorme Hebelwirkung der langen Stange auf sein Handgelenk, er spürte wieder Zisimos an seiner Seite und die verlorene Jugend in seinen Knochen. Vielleicht wäre es besser gewesen, sein Vorfahre, der im Gefolge des Kleombrotos gekämpft hatte, hätte darauf verzichtet, einen Sohn in die Welt zu setzen, dann wäre auch Terpander vieles erspart geblieben und allen, die er gequält hatte.


    Die Ankunft am Schreibwarenladen riss Terpander aus seinem Tagtraum. Mit düsterem Blick trat er ein.


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