Nach dem hohen Gebirgspass erreichten wir eine Stadt, die von den Serern Shūlè genannt wurde. Die hier lebende Bevölkerung nannte die Stadt hingegen Kaschgar. Die Stadt lag an einem Fluß, der von Westen nach Osten floss und den Namen der Stadt trug. Oder hatte die Stadt den Namen des Flusses? Die Gebäude waren aus Ziegeln erbaut und eine wehrhaft aussehende Mauer umgab die Stadt. Karawanen waren vor und hinter uns, während andere die Stadt verließen. Wir waren also immer noch an der Handelsstraße. Wir mussten immer noch recht hoch liegen, denn der Abstieg durch den Pass hatte weniger Höhe überbrückt, als der Aufstieg bis zum Pass. So gut war ich naturwissenschaftlich gebildet, um das einschätzen zu können.
Nachdem wir innerhalb der Mauern waren, tat es gut, in einem warmen Gasthaus unterzukommen. Es gab ein Getränk, das ich schon einmal in Rom getrunken hatte. Damals, in einer Taberna trank ich diesen Chai genannten Aufguß schon einmal. Ich unterhielt mich mit Jì Dé über die Gegend hier, während um uns herum andere Menschen ebenfalls Gespräche. Ein dem Klang nach skythischer Dialekt war vorherrschend, so wie auch schon auf der anderen Seite des Gebirgspasses. Aber ich erblickte auch einige Serer.
Politisch schien die Stadt noch zum baktrischen Königreich Kuschana zu gehören, durch das wir schon seit Antiochia in Parthien gereist waren. Doch hatte sie laut Jì Dé wohl auch schon einmal den Serern gehört. Alexander der Große hingegen war niemals hier gewesen. Das war mir schnell klar geworden, weil im Gegensatz zur anderen Seite der Berge keinerlei Elemente griechischer Architektur oder Kultur vorhanden waren.
Trotz ihrer Lage an einer wichtigen Handelsstraße schien mir die Stadt nicht so wohlhabend zu sein, wie man es erwarten konnte. Immerhin kamen hier viele Händler durch und um die Stadt herum gab es Ackerbau. Und natürlich jede Menge Wasser. Und doch war die Luft recht trocken und hin und wieder wehte feiner Sand von Nordosten hierher.
Gerne hätte ich diese Stadt und ihre Umgebung ausführlich erkundet, doch schon am nächsten Tag musste die Karawane weiterziehen. Jeden Tag würden wir reisen, um abends am Ufer des nächsten Flusses zu rasten. Immerhin sollten die meisten Rastplätze Siedlungen, oft sogar Städte, sein. Das versprach zumindest ein bequemes Bett. Denn die Strapazen der Reise waren erheblich. So freute ich mich auch, als ich abends im Bett lag, meine Beine ausstrecken konnte und den eisigen Wind des Gebirgspasses, der uns tagsüber gequält hatte, vergessen konnte.