[Imperium Sinarum] Caput Sinarum

  • Wie erwartet erreichten wir am Abend Luòyáng. Die mächtigen Mauern und Stadttore erinnerten mich an Cháng'ān. Vielleicht war hier alles sogar noch etwas größer. Wir kamen von Norden über eine Brücke, die einen Fluss überquerte, der den Graben um die Stadt mit Wasser versorgte. Am Tor zeigte ich unsere Befehle vor. Die Wachsoldaten riefen ihren Vorgesetzten, der mit unseren Befehlen im Torhaus verschwand. Wir warteten geduldig, bis er nach einigen Minuten wieder auftauchte. "Wer ist Yúnzǐ?" fragte er höflich.


    "Das bin ich," antwortete ich.


    Der Offizier nickte. "Eure Eskorte und die Waren sind in der kleinen Kaserne untergebracht. Folgt der Straße. Dort, wo sie einen Knick nach links macht, folgt ihr der Straße bis zum Ende. Dort ist die Kaserne. Ihr hingegen, Yúnzǐ, wartet bitte hier."


    Mir war nicht klar, warum ich hier warten sollte und der fragende, besorgte Blick von Wú Liàng machte es nicht besser. Ich signalisierte Wú Liàng, dass er mit Jì Mǐn, Arpan und den anderen zur Kaserne ziehen sollte und blieb aufgesessen vor dem Tor stehen, bis auch das letzte Kamel das Tor passiert hatte. Der Wachoffizier schien unschlüssig zu sein, was er mit mir anfangen sollte. Schließlich fällte er eine Entscheidung. "Yúnzǐ, bitte sitzt doch ab und begleitet mich auf eine Tasse Tee, um Eure Wartezeit zu verkürzen."


    "Das wird nicht nötig sein," erwiderte ich, "denn ich denke doch nicht, dass man mich allzu lange warten lässt, oder?" Dabei sprach ich sanft, aber selbstbewusst. Mein Rang war mir durchaus klar, ebenso wie der - niedrigere - Rang des Wachoffiziers.


    "Ich habe den Befehl befolgt, den Palast zu informieren, wenn Ihr hier ankommt. Es kann aber dauern, bis der Bote zurückkehrt. Es ist spät und die Beamten lassen sich um diese Zeit nur ungern stören."


    Ich stieg vom Pferd ab. "Dann hätten sie sich ihre Befehle besser überlegen sollen. Dennoch möchte ich Euch nicht unnötig belasten."


    Der Wachoffizier lächelte höflich. "Ihr belastet mich nicht. Wir haben immer Tee fertig. Bitte, es besteht kein Grund, hier draußen zu warten."


    Ich verneigte mich leicht, was genauso erwidert wurde. "Danke, dann will ich Eure Einladung gerne annehmen."


    So gingen wir in das Torhaus und tranken Tee, während sich der Wachoffizier von mir meine Eindrücke von Cháng'ān und dem Huáng Hé schildern ließ. Informationen aus erster Hand schienen ihm wertvoll zu sein, denn er reichte mir nun auch etwas Gebäck. Wir sprachen recht lange und schließlich hielt es der Wachoffizier für nötig, mir einige Tipps zu geben. Ich solle im Palast niemandem trauen, vor allem nicht den Eunuchen. Und über den Kaiser erzähle man sich, dass er unberechenbar sei und eine Neigung zur Grausamkeit habe. Ich nahm das alles zur Kenntnis, kommentiert es aber nicht weiter. Doch merkte ich mir die Warnungen gut.


    Nach fast einer Stunde wurde gemeldet, dass ein Gesandter des Palastes eingetroffen sei. Wir gingen herunter auf den Platz vor dem Tor, wo im Schein der Laternen ein mittelgroßer Mann in schwarzer Seidentracht stand. Er war eindeutig ein Gelehrter, so wie ich. Als ich ihm näher kam, merkte ich, dass er keinen Bart trug. Das war seltsam, weil die meisten höherrangigen Männer hier Bärte trugen. Schließlich entrollte er ein Schriftstück mit gelber Seide auf der Rückseite. Sofort fielen alle auf die Knie und verneigten sich. Ich folgte dem Beispiel. Der Mann verlas den Text mit hoher Stimme. "Im Namen des Sohns des Himmels wird der Beamte fünften Ranges Yúnzǐ aus Dàqín aufgefordert, sich zu einer Audienz im Palast einzufinden, sobald er sich dazu in der Lage sieht. So noch nicht geschehen, möge er sich in Hofkleidung kleiden. Der ehrenwerte Beamte fünften Ranges Yúnzǐ aus Dàqín möge mitteilen, wann er hierzu in der Lage ist, damit ihm eine Audienz zugewiesen werde."


    Nach dem Ende der Verlesung erhoben wir uns wieder. "Wer ist der ehrenwerte Yúnzǐ?" fragte der Mann weiterhin mit hoher Stimme.


    "Ich bin Yúnzǐ," sagte ich mit sanfter, aber fester Stimme.


    "Habt Ihr Hofkleidung?" fragte der Mann.


    "Nein."


    "Dann will ich Euch helfen. Ihr seid mein Gast. Mein Name ist Tán Lì. Ich bin Eunuch zweiten Ranges im kaiserlichen Palast." Er ließ sich nur einen Augenblick, bevor er weitersprach. "Lehnt jetzt bitte nicht ab, dazu ist der Tag zu weit fortgeschritten. Mein Haus ist groß und nicht weit entfernt. Kommt mit mir, ich lasse nach Eurem Gepäck schicken."


    Da blieb mir wohl keine andere Wahl. "Ich danke für Eure Gastfreundschaft." Mein Pferd führte ich am Zügel, während ich neben Tán Lì die Straße entlangschritt, wobei mich ein ungutes Gefühl beschlich.

  • 'Nicht weit entfernt' war wohl eher eine relative Aussage. Das Haus des Eunuchen war fast eine Meile entfernt, aber man konnte von dort aus die Dächer des Palastes sehen, die deutlich höher als die Dächer der umgebenden Häuser waren. Auf dem Weg hierher hatte ich mich mit dem Eunuchen über Belangloses unterhalten. Den Gelben Fluss, die fruchtbaren Böden, Blumen und Vogelgezwitscher. Als wir das Haus erreichten, war ich überrascht. Es hatte einen mit einer Mauer von der Straße getrennten Vorhof und war zwei Stockwerke hoch. Mehr noch überraschte mich die wunderschöne junge Frau, die uns empfing. Ihr Gesicht hatte helle Haut und war eher schmal und nicht rund. Die mandelförmigen Augen waren perfekt symmetrisch angeordnet und die glänzenden schwarzen Haare waren kunstvoll hochgesteckt. Sie war in bunte Seide gekleidet und bewegt sich mit großer Anmut auf uns zu, blieb dann drei Schritte vor uns stehen und verneigte sich.


    "Das ist meine Nichte, Tán Yù. Sie ist eine Schönheit, meint Ihr nicht?" Der Eunuch schien sehr stolz auf seine Nichte zu sein, doch irgendwie beschlich mich ein Gefühl, dass da noch mehr war, das ich wissen sollte.


    "Ja, durchaus. Schön wie Jade." Das war in diesem Moment mehr als nur Höflichkeit. Sie war wirklich sehr schön. Tán Lì lächelte mich an, ohne dass ich sein Lächeln deuten konnte.


    Die junge Frau verharrte in der Verneigung, während wir an ihr vorbei ins Haus gingen und folgte uns dann. "Meine Nichte wird Euch Euer Zimmer zeigen, Yúnzǐ."


    Das war etwas ungewöhnlich, denn normalerweise sollten fremde Männer und Frauen weder in meiner, und schon gar nicht in der hiesigen Kultur, ohne Aufsicht zusammen sein. Andererseits hatte ich auch nichts dagegen, diesen schönen Anblick noch etwas länger zu genießen. Sie führte mich in das Obergeschoss in ein Zimmer, das anscheinend für Gäste gedacht war. Zumindest fehlte hier jede persönliche Note. "Ehrenwerter Herr, dies ist Euer Zimmer," sagte sie mit einer sanften und sehr schönen Stimme. Sie war also nicht nur schön anzusehen, sondern hatte auch noch einen schönen Klang. Sie war sicher heiß begehrt. Doch warum war sie dann nicht verheiratet?


    "Wünscht Ihr einen Moment der Ruhe? Ich kann in meinem Zimmer warten, es ist gleich links nebenan." Dabei lächelte sie bezaubernd.


    "Das wäre nach der Reise sicher angebracht, doch möchte ich Euren Onkel nicht warten lassen." Dabei lächelte ich höflich zurück. Am liebsten hätte ich sie einfach nur stundenlang angesehen, doch wäre das sicher alles andere als angemessen gewesen.


    Sie schien das zu bemerken. "Gefalle ich Euch?"


    Am liebsten hätte ich geantwortet, dass diese Frage dämlich war. Ihr war ziemlich sicher bewusst, wie schön sie war. "Euch ist sicher bewusst, dass Ihr wunderschön seit, Tán Yù. Das wird jeder bestätigen, der sehen kann. Da ich mich guter Augen rühme, ist mir Eure Schönheit auch nicht entgangen." Das war doch eine viel bessere Antwort als jene, die mir zuerst durch den Kopf ging.


    Sie errötete leicht, während sie ihren Kopf senkte, mich dabei aber weiterhin ansah. "Ihr seht auch nicht schlecht aus, Yúnzǐ. Euer Aussehen ist zwar fremd, aber interessant."


    Eine solche Direktheit hatte ich von den hiesigen Frauen noch nicht erlebt. Es war offensichtlich, dass Tán Yù eine besondere Frau war. Nun musste ich mich zusammenreißen, um nicht verlegen den Kopf zu senken. "Danke." Ich fragte mich 'Venus, warum ausgerechnet hier und jetzt?'


    "Wollen wir essen?" fragte sie, während sie mich weiterhin interessiert ansah.


    "Ja, das wird gegen meinen Hunger helfen," erwiderte ich.


    Sie führte mich wieder ins Untergeschoss in einen Raum mit Blick auf einen kleinen Garten hinter dem Haus. Ein älterer Diener stellte gerade Speisen auf einen Tisch, an dem Tán Lì bereits saß. Er deutete uns, dass wir uns ebenfalls setzen sollten. Ich ließ mich zu seiner Rechten nieder, seine Nichte zu seiner Linken. Auch das war ungewöhnlich, denn normalerweise saßen Frauen hier getrennt von den Männern.


    "Ihr könnt den Blick kaum von meiner Nichte lassen, gefällt sie Euch?" fragte Tán Lì unverhohlen.


    Leider stimmte diese Beobachtung nur zu gut. Die Tatsache, dass sie mir gegenüber saß, machte das nicht besser. "Wie ich Euch bereits sagte, sie ist schön wie Jade."


    "Da werdet Ihr sicher recht haben," sagte er höflich lächelnd, "doch solltet Ihr dabei das Essen nicht vergessen."


    Damit hatte er natürlich recht, so dass ich mich mehr auf mein Essen konzentrierte. Nachdem wir mit dem Essen fertig waren, half Tán Yù dem Diener, den Tisch abzuräumen und zog sich dann zurück, so dass schließlich nur noch der Eunuch und ich am Tisch saßen. Mein Gastgeber sah mich interessiert an, wobei ich ihn nicht durchschauen konnte. "Ihr fragt Euch sicher, warum sie nicht verheiratet ist," meinte er schließlich, um dann zugleich die Antwort zu liefern. "Als sie fünfzehn Jahre alt war, hatte sie sich in einen Bauernjungen verliebt. Leider hat er ihren Lotus geöffnet. Nun findet sich niemand von Stand mehr, der sie heiraten würde. Doch unter ihrem Stand will ich sie nicht verheiraten."


    "Das wäre dann schon einmal eine Frage gewesen. Ich hätte dann gleich noch eine zweite Frage hinterher. Warum wohnt sie hier und nicht bei ihren Eltern?"


    "Eine berechtigte Frage, mit einer einfachen Antwort," erwiderte Tán Lì. "Ihre Mutter starb bei der Geburt ihres Bruders, so wie auch ihr Bruder. Ihr Vater war während dieser Zeit als Offizier im Einsatz gegen die Xiōngnú. Er war siegreich, bezahlte aber mit seinem Leben für den Sieg. Als Bruder war es deshalb meine Pflicht, dass ich mich um sie kümmere. Dafür kümmert sie sich auch gut um mich."


    Ich nickte nachdenklich. Das war ein wirklich schlimmes Schicksal. Doch gab es für mich immer noch Fragen, vor allem eine. "Warum erzählt Ihr mir das? Und warum nehmt Ihr mich als Gast auf?"


    "Weil Ihr einen Freund braucht."


    Das war zwar eine Antwort, aber keine, die mir half. An den Altruismus der Menschen glaubte ich nur selten. "Und warum wollt Ihr mein Freund sein?"


    Tán Lì schüttelte leicht den Kopf. "So viel Misstrauen, wirklich? Vielleicht helfe ich gerne Menschen."


    Das kaufte ich ihm nicht ab. "Vielleicht, vielleicht auch nicht. Für den Moment werde ich Euch das glauben."


    "Nein, das tut Ihr nicht." Er klang nicht gekränkt, sondern vielmehr so, dass er ein einfaches Faktum aussprach. "Ihr habt Prinz Jiénzǐ sehr beeindruckt. Der Prinz und ich kennen uns und verstehen uns gut. Er bat mich um einen Gefallen, nun schuldet er mir einen."


    Ich nickte. "Dann kann ich mich glücklich schätzen, dass er hier Freunde hat, die mir helfen. Doch habe ich einen Auftrag und kann hier nicht ewig verweilen. Was mich zu meiner nächsten Frage bringt. Wo bekomme ich Hofkleidung her? Und wie schnell bekomme ich die?"


    Tán Lì grinste. "Das waren nun aber zwei Fragen." Sein Grinsen verschwand, als er weitersprach. "Doch beantworte ich beide. Ich werde Euch morgen zu dem Schneider schicken, bei dem ich meine Kleider kaufe. Er hat immer Teile vorbereitet, deshalb ist er schnell. In höchstens einer Woche werdet Ihr die passende Kleidung haben. Deshalb will ich versuchen, in einer Woche Eure Audienz zu ermöglichen, damit Ihr weiterziehen könnt. Gestattet mir nur, Euch in dieser Zeit ein Freund zu sein."


    "Das werde ich sehr gerne. Einen Freund kann ich hier gut gebrauchen." Dabei verneigte ich mich leicht.


    "Sage ich doch," meinte Tán Lì und erhob sich. "Bitte entschuldigt mich, ich werde früh aufstehen müssen. Ihr könnt meinen Garten und mein Haus nach Belieben nutzen."


    Ich erhob mich ebenfalls. "Danke sehr." Ob ich ihm trauen konnte, wusste ich nicht. Eine andere Möglichkeit hatte ich aber nicht und die Tatsache, dass er einen Gefallen von Prinz Jiénzǐ einfordern wollte, half mir dabei, halbwegs beruhigt zu sein. Welche Macht Palasteunuchen hatten, konnte ich nicht einschätzen. Aber er schien zumindest genug Einfluss zu haben, um zu wissen, wann ich hier eintraf, und um die Wache entsprechend zu instruieren.

  • Tán Lì hatte mit seinem Schneider nicht zu viel versprochen. Meine Körpergröße machte ihm zwar ein paar Schwierigkeiten, doch er schaffte es, mir binnen einer Woche einen Satz Hofkleidung zu schneidern. Die Woche verbrachte ich damit, mir die Stadt anzusehen und meinen Gastgeber und seine Nichte näher kennenzulernen.


    Luòyáng war die Heimat von etwa einer halben Million Menschen, also nur etwa die Hälfte der geschätzten Bevölkerung meines geliebten Roms. Doch dafür verteilte sich die Bevölkerung auf knapp der dreifachen Fläche Roms. Das konnte man gut sehen, denn die Straßen waren weit, die Häuser oft geräumiger als die in Rom und wagemutig gebaute Insulas fehlten komplett, obwohl es auch hier einige Gebäude gab, die drei oder vier Stockwerke hoch waren. Das Straßennetz war wohlgeordnet und immer wieder gab es kleine Gärten, die zum Verweilen einluden. Dadurch, dass die Stadt in einem flachen Tal lag, fehlten Hügel. Das hatte sicher dabei geholfen, eine so vorbildliche Ordnung in den Straßen zu schaffen. Das gefiel mir sehr viel besser, als das Chaos aus Straßen und Gassen in Rom. Garküchen gab es viele und die Speisen waren mit für mich exotischen Gewürzen verfeinert, die hier viel weniger kosteten, als in meiner Heimat. Und doch war alles irgendwie fremd. Vor den Toren der Stadt im Westen hatten die Buddhisten den Tempel des Weißen Pferdes gebaut. Sie nannten ihn natürlich anders, doch die Statue eines Pferdes aus weißem Stein hatte die Bevölkerung dazu veranlasst, den Tempel so zu nennen.


    Bei meinen Gesprächen mit meinen Gastgebern hatte ich schnell gelernt, dass Tán Yù nicht nur eine bildschön, sondern auch eine kluge und äußerst gebildete junge Frau war. Die Prioritäten im Leben von Tán Lì waren zuallererst seine Nichte und erst danach der Dienst am Kaiser. Das brachte ihn aber in keine Interessenkonflikte. Zwar spürte ich, dass er sie gerne mit mir verkuppeln wollte, doch ging ich darauf nicht ein. Ja, sie wäre die perfekte Frau für mich. Aber Rom würde sie zerstören. Da war ich mir sicher.


    Schließlich kam der Tag der Audienz. Tán Lì half mir, mich anzukleiden. Ich trug rote, quaderförmige Seidenschuhe mit blauen Paspeln und Verzierungen. Über der mir geläufigen Unterkleidung aus ungefärbter Seide trug ich eine Robe aus blauer Seide mit weiten Ärmeln, die so angelegt war, dass man ein Stück des Kragens meiner Unterkleidung sah. Blau war die Farbe meines Ranges als Beamter. Darüber wurde mir eine rote Seidenrobe mit noch etwas weiteren Ärmeln angelegt, so dass man sowohl die Enden der blauen Ärmel sehen konnte, als auch ein wenig der blauen Robe in der Öffnung meines Kragens sichtbar war. Mit einem breiten roten Seidengürtel wurde alles an seinem Platz gehalten. Schließlich kam als Kopfbedeckung ein Jìnxián Guān aus schwarzer Seide mit goldener Paspelierung und hinzu, welches oberhalb der Stirn drei nach hinten laufende goldene Paspeln zeigte. Mit allem zusammen war ich als Beamter des fünften Ranges erkennbar. Dieser Satz Hofkleidung hatte mein komplettes erhaltenes Beamtensalär verschlungen, sogar noch etwas mehr. Dafür, dass ich es wahrscheinlich nie wieder benötigen würde, empfand ich diese Kosten als exorbitant. Doch so war die Kultur, und ich wollte den Kaiser auf gar keinen Fall verärgern. Davon hatte mir Tán Lì auch dringend abgeraten.


    So gewandet ging ich also mit dem Schreiben, das mich zur Audienz aufforderte, zum kaiserlichen Palast. Am ersten Tor wurde alles ordentlich kontrolliert und man geleitete mich über den Hof zu einem Tor, welches in eine große Halle führte. Von dort aus ging es auf die östliche Seite des Hofes, wo ich vor eine kleinere Halle geführt wurde. Es war klar, dass ich nicht bedeutend genug war, in der großen Halle empfangen zu werden. Während ich wartete stand ich gerade, fast schon militärisch, aber mit beiden Händen vor meinem Bauch aufeinandergelegt und in den weiten Ärmeln verborgen. Ich sah mich nicht um, sondern schaute starr auf die geschlossene Türe vor mir. So sollte ein echter Gelehrter warten. Sich neugierig umschauen wäre ein Zeichen mangelnder Selbstbeherrschung gewesen, obwohl es hier jede Menge zu sehen gab. Schließlich wurde die Türe geöffnet.


    Ich ging drei Schritte in den Raum und hob meine Roben bis über die Knöchel an, während ich mich elegant niederkniete. Dann legte ich meine Hände vor meinem Gesicht aufeinander und verneigte mich langsam, wobei ich schließlich die Hände wieder entfaltete und neben meinem Gesicht mit den Handflächen auf den Boden legte, während ich mich weiter verneigte, bis meine Stirn den Boden berührte. So verharrte ich. Ich spürte die Kühle des Bodens und wie perfekt poliert die Steinplatten waren, ohne dass sie deshalb rutschig wurden. Nach einem Moment hörte ich eine ruhige Stimme. "Erhebt euch."


    Ich tat, wie mir geheißen und hob meinen Oberkörper, bis er wieder senkrecht war, dann stand ich in einer fließenden Bewegung auf, wobei ich die Hände wieder vor meinem Gesicht waagerecht aufeinander legte, die linke Hand auf der rechten, dabei jedoch in den Ärmeln verschwinden ließ und mich erneut stehend verneigte.


    "Tretet näher."


    Ich ging nun etwa neun Schritte, bis ich an einer Bambusmatte stand, die etwa zwölf Schritte vor den zwölf Stufen zum Thron am Boden lag.


    "Wenn Ihr mögt, dürft Ihr Euch setzen."


    Wie zuvor beim Betreten des Saales kniete ich, diesmal aber auf der Bambusmatte, und verneigte mich, bis mein Kopf den Boden berührte. Aber nun richtete ich danach meinen Oberkörper sofort wieder auf und verschränkte meine Hände vor meinem Bauch, wobei ich sie wieder in den Ärmeln verschwinden ließ. Ich wagte es nun, den Blick leicht nach oben schweifen zu lassen. Auf der sechstniedrigsten Stufe stand ein Mann in prächtigen roten Roben, die Kraniche und andere Vögel zeigten. Seine Gewänder waren komplett aus roter Seide und seine Jìnxián Guān zeigte fünf Paspeln. Er war also ein Beamter des dritten Ranges. Da mich Tán Lì vorher instruiert hatte, wer seines Wissens anwesend sein würde, wusste ich, dass es sich um den Minister Herold handeln würde, der für diplomatische Beziehungen zuständig war. Auf der von oben gesehen dritten Stufe stand ein noch prächtiger gekleideter Mann, dessen Jìnxián Guān sogar sieben Paspeln zeigte. Es war ein Beamter des ersten Ranges und meines Wissens nach der Minister der Massen. Es war der Vorgesetzte des Minister Herolds. Beide standen zur Rechten des Kaisers. Auf dem Thron schließlich saß der Kaiser, ein Mann in meinem Alter, schätzte ich. Er trug Roben aus gelber Seide mit Drachen, Vögeln und anderen Verzierungen. Dazu trug er eine prächtigere Kopfbedeckung, die Yuǎnyóu Guān hieß und Kaisern, Königen und Herzögen vorbehalten war. Nach diesem kurzen Blick nach oben, blickte ich wieder geradeaus.


    "Ihr seid also Yúnzǐ. Mein Vetter hat nur lobende Worte für Euch. Ihr seid also ein Gelehrter aus fremden Gestaden. Erlaubt mir, Euch in meinem Reich willkommen zu heißen." Die Stimme gehörte also zum Kaiser.


    "Ich danke dem Sohn des Himmels für die Gnade, mich sein Reich sehen zu lassen." Ich sprach deutlich und laut genug, damit er mich gut hören konnte, dann verneigte ich mich wieder, bis meine Stirn den Boden berührte und richtete meinen Oberkörper schließlich wieder auf.


    "Es freut mich, dass Ihr kein Barbar seid." Damit meinte er wohl meine Beherrschung der hiesigen Sitten. Dass sich alles Römische in mir dagegen sträubte, mich sinngemäß vor jemanden in den Staub zu werfen, konnte ich offenbar gut verbergen. "Sagt mir, wie schätzt Ihr die Fähigkeiten meines Vetters als Herrscher ein?"


    Mir war klar, dass meine Antwort für Prinz Jiénzǐ gefährlich werden konnte. Das wäre sie aber auch, wenn ich erst länger nachdenken würde. So antwortete ich sofort. "Heilige Hoheit, die Fähigkeiten des Prinzen Jiénzǐ als Herrscher vermag ich nicht einzuschätzen. Als Verwalter von Cháng'ān ist er aber durchaus fähig. Es herrscht Ordnung in der Stadt. Doch ist der Verwalter einer Stadt nur schwer mit einem echten Herrscher zu vergleichen. Doch gestattet mir, zu erwähnen, dass er vermutlich nur widerwillig herrschen würde. Er ist zufrieden damit, Euch bestmöglich zu dienen."


    Es herrschte für eine gefühlte Ewigkeit eisige Stille im Saal und ich merkte, wie die Blicke des Kaisers und der hohen Würdenträger auf mir ruhten, mich musterten und herauszufinden versuchten, ob ich die Wahrheit sagte. Schließlich unterbrach die Stimme des Kaisers die Stille. "Ich danke für Eure Aufrichtigkeit. Eine Qualität, die Euch auch schon mein Vetter attestierte. Ihr seid aus Dàqín. Wem gilt Eure Loyalität? Mir oder dem Kaiser von Dàqín?"


    Das war nun eine schwierige Frage, doch letztlich nur für mich gefährlich. So entschloss ich mich, einfach geradeheraus und ehrlich zu sein. "Hier, als kaiserlicher Beamter, gilt meine Loyalität allein Euch, kaiserliche Majestät. In Dàqín hingegen gilt meine Loyalität meiner Familie. Sollte mich der Kaiser von Dàqín in ein Amt erheben, so wird ihm meine Loyalität in Dàqín gelten. Doch über allem, egal, wo ich auf der Welt unterwegs bin, gilt meine Loyalität der Menschheit und der Ordnung von Himmel und Erde. Dass man die Ordnung nur durch Staaten erhält, ist klar. Dass Staaten nur durch eine stabile Regierung Ordnung schaffen können, ist auch klar. Deshalb müssen die Herrscher gestützt werden, die für Ordnung und Stabilität sorgen."


    "Eine kluge Antwort, Yúnzǐ." Die Stimme schien nun einem der Minister zu gehören. "Und der Sohn des Himmels ist Eurer Meinung nach ein solcher Herrscher?"


    "Ja, Herr. So, wie auch der Kaiser von Dàqín ein solcher Herrscher ist." Ich fragte mich, ob ich hier lebend herauskommen würde, wenn das so weiter ging.


    "Dann habe ich einen Befehl für Euch, der der Harmonie der Welt nützt," sprach der Kaiser. Es war klar, dass ich den Befehl nicht verweigern konnte. Statt des Kaisers sprach nun der Minister weiter. "Yúnzǐ, Ihr werdet als unser Gesandter dem Kaiser von Dàqín Geschenke und eine Grußbotschaft des Sohns des Himmels überbringen. Ihr müsst danach nicht wieder hierher zurückkehren, außer, der Kaiser von Dàqín befiehlt es Euch. Bis Ihr den Befehl erfüllt habt, werdet Ihr dem Sohn des Himmels loyal sein. Danach mögt Ihr dem Kaiser von Dàqín loyal sein. Doch so lange Ihr lebt, werdet Ihr weder den Feinden von Hàn, noch den Feinden von Dàqín gegenüber jemals loyal sein."


    Erneut verneigte ich mich und sprach danach. "Ich danke dem Sohn des Himmels für seinen Befehl und werde diesen mit Freuden ausführen. Doch bevor ich dies tun kann, muss ich noch den älteren Befehl befolgen und die Waffen an ihr Ziel bringen." Das war jetzt vielleicht anmaßend gewesen, aber ich musste das sagen, wollte ich mein Gesicht wahren.


    "Dann ist es für Euch ausgesprochen praktisch, dass das Ziel des älteren Befehls ein Hafen ist, von dem aus Ihr nach Dàqín aufbrechen könnt. Beide Befehle lassen sich gemeinsam erfüllen. Ihr dürft Euch entfernen, doch wartet in der Halle am Übergang der Höfe." Die Stimme des Ministers war streng, aber nicht feindselig.


    Ich erhob mich und verneigte mich tief. Dann ging ich immer wieder drei Schritte rückwärts und verneigte mich erneut, bis ich schließlich außerhalb der Halle war. Gut, ich lebte noch. Und ich hatte für meine Freunde hoffentlich auch keinen Schaden angerichtet. Die Atmosphäre von purer Macht, die die Anwesenden ausgestrahlt hatten, ließ mir einen eiskalten Schauer den Rücken herunterlaufen. Das waren Menschen gewesen, die jeden beliebigen Menschen mit einem Wink zum Tode verurteilen konnten. So etwas hatte ich in Rom noch nie gespürt. Vielleicht war es aber auch einfach nur Glück, dass unser Kaiser weniger distanziert war.


    In der Halle, die zwischen dem ersten und zweiten Innenhof war, wartete ich, wie mir geheißen wurde. Es dauerte recht lange, bis ein Eunuch die Halle betrat, mit einem Schriftstück, dessen Rückseite aus gelber Seide bestand, in den Händen. Als er es entrollte, fielen alle Anwesenden, inklusive mir selbst, auf die Knie, und verneigten uns vor dem Eunuchen, bis wir mit der Stirn den Boden berührten. Streng genommen war es nicht der Eunuch, vor dem wir uns verbeugten, sondern das Schriftstück mit den Worten des Kaisers.


    "Im Namen des Sohns des Himmels sei verkündet, dass ein kaiserlicher Gesandter auch den Rang eines Beamten am Kaiserhof haben muss, der ihn zur Gesandtschaft befähigt. Deshalb soll ab sofort der ehrenwerte Yúnzǐ in den unteren dritten Rang erhoben werden. Er soll diesen behalten, bis er ihm entzogen wird oder er ihn abzugeben wünscht. Es ist ihm verboten, diesen Rang abzugeben, so lange seine Befehle nicht erfüllt wurden. Er soll sich angemessene Kleidung für die Reisen und bei Hofe anfertigen lassen, bevor er zur Erfüllung seiner Befehle aufbricht."


    Nachdem die Worte verhallt waren, erhoben wir uns alle wieder. Der Eunuch gab mir die zusammengerollte Urkunde, die ich mit einer Verneigung entgegennahm. Dabei dachte ich mir, dass der letzte Satz sich nach einer furchtbar teuren Angelegenheit anhörte. Doch dann flüsterte der Eunuch mir noch etwas ins Ohr. Ich sollte mir vor meiner Abreise bei der Kaiserlichen Münze zwei Jahresbesoldungen abholen, damit ich die Reise finanzieren konnte. Natürliche würde ich dafür auch Wachen, Schiffe und alles andere bezahlen müssen, inklusive der geforderten Kleidung, aber ich hoffte, dass das Geld dafür reichen würde. Egal wie, ich wollte in Rom wenigstens nicht pleite sein. Ankommen und ein wenig Geld übrig haben, mehr wollte ich doch gar nicht. Natürlich würde ich jede Menge Seidenkleidung mit mir mitbringen, doch wollte ich diese möglichst als Andenken behalten. Und vielleicht auch, um bei einer eventuellen erneuten Reise hierher passend gekleidet zu sein.

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