Unterkünfte der Cohortes Urbanae

  • Er bekam ungewohnt viel Post in letzter Zeit. Erneut hatte ihn ein Brief der Iulia erreicht, ein Besorgnis erregender noch dazu. Keine dieser freundschaftlichen Nachrichten, die Avianus sehr viel lieber empfangen hätte, stattdessen erhielt er einen Hilferuf, weil Torquata genau in jene Lage geraten war, welche sie sich mit aller Kraft zu vermeiden vorgenommen hatte. Diesen Eindruck hatte sie ihm jedenfalls bei ihren Begegnungen stets vermittelt.
    Als er zuende gelesen hatte, blieb also ein mulmiges Gefühl in seiner Magengrube zurück. Nie hätte er erwartet, dass hinter den Gerüchten mehr steckte als das Geschwätz ein paar alter Waschweiber. Aber inzwischen fragte er sich schon, ob es womöglich ihre Treffen waren, die den Ausgangspunkt der Gerüchte darstellten, selbst wenn sie lediglich miteinander gesprochen hatten. Wer wusste schon was das Gerede der Leute aus kurzen Begegnungen und ein paar gewechselten Worten machte, noch dazu wenn jemand Torquata und ihrer Familie schaden wollte. Wenn Torquata ihn um Hilfe bat und der Mord des Händlers etwas damit zu tun hatte, steckte vermutlich mehr dahinter.
    Aber er wäre nicht er, wenn er nicht versuchen würde, einer Freundin bei einer Sache zu helfen, die ihn im Grunde gar nichts anging. Selbstverständlich würde er verusuchen der Spur weiter nachzugehen, nur fragte er sich, ob er auch etwas finden wollte. Denn wenn es wirklich so war, wie Torquata vermutete, sollte wirklich jemand den Iulii schaden wollen, wollte er sich dann wirklich einmischen? Nachdenklich rieb er sich den Nacken und suchte seine Schreibutensilien zusammen.

  • Nicht sehr viel später hielt Avianus eine Antwort auf sein Schreiben in den Händen. Und verdammt nochmal, die machte gar nichts auch nur ein Stück besser. Stattdessen schoben sich, während er las, seine Augenbrauen stutzig immer weiter zusammen.



    Iulia Torquata Aulum suum salutat.


    Vielen Dank, dass du diese Aufgabe für mich übernimmst, denn du nimmst mir eine große Last von den Schultern.
    Bitte mache dir keine Sorgen - die Gerüchte haben nichts mit dir zu tun. Ich würde dir gerne berichten, was sich tatsächlich zugetragen hat, aber ich wage es nicht und ziehe es vor zu schweigen, solange ich es dir nicht selbst sagen kann.
    Ich kann dir leider kaum Anhaltspunkte liefern, da ich zur Zeit nur eine sehr begrenzte Bewegungsfreiheit habe. Aber ich kann dir Namen nennen, die dir helfen werden. Eine von ihnen ist meine Tante Fundania Agrippina, welche in Misenum wohnt. Jedoch hat sie weitreichende Geschäftsbeziehungen überall nach Rom und wird bald durch Selenus eine weitere Quelle haben. Ich empfehle dir Selenus wärmstens, denn er ist ein kluger Mann, Sobald er hier ist, werde ich mich erneut mit dir in Verbindung setzen, um ein Treffen zwischen euch zu arrangieren, sofern du dies wünschst.
    Die andere Person ist allerdings weit weg. Sie kann dir jedoch, im Gegensatz zu mir, alles berichten, was tatsächlich geschehen ist und ich vertraue diesem Mann genauso wie dir.
    Sein Name ist Aulus Hadrianus Fontinalis und er dient als Centurio in der in Mantua stationierten Legion.
    Mantua mag weit weg sein, aber er hat sicherlich auch sein Interesse daran, dass dieser Fall aufgeklärt wird. Aber ich bitte dich, dafür zu sorgen, dass Hadrianus anonym bleibt, denn es liegt mir viel an seiner Sicherheit.
    Sei du jedoch auch stets vorsichtig!


    Vale bene
    Torquata


    Die Gerüchte hatten nichts mit ihm zu tun. Eine Aussage, die ihn eigentlich ein wenig beruhigen sollte. Aber selbst wenn er zuvor nichts damit zu tun gehabt hatte, so hatte er es jetzt. Und warum sagte sie nicht einfach, an den Gerüchten war nichts dran. Wenn sie sagte, sie musste es mit ihm persönlich besprechen, musste er ja fast annehmen, dass sehr wohl irgendetwas davon wahr oder die Realität zumindest nicht viel angenehmer war. Nein, kein Wort, das sie da in das weiche Wachs der Tabula geritzt hatte, beruhigte ihn auch nur ein Stück. Wo war sie da bloß hineingeraten.
    Und selbst wenn sie ihm eine Reihe von Namen nannte, so war er vorerst doch noch immer auf sich alleine gestellt. Denn was sollte er mit einer Tante in Misenum oder irgendeinem Hadrianus in Mantua anfangen. Schließlich konnte hier nicht einfach weg. Oder sollte etwa er an alle genannten Briefe verschicken? Er musste vorerst wohl oder übel darauf hoffen, dass dieser Selenus wirklich so scharfsinnig und hilfreich war, wie Torquata ihn immer beschrieben hatte. Und ansonsten würde er sich etwas einfallen lassen. Irgendwie würde er an die Informationen kommen, die er benötigte, er brauchte lediglich etwas Zeit.
    Jedenfalls würden sie sich einiges zu erzählen haben, falls sie einander wieder einmal begegneten.

  • Noch immer hatte der Iunius keinen Plan, was er mit jenem Brief anfangen sollte. Wieder und wieder las er ihn durch, versuchte etwas zwischen den Zeilen herauszulesen, doch egal wie er das Stück Papyrus drehte und wendete, er wurde nicht schlau daraus. Es war einfach nur ein Brief. Was ihn allerdings erst recht beschäftigte, war diese Kette. Über einen stinknormalen Brief hätte er sich gar nicht einmal so sehr gewundert. Für Cato? Warum sollte irgendjemand Cato etwas schenken wollen? Warum sollte die Tiberia Cato etwas schenken wollen?
    Es klopfte an der Tür seiner Baracke. Bekannte Stimmen erklangen auf der anderen Seite.Natürlich, was machte man, wenn man selbst nicht weiter wusste? Man suchte sich ein paar Berater zusammen.
    "Her...", setzte Avianus an, doch Proculus schlug bereits die Tür auf, marschierte in den Raum und füllte diesen mit seinen breiten Schultern bereits zur Hälfte aus.
    "Hier siehts auch nicht besser aus, als bei uns, Optio", kommentierte er den Anblick der Baracke unbeeindruckt.
    "Was hast du erwartet?"
    "Irgendeinen Grund muss es ja haben, dass du sang- und klanglos die Seiten gewechselt hast", machte sich Canus bemerkbar, der inzwischen gemeinsam mit Cato hinter Proculus in die Baracke getreten war.
    "Besserer Sold? Höherer Rang? Ich darf frische Tirones über den Platz scheuchen?", zählte der Iunier auf. "Aber deswegen hab ich euch nicht geholt, sondern deswegen." Er wedelte mit dem Brief herum und hielt ihn den drei Praetorianern schließlich vor die Nase. "Was ist das?"
    "Ein Brief...", meinte Cato ungerührt, nahm ihn entgegen und machte schließlich große Augen, nachdem er die Unterschrift am unteren Ende des Briefes gelesen hatte. "Die Tiberia?!"
    "Du kriegst dein Geld nicht, Iunius...", begann Canus und klang dabei fast schon panisch.
    "Heeee... warte mal. Ich krieg' eine Kette?", warf Cato wiederum ein, der sich inzwischen durch den gesamten Brief arbeitete.
    "Was interessiert mich... Hä? Warum krieg ich kein Geld...?"
    "Sieht doch jeder, dass das Ding eine Fälschung ist. Nicht einmal ein Siegel ist drauf."
    Avianus starrte seinen ehemaligen Kameraden ägerlich an, während Canus mit schmalen Augen zurückblickte.
    "Und was ist damit?" Der Iunius zog die Kette hervor.
    "Was soll damit sein?"
    "Wieso sollte ich eine verdammte Kette kaufen, um einen blöden Brief zu fälschen?! Das Ding ist zehnmal mehr wert als die blöde Wette!"
    "Ich glaube, die Tiberia will einfach nur nett sein", machte Proculus zum ersten Mal wieder den Mund auf, seit die Diskussion begonnen hatte, nachdem er über Catos Schulter ebenfalls einen kurzen Blick auf das Schreiben geworfen hatte.
    "Naja, das gehört jedenfalls mir." Cato drückte Proculus die Schriftrolle in die Hand und schnappte sich kurzerhand die Goldkette.
    "Du meinst, deiner Schwester."
    "Meine Schwester sitzt in irgendwo in Capua und geht einmal im Jahr aus dem Haus, was soll die mit der Kette?! Aber ich krieg dafür einen Haufen Sesterzen."
    "Du bist widerlich."
    "Nein, Proculus ist widerlich."
    "... und du bist kein Teil unserer Truppe mehr", warf Canus zähneknirschend ein.
    "Canus, sei einfach mal still."
    Der kleinste der drei Praetorianer presste verärgert die Lippen zusammen und blieb endlich stumm. Cato hingegen hatte sich aus der Unterhaltung verabschiedet, stand in einer Ecke des Zimmers und beäugte interessiert das Schmuckstück in seinen Händen. Proculus dagegen hielt ihm das Schreiben entgegen und grinste, wie er immer grinste, während er an die Tiberia dachte.
    "Schreib' ihr zurück und richte ihr hübsche Grüße von mir aus."
    "Klar doch." Avianus nahm den Brief wieder zurück.
    "Jaja, und von mir auch", meinte Cato beiläufig mit Blick auf die Kette und verschwand bereits nach draußen.
    "Kein Geld, das kannst du vergessen", murmelte Canus noch, als Proculus ihn nach draußen schob. Und dann schloss sich die Türe wieder.
    Verdammt nochmal, und ob er ihr antworten würde. Wenn sie unbedingt ein paar nette Briefchen hin und her schicken wollte, würde sie die auch kriegen. Wieder tauchte das altbekannte schräge Grinsen in seinem Gesicht auf. Er würde ihr auf teurem Papyrus einen halben Roman schicken, mal sehen, was sie dazu sagte.

  • Während der Rest der Rückkehrer bereits dankbar in den warmen trockenen Stuben verschwunden war, hatten Antias, Hispo und Sulca lediglich Waffen und Mäntel abgelegt und sich dann schweigend zur Unterkunft des Optios begeben. Dort standen sie nun mit unbewegten Gesichtern vor dem Schreibpult ihres Vorgesetzten und tropften die fein gehobelten Bodenbretter voll. Trocken war es hier auch, warm allerdings nur dem ersten Anschein nach. Zwar schimmerte eine anheimelnde Glut aus dem bronzenen Kohlebecken, deren wärmende Wirkung allerdings in der vorherrschenden eisigen Atmosphäre völlig verpuffte. Antias ließ die Ereignisse des Tages noch einmal sein inneres Auge passieren und erblickte wenig Erbauliches. Angefangen beim Wetter hatte sich nichts so entwickelt wie erhofft. Wenn sich überhaupt irgendetwas positives über den Einsatz sagen ließ, dann vielleicht, dass er niemanden das Leben gekostet hatte. Eine verdammt dünne Ausbeute. Sicher, an einige Informationen war der Optio schließlich doch noch gekommen und Antias hatte immerhin eine ganze Menge gelernt, aber der ursprüngliche Zweck der Aktion war zweifellos ein anderer gewesen. Alles in allem war der Einsatz in die Hecke gegangen, wie tief würde ihnen Optio Iunius Avianus vermutlich gleich mitteilen.

  • Sulca, Hispo und Antias traten ein. Die drei hatte er nach der Sache mit dem Brief und versunken in die Erinnerung an seine Begegnung mit Sibel beinahe vergessen. Das Lächeln, dass an der Porta noch sein Gesicht geziert hatte, war spätestens jetzt jedenfalls verschwunden.
    Avianus legte den Brief der Tiberia beiseite und wandte sich zähneknirschend an die zwei Tirones und den Miles. Er könnte bereits mit einem Becher Wein in der Hand bei seinen ehemaligen Kameraden aus der Garde sitzen und auf den Brief anstoßen, stattdessen musste er sich jetzt mit der Unfähigkeit seiner Soldaten auseinandersetzen, welche er schon in Trans Tiberim leid gewesen war.
    "Sicher habt ihr bemerkt, dass heute nicht alles planmäßig verlaufen ist… und manches davon mag in meiner Verantwortung liegen…", begann er und musterte die drei Männer dabei eindringlich. "… aber ihr hattet eure Befehle, und dennoch finde ich einen von euch alleine im Hinterhof, mit gezogener Waffe und von einem Christianer bedroht vor, während ein anderer vom Erdboden verschluckt ist, und der dritte keine Ahnung von irgendetwas hat."
    Was auch immer geschehen war, nichts entschuldigte seiner Meinung nach die Tatsache, dass die drei nicht einmal in der Lage gewesen waren, sich untereinander abzusprechen. Hätte er darauf etwa ebenfalls hinweisen sollen? Sie waren Soldaten, Zusammenarbeit sollte eigentlich etwas selbstverständliches sein. Er machte eine Pause, beobachtete die Reaktionen der Soldaten und sprach dann das offensichtliche aus:
    "Ich verlange eine Erklärung, wie es dazu kommen konnte."

  • Zunächst sagte keiner ein Wort. Hispo hatte den wenigstens Anteil an den Geschehnissen, Antias fühlte sich als Tiro nicht dazu berufen, das Wort als erster zu ergreifen und Sulca war es wohl lieber, die anderen Versionen bereits zu kennen, um sich auf die seine besser einstellen zu können. Pech für ihn, dass er im Trio der einzige Miles war und es ihm daher anstand, als erster Meldung zu machen. “Nun, Optio ..“ erklärte Sulca mit geschwellter Brust. „.. zunächst möchte ich darauf hinweisen, dass ich nicht einfach verschwunden bin, sondern meine Arbeit erledigt habe. Aber der Reihe nach. Um die Rückseite der Taberna abzusichern, habe ich mich im Hinterhof postiert. Nach einiger Zeit konnte ich die bereits bekannten Subjekte bei der Flucht aus dem Hintereingang beobachten. Zwar gelang es mir, die Männer aufzuhalten, da ich aber vom plötzlichen Erscheinen des Tiros abgelenkt wurde, ist den Frauen zunächst die Flucht über die Mauer geglückt...“ „Was?“ entfuhr es Antias. Seine hinter dem Rücken verschränkten Hände ballten sich zu Fäusten. Er hatte durchaus mit einer verzerrten Darstellung der Vorgänge gerechnet, aber was diese Ratte da präsentierte durfte er nicht einfach so hinnehmen, dann eben in den Carcer! Ein so unauffälliger wie heftiger Tritt von Hispos rechter Caliga brachte ihn gerade noch rechtzeitig zur Besinnung. Wenn er dem Miles jetzt und hier an die Wäsche ging, brauchte er seine Version gar nicht mehr vorzutragen. Mit verkrampften Muskeln zwang Antias sich, Haltung zu bewahren.
    „Ja nun, die Wahrheit tut eben weh.“ fuhr der Cluvius großspurig fort. „Wie auch immer, nachdem ich die Bewachung der Männer dem besagtem Tiro übertragen hatte, war es mir durch meine Ortskenntnis möglich, den Fluchtweg der Frauen abzuschneiden und sie auf der Via Aurelia schließlich dingfest zu machen. Warum der Rekrut seinen Gladius nicht in der Scheide halten konnte, entzieht sich allerdings meiner Kenntnis.“ Lähmendes Schweigen bemächtigte sich der Unterkunft des Optios. Äußerlich ruhig drehte Antias langsam den Kopf. In einer Mischung aus Unglauben und bitterer Belustigung starrte er den Miles an. Der Cuvier hatte sich soeben sämtliche Rippen gebrochen und schien sich darüber noch nicht einmal im Klaren zu sein. Antias hatte Mühe, nicht in zynisches Gelächter auszubrechen. Ach, so war das alles abgelaufen? Na dann. Wenn Miles Cluvius Sulca das sagte, konnte es ja nur stimmen, nicht wahr? Was sollte er da noch hinzufügen? Andererseits widerstrebte es ihm zutiefst, Sulca mit fatalistischem Schweigen ungewollt und vor allem völlig unverdient ins Recht zu setzen.


    „Die Ausführungen des Miles beinhalten leider einige ... wesentliche .. Ungenauigkeiten.“ begann er so beherrscht es ihm möglich war. „Wahr ist, dass der Miles sich in den Hinterhof begeben hat um die Rückseite der Taberna zu observieren während Tiro Peducaeus und ich die Vorderseite beobachteten. Nachdem der vom Geschrei des Schmiedes aufmerksam gewordene Passant die Taberna betreten hatte, wurde Tiro Peducaeus wie du weißt von mir losgeschickt, um dich darüber in Kenntnis zu setzen. Ich selbst habe danach meinen Posten in den Durchgang verlagert, von wo ich mich durch laute Schreie alarmiert in den Hinterhof begeben habe. Wahr ist also auch, dass ich für Miles Cluvius unerwartet dort aufgetaucht bin. Von da an stimmt seine Geschichte allerdings hinten und vorne nicht mehr! Ja, er war dabei, die Christianer aufzuhalten, richtig. Aber alle, nicht nur die Männer. Auch die Frauen waren zu diesem Zeitpunkt noch bei den anderen. Ob es Cluvius Sulca schlicht entgangen ist, dass der braunhaarige Bursche augenscheinlich eine Waffe unter der Tunica trug, weiß ich nicht, jedenfalls hat der Miles ihm keine weitere Beachtung geschenkt und sich stattdessen mit gezogenem Schwert auf den Südländer konzentriert. Ich habe den Gladius erst gezogen, um Sulcas Flanke gegen einen Angriff des Bewaffneten zu decken. Der ist zunächst auch meiner Anweisung gefolgt, die Waffe langsam herauszuholen, hat sich dann aber trotz wiederholter Aufforderungen geweigert, diese fallen zu lassen. Erst in diesem Moment sind die Frauen entkommen, ohne dass der Miles irgendwelche Anstalten gemacht hätte, sie aufzuhalten. Irgendwann ist ihm dann wohl eingefallen, dass es womöglich doch besser wäre, sie wieder einzufangen, und er hat sich schließlich an ihre Verfolgung gemacht. Ich hingegen blieb mit den beiden Männern im Hof zurück, wobei der Südländer sich offenbar nicht entschließen konnte, ob er fliehen oder seinem Glaubensbruder beispringen sollte. Den Göttern sei’s gedankt, mir hat dieser eine sture Hund völlig gereicht.“ Sulca lachte leise vor sich hin. „Welche Waffe denn? Ich hab keine gesehen.“ In sonorem Brustton wandte er sich an den aufmerksam zuhörenden Avianus. „Optio. Einem bewaffneten Rekruten sollte es doch wohl zuzutrauen sein, ohne Hilfestellung mit zwei lächerlichen Bengeln fertig zu werden, sogar wenn tatsächlich einer davon bewaffnet gewesen sein sollte. Gladius und Pugio gegen ein Küchenmesser, das muss zu beherrschen sein.“ „Woher weißt du denn, dass es ein Küchenmesser war, wenn du’s nicht gesehen hast, hä?“ ätzte Antias angriffslustig. Sulca fuhr zornig herum. „Das .. das hast du mir vorhin selbst gesagt, Tiro!“ „Ach ja?“ zischte Antias kalt. „Du wärst der allerletzte, dem ich so was erzählen würde ... Miles!“ Die beiden funkelten sich an, der Raum heizte sich schneller auf als ein einzelnes Kohlebecken es vermocht hätte.


    „Tatsächlich ..“ hob nun Hispo geistesgegenwärtig an. „.. habe ich von den Vorgängen im Hinterhof nichts mitbekommen, Optio.“ Antias und Sulca zogen es wieder vor, geradeaus zu starren. „Ich muss zugeben, dass ich im Durchgang von einem menschlichen Bedürfnis in Anspruch genommen war. Alles was ich mitbekommen habe, war Miles Cluvius, der sehr zielstrebig an mir vorbei auf die Gasse hinaus marschiert und weiter unten wieder in einer Schuhmacherwerkstatt verschwunden ist. Warum Tiro Germanicus und ich uns getrennt haben, wurde ja bereits erwähnt. Viel mehr kann ich zu alldem nicht sagen.“ Sulca schien das zu gefallen. „Da hörst du es, Optio. Ich habe nur meine Arbeit gemacht.“ strahlte er Avianus an. Jedoch, Hispo war mit seinen Ausführungen noch nicht gänzlich durch. „Ich möchte nur noch hinzufügen, dass mir der Miles auf meine Frage über den Verbleib von Tiro Germanicus geantwortet hat, er wisse es nicht.“ "Das ist gelogen!" brauste Sulca auf. "Irgendwo wird er schon stecken, hab ich gesagt!" Hispo lächelte zufrieden. "Ach, stimmt ja. So war's." Die Pfützen auf den Bodenbrettern begannen langsam zu trocknen, in der Unterkunft wurde es schwül.

  • Avianus war gezwungen sich alles anzuhören, die nicht allzu detaillierte Erklärung Sulcas und jene der Tirones mit kurzem Hin und Her danach. Es entging ihm dabei nicht, wie die Stimmung unter den Soldaten währenddessen immer gereizter wurde, solange sich die drei nicht an die Gurgeln gingen, störte er sich vorerst aber nicht daran, es gab wichtigeres zu klären. Eventuell würde er ihnen später eine kleine Moralpredigt zu Mannschaftsgeist und gegenseitigem Respekt um die Ohren schmeißen. Noch blieb er jedoch stumm, seine Züge kontrolliert und er nahm sich vor, keine übereilten Schlüsse zu ziehen, denn im Grunde vertraute keinem der drei mehr als dem anderen. Der eine war ein altgedienter Miles, mit welchem er nicht allzu oft zu tun gehabt hatte, und die anderen beiden junge Tirones, die er hingegen täglich eigenhändig über den Exerzierplatz scheuchte.
    Da konnte sich der Miles also noch so aufplustern, vorerst interessierte sich Avianus nur für die Wahrheit. Und da Antias Ausführungen ausgesprochen umfangreich ausgefallen waren, der Cluvier jenen an keiner Stelle direkt widersprochen hatte, und Hispo sich nicht als übermäßig hilfreich herausstellte, richtete er sich nun als erstes an den Miles.
    "Derjenige, der hier entscheidet, wer einfach verschwunden ist, bin noch immer ich, Miles. Es interessiert mich auch nicht wie du das siehst, aber die Verfolgung dieser Frauen aufzunehmen, ohne meinen Befehl und ohne jemanden der Truppe darüber in Kenntnis zu setzen, unterscheidet sich meiner Meinung nach nur unwesentlich von verschwinden...", kommentierte er den anfänglichen Einwand des Miles trocken. Aber genug von derartigen Kleinigkeiten.
    "Und verstehe ich das richtig, Miles Cluvius… du stimmst den Tirones zu? Was die beiden erzählen, ist wahr?", fragte er daraufhin mit einem Stirnrunzeln. Denn wenn es so war, konnte Antias herzlich wenig für die missliche Lage, in welche er gelangt war. Und Hispo... war eben Hispo, wie es schien. Doch der Miles hätte mehrmals die Möglichkeit gehabt einzugreifen, um die Situation in eine andere Richtung zu lenken, und hatte es nicht getan, stattdessen hatte er die beiden einzeln zurück gelassen, um entgegen seiner ursprünglichen Befehle Gefangene zu machen.
    "Du hast also einen Tiro, der gerade erst den Umgang mit dem Gladius erlernt, wissentlich alleine mit zwei Gegnern zurückgelassen, einer von ihnen bewaffnet, ohne dafür zu sorgen, dass ich informiert werde, und hältst all das nicht für fahrlässig …" – Immerhin stimmten in jener Hinsicht beide Aussagen überein, der Miles konnte wohl kaum widersprechen, von der Sache mit dem Messer mal abgesehen und selbst das würde sich mit Sicherheit klären. Ursprünglich hatte er den beiden Tirones einen erfahreneren Soldaten zur Seite gestellt, damit dieser die Situation im Griff behielt, sollte etwas Unvorhergesehenes passieren. Und kaum zu fassen, jetzt grinste der Mann auch noch. Avianus jedenfalls war nicht zum Lachen zumute.

  • Im Cluvier arbeitete es. Antias konnte geradezu spüren, wie das Hirn des Miles sich verkrampfte, um sich den gezielten Fragen des Optios irgendwie zu entwinden. Sulca würde den Aussagen der Tirones nie zustimmen. Einen Fehler einzugestehen, dazu durfte er gerade noch in der Lage sein, aber den verachteten Rekruten recht geben? Nicht, wenn es sich irgendwie vermeiden ließ. In Sulcas Welt zählte das Leben eines unnützen Tiros weit weniger als die loyale Verschwiegenheit unter Kameraden. In dieser Beziehung konnte Antias den altgedienten Soldaten wenigstens ansatzweise verstehen. Für ihn allerdings hatte diese Loyalität ihre Grenzen. Einen Kameraden zu decken, der gar keiner war, und dies auch noch mithilfe gezielter Desinformation dem Optio gegenüber, ging ihm noch mehr gegen den Strich als sich dem klebrigen Verdacht des Verrates auszusetzen. Für Hispo wäre er wahrscheinlich bereit gewesen, zu schweigen. Aber Sulca hatte Blut sehen wollen. Nein, Antias würde Avianus nichts von Sulcas Aufstachelungen erzählen, aber der Tag mochte kommen, an dem der Cluvius noch einmal seine Hilfe benötigen würde.


    Die Stille, die der letzten Frage des Optios folgte, lastete schwer auf den angetretenen Soldaten. Am schwersten allerdings, das war Antias klar, lag sie auf dem Cluvier. Keine Antwort war auch eine Antwort. Irgendetwas musste der miese Sack jetzt sagen, und ein paar unumstößliche Tatsachen würde er dabei nicht leugnen können. „Nun .. also ..“ brach Sulca denn auch endlich das Schweigen. „Obgleich ich bezweifle, dass es unerfahrenen Tirones möglich ist, eine derart komplexe Situation richtig zu beurteilen .. könnte man die Darstellung der Ereignisse .. vom subjektiven Standpunkt der Rekruten betrachtet .. als .. ähm .. korrekt bezeichnen.“ Antias nahm Sulcas gequältes Eingeständnis ohne jedes Gefühl der Genugtuung hin. Der Cluvius war gedemütigt worden, zwar von sich selbst, aber das spielte keine Rolle. Wen er für seine Erniedrigung verantwortlich machte, stand außer Frage. Antias würde künftig auf der Hut sein müssen.

  • Ach, also nur vom subjektiven Standpunkt der Rekruten aus gesehen… und die hatten also keine Ahnung? Verdammt nochmal, er wollte einfach nur wissen, was geschehen war, und irgendwen musste er schließlich fragen. Und so langsam ging Avianus das besserwisserische Gehabe des Cluviers auf den Keks. Also eigentlich bin ich gar nicht verschwunden, blablabla, und die Tirones können eine solch komplexe Situation nicht beurteilen, blablabla… , hallte es in seinem Kopf. Warum erklärte Sulca dann nicht einfach, was an der Darstellung der Tirones nicht stimmte? Ansonsten musste er einfach annehmen, dass sie der Wahrheit entsprach.
    "Dann ist es ja gut, dass ich diese komplexe Situation beurteile… und zu sagen hast du dazu also auch nichts mehr?", erhob er leicht genervt wieder das Wort. "Ich werde davon absehen, dich von den Ermittlungen gegen diese Christianer auszuschließen, allerdings sind dir Fehler unterlaufen, die ich nicht einfach ignorieren kann, Miles Cluvius." – Die Großzügigkeit des Optios hatte der Miles vor allem der Tatsache zu verdanken, dass er die zwei Frauen wieder eingefangen hatte. Diese waren zwar allein durch dessen Verschulden entkommen, aber da wollte Avianus mal nicht so kleinlich sein.
    "Denkst du ein paar zusätzliche Nächte ohne Ausgang als Wache vor den Stadttoren werden dir helfen, über das Geschehene und deine Fehler nachzudenken?", fragte er und blickte den Miles abwartend an. Wenn er nicht doch noch ein verdammt gutes Argument vorbrachte, weshalb er gar keine Strafe verdiente, stimmte Sulca besser zu. Ansonsten wäre nämlich noch jemand für den Latrinendienst zu gebrauchen.

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    Spurius Cluvius Sulca



    Mit kaum verhohlenem Zorn ging der Cluvier seine Möglichkeiten durch. Hätte er doch wenigstens gewusst, was der Optio wusste. Hatte Avianus das Messer dieses sturen Hitzkopfes selbst gesehen? Hatte er sich vielleicht sogar so weit herabgelassen, die Christianer nach dem Hergang zu befragen? Wenn ja, stand Sulca nun ziemlich blöd da. Die Aussage des Germanicus einfach rundweg abzustreiten war also keine Option mehr. Dieses junge Pack, Optio samt Tirones, wollte nichts anderes als ihn fertig machen, so einfach war das! Ihn, Spurius Cluvius Sulca! Einen Miles, der weit mehr Dienstjahre auf dem Buckel hatte als die drei zusammen! Aber das half ihm jetzt nichts, einen Dienstjahresbonus wie unter Ovidius Mento schien es bei dem Iunier nicht zu geben. Wenn er nicht Gefahr laufen wollte, im Innendienst zu versauern, musste er Farbe bekennen. Immerhin hatte dieser vorlaute Halbgermane dem Optio noch nicht alles erzählt, würde er aber sicher nachholen, wenn Sulca auf seiner Version beharrte. Na gut, dann sollten sie ihren Triumph eben haben und ihn genießen, solange sie konnten. „Ganz wie du es für richtig hältst, Optio.“ knirschte Sulca schließlich durch die Zähne. „Allerdings .. nachgedacht habe ich bereits. Es ist korrekt, dass die Verantwortung der Vorkommnisse bei mir liegt.“ Einen Atemzug lang schien der Miles an weiteren Worten zu würgen, spie dann aber endlich hinterher: "Der Bericht des Rekruten entspricht also den Tatsachen."

  • Nachgedacht hatte er also auch schon? Tja, vor der Nachtschicht würde ihn das trotzdem nicht retten. Dennoch stellte Avianus zufrieden fest, dass von Sulca keine Widerworte kamen.
    "Dann haben wir das also geklärt", hakte er die Sache ab und ging zu einem anderen Thema über:
    "Und was eure Streitereien betrifft… wenn ihr in euren Baracken sitzt, kann ich die ich nur schwer verhindern, aber im Dienst will ich davon nichts sehen, kapiert? Ihr werdet zusammenarbeiten, ihr werdet einander schützen und ihr werdet euch zwangsläufig aufeinander verlassen müssen. Wenn ihr zu solch einem Mindestmaß an Professionalität nicht in der Lage seid, habt ihr bei den Cohortes Urbanae nichts verloren." Er hatte keine Ahnung wie weitreichend die Differenzen zwischen den drei Soldaten waren, aber soviel wollte er zumindest klarstellen. Ein letztes Mal musterte er die Männer eindringlich und richtete sich schlussendlich noch einmal an den Cluvier. "Und als erfahrener Soldat weißt bestimmt auch du, dass weder an diesem Gespräch noch an deiner Strafe die beiden Tirones die Schuld tragen. Für ersteres bist du verantwortlich, letzteres war meine Entscheidung." Von den meisten Soldaten wurde es ja nicht gerade gut aufgenommen, von Kameraden verpetzt zu werden. Avianus hoffte dem mit seinem kleinen Apell an den Cluvier ein wenig entgegengewirkt zu haben.
    "Falls es von eurer Seite keine Fragen mehr gibt, könnt ihr wegtreten", beendete er das Gespräch. "Tiro Germanicus, melde dich im Anschluss im Lazarett und lass dir die Hand sauber verbinden. Ich will niemanden wegen schlecht verarzteter Schrammen aussetzen sehen."

  • Dass der Cluvier am Ende seine Version der Vorfälle sogar gänzlich aufgab, nahm Antias eher beiläufig zur Kenntnis. Weit mehr Aufmerksamkeit brachte er den darauffolgenden Worten des Optios entgegen. Zusammenarbeit .. Professionalität .. nichts bei den Urbanen verloren .. Letzteres hatte er heute doch schon einmal gehört, von Sulca, in diesem verfluchten Hinterhof. Ob sie noch Fragen hatten? Nein, er jedenfalls nicht, zumindest keine, die ihm der Optio hätte beantworten können. Den anderen beiden schien es da ebenso zu gehen. Wortlos salutierten die nassen Soldaten und beeilten sich, die überheizte Unterkunft des Optio zu verlassen.


    Kaum aus der Tür drängte sich Hispo zwischen Miles und Tiro. „Tja, also das war dann wohl ein Scheißtag für alle Beteiligten.“ plapperte er leutselig. „Bis jetzt jedenfalls. Nun erstmal raus aus den nassen Klamotten. Nach `nem ordentlichen Abendessen sieht sicher alles schon ganz anders aus.“ Antias hatte keinen Hunger. Schweigend ging er neben Hispo über die Planken des vorgelagerten Gehwegs in den Dunst der Dämmerung hinaus. Ohne die Tirones auch nur eines Blickes zu würdigen stapfte der Cluvius brütend vor sich hin. Schließlich außer Hörweite der Offiziersunterkünfte versuchte Antias, seinen wohlmeinenden Kameraden abzudrängen. „He Cluvier! Wir haben da was zu regeln, oder?“ Sulca reagierte nicht, stattdessen wurde Hispo energisch. „Lass es! Heute nicht mehr!“ Wann denn dann? wollte Antias entgegnen, wusste aber, dass Hispo derlei knappen Argumenten momentan nicht zugänglich war. Sulca schien das alles nicht weiter zu kümmern, gemächlich marschierte er seiner Unterkunft zu. Antias wollte ihm folgen, wurde aber von Hispo an der klammen Tunica gepackt. Verdammt! Was wollte Hispo eigentlich? Warum ging er nicht einfach essen! „He Spurius!“ rief Antias dem davon schlurfenden Miles wütend nach. „Hier ist Platz genug! Oder hast du Angst, dich schmutzig zu machen?“ Endlich blieb der Cluvier stehen. Hispo stöhnte und packte noch fester zu. Langsam drehte Sulca sich um. „Ich kämpfe nicht mit Schwerverletzten. Geh und lass dir dein zartes Rekrutenpfötchen bandagieren.“ Dann machte der Miles wieder kehrt und ging davon. „Genau das werden wir jetzt auch tun!“ knurrte Hispo genervt, während er seinen Kameraden in Richtung Lazarett zerrte. Antias sah die dunkle Gestalt des Cluvius um die nächste Ecke verschwinden und riss sich fluchend los. „Nimm die Finger weg! Bis zum Valetudinarium schaff ich’s auch alleine!“ Hispo schüttelte den Kopf. „Nein, ich komm mit.“ Für heute hatte Antias die Nase gestrichen voll, allmählich hing ihm diese ganze Bevormundung meilenweit zum Hals raus. „Tust du nicht! Ich will einfach nur mal ein paar Minuten meine Ruhe haben, verflucht nochmal!“ Beleidigt ließ Hispo die Arme sinken. „Schon gut. Mach doch was du willst.“ Hervorragender Vorschlag, wirklich großartig! Ohne weiteren Kommentar und ohne sich umzublicken schlug Antias müde den Weg zum Lazarett ein.

  • Es war schon dunkel als Antias mit frisch verbundener Hand die Unterkunft betrat. In der Kochstelle prasselte ein munteres Feuer, der aromatische Duft frischgerösteten Korns lag in der Luft, durch das warmen Halbdunkel drang melodisch Fimbrias’ tiefe Stimme. „Götter, wie idyllisch.“ murmelte Antias, zerrte endlich die feuchte Tunica herunter und ließ sich schwer auf seine Pritsche fallen. Kauend schlenderte Hispo heran. „Du hängst ja immer noch durch wie `n Ziegeneuter. Die ersehnte Einsamkeit scheint nix gebracht zu haben.“ Antias sah stumm auf den dampfenden Napf, den Hispo ihm vor die Nase hielt und winkte müde ab. Hunger hatte er noch immer nicht, dafür Durst, einen Durst, den auch zehn Amphoren Falerner nicht würden löschen können. Eine lähmende Trägheit überkam ihn. Der Tag war noch nicht am Ende, Antias schon. Immer dumpfer wurden die Geräusche um ihn her. Eine trockene Tunica sollte er sich anziehen, außerdem war an seinem Helm das Scharnier der rechten Buccula verbogen und überhaupt gab es noch einiges zu flicken, zu reinigen und einzufetten. Allein, er hatte nicht geringste Lust dazu. Fast schon im Halbschlaf stahl sich ein bitteres Grinsen auf sein Gesicht. Lust? Wer fragte hier schon danach? Als er die Augen aufschlug, stand Hispo noch immer neben dem Bett. Stöhnend richtete sich Antias auf und fummelte seine Ziviltunica aus der Truhe. Hispo schaute ihm kopfschüttelnd dabei zu. „Mann! Vergiss den ganzen Mist doch einfach.“ Welchen Mist meinte Hispo? Der Ärger mit Sulca und dem Optio? Wenn er diesen Mist meinte, den hatte Antias längst abgehakt. Schweigend zog er sich an. Die Tunica hatte ihm auch schon mal besser gepasst, seine Schultern waren breiter geworden in den vergangenen Wochen, eigentlich Zeit, sich neu einzukleiden. „Reden wir noch oder machen wir’s jetzt wie die Zwillinge?“ Antias lächelte kaum merklich, Hispo war ja nun wirklich nicht schuld an seiner Laune. „Wie geht’s deiner Familie?“ fragte Antias unvermittelt.
    „Was? Meiner Familie?“ Hispos Brauen hoben sich überrascht. „Gut, denk ich mal. Warum?“ „Wie viele Geschwister sind das nochmal? Drei, oder?“ „Scheiße, ja. Drei. Zwei Brüder und eine Schwester. Was ..“ „Fimbria hat sechs. Vier Brüder, zwei Schwestern. Das muss man sich mal vorstellen.“ Mit gerunzelter Stirn setzte sich Hispo auf seine Pritsche. „Nein, muss man nicht. Das sind sieben hungrige Mäuler, die es jeden Tag zu stopfen gilt, seine Eltern gar nicht mitgerechnet. Was glaubst du denn, warum er hier ist?“ „Warum Fimbria hier ist, weiß ich. Nun gib den Napf schon her.“ Hispo gab ihm den Napf. Der Puls war in Ordnung, für einen Soldaten mit entsprechendem Appetit mochte er sogar köstlich sein, Antias kaute nur gedankenverloren darauf rum. Dienst .. Zusammenarbeit .. Professionalität .. ging es ihm durch den Kopf.

  • Ein wenig beneidete er die Soldaten, für die der Tag damit zu Ende war, als sie seine Unterkunft verließen. Die meisten der Milites und Tirones würden jetzt die Beine hochlegen, sich eine Mahlzeit gönnen und brauchten sich keine Gedanken mehr über das Geschehene zu machen – von dem Cluvius mal abgesehen. Er hingegen, als er einen Blick nach draußen warf, stellte fest, dass es bereits reichlich spät war, und mit seiner Arbeit hatte es sich noch lange nicht erledigt. Denn er hatte noch das fragliche Vergnügen, dieses heillose Durcheinander eines Einsatzes in einem Bericht zusammenzufassen, der ihn bestenfalls nicht als vollkommen unfähigen Amateur dastehen ließ und dennoch einigermaßen der Wahrheit entsprechen sollte. Und mit einem Besuch bei Sibel hatte es sich bis dahin wahrscheinlich ebenfalls erledigt, einmal mehr hatte er ihr also haltlose Versprechungen gemacht. Vermutlich würde er es nie lernen, dachte er, während er Schreibutensilien zur Hand nahm und eine ganze Weile erst einmal gar nichts schrieb, weil er nicht wusste wie und wo er anfangen sollte.

  • Germanicus hier, Germanicus da... der kleine Tiro kam ganz schön rum, dachte sich Maso. Jetzt aber erstmal zum Optio, mit dem Germanicus. Ob der doch noch mal was ausgefressen hatte? Er würde es erst erfahren, wenn er Antias später in der Latrine beim Putzen begegnen würde. Im Grunde interessierte ihn davon sowieso nichts, er hatte eigentlich Pause und wollte die wohlverdienten Minuten genießen, die ihm noch blieben.
    Nicht sonderlich motiviert ging er auf die Tür zu, hinter welcher sich die Stube unter anderem des Germanicus befand und hämmerte mit der Faust gegen das daraufhin ächzende Holz.
    "Tiro Germanicus Antias!!! Zum Optio mit dir!!!", rief Maso durch die Tür hindurch und machte sich auch schon wieder auf den Weg. Warum konnte der Optio auch nicht einfach irgendeinen Zettel aufhängen... oder selbst die Beine bewegen.



    Avianus saß in seine Stube, die sich ja nicht wirklich von jenen der restlichen Soldaten unterschied, außer, dass er sie auch mal ein paar Minuten für sich alleine haben konnte, wenn es nötig war, und ein leichtes Lächeln zeichnete sich in seinem Gesicht ab, während er das Wachs einer Tabula glättete, welche er vor Wochen unnötigerweise damit vollgeschrieben hatte, an welchen Stellen der der Baracken das Ziegeldach ausgebessert werden musste, und bei welchen Stuben die Türen knarrten oder klemmten. Mindestens so überflüssig wie das übrige Dutzend Tabulae, mit denen er sich damals notgedrungen beschäftigt gehalten hatte, und die er anschließend genauso löschen würde.
    Dass man den Germanicus zum Miles befördert hatte, ließ ihn hoffen, dass auch aus dem Rest der Tirones noch etwas werden könnte. Und er selbst war auch nicht vollkommen leer ausgegangen, es gab also durchaus Grund zur Freude. Ob der Tiro - oder besser Miles - vielleicht schon auf Umwegen davon erfahren hatte? Wenn Maso nicht seine Pause über den Befehl des Optios gestellt hatte, würde sich das recht schnell klären.

  • Unter Hispos’ amüsierten Blicken hantierte Antias verbissen an seinem Cassis herum. Ob er zum Urbaner geboren war, würde sich noch weisen, zum Handwerker fühlte er sich jedenfalls nicht berufen, es sei denn, die Götter ließen ihm eine dritte Hand aus dem Arm sprießen. Wie sollte er gleichzeitig den Cassis halten, das Scharnier der Buccula mit dem Kienspan erhitzen und dann auch noch die Zange ansetzen? Kaum griff er danach, hatte das Scharnier wieder abgekühlt. Die Buccula war schon völlig verrust, das Scharnier noch immer verbogen und der Kienspan verbreitete mehr Qualm als Hitze. „Ich hab’s dir gesagt.“ grinste Hispo von seiner Pritsche. „Halt den Deckel in’s Feuer.“ Ja, sicher, dachte Antias zusehends gereizt, damit der Rest vom Helm auch noch schwarz wird. „Das liegt nur an der Zange. Mit dem unhandlichen Ding kann doch kein Mensch arbeiten!“ Wütend warf er das schwere Werkzeug auf den Bretterboden als es an der Tür wummerte und er von der unverkennbaren Fistelstimme des Proculeius zum Optio befohlen wurde. Was war denn nun schon wieder los? Beim Vulcanus! Gerade jetzt, wo die Buccula völlig versaut war! Brauchte er den Helm überhaupt?. „Warte mal!“ schrie er die Barackentür an. Masos’ Schritte entfernten sich bereits. Fluchend stürzte Anias aus der Unterkunft und spähte in die Dämmerung. „Moment! Miles Proculeius! Mit Ausrüstung oder wie? He!“ Die Antwort bestand lediglich aus einem langgezogenen Flatus, der dumpf hinter der nächsten Hausecke hervor hallte. „Du mich auch, Pfeife!“ Also wohl ohne Ausrüstung.


    Von finstere Ahnungen gejagt hastete Antias erst an dunklen Baracken entlang, dann schräg über die Lagergasse zur Unterkunft des Optios. Was mochte Avianus von ihm wollen? Hatte sich heute noch keiner für den Latrinendienst empfohlen? War sein Stelldichein mit Apolonia am Ende doch noch irgendwie aufgeflogen? Wenn ja, würde sich gleich der Orkus unter ihm auftun. Mit dem Schlimmsten rechnend erreichte er die Barracke. Kurz durchatmen, die Tunica in Form zupfen und dann einfach durch. Schicksalsergeben pochte er an die Tür, vermeinte, die Aufforderung zum Eintritt zu vernehmen, und betrat zackig des Optios’ Unterkunft. „Optio Iunius Avianus! Tiro Germanicus wie befohlen angetreten!“

  • Na endlich, der frisch gebackene Miles trat ein, und Avianus sah es ihm direkt an: Antias hatte keine Ahnung. Das wurde ja immer besser.
    "Ah... salve, steh' bequem", grüßte er und sah auf. "Weißt du weswegen du hier bist?"
    Lange war er nicht mehr so gut gelaunt gewesen, wahrscheinlich nicht unbedingt zur Freude des Germanicus. Denn gute Laune brachte ihn dazu, sich den einen oder anderen Scherz zu erlauben, und der Germanicus war ihm hilflos ausgeliefert.
    "Es gab da einige Berichte über dich in letzter Zeit", bemerkte der Iunius sachlich und vollkommen wahrheitsgemäß, warf noch einmal einen Blick auf das geglättete Wachs, schloss die Tabula, als er seine "Arbeit" für zufriedenstellend befand, und legte sie beiseite.

  • Der Optio saß nicht wie erwartet mit gefletschten Zähnen und triefenden Mundwinkeln hinter seinem Schreibtisch, im Gegenteil, offenbar so aufgeräumt wie seine Unterkunft begrüßte er den Tiro und erlaubte ihm, bequem zu stehen. Antias traute dem Braten zwar nicht, folgte aber gehorsam Avianus’ Anweisung. Ob er wusste, warum er hier war? Weder wusste er es noch wollte er es wissen. Erfahren würde er es trotzdem. Die unaufgeregte Art des Optios wollte allerdings so gar nicht zu dem Prozedere passen, das Antias auf sich zurollen sah. Vielleicht ging es hier doch nur um eine verspätete Einsatzkritik oder die Neueinteilung des Latrinendienstes. Kaum spürte er das zarte Pflänzlein der Hoffnung in sich keimen, rückte Avianus auch schon mit der Sprache raus. Berichte. Also doch. Aus der Traum, sie hatten ihn am Kanthaken. Von wem der Hinweis wohl gekommen war? Von einem der Handwerker? Von einem Miles? Nicht, dass es eine Rolle gespielt hätte. Fimbria? Ach, Blödsinn.


    Wie es schien, erwartete der Optio eine Stellungnahme. „Berichte .. ja nun, Optio .. „ versuchte Antias Zeit zu gewinnen. Warum wurde es hier immer so schnell heiß? Was hatte der Optio bloß in seinem Kohlebecken? „Natürlich übernehme ich dafür die volle Verantwortung.“ Götter, der Spruch hatte wirklich Klasse. Die volle Verantwortung übernehmen, aber sicher würde er das, und wie er das würde! Wozu sonst war er hier? „Naja, ursprünglich wollte ich ja einfach nur in’s Valetudinarium.“ versuchte er zu erklären. „Schließlich trage ich als Urbaner eine gewisse Verantwortung für Leib und Leben der Cives ..“ Hörte Avianus überhaupt zu? „.. und Ohnmachtsanfälle können die verschiedensten Ursachen haben, von einer beginnenden Schwangerschaft bis hin zu Malariaschüben ..“ Irgendwie wurde er das Gefühl nicht los, dass Avianus an weiteren Einzelheiten nur mäßig interessiert war. „Berichte also.“ räusperte sich Antias umständlich. „Ich verstehe.“ Tat er nicht.

  • Durchaus amüsiert darüber, seinen Gegenüber mit wenigen Worten derart verunsichert zu haben, nahm Avianus die nächste mit sinnlosen Inhalten gefüllte Tabula in die Hand. Schlecht brauchte er sich dabei auch nicht zu fühlen, die guten Berichte hatte Antias waren schließlich zum Teil ihm zu verdanken und in kürze würde er ihn ohnehin aufklären. Nur dessen Rechtfertigungen irritierten ihn ein wenig.
    "Wovon redest du da überhaupt?", fragte er erst in fast schon beläufigem Ton und ließ sich Zeit dabei, die eingeritzten Worte zu löschen. Es schien, als wäre er vollkommen unbeabsichtigt auf etwas gestoßen, das ihn den Augen des Germanicus als ein Verstoß gegen die Vorschriften gesehen werden könnte. Oder Antias reimte sich einfach nur irgendetwas zusammen. Auf jeden Fall hatte er damit das Interesse seines Optios geweckt, der natürlich wissen wollte, ob es Probleme gab, erst recht wenn es um einen Soldaten, der in der Regel vor allem positiv auffiel. Aber erst war alles andere dran.
    "Ganz recht… Berichte. Gute Berichte. Gut genug, dass der Tribun eine vorzeitige Beförderung für dich bewirkt hat, Miles."
    Nun sah er wieder auf und musterte Antias, gespannt auf dessen Reaktion.
    "Was hältst du davon?" Eigentlich konnte sich der Soldat sowieso nicht dagegen wehren, die Sache bereits gelaufen und mit dem neuen Tag würde für Antias der gewöhnliche Dienstalltag beginnen. Aber wieso sollte er auch? Bestimmt hatte er nichts dagegen, als vielversprechender Soldat gesehen zu werden.

  • Was? Gute Berichte? Sowas gab’s auch? So deutlich Antias seinen blöden Gesichtsausdruck auch wahrnahm, beeinflussen konnte er ihn nicht. Da stand er also zum Tode verurteilt in der Arena, bereits gefasst auf ein Rudel blutrünstiger Löwen, und sah sich plötzlich mit ein paar schnurrenden Kätzchen konfrontiert. Eine Beförderung? Wofür? war er versucht, zu fragen, verkniff es sich aber tunlichst, um den Optio nicht zu animieren, sich diese Frage selbst zu stellen. Nun ja, wenn er von seinem seinen nächtlichen Ausflug und Apolonias’ Besuch in den Castra einmal absah, gab es tatsächlich nichts, was er sich in Bezug auf Pflichterfüllung und Dienstauffassung vorzuwerfen hatte, aber das war eigentlich das mindeste, was man von einem Rekruten erwarten durfte. Was er davon hielt? Gute Frage. Weit mehr jedenfalls als er von einer unehrenhaften Entlassung oder Schlimmerem gehalten hätte. Es ist wie es ist, nimm es hin wie Mann, flüsterte er sich ein, und mach endlich das Maul zu oder sag was sinnvolles! „Nun .. Optio .. das ist natürlich eine Ehre für mich ..“ Ist das alles? Kein Ansporn? „.. und ein Ansporn ..“ Geht das auch in ganzen Sätzen? „Ehre, Ansporn und Verpflichtung, das mir entgegen gebrachte Vertrauen künftig jeden Tag auf’s neue zu rechtfertigen!“ Schon gut, jetzt übertreib’s mal nicht!

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