Die Villa Tiberia

  • Begehre nichts Unmögliches.


    Wenn du willst, daß deine Kinder, dein
    Weib und deine Freunde ewig leben sollen, so bist du
    ein Tor. Du willst damit, daß Dinge, die nicht in deiner
    Gewalt sind, in deiner Gewalt sein sollen, und
    was nicht dein ist, soll dir gehören.
    So auch, wenn du willst, dein Sohn soll keine Fehler
    machen, so bist du ein Narr; du willst nämlich,
    Schlechtigkeit soll nicht Schlechtigkeit sein, sondern
    etwas anderes. Willst du aber, daß deine Wünsche
    nicht fehlschlagen, das vermagst du schon. Das Mögliche
    also - darin übe dich..

    quidquid agis, prudenter agas et respice finem!

  • Herr oder Knecht?


    Ein Herr über alles ist der, welcher die
    Macht hat, das, was er will, oder nicht will, anzuschaffen
    oder wegzuschaffen.Wer nun frei sein will,
    der muß weder etwas wollen, noch etwas nicht wollen von dem, was in anderer Leute Gewalt ist. Wo nicht,
    so muß er ein Sklave sein.

    quidquid agis, prudenter agas et respice finem!

  • Selbstverleugnung


    Vergiß nicht, daß du dich im Leben wie bei
    einem Gastmahl betragen mußt. Man bietet etwas
    herum, und es gelangt zu dir: - strecke die Hand aus,
    und nimm bescheiden davon. Es geht an dir vorüber: -
    halte es nicht auf. Es will immer noch nicht kommen:
    - blicke nicht aus der Ferne begehrlich darauf
    hin, sondern warte, bis es an dich kommt. Ebenso
    halte es in Bezug auf Kinder, Weib, Ämter und
    Reichtum; dann wirst du einst ein würdiger Tischgenosse
    der Götter sein. - Wenn du aber selbst von dem,
    was dir vorgelegt wird, nichts annimmst, sondern darüber
    wegsiehst, so wirst du nicht bloß mit den Göttern
    zu Tische sitzen, sondern auch mit herrschen. So
    handelten Diogenes und Heraklit und ihresgleichen,
    und deshalb waren und hießen sie mit Recht göttliche
    Menschen.

    .

    quidquid agis, prudenter agas et respice finem!

  • Spare das Mitleiden.


    Wenn du jemand weinen siehst aus Betrübnis,
    entweder weil sein Sohn in die Fremde gegangen
    ist, oder weil er das Seinige verloren hat, so gib Acht,
    daß dich nicht die Vorstellung hinreiße, als sei
    jener im Unglück durch äußere Ursachen; sondern
    sprich nur sogleich: jenen drückt nicht das Begegnis
    selbst, - einen andern drückt es ja auch nicht, - sondern
    was er sich darunter vorstellt. Zögere zwar nicht,
    dich wenigstens in deinen Worten nach ihm zu richten,
    und wenn es sich gerade schickt, auch mit ihm zu
    seufzen. Hüte dich aber, daß du nicht auch innerlich
    mitseufzest.

    .

    quidquid agis, prudenter agas et respice finem!

  • Vom Schauspieler lerne!


    Bedenke, daß du Schauspieler bist in einem
    solchen Stück, wie es eben dem Dichter beliebt; ist es
    kurz, in einem kurzen; ist es lang, in einem langen.
    Will er, daß du einen Bettler vorstellen sollst, so stelle
    auch einen solchen naturgetreu dar. Ebenso einen
    Lahmen, einen Herrscher, einen gemeinen Mann.
    Deine Sache ist es nämlich, die Rolle, welche dir
    übertragen worden ist, gut zu spielen; sie anzuwählen, Sache eines Anderen.


    quidquid agis, prudenter agas et respice finem!

  • Böses nimm auch für gut.


    Wenn ein Rabe durch sein Krächzen Unheil
    verkündet, so laß dich nicht von der Vorstellung hinreißen;
    sondern unterscheide sogleich bei dir selbst
    und sprich: keines von diesen Vorzeichen gilt mir;
    sondern entweder meinem elenden Leib, oder meinen
    paar Sesterzen, oder meinem bisschen Reputation,
    oder meinen Kindern, oder meinem Weibe. Mir selbst
    aber wird lauter Glück geweissagt, sofern ich nur
    will; denn was immer von jenen Dingen sich ereignen
    mag, es steht bei mir, Nutzen daraus zu ziehen.


    quidquid agis, prudenter agas et respice finem!

  • Geistesfreiheit.


    Wenn du einen hochgeehrten, oder vielvermögenden,
    oder sonst angesehenen Mann siehst, so
    hüte dich, daß du nicht, von der Vorstellung hingerissen,
    ihn glücklich preisest. Denn wenn das wahre Gut
    in den Dingen besteht, welche in unsrer Gewalt sind,
    so findet weder Neid noch Eifersucht Raum; und du
    selbst wirst nicht Heerführer, oder Ratsherr, oder
    Consul sein wollen, sondern frei. Dazu führt nur ein
    Weg: - Verachtung der Dinge, die nicht in unsrer Gewalt
    sind.


    quidquid agis, prudenter agas et respice finem!

  • Langsam zum Zorn.


    Bedenke, daß nicht derjenige dich kränkt, welcher
    dich schmäht, oder schlägt; sondern die Meinung,
    als liege darin etwas Kränkendes.Wenn dich
    also jemand ärgert, so wisse, daß dich seine Meinung
    geärgert hat. Deshalb versuche es vor Allem, dich
    nicht von der Vorstellung hinreißen zu lassen. Hast
    du nur einmal Zeit und Aufschub gefunden, so wirst
    du dich um so leichter beherrschen.


    quidquid agis, prudenter agas et respice finem!

  • Der Tod der Lüste.


    Tod und Verbannung und Alles, was als
    schrecklich erscheint, soll dir täglich vor Augen
    schweben, am meisten aber der Tod; so wirst du nie
    weder an etwas Gemeines denken, noch etwas allzuheftig
    begehren.


    quidquid agis, prudenter agas et respice finem!

  • Laß die Spötter spotten!


    Du willst ein Philosoph sein. Mache dich
    von Stund an darauf gefaßt, daß man dich auslacht,
    daß dich viele verspotten und sagen: Er ist plötzlich
    als Philosoph zu uns zurückgekommen; und weshalb
    trägt er seinen Kopf gegen uns so hoch? - Du sollst
    aber den Kopf nicht hoch tragen; sondern was dir das
    Beste zu sein dünkt, das halte fest, gerade so, als ob
    du von Gott selbst auf diesen Posten gestellt worden
    wärest; und bedenke, daß dich, wenn du immer auf
    dem Gleichen beharrst, diejenigen, welche dich zuerst
    verlacht haben, zuletzt bewundern werden. Lässt du
    dich aber von ihnen besiegen, so wirst du zwiefältigen
    Spott ernten.


    quidquid agis, prudenter agas et respice finem!

  • Nach innen schau.


    Wenn es dir einmal begegnet, daß du dich
    nach außen wendest, in der Absicht, irgend einem zu
    gefallen, so wisse, daß du deine innere Stellung verloren
    hast. Es genüge dir also durchaus, ein Philosoph
    zu sein. Willst du aber auch (von jemand) dafür angesehen
    sein, so sieh dich selbst dafür an. Dies vermagst
    du.


    quidquid agis, prudenter agas et respice finem!

  • Tugend verloren- Alles verloren!


    Gedanken, wie die folgenden, laß dich
    nicht anfechten: Ich soll in Schande leben, und als der
    Garnichts auf der Gotteswelt. Denn wenn die Schande
    ein Übel ist, so kann dir das Übel ebensowenig
    durch einen andern aufgenötigt werden, als etwas
    Sittlich-schlechtes. Ist es etwa dein eigen Werk, mit
    einem Amte bekleidet, oder zur Tafel gezogen zu werden?
    Keineswegs. Wie könnte also das eine Schande
    sein? Und inwiefern wirst du der Garnichts sein, da
    du doch nur in den Dingen etwas sein sollst, in welchen
    es ganz bei dir steht, dich auf's höchste auszuzeichnen?
    2. Aber du wirst deine Freunde ohne Unterstützung lassen müssen? -Was soll das heißen: ohne Unterstützung?
    - Sie werden kein Geld von dir bekommen;
    du wirst ihnen das römische Bürgerrecht nicht verschaffen
    können? -Wer hat dir denn gesagt, daß dies
    zu den Dingen gehöre, die in unserer Gewalt sind, und
    nicht vielmehr etwas sei, das uns fremd ist? - Wer
    kann einem andern geben, was er selbst nicht hat?
    3. So erwirb, heißt es jetzt, daß wir auch etwas
    haben! - Wenn ich erwerben kann ohne Verletzung
    des Ehrgefühls, der Treue und der großherzigen Gesinnung,
    so zeige mir den Weg, und ich will es tun.
    Wenn ihr mir aber zumutet, ich soll die Güter, die
    mir selbst gehören, verlieren, damit ihr erlanget, was
    kein Gut ist, so erkennet doch, wie unbillig ihr seid,
    und wie unverständig.Was wollt ihr denn lieber?
    Geld, oder einen treuen und ehrliebenden Freund? -
    So verhelft mir doch lieber zu dem letzteren, und
    mutet mir nicht zu, etwas zu thun, wodurch ich eben
    dies verlieren müßte.
    4. Aber das Vaterland, sagt man, wird, wenigstens
    von mir, keine Unterstützung haben. Ich frage: Wieso
    keine Unterstützung? - Es wird keine Säulengänge
    und keine Bäder durch dich bekommen. Und was liegt
    daran? Bekommt es doch auch keine Schuhe vom
    Schmied, und keine Waffen vom Schuster. - Es genügt
    aber, wenn jeder sein Werk recht tut. Wenn du
    ihm einen andern zu einem treuen und ehrenhaften Bürger heranbildest, hast du ihm dann nichts genützt?
    - Ja doch! Also wärst doch auch du nicht so
    ganz ohne Nutzen für dasselbe!
    5. Welche Stellung werde ich nun im Staate einnehmen?
    so fragt man. Diejenige, welche du einnehmen
    kannst, ohne daß du aufhören mußt, beides, ein
    treuer und ein ehrliebender Mensch zu sein. Wirfst du
    aber dieses von dir, um dem Staate zu nützen, welchen
    Nutzen hätte er wohl von dir, wenn du ehr- und
    treulos geworden wärst? -


    quidquid agis, prudenter agas et respice finem!

  • Verkaufst Du Deine Freiheit um ein Linsengericht?


    Einem andern ist beim Gastmahl, oder
    beim Grüßen, oder beim Herbeiziehen zu einer Beratung
    mehr Ehre widerfahren, als dir? Wenn dies
    ein Gut ist, so sollst du dich freuen, daß jener andere
    es erlangt hat. Ist es aber ein Übel, so klage nicht,
    daß es dich nicht betroffen hat. Bedenke übrigens,
    daß du nicht denselben Lohn ansprechen kannst,
    wenn du nicht dasselbe tust, um die Dinge zu erlangen,
    die nicht in unserer Gewalt sind.
    2. Denn wie kann derjenige, welcher einem andern
    keine Aufwartung macht, so viel bekommen, wie der,
    welcher sie macht? oder der, welcher nicht im Gefolge mitgeht, so viel wie der, welcher mitgeht, und welcher
    nicht lobt, so viel wie der, welcher lobt? Du bist also
    ungerecht und ungenügsam, wenn du, ohne den Preis
    zu bezahlen, um welchen man jene Dinge verkauft,
    sie umsonst erlangen willst.
    3. Wie teuer verkauft man den Lattich? Ungefähr
    um eine Sesterze. Wenn nun einer die Sesterze
    bezahlt, und Lattich dafür bekommt, du aber bezahlst
    nichts, und bekommst nichts, so glaube nicht, daß du
    weniger hast, als der, welcher etwas bekommen hat.
    Denn wie jener den Lattich, so hast du die Sesterze,
    die du nicht ausgegeben hast.
    4. Ganz eben so auch hier. Es hat dich einer nicht
    zur Mahlzeit eingeladen. Du hast eben dem Wirt den
    Preis nicht bezahlt, um den er sein Gastmahl verkauft.
    Er verkauft es aber für Lob; er verkauft es für Aufwartung.
    Bezahle also den Preis, um den es feil ist,
    wenn es dir taugt. Willst du ihn aber nicht bezahlen,
    und doch jenes erlangen, so bist du unersättlich und
    unverständig.
    5. Hast du nun nichts zum Ersatz für das Gastmahl?
    - Das hast du, daß du den nicht zu loben
    brauchtest, welchen du nicht loben wolltest, und daß
    du dir nichts gefallen lassen mußtest von seinen Türstehern.


    quidquid agis, prudenter agas et respice finem!

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