• Ich verfolgte Aintzanes Forschungsarbeit mit besonderem Interesse, wollte ich doch einerseits wissen, um was es sich bei der ausgelaufenen Flüssigkeit handelte. Andererseits bestand inzwischen eine erhöhte Dringlichkeit, dieses Haus endlich in Besitz nehmen zu können, weil umgehend ein Zimmer benötigt wurde. Noch immer darauf hoffend, Aintznane könne die Substanz zuordnen und benennen, vergaß ich sogar den mich umgebenden Mief. Dabei ging mir vor einem Augenblick noch die Frage durch den Kopf, ob es womöglich gesundheitsschädigend sein konnte, in diesem Gestank zu verweilen.


    Aus sicherem Abstand, aber nahe genug, um selbst einen Blick auf den von Tageslicht erhellten Finger werfen zu können, stellte ich eigene Überlegungen an, die jedoch mangels Erfahrung in hauswirtschaftlichen Dingen ergebnislos blieben. Umso enttäuschter reagierte ich, als Aintzane ebenfalls keine Erklärung fand.


    „Ah, wie bedauerlich“, entfuhr mir kurz nach einem Seufzer. „Ja, natürlich muss das weg. Wir kommen ja sonst nicht einmal unbeschadet durch den Raum.“ Die nächste Frage allerdings verblüffte mich erheblich. Ich und Kenntnisse darin, wie lange sich Haushaltwaren hielten? „Aintzane, du bist ein Scherzkeks“, entgegnete ich daher nur und befasste mich vielmehr mit der nächsten Frage. „Nach meiner Kenntnis müsste diese Villa seit vier oder fünf Jahren unbewohnt sein. Verdorbenes Olivenöl dürfte nicht … schädlich sein, oder?“ Ein prüfender Blick traf nochmals die Lache, die mir nun sogar noch um einiges größer erschien. Ich runzelte die Stirn. Dafür, dass sich dieser Kleister bereits seit Jahren auf dem Boden tummelte, müsste er ja nach normaler Logik bereits die endgültige Ausbreitung erreicht haben. Offensichtlich spielte mir die Wahrnehmung einen Streich, was ein Zeichen dafür war, dass es mit meinen Nerven derzeit nicht zum Besten stand. Demnach brauchte ich ebenfalls schnellstens ein bezugsfertiges Zimmer.


    „Aintzane, mach das weg, egal wie, aber mach es weg und zwar schnell.“


    In diesem Augenblick bemerkte ich Minna und den Medicus, die unter einiger Anstrengung Fiona in der Schwebe hielten. So viel Kraft hatte ich Minna gar nicht zugetraut. So berechtigt ihre Frage war, so sehr befand ich mich in Antwortnöten. Der Raum war nicht betretbar, außerhalb des Gebäudes existierte nicht einmal eine Bank und länger halten ging offensichtlich auch nicht.


    „Die Kutsche“, fiel mir in der Not ein. „Legt sie in die Kutsche.“ Glücklicherweise stand das Gefährt tatsächlich seit wenigen Minuten vor dem Anwesen, so wie ich es dem Kutscher aufgetragen hatte. Vermutlich würde Fiona wieder protestieren, weil diese Entscheidung erneut eine Abreise nach Rom nahe legte.

  • Als Aintzane kurz zuruecksah, erkannte sie, dass sich der Sud noch immer ausbreitete. Ihre Herrin schien es entweder nicht zu bemerken, oder sie machte keine Bemerkung dazu.
    Deandra stimmte ihr zu, dass das wegmusste. Und Aintzane wusste schon sehr genau, wer das wegschrubben m usste und sich dann von Deandra hetzen lassen musste. Ihr eigener Seufzer war dementsprechend lauter als der ihrer Herrin.
    Doch waehrend sie sich den Finger am Boden abwischte und nach einem geeigneten Putzlappen - einen sehr dicken Putzlappen - Ausschau hielt, sagte ihre Herrin etwas, das sie stutzig machen liess. Was fuer ein Keks? War das wieder eine Anspielung darauf, dass Deandra Aintzane fuer dick hielt? Sie schaute abermals an sich hinunter und vergewisserte sich ihren Bauchumfanges. Alles wie immer. Allerdings war vor allem die Kombination mit dem Wort "Scherz" verblueffend. Was soll das fuer ein Gebaeck sein, ein Scherzkeks? Und wieso nannte Deandra sie so? Aintzane liess es einfach sein. Frueher oder spaeter wuerde sie daraufkommen - sie muesste irgendjemanden fragen.
    Die naechste Ansage aus Deandras Mund war gefolgt von einem Stoehnen aus Aintzanes Richtung. "Vier, fuenf Jahre...", machte sie und blickte die Sosse einmal mehr an. Jetzt bemerkte sie die kleinen pelzigen Fetzen, die im ehemaligen Oel herumschwammen. So etwas hatte sie gerade noch gebraucht. "Es ist nicht schaedlich, aber auch nicht sehr appetitlich. Und, ja, ich mache es weg, ich..."
    Sie wurde unterbrochen, als Minna zu ihnen hintrat. Sie hielt Fiona in ihren Armen. Erstaunlich fuer eine so zarte Gestalt... doch in Notsituationen war alles moeglich.
    Deandra befahl Minna, die Bewusstlose in die Kutsche zu legen. Aintzane fiel ein, dass sie gut etwas von der Kutschenplane gebrauchen konnte. Es war ein dicker Stoff, der sich sicher gut zum Wegwischen von der Bruhe eignete, doch sie war sicher, dass Deandra so einen Vorschlag kategorisch ablehnen wuerde, und so brachte die die Thematik gar nicht einmal aufs Tapet.
    "Ich wuerde gern die Bruehe wegwischen.", meinte Aintzane so zu ihrer Herrin. "Aber womit? Du kennst das Haus ja - weisst du, wo Putzfetzen sind?"

  • Allmälig kam Fiona wieder zu sich und sie erkannte, in wessen Armen sie lag.


    "Minna? Was machst du da? Sag mir, ist es wirklich wahr? Sind wir hier nicht in Cymru? Und bin ich- sind wir ihre Sklavinnen?"


    Sie schien Minna wieder erkannt zu haben, ruhig und besonnen sprach sie zu ihr und deutete dann auf Deandra.
    Sie wollte versuchen, selbst zu laufen. Zwar war sie noch etwas wacklig auf den Beinen, doch es ging.
    Sie bewegten sich auf die Kutsche zu. Dort sollte Fiona sich hinlegen und ausruhen.

  • Zitat

    Original von Marcus Aurelius Corvinus
    So. Deandra war also wahrhaftig zuegegen. Ich stellte mir die Frage, warum in aller Welt es unbedingt Ostia sein musste, unbedingt dieses Landhaus. Waren denn die claudischen Gefilde nicht angemessen? Dürstete es ihr nach Abgeschiedenheit? Aquilius' Worte kamen mir wieder in den Kopf: Sie scheint sprunghaft. Du solltest dich fragen, wie beständig ihre Wünsche sind. Bewies ihr Verhalten nicht, dass es so war, wie Aquilius gesagt hatte? Warum sonst hätte sie die Familie verlassen sollen, in die sie sich auf eigenen Wunsch hatte hineinadoptieren lassen?


    In meine Grübeleien hinein trat schließlich Deandra in die kleine Halle, und das so leise, dass ich sie erst bemerkte, als sie unmittelbar neben mir stand und mich per Küsschen begrüßen wollte. Eigentlich hatte ich einen strengen und missgelaunten Gesichtsausdruck für diesen Moment geplant, aber im ersten Moment war ich doch froh, dass sie wohlbehalten vor mir stand. Ich räusperte mich und versuchte, einen der geplanten Gesinnungen auf meinem Antlitz erscheinen zu lassen, was sich augenblicklich in einer strengen Mimik niederschlug. Als Deandra die Hand hob, um mein blaues Auge zu berühren, hielt ich ihre Hand fest und führte sie zur Seite, dann ließ ich das Handgelenk los. "Nein, eine Schlägerei", erwiderte ich grußlos. "Lasst uns allein", kommandierte ich und wartete, bis sich das atrium geleert hatte. Dann begann ich augenblicklich damit, auf und ab zu gehen, mit auf dem Rücken zusammengefassten Händen, versteht sich.


    "Kennst du schon die Geschichte, von der Frau, die weglief? Ich will sie dir mal grob umreißen, Deandra.
    Es war einmal eine Frau, nennen wir sie Drusilla, die fühlte sich ungerecht behandelt, fühlte sich unverstanden und ungeliebt, und deswegen beschloss sie, in einer Nacht-und-Nebel-Aktion einfach fortzulaufen wie ein kleines Mädchen. Natürlich sagte sie niemandem, wohin sie zu gehen beabsichtigte, und selbstverständlich war sie so selbstbewusst, dass sie ohne auch nur an Schutz zu denken in ihre Kutsche stieg und abfuhr. Während sie also nun abgesondert und zurückgezogen ihr Dasein fristete - ob zufrieden oder nicht, sei dahingestellt - hatte sie natürlich keine Ahnung, dass nicht nur ihr Vater, sondern auch ihre Schwester, ihr Verlobter und dessen Familie krank vor Sorge überall nach ihr suchten. Sie scheuten keine Mühen und nahmen selbst weite Reisen auf sich, um Drusilla zu finden. Es dauerte beinahe eine ganze Woche, bis ihr Verlobter sie fand, wie sie wohlauf, aber unbeteiligt an den ganzen Sorgen und Ängsten, die sie heraufbeschworen und selbst verursacht hatte, in ihrem frisch gemachten Nest saß. Er war weder angetan von ihrer Handlungsweise, noch würde er ein solch dummes Verhalten in einer Ehe tolerieren. Vermutlich war sich Drusilla nicht darüber im Klaren, dass ihr Verlobter eigentlich besseres zu tun gehabt hätte, als tagelang nach ihr zu suchen, er war nämlich decemvir und als solcher hatte der Magistrat Verpflichtungen und konnte sich nicht leisten, so viel Zeit für eine sinnfreie Suche zu verschwenden. Jedoch, als er dann bei ihr ankam und sah, dass es ihr gut ging, erzählte er ihr eine Geschichte, die dieser gar nicht unähnlich ist. Und als er schloss, da stand nurmehr die Frage nach dem Warum im Raum, ehe sich Drusillas Verlobter abwenden und allein wieder nach Hause reiten würde"
    , erzählte ich in möglichst neutralem Tonfall. Dennoch gelang es mir nicht, den unterschwelligen Ärger gänzlich rauszuhalten. Ich blieb stehen, gute vier Meter von Deandra entfernt, wandte mich zu ihr um und verschränkte die Hnde vor der Brust. "Und das, obwohl Drusillas Verlobter Pferde hasste", fügte ich nüchtern hinzu und rührte mich nicht mehr.


    Nach dem Gespräch mit Prisca und dem Besuch beim Orakel fühlte ich mich so gut wie lange nicht. Mich trug die Hoffnung, ja fast schon die Überzeugung, es würde mit Corvi wieder alles in Ordnung kommen, ich müsste nur endlich meine Trauerhaltung aufgeben, das Vorgefallene ein für allemal abhaken und die ersten Schritte auf ihn zumachen. Mit diesem Vorsatz hatte ich das Atrium betreten, Pandas Eindruck, er sei voller Vorfreude, erleichterte mir diese Absicht, sie beflügelte mich geradezu. Ihn schließlich noch verletzt sehen zu müssen, brach die letzte Barriere, sofern da überhaupt noch eine war, weil es mich anrührte. Ich spürte, die Liebe war mir nie abhanden gekommen, sie wurde nur von der Trauer zeitweise zugedeckt.


    Mitten in mein soeben offenes Herz traf dann seine Abwehrbewegung, die eine Berührung meinerseits unterband. Erschrocken schaute ich ihn an. Unfähig zu begreifen, warum er mich nun erneut zurückwies. Verständnislosigkeit ließ meine Augen groß und dunkel werden. Mit einem gequälten Schlucken versuchte ich vergeblich, den jäh entstandenen Kloß im Hals aufzulösen. Während er für den Abzug der Soldaten und Sklaven sorgte und kurz darauf eine Wanderung durch das Atrium begann, fragte ich mich immer wieder, was ich ihm eigentlich angetan hatte. Ich konnte mir keinen Fehltritt vorwerfen, nicht einmal eine geäußerte Klage. Geduldig hatte ich all den Kummer alleine getragen.
    Als er endlich das Wort erhob, schreckte ich förmlich zusammen, so sehr verstört war ich in diesem Moment. Es strengte mich an, der Geschichte zu folgen, weil meine Gefühle aufgepeitscht waren und die Nerven blank lagen. Allerdings bot sie die ersehnte Aufklärung.


    Schweigen breitete sich für Momente wie Nebelschwaden im Atrium aus, in denen ich zunächst meine Gedanken sammeln musste. Ich dachte an Prisca, die mir glaubhaft gemacht hatte, er wollte mich nicht bewusst verletzen. Und was hatte das Orakel mir noch einmal für eine Nachricht zukommen lassen? Sieh all das Schöne um dich und genieße! Von Genuss konnte derzeit keine Rede sein, aber ich bemühte mich, das Positive an der Situation zu sehen, auch wenn es nicht auf den ersten Blick erkennbar war. Er sprach von Sorge, die ihn und andere belastet hatte. Das sollte mich eigentlich freuen, weil es zeigte, dass Liebe da war, auch wenn sie nicht immer sichtbar war, und doch kam keine Freunde auf, denn es tat mir in diesem Augenblick leid, anderen diese Sorge bereitet zu haben. Was war noch positiv? Er war trotz Zeitknappheit nach Ostia gereist, sogar auf einem Pferd. Dabei kannte ich seine Abneigung gegen das Reiten. So komisch sein abschließender Satz auch geklungen hatte, zu einem Schmunzeln veranlasste er mich nicht, was er sonst sicherlich getan hätte. Ich nahm die in die Geschichte eingebauten Vorwürfe sehr ernst.


    Ein hörbares Ausatmen ging meinen Ausführungen voraus, die ich dort, wo ich gerade stand, hervorbrachte.


    „Ich könnte mir sehr gut vorstellen, was Drusilla dazu bewogen hat, in einer Nacht-und-Nebel-Aktion fortzulaufen, denn sie scheint meinem Erleben sehr ähnlich zu sein“, sagte ich einführend, während ich seinem Blick keineswegs auswich. Abgesehen von der Tatsache, dass ich zwar einsah, überhastet gehandelt zu haben, konnte ich gute Gründe vorweisen, warum ich abgereist war. Würde ich die Augen niederschlagen, käme dies nicht nur einem Eingeständnis von vollkommener Unüberlegtheit gleich, sondern hätte zudem noch eine demütige Geste gezeigt. Demut und Unterwürfigkeit lagen meinem Charakter aber ebenso fern wie Unehrlichkeit oder Niedertracht. Ich stand für meine Fehler ein, so viele hatte ich schließlich noch nicht einmal gemacht. Zumindest fand ich das. Als der anfängliche Schreck nachließ, wurde meine Stimme zunehmend weicher.


    „Vermutlich ist sie zart und verletzbar in ihrem Wesen, womöglich hatte sie sogar ein schwerer Schicksalsschlag erlitten, von dem sie noch immer nicht gesundet war. Ihr fehlten vielleicht ein Arm, der sich tröstend um ihre Schulter legte, und vermutlich auch der Zuspruch, dass die Zeit alle Wunden heilt. Bestimmt wäre alles gut gegangen, wäre nicht eines Tages an die Stelle der einst liebenden Mutter ein Scheusal gerückt, das in Drusillas kaum verheilte Wunde ihre Boshaftigkeit wie feinste Salzkristalle streute. Die Wunde brach erneut auf, blutete stark und peinigte die junge Frau, die in der Flucht ihre einzige Möglichkeit sah, dem schier unerträglichen Schmerz zu entkommen. Sie floh in Panik.“ Zwei Liedschläge schaute ich Corvi wortlos an, ehe ich leise anfügte: „Rechtlich gesehen bedeutet das verminderte Schuldfähigkeit.“


    Gern hätte ich ihn gefragt, ob er denn inzwischen Ofella kennen gelernt hatte, aber ich unterließ es, denn ein weiterer Teil der Geschichte sollte noch folgten.


    „Gewiss hätte Drusilla ihre Lieben im Nachhinein benachrichtigt, jedoch ereilten sie weitere Bekümmernisse, die sie sich zu Herzen nahm. Eine Sanctio hängt ihr nun an, sie bemühte sich um einen Advocatus, sie ging zum Gericht. Viel zu viel lastet derzeit auf ihren jungen Schultern, aber weil sie Angst vor der Mutter hat, traut sie sich nicht zu ihrem Vater heim.“ Ich fragte mich, ob Corvi nachempfinden konnte, wie überfordert ich mit dieser neuen Mutter war.


    Während mein Blick noch immer auf seinem Gesicht weilte und mir die Aussage, er wolle nach der Erklärung sofort zurück reiten, vor Augen lag, entschloss ich mich, noch ein anderes Thema anzusprechen. Unsere Distanz, die nicht nur schwer zu ertragen war, wirkte sich bei dem, was ich ihm sagen wollte, gerade in doppeltem Sinne ungünstig aus: Sie konnte die Wirkung meiner Worte schmälern. Es kostete mich dennoch erhebliche Überwindung, ein Stück auf ihn zuzutreten - nahe genug, um die Bedeutung nachfolgender Aussage zu unterstreichen, aber fern genug, um nicht erneut eine körperliche Zurückweisung zu riskieren.


    „Ich habe mich in den letzten Wochen und Monaten ganz der Trauer hingegeben“, sagte ich leise, dieses Mal war mein Blick gesenkt. Nicht etwa, weil ich mich schuldig fühlte, sondern weil das Thema mich noch immer bedrückte. „Ich habe dich in der Zeit sehr vermisst und dabei übersehen, dass du selbst eine Menge Last trägst. Es tut mir leid, dass ich nicht stärker gewesen bin, es tut mir sehr leid, dass ich mich derart verschlossen und teilweise falsch über dich geurteilt habe.“ Was wäre eine Entschuldigung ohne den direkten Augenkontakt? Sie würde nicht die Mühe lohnen, den die Worte beim Aussprechen machten. Ich sah Corvi offen an, denn meine Worte waren ehrlich gemeint.
    „Bei all der Trauer habe ich nie aufgehört, dich zu lieben. Für mich war das stets klar, aber ich fürchte, dass du es vermutlich nicht sehen konntest. Ich habe zudem das Orakel aufgesucht. Der überreichte Götterrat hat mich darin bestärkt, die Trauer abzustreifen und in das Leben zurückzukehren, daher werde ich mich hier sicher nicht vergraben, sondern ab und zu in der claudischen und der aurelischen Villa anzutreffen sein.“ Ein zaghaftes Lächeln erschien auf meinem Gesicht, das die sanfte Wangenröte verstärkte, die einerseits aus dem anfänglichen Schreck und andererseits auch aus der soeben empfundenen Herzenswärme resultierte. „Vielleicht finde ich ja einen Weg, mit diesem Hausdrachen umzugehen. Vielleicht hast du ja sogar einen Rat?“


    Bitte und Frage zugleich beinhalteten meine letzten Worte. Ich blickte Corvi noch immer sanft lächelnd und zudem unsagbar erleichtert an, weil ich trotz der zunächst ungünstigen Umstände dankbar für die Möglichkeit einer Klärung längst überfälliger Kümmernisse war.

  • Weder unvoreingenommen noch gerecht war ich. Diese Situation stellte Anforderungen an mich, denen ich schlicht nicht gewachsen war. Deandra, eine Frau, verlangte von mir, sie zu verstehen, auch wenn sie das nicht sagte. Ich schien hier mit all meiner Rationalität und all meiner Logik nicht weit zu kommen. Da war immer dieser vermeintlich vorwurfsvolle Blick, stets dieses traurig-betrübte Lächeln, welches davon kündete, dass eine Verletzung vorlag, auch wenn man jene nicht mit dem bloßen Auge erkennen konnte, da sie im Verborgenen lag. Während Deandra sich im Stillen auf die Suche nach den positiven Dingen ihres Lebens machte, grollte ich stumm vor mich hin. Ich konnte ihr ein solches Verhalten nicht durchgehen lassen, nein. Es hätte sonstwas passieren können, aber davon wollte sie scheinbar nichts wissen. Zugleich erleichtert und wütend, enttäuscht und voller Missbilligung startete ich erneut eine Runde um das mit viel zu viel Wasser gefüllte impluvium.


    An dessen Kopfende sah ich hinunter und entdeckte mich selbst auf der spiegelnden Oberfläche des ruhig daliegenden Wassers. Ein bierernster Ausdruck lag auf meinem Gesicht. Wenn ich getrunken hätte, ehe ich hergekommen wäre, so hätte ich mich gar gefragt, ob sich die Stirnfalten in die Haut einbrennen würden. Es war Deandra, welche schließlich sprach und mich aufsehen ließ. Nun lag das Wasserbecken zwischen uns. Sie sprach ein ums andere Mal von der Zartheit ihres Wesens. Aus dem Mund eines Mannes hätte ich rein gar nichts einzuwenden gehabt, aber wie sie so über sich selbst sprach, klang es eher seltsam als verständlich. Auf den indirekten Vorwurf, mich nicht genügend um sie gekümmert zu haben, reagierte ich mit tieferen Stirnfurchen, ebenso wie auf das Thema des Todes unserer Eltern generell. Ich tat mein Bestes, nicht so oft daran zu denken. Es war schließlich schon schwer genug, den Ansprüchen meines bereits toten Vaters gerecht zu werden, ohne dass ich mich fühlte, als hätte ich nicht genug Mumm. Als sie von einer neuerlichen Wunde sprach, horchte ich auf. Wen meinte sie nur? Ihre neue Mutter, diese Oferta, Ofelia oder wie auch immer sie hieß? Neuerliche Fragen kamen auf. Warum hatte Deandra nicht mit mir über diese Umstände gesprochen? Warum hatte sie Menecrates nicht gebeten, seiner Frau auf die Finger zu klopfen? Und warum war sie, wie sie sagt, in Panik verfallen? Sie, die sie doch stets mit Bedacht und Weitsicht handelte?


    Ich kniff meine Augen zusammen. "Wir sind hier nicht vor Gericht", antwortete ich freudlos und ließ sie weitersprechen. Auch hier verwunderte mich die Sicht ihrer Dinge wieder. Verständnislos schüttelte ich den Kopf, als sie von den Mühen sprach, welche dieses edictum nach sich gezogen hatte. Ungeheuerlich erschien mir, dass sie zwischenzeitlich gar wieder in Rom gewesen und Wege erledigt hatte. Nur einen hatte sie vergessen, namentlich den, ihren Verwandten und mir zu sagen, warum und wohin sie gegangen war. Ich machte eine ärgerliche Geste mit der Hand. Mein eigener Vergleich mit dieser Geschichte erschien mir nun zu albern, um daran festzuhalten. "Du tust geraede so, als wäre es unerlässlich gewesen, dich allein um diese Strafsache zu kümmern. Als hättest du weder bei Menecrates noch bei mir ein offenes Ohr und Hilfe bekommen", ereiferte ich mich. Neuerlich setzte ich mich in Bewegung und kam um das Wasserbecken herum. Mir erschien wichtig, dass Deandra bemerkte, wie wichtig dieser Sachverhalt mir war und dass sie ihn verstand. Doch ehe ich heran war, nahm sie mir den Wind aus den Segeln und entschuldigte sich dafür, derart weltfremd geworden zu sein. Ich wurde langsamer und blieb, wieder einige Meter entfernt, erneut stehen. Verkniffenen Gesichtsausdrucks betrachtete ich Deandras Gestalt, wie sie dort stand und die Sanftmut in Person zu sein schien, zerbrechlich und hilfebedürftig. Fast war ich versucht, ihr die Hilfe zu geben, nach der sie sich zu sehnen schien, doch eine hässliche Stimme in meinem Inneren erinnerte mich an Aquilius' Worte, welche Helena später so unschuldig bestätigt hatte. Mir kam der Umstand wieder ins Bewusstschein, dass sie ganz gut auf eigene Faust hatte umziehen und sich dem Edikt widmen können, warum sollte sie nun also meiner Hilfe bedürfen? Ich machte mir bewusst, dass ich während der vergangenen Wochen durchaus auch ohne ihre gelegentlichen Streicheleinheiten und die Gespräche ausgekommen wäre. Und hatte sie nicht eben gesagt, dass sie falsch über mich geurteilt hatte? Und das, obwohl sie mich von Geburt an kannte?


    Während ich nachdachte, veränderte sich mein Äußeres in keinster Weise. Ich musste auf sie verkniffen wirken. Mein Geist wurde mit jeder Minute, die im Schweigen verstrich, unzugänglicher, verschloss sich weiter. Ich war wütend, weil ich einen Grund haben wollte, um wütend zu sein. Deandras verhalten war Grund genug, und ihr unschuldiges Spiel bot nur noch Anlass zum Wachsen für meine Missbilligung. Wie kam sie dazu, mir hier und jetzt, in dieser Situation die Frage nach diesem Hausdrachen zu stellen, den ich nicht einmal kannte? Ihr Lächeln registrierte ich, aber ich war nicht deswegen hergekommen, weil ich es sehen wollte. Ich war hergekommen, nachdem ich sie hatte warten lassen, weil ich ihr verdeutlichen wollte, wie sehr ich ihr Verhalten verachtete. Die lieben Worte über mich klangen in meinem Zorn wie Hohngespött. Die Lippen presste ich aufeinander. Alle Mühe gab ich mir, Deandra als treulos und selbstherrlich zu sehen. Es gelang wunderbar, nicht zuletzt durch die Worte, die mir im Gedächtnis hingen. Sprunghaft war sie, nicht gut für mich!


    Ich öffnete den Mund, schloss ihn wieder und schnaubte. Ihre Erleichterung war mir ein Dorn im Auge. Wie konnte ein Mensch so tun, als ob alles bestens sei? Wie konnte sie Wochen des Auseinanderlebens vollkommen ignorieren? Ich schüttelte langsam den Kopf, begleitet von einem verständnislos-kühlem Ausdruck. "Alle Enttäuschungen sind gering im Vergleich zu denen, die wir selbst erleben. Du hast mich enttäuscht, Deandra. Nie hätte ich gedacht, dass du so handelst. Nie hätte ich vermutet, dass du den Claudiern oder mir den Rücken kehrst, noch dazu ohne eine Nachricht, eine Begründung. Du sprichst von Liebe, aber wäre sie wahrhaftig vorhanden, hättest du gänzlich anders reagiert. Statt dich wie eine Frau von deinem Stand zu verhalten, hast du die Kopflosigkeit einer halb so alten Plebejerin bewiesen. Was soll ich mit einer Frau an meiner Seite anfangen, die sich nicht über die Auswirkungen ihrer Taten bewusst ist, selbst nach mehreren geschenkten Tagen des Nachdenkens nicht? Statt mich oder deinen Vater aufzusuchen, bereist du Rom wie du es lustig bist. Statt um jene Hilfe zu bitten, welche dir zweifelsohne gewährt worden wäre, willst du dich selbst durchbeißen. Wie kann ich eine Frau in dir sehen, die es wert ist, meine Ehefrau zu werden, wenn ich dir nicht einmal in den grundliegensten Dingen Vertrauen schenken kann?"


    Fragend hatte ich eine Hand auf Hüfthöhe gebracht und sah sie kopfschüttelnd an. Sogleich fuhr ich fort, nun den Zeigefinger erhoben. "Nein, sag nichts. Ich will keine Rechtfertigungen hören, keine Entschuldigungen. Ich möchte, dass du über meine Worte nachdenkst, denn ich bin nicht gekommen, um dich zu bitten, wieder mit mir zurück nach Rom zu gehen. Ich bin gekommen, um dir zu sagen, dass ich gedenke, die Verlobung zu lösen. Die Götter allein wissen, was mit der liebreizenden Schwester geschehen ist, die ich einst gehabt habe. Gib acht auf dich, aber was rede ich - du scheinst dich hier recht wohl zu fühlen und es wird dir auch sicher an nichts mangeln."


    Schweigen breitete sich aus. Ich verweilte nur noch einen kurzen Moment, dann klangen meine Schritte auf dem marmornen Boden, denn ich gedachte, dieses Haus zu verlassen. Über die Maßen erzürnt, hielt ich es nicht eine Minute mehr herinnen aus. Ich hatte die Waagschale von gravitas und severitas maßlos überwogen und in meinem Zorn sogar von einer Entlobung gesprochen, obwohl ich das zunächst nicht beabsichtigt hatte. Dennoch verließ ich dieses Anwesen, ohne Deandra die Möglichkeit zu geben, etwas zu erwidern. Sie würde mir gewiss nicht nachlaufen, dessen war ich sicher, war dies gewiss unter ihrer Würde. Ich ließ meine Gefolgsleute zusammentrommeln, stieg auf mein Pferd und machte mich mit schmzerendem Kopf und gleichsam schmerzendem Herzen auf den Weg zurück nach Rom.

  • Mein sanftes Lächeln erstarb, als er weiter sprach, während mein Blick auf seinem verschlossenen Gesicht ruhte - unfähig, es loszulassen. Auf Verärgerung hatte ich mich eingestellt, als er mich nicht wie erhofft in die Arme schloss, aber der Fall, den ich durchmachte, war tiefer als geahnt. Ausgehend von der Freude, ihn zu sehen, warf mich seine Abweisung zunächst auf den Boden der Realität zurück. Nachfolgende Vorwürfe erschütterten meinen Glauben an seine Gerechtigkeit, der Boden wankte, nichts gab mehr Halt, ich brach ein. Wieso konnte er rein gar nichts von dem, was mich betroffen machte, nachvollziehen? Warum verstand er nicht, dass einmal das Fass überläuft, wenn sich zu tiefer Trauer noch Intrigen, Missgunst und Einsamkeit gesellen, die ich seit Monaten klaglos ertragen hatte. Oder war genau das der Fehler? Hätte ich ihn mit meinen Sorgen belasten sollen? Ihm von der Boshaftigkeit seiner Leibsklavin erzählen sollen? Von der Wirkung, die Helenas nachhaltige Distanz auf mich hatte? Von dieser Adoptivmutter, die das Fluchtverhalten in mir ausgelöst hatte? Von meiner Unfähigkeit, tapfer den Verlust der Eltern wegzustecken? Hatte ich mich etwa unnötig alleine gequält? Ihn unnötig geschont? Wollte er etwa mit meinem Kummer belastet werden? Gerade klang es so, weil er verärgert anmerkte, ich habe ihm und meinem Vater unterstellt, sie würden sich nicht dieser Strafsache annehmen wollen. Doch das stimmte nicht. Ich wollte nichts weiter als tapfer sein, niemand Last aufbürden, der sich - meine Situation vor Augen - nicht von sich aus angeboten hatte. Warum konnte er mein Verhalten nicht auf diese Weise sehen? Oder wollte er das gar nicht? Suchte er nach einem Anlass, um sich mir gegenüber „begründet“ verärgert zeigen zu können? Er sprach von Enttäuschung.
    Unfähig mich zu rühren, verfolgte ich seine Bewegungen und lauschte seinen Worten. Längst hatte sich der Brustkorb schmerzhaft zusammengezogen und drückte auf mein Herz. Längst wurde die Luft knapp, kurze Atemzüge kündeten von der Furcht, die schleichend nach mir griff. Aber wovor hatte ich Angst? Davor, dass irgendetwas zerbrach? Oder gar vor einem weiteren Verlust, der mir drohte? Davor, dass ich nicht mehr im Stande sein würde, diesen sich häufenden Katastrophen in meinem Leben weiterhin begegnen zu können? Ich versuchte, die Gedanken zu sammeln so gut es ging.


    Was - bei allem Verständnis für die aufgekommene Sorge um mich - war derart schlimm daran, wenn eine Frau, der das Schicksal große Lasten auferlegt hatte, wegen anhaltender Überforderung letztlich in Panik verfiel? Niemand sah bisher meine Not und nicht einmal jetzt hörte irgendjemand meinen Hilferuf. Freilich als Mann wäre mein Handeln ein Eingeständnis für Unfähigkeit, aber ich hatte kein Amt inne. Weder das Ansehen meiner noch seiner Gens stand auf dem Spiel.
    Der Kopf schmerzte bereits, als ich weitere vernichtende Worte verarbeiten musste. Liebte nach seiner Ansicht nur derjenige, der sich in Stresssituationen standesgemäß verhielt? Meinte er, wenn er von Liebe gesprochen hatte, womöglich etwas gänzlich anderes als ich? War sie für ihn ein bloßes Produkt, basierend auf rationalem Denken? Für mich stellte Liebe ein Gefühl dar, die Fähigkeit, dem anderen zu verzeihen und ungeteilt sein Herz, die Seele und den Körper zu verschenken. Das musste er doch wissen, er kannte mich doch! Für einen Moment zogen sich meine Brauen zusammen, aber nicht aus Ärger, sondern aus Schmerz. Dann jedoch wurde mir in Windeseile bewusst, dass ich ihn genauso intensiv kannte wie er mich. Was also war los mit ihm? Mir blieb kaum Zeit, mir klar zu machen, dass er seit jeher wenig Vermögen besaß, mit meinen Verletzungen umzugehen. Vielleicht fehlte ihm dann Liebe und Anerkennung, vielleicht zweifelte er auch an sich selbst. Aber er war doch sonst so verstandsorientiert. Es lag in seiner Macht, sich selbst zu bestätigen, dass weiterhin Liebe und Anerkennung vorhanden war, wenngleich auch nicht unmittelbar spürbar. Warum also steigerte er sich in diese Enttäuschung hinein? Waren das wirklich seine ureigensten Gedanken? Oder tröpfelten schon wieder aus irgendeiner Quelle boshafte Worte wie Gift in unsere Beziehung hinein? Bestand meine Umgebung, träfe dies zu, denn nur aus Missgunst, falscher Freundschaft und Neid? Nein! Mir fiel Prisca ein. Für einen Moment weitete sich das Herz, bis eine weitere verbale Ohrfeige mich aus dem Gedanken riss. Ich zuckte bei der Frage, wie er mir nun noch vertrauen könne, sichtlich zusammen. ‚Bei den Göttern! Vertrauen war für mich das Gegenteil von Verrat!’ DAS wollte er mir doch hoffentlich nicht damit sagen. Die Antwort gab ich mir selbst: Nein, das wollte er nicht, denn etwas anderes schlug im nächsten Moment wie ein Felsbrocken bei mir ein. Er wollte die Verlobung lösen!


    Mein Blick, den ich bislang nicht von ihm abwenden konnte, derart überrascht, ja bestürzt, war ich über seine Sicht der Dinge und sein Verhalten, sank langsam an ihm hinab, ruhte kurzfristig auf dem Boden und glitt zu der Sitzecke. Vermutlich deswegen, weil ich spürte, wie die Kraft aus dem ohnehin von Kummer ausgezehrtem Körper wich. Es fiel mir so schwer, aufrecht stehenzubleiben, wollten die Schultern doch als Folge der Resignation nach vorn fallen. Tränen jedoch erschienen nicht. Sie lösten sich nur, wenn die Seele nicht krampfte, aber genau das tat sie jetzt. Genau wie damals, als die Todesnachricht kam. Ob er wohl wusste, wie scharf seine Waffen waren? Wie tief mir seine Worte ins Fleisch schnitten? Ich fürchtete seine versteinerte Miene, die nicht die Winzigkeit einer positiven Gefühlsregung erahnen ließ, und die Unbarmherzigkeit, mit der er selbst nachvollziehbare Erklärungen abschmetterte oder aufrichtige Worte anzweifelte. Ich schloss für zwei Lidschläge die Augen, um mich zu vergewissern, dass all dies wirklich geschah und ich keinem Traum erlegen war.


    Als ich sie wieder öffnete, hatte er sich bereits abgewendet und strebte dem Ausgang zu. Ich legte meine Hand auf das Dekolleté, als wäre es nur mit dieser Unterstützung möglich, einen weiteren Atemzug zu machen.


    „Mögen die Götter stets schützend ihre Hände über dich halten“, murmelte ich erstickt, ob er es gehört hatte, wusste ich nicht. Ihm zu folgen, verbot nicht nur die Würde, sondern verhinderte gleichzeitig auch die fehlende Kraft.


    Er war längst gegangen, als ich immer noch unbeweglich im Atrium stand …

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