Er strich nochmals seine geweißte Toga candida glatt, dann schritt er auf die Rostra und begann mit lauter Stimme zu sprechen:
“Volk von Rom, hört mich an! Römerinnen und Römer, mein Name ist Lucius Aelius Quarto und ich will euch eine Geschichte erzählen.
Sie handelt von einem Mann, der hatte einst ein wunderschönes, liebliches Weib. Sie verkörperte all die Tugenden, die man in alter Zeit einer römischen Frau hoch ansah.
Sie war proba – rechtschaffen. Piissima – gewissenhaft. Pia – fromm. Officiosa – pflichtbewusst und, wie ich bereits sagte, pulcherrima – wunderschön und incomparabilis - unvergleichlich.
Lange Zeit lebte der Mann mit seiner Frau in glücklicher Zweisamkeit, concorditer – einträchtig, sine fraude – ohne Betrug und sine iracundia – ohne Jähzorn.
Doch dann vergaß der Mann, welch Geschenk ihm die Götter mit seinem Weib gemacht hatten. Er ehrte sie nicht mehr, wie es geboten gewesen wäre. Er stieg billigen Flittchen nach und gab sich dem Vergnügen hin. Er hortete sein Geld und beschenkte seine Frau nicht mehr, wie er es früher getan hatte. Er wurde selbstsüchtig und ignorant.
Da geschah es, dass ein Nachbar dessen gewahr wurde. Und weil der Mann sich nicht mehr um sein Weib und seine Ehe kümmerte, stellte der Nachbar der Dame nach. Dreist machte er ihr schöne Augen und sang ihr güldene Liedchen vor. Doch das schöne Weib verwehrte sich ihm.
Aber dann, eines Tages, durch die Ignoranz des Ehemannes ermutigt, stahl er sie einfach und ging fort mit ihr. Da schrie der Verlassene und drohte und zeterte. Doch es war zu spät. Er sah sein Weib niemals wieder und starb vor Kummer.
Liebe Mitbürger, warum erzähle ich Euch diese Geschichte? Weil dieses Eheweib ein Gleichnis für Rom ist! Ebenso wie sie, ist das Imperium Romanum wunderschön, unvergleichlich und ein Geschenk der Götter an uns!
Lange Zeit lebte ich in der Fremde und als ich nach Rom zurückkehrte, da sah ich Vieles was mir gefiel. Gegenüber der Zeit meiner Jugend, hatte sich manches getan und zum Guten verbessert. Die Straßen sind heute verhältnismäßig sicher, der Staat wird gut und nach fest gefügten Gesetzen regiert, es gibt keine Todeslisten und keine Willkür mehr. Wir haben einen gütigen und gerechten Kaiser.
Doch vielleicht hat uns dies auch träge gemacht. Vielleicht wissen wir Rom und was es uns gibt, nicht mehr zu schätzen. Vielleicht vernachlässigen wir seine Werte und ergehen uns in kleinlichem Gezänk und haben viel zu sehr das persönliche Wohl im Blick.
Mag sein, dass wir unachtsam waren und selbstsüchtig, so wie der Mann, von dem ich Euch erzählt habe. Sollte das die räudigen Hunde aus ihren Löchern hervorgelockt haben, die nun an unserer Porta kratzen und uns unser Weib, unser Rom stehlen wollen?
Kann es sein das sich die Götter von uns abgewandt haben, weil wir ihnen zuwenig Beachtung entgegenbrachten und ihre Riten vernachlässigtem? Zürnen sie uns?
All das haben schon vor mir ehrbare Frauen und Männer auf dieser Rostra vorgetragen. Sie haben uns zu Einigkeit und Pflichtbewusstsein aufgerufen. Sie haben uns gemahnt, die Götter wieder mehr zu achten und sie zu ehren und in unserem Leben einen wichtigen Platz einnehmen zu lassen.
Was sage ich daraufhin?
Ich sage: Ja, genau das sollten wir tun! Wir müssen zusammenstehen und einig den gemeinsamen Feind vor unserer Tür vertreiben. Unser Rom stiehlt uns kein Laeca und kein Sertorius. Wir werden wachsam sein!
Aber wie soll man sich der alten Werte erinnern? Wie soll man wissen, was Rom ausmacht? Wie können wir erkennen, was unsere ruhmreichen Vorväter an unserer Stelle getan hätten?
Dafür haben wir die CHRONICUSA ROMANA, die Niederschrift all dessen was war, wie und warum unser Imperium zu dem wurde, was es heute ist.
Aber die Chronik, die eine Seele unseres Reiches darstellt, die uns jetzt Halt und Rat geben könnte, diese Schrift ist in einem erbärmlichen Zustand!
Weite Teile liegen brach. Vieles wurde vergessen und manches niemals niedergeschrieben. Sie ist lückenhaft geworden und sie wurde seit langer Zeit nicht mehr auf den neuesten Stand gebracht.
Warum das so ist, wie es dazu kam? Ich vermag es nicht zu sagen. Es wird Gründe geben, Ursachen, die ich weder ergründen noch werten will. Ich sehe nur was ist, und es macht mich traurig.
Hoffnung macht mir jedoch unsere junge Quaestorin Principis, Sinona Vesuvia. Sie wird sich sicher dieser Sache annehmen und die Lücken schließen. Sie wird die Aufzeichnungen fortführen und gute Arbeit leisten.
Doch diese Arbeit muss auch danach fortgeführt werden. Jemand muss sich dieser Aufgabe erneut stellen.
Ich möchte diese Arbeit tun. Darum kandidiere ich hiermit für die Quaestur und strebe für das kommende Jahr das Amt des Quaestor Principis an.“