Eine Nadel im Hauhaufen

  • Als ich an der Tür zu diesem Haus klopfte, war ich nervös. 'Wohnte sie überhaupt noch da ? War sie noch am Leben ?' Ich wartete. Es passierte nichts. Eine Stadtwache marschierte an uns vorbei. Das Scheppern und Klirren der Rüstung schreckte eine Katze auf. Ich klopfte erneut. Dann vernahm ich Schritte. Sie gingen zur Tür und wurden lauter. Von drinnen schob jemand einen schweren Riegel beiseite. Dann öffnete sich die Tür. Krixos stand einige Schritte hinter mir wie es sich für einen Sklaven gehörte. Im dunkeln Schatten des Raumes erkannte ich die Umrisse einer Gestalt. In einem kräftigen, etwas säuerlichen Ton, sprach sie


    Wer seid ihr und was wollt ihr ?!


    Ich erkannte die Stimme sofort und trat in die Dunkelheit des Eingangsbereichs. Dabei nahm ich mein Cape von meinem Kopf.


    Hetepheres ! Bist du es ? Ich bin es, Servilia !


    Doch die Frau, soviel erkannte ich schon, guckte skeptisch. Ihr Gesicht war ausgezerrt und dünn. Das Alter und die Armut hatten sie gezeichnet. Sie guckte mich ungläubig an. Ich guckte sie besorgt an. 'Kannte sie mich gar nicht mehr ? War sie es überhaupt ?!
    Sie schien mich zu mustern, sie berührte mich mit einer Hand am Hals. Die Hände waren kalt und sie hatte kaum genug Kraft den Hal zu halten. Ihre Augen wanderten prüfend über meinen Hals. Mir wurde das unangenehm. Krixos wollte schon auf sie zu gehen, als sie mich plötzlich losließ. Sie schien gefunden haben, was sie suchte. Ich tastete meinen Hals ab, um zu fühlen, was sie gesucht hatte. Ich spürte nur ein Mal, daß ich dort schon seit meiner Geburt hatte. Dann führte mich die Frau ins Haus.

  • Ich folgte Servilia mit gebührenden Abstand ins Haus. Die alte Frau hatte mich noch gar nicht bemerkt. Das Haus war sehr klein und verfallen. Durch ein winziges Loch im Dach schien die Sonne und erhellte den Raum notdürftig. Darunter war ein Bassin, in dem bei Regen Wasser gesammelt wurde. Bis auf diesen Raum gab es keine weiteren Räume. Er war äußerst spartanisch eingerichtet. Die Wände waren kahl und feucht. Der Boden sandig. In der Mitte des Raumes an dem Wasserbassin standen zwei Klinen und in der Ecke ein großer, schwerer, brauner Schrank. Das alte Weib führte uns an die Wasserstelle und setzte sich selbst auf eine der Liegen. Das Gehen bereitete ihr sichtlich Probleme im Kreuz.
    Auf das Rufen der Frau kam ein kleiner Junge aus der Dunkelheit. Er hatte ein zerissenes Hemd und brachte eine Amphore herbei, die er neben der Kline der Frau in eine dafür vorgesehen Halterung stellte.

  • Hetepheres, meine gute, alte Amme. Wie lange ist es her gewesen, dass wir uns sahen !


    Ich war sprachlos und emotional überwältigt. So viele Gedanken schossen mir durch den Kopf, soviele Fragen hatte ich, aber meine Lippen brachten keinen Laut hervor. Eine kleine Träne der Freude kullerte über meine Wange.

  • Ich konnte es nicht fassen. Sie war noch ein Kind, als wir uns trennten und nun saß sie nach Jahren der Entbehrung und Sorge um sie vor mir. Ich nahm ihre hand und hielt sie einfach fest. Nie mehr wollt ich sie in diesem Augenblick loslassen.

  • Nachdem wir uns eine Zeit lang in den Armen lagen, richtete ich mich auf, um Hetepheres den Grund meines Kommens zu sagen.


    Hetepheres, sicherlich weißt Du, warum ich den weiten Weg von Rom nach Alexandria auf mich genommen habe. Es geht um das Verschwinden meiner Mutter. Seit diesen Tage habe ich kein Auge zugekriegt, ohne an sie zu denken. Der Gedanke ihres Verschwindens quält mich sehr.
    Ich habe mich deswegen entschlossen, die Spur dort aufzunehmen, wo sie verloren gegangen ist.


    Du, Hetepheres, hast damals die Tragödie mitbekommen, als du anschließend sofort nach Hause kamst und davon berichtest. Kannst du dich erinnern und mir erzählen, wie es sich zugetragen hat ?

  • Deine Mutter...



    Im Geiste tauchte sie auf. Ihr Gesicht, ihr Lachen, ihre Anmut. Ich wischte mir die Tränen aus dem Gesicht, die wieder stärker flossen bei den Bildern.


    Mein Kind. Es war schrecklich damals. Ich habe sie auch nie wiedergesehen.
    Verstohlen wischte ich mir eine weitere Träne aus dem Augenwinkeln.


    Sie war gerade auf dem Markt Einkäufe zu besorgen, als sie kamen...

  • Ich hörte Hetepheres zu. Als sie von dem Ereignis begann zu erzählen, brach ich zusammen und suchte Trost in ihren Armen.
    Nachdem ich mich wieder einigermaßen gefangen hatte, fragte ich


    Wer ?, wer, Hetepheres ? Weißt du wie sie aussahen ? Woher sie kamen ?

  • Das Wiedersehen stand unter gemischten Gefühlen. Trauer - der verschollenen Mutter wegen - und Freude ob des Wiedersehens mischten sich. Hetepheres fiel es schwer, die Ereignisse vor der mutmaßlichen Entführung zu rekapitulieren. Nur an Bruchstücke erinnerte sich. Sie lebte seit zwei Jahren in dieser Behausung in einem der ärmsten Viertel von Alexandria. Nachdem Servilias Mutter spurlos verschwunden war, erinnerte sich an Verwandte in Rom und schickte Servilia auf die lange Reise nach Latium. Währenddessen stürzte Hetepheres völlig mittellos und verlassen ab. Die Villa konnte sie nicht halten. Die Sklaven wurden gefangengenommen und verkauft. Sie wurde vertrieben.


    Am nächsten Morgen standen Servilia und der Sklave Krixos früh auf, um nach dem weiteren Verbleib von Servilias Mutter zu forschen. Hetepheres war zu schwach, als daß sie mitkommen könnte.


    Auf dem Marktplatz, auf dem zu früher Stunde die Händler ihre Stände errichteten, angekommen, durchstreiften sie die am Platz gelegenen Häuser und fragten deren Besitzer, ob sich noch jemand an diese Entführung erinnern könne. Aber hatten sie kein Glück. Entweder konnte sich wirklich niemand mehr daran erinnern oder hier sind in den letzten zwei Jahren zahlreiche neue Einwohner hinzugezogen.


    Eine Wache patroullierte die Straßen und entfernte sich wieder. Es herrschte eine brütende Hitze.


    Als sie sich im Schatten des Eingangsbereichs eines Gebäudes aufhielten, tauchten aufeinmal von hinten drei, vier in Stoff gehüllte Kerle auf - Krixos fuhr herum, bekam einen Schlag auf den Schädel und brach zusammen. Die Maskierten verschwanden ...



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