Warum Lynn getrödelt hatte, konnte sich ihre Herrin eigentlich auch denken. Je weniger sie von dieser komischen Feier mitbekam, desto besser, denn hasste die Feste der Römer. Sie verstand weder die Sitten noch die Gebräuche dieser Barbaren und sie interessierte sich auch nicht dafür. Sie war klug, dass konnte man ihr manchmal anmerken und sie hätte keine Schwierigkeiten, sich an das Leben in Rom, im römischen Imperium anzupassen. Nur ihre Verbissenheit, ihr Unwillen, sich vollständig zu unterwerfen und auch die Absicht, sich nicht von allen Erinnerungen an die Heimat los zu sagen, hielt sie davon ab, auch nur daran zu denken, sich mit den römischen Göttern und ihren Ehrenfesten auseinander zusetzen. So hatte sie es dann doch erfolgreich geschafft, Sabina wenigstens für eine kurze Zeit noch in der Casa zu behalten, letztendlich saß sie aber doch am längeren Hebel und so blieb Lynn nichts anderes übrig, als mitzukommen und sich voller Vorfreude in die Sitten der Römer einzureihen. Was hatte sie nur verbrochen? War es denn nicht Qual genug, überhaupt wie ein Tier an der Leine behandelt zu werden? Es gab viele Sklaven, die schon fast als Familienmitglieder betrachtet wurden, aber sie wollte nicht. Sie wollte nicht und wehrte sich vehement, auch nur ansatzweise einer solchen Vorstellung nach zu kommen. Eher würde sich der Mond blutrot färben, als dass sie in Gedanken jemals weniger wie ein Schritt von sämtlichen Fremdlingen Abstand hielt.
Auch den Weg zum Fest selbst ging sie absichtlich langsam. Sie schlenderte, tat so, als hätte sie einen kleinen Krampf in der Wade, spielte das Interesse an einer knallbunten Vase, interpretierte Sabinas Anweisungen manchmal mit purer Freude falsch. Es war eines der wenigen Dinge, die ihr Herz erfreute, wenn sie für einen kurzen Moment der Mittelpunkt war. Wenn sich ihre Herrin um sie sorgte, oder sie mit bösen Blicken bedeckte. Wenn einer dieser abscheulichen Matinier sie anschrien, wenn sie geschlagen wurde. Auf schmerzliche Art und Weise gelang es ihr, Beachtung zu erlangen. Mit Schmerzen und mit stummer Freude nahm sie war, nicht wie ein Niemand behandelt zu werden. Das dauerte zwar nie lange an – abgesehen von den Konsequenzen – aber mehr als einmal war es ihr das wert.
Am Ort des Geschehens selbst ließ sie ihren Blick über die Menge schweifen. Wie schon vor einiger Zeit bei diesem anderen Fest ... der Medi ... Meditri, wie auch immer, waren hier wieder schwindelerregend viele Leute und mit dabei war wieder diese seltsame Kerl, von dem sie glaubte, dass er ein Patrizier war. Nur mit halbem Ohr hörte Lynn seinem Gelaber zu und schaute lieber desinteressiert weiter in der Gegend herum. Diesmal würde es hoffentlich kein Massenbesäufnis geben, wie beim letzten Fest. Zwar war ihre Herrin weg, bevor etwas bedrohliches passiert wäre, aber schon zu diesem Zeitpunkt konnte man so manchen herum torkelnden Bürger oder Bewohner Roms von seinen schlechten Seiten kennen lernen. Ihr war das alles nicht geheuer. So viele Menschen und sie stand mitten drin. Es war nicht so, dass sie Angst gehabt hätte, gut ein wenig vielleicht schon, hauptsächlich fühlte sie sich einfach unwohl. Die junge Sklavin fühlte sich sprichwörtlich erdrückt. Wohlmöglich war sie einfach ein wenig agoraphobisch, oder dieses Unwohlsein zeugte einfach nur von den Folgen der Begegnung mit Römern. Begegnungen, die für sie so gut wie nie positiv ausfielen. Leicht verstört griff Lynn nach Sabinas Arm und schaute sie an. “Müssen wir hier lange bleiben? Bitte nicht ...“ Fragte sie und schaute ihrer Herrin hoffnungsvoll in die Augen. Sie wollte hier nicht länger wie nötig bleiben. Sie erwartete, dass ihre Herrin nicht so viel widersetzen wollte, wenn Lynn ein wenig übertrieb, wie gerade eben.