Beiträge von Tiberius Decimus Optatus

    Im Haus ist eine Betriebsamkeit die der junge Racker - wie ihn Menas immer nennt - nicht erwartet hat. Zwar hat einer der Sklaven schon am Vortag davon erzählt, dass heute Großputz wäre, doch hat der Kleine da natürlich nicht zugehört. Und so ist er nun etwas eingeschnappt, dass die Erwachsenen solche wichtigen Entscheidungen ohne ihn treffen und mit diesem großen Abenteuer auch ohne ihn anfangen. Die Enttäuschung darüber verfliegt jedoch schnell, als Optatus sich einbildet, das alles gehöre zu einer riesigen Mission, dem Bau eines neuen Limes, dem Fegen der Legionsstraßen, dem Errichten von Feldlagern. Und so sieht man ihn wenig später durch all diese "Baustellen" spazieren, Brutus seinen Hund dicht hinter ihm. Obwohl ein riesiger Hund, zeigt er sich doch anhänglich wie ein Kalb, und es ist unschwer zu erkennen, wer bei den Beiden das Kommando hat.


    "Kiya!"


    ruft Optatus als er das triclinium betritt.


    "Kiya! Haben alle schon angefang' ..."


    In seiner Stimme liegt ein wenig Ungewissheit. Weiß er doch nicht, ob die Tätigkeiten trotz aller Spannung ihn um seinen Besuch auf den Märkten bringen könnten. Jetzt wo er sein Kindermädchen so auf dem Boden sieht, steigt eben diese Angst in ihm auf. Ohne dass er sie natürlich in Worte fassen könnte. Kinder reflektieren ihr Handeln und ihre Gedanken noch nicht.

    Die Verheissung am nächsten Tag mit auf den Markt zu dürfen um eine Kiste und Farben zu kaufen klingt wie ein Abenteuer und ist ein Abenteuer. Rom ist eine Kloake, auf den Straßen lauert überall Gefahr und ohne Leibwachen geht man als Angehöriger der Oberschicht sowieso nicht auf die Straße. Das alles weiß Optatus natürlich noch nicht, dennoch ist er bisher in seinem jungen Leben höchstens ein- oder zweimal ausserhalb des Hauses gewesen. Die Sorge um sein Leben ist für seine Eltern viel zu groß. Umso begeisterte ist er jetzt natürlich, dass die Sklavin ihm einen Besuch auf den Märkten schmackhaft macht. Der Feldzug gegen die Germanen erscheint in diesem Zusammenhang wie ein alltägliches Geschäft.


    "Farben... Darf ich aussuchen?"
    fragt er und malt sich schon im Kopf aus, wie die Kiste aussehen soll.
    Wenn Onkel Verus dann noch mitgeht, wird es sicher interessant.


    Optatus ist schon so aufgeregt, dass er Tante Urganilla fast vergisst. Fast bedeutet, dass er akzeptiert, ihr nicht aus dem Weg gehen zu können. Doch er wird es tapfer ertragen. Das Tätscheln und die ekligen Küsse. Und danach wird er dann wieder gehen und sich an die Vorbereitung für den morgigen Tag machen. Es gibt viele Geschichten zu erzählen.

    Der Einfall der Sklavin kommt Optatus großartig vor. Es ist die Lösung des Problems, denn wenn er die Briefe in der Kiste aufbewahrt, dann sind sie nicht weg, sondern da, und sein Papa wird die Briefe lesen, wenn ihn die Götter wieder nach Hause führen. Wenn er viele Briefe schreibt, müssen die Götter ihm sogar helfen.


    Optatus schließt die Augen. Das Wasser schwappt über seinen Kopf und der Seifenschaum zerrinnt. Prustend holt er wieder Luft, auch wenn es keinen Anlass für eine solche Einlage gibt. Sie gehört jedoch zum Baden dazu. Der Kopf fliegt nach links, dann nach rechts, wie bei Brutus, wenn dieser sich das Wasser aus dem Fell schüttelt.


    "Ich mag gleich schreiben."


    sagt er im Ton fester Überzeugung, und es klingt beinahe schon wie der Befehl eines Besitzers gegenüber seines Sklaven. Er sprüht voller Einfälle und will möglichst schnell aus dem Wasser. Dass ihn Kiya dabei sanft manipulierte, kommt ihm nicht in den Sinn. Wie sollte er die geheimen Winkelzüge einer Frau in diesem Alter schon durchschauen, wenn es selbst erwachsenen Männer nicht immer gelang. ;)


    "Die Schlacht gegen Germanen..."
    er versucht aufzuzählen
    "Brutus hat einen Mann gebellt..."


    Ach, wie ist doch diese lateinische Sprache schwer. Nicht nur in diesem Fall, sondern auch generell, denn Optatus muss auch den Ablativ beherrschen.

    Kiya schrubelt ihm das Haar durch und wenn Kiya das macht, hat Optatus nichts dagegen. Zum Glück - und hier passt dieses Wort ganz gut - denkt er nicht an Tante Urganilla, die ihm nachher ebenfalls durch die Haare schrubeln wird, falls sie denn noch da ist, wenn die beiden das Bad wieder verlassen. Optatus lebt jedoch im Hier und Jetzt. Und das Hier und Jetzt ist angenehm, so dass es Kiya erneut viel Kraft und Aufwand kosten wird, ihn wieder aus dem Wasser herauszubekommen. Ironie des Lebens. Am Besten würde sie wohl warten, bis der kleine Optatus selbst keine Lust mehr hatte.


    Einen Moment siniert er über das Schreiben nach.


    "Aber... wir dürfen... nicht schreiben."
    meint er schließlich. Und erklärt hastig, denn immerhin könnte das Leben seines Vaters davon abhängen.


    "Menas sagt, Menas sagt..."
    er wiederholt sich um den Worten mehr Gewicht zu geben
    "Papa ist auf geheimer Mission. Ganz Rom denkt er ist in Hisp..."


    Das Wort fällt ihm nicht ein, ist es auch nicht ganz einfach.

    Kiya lacht, weil Optatus so schlau ist. Kiya ist also schwer in Ordnung. So einfach denkt der Kleine und so einfach ist die Welt für ihn. Dass er die Göttin beschrieben hat, statt ihren griechischen Namen zu nennen, ist ihm dabei gar nicht aufgefallen. Doch ist er ja auch gerade mal vier Jahre alt. So um den Dreh. Die Tage zählt er nicht und wenn er Gebursttag hat, dann wird man es ihm schon sagen.


    "Glück" wiederholt er und greift dann erneut nach dem Boot. Er schiebt es erst in seine Richtung und dann zurück zu Kiya. Sanft bläst er in die Segel und stellt sich dabei noch etwas ungeschickt an. Die Motorik hat immer noch etwas von einem Kleinkind, die bewegliche Eleganz eines größeren Kindes geht ihm bisweilen noch ab.


    "Woher kommt Glück?"
    fragt er, denn er will es genauer wissen. Und in seiner Welt ist niemand so schlau wie Kiya. Abgesehen von Mama natürlich und Papa. Papa thront überall an erster Stelle. Versteht sich auch von selbst. Er ist groß und stark, hat Haare im Gesicht, duftet männlich, hat einen Zipfel wie Optatus, nur um Welten größer, seine Stimme ist tief, Mama wird immer anders, wenn er in der Nähe ist, sie weint manchmal, wenn er weg ist. Die Sklaven befolgen seine Befehle und viele fremde Menschen die das Haus betreten und ihn aufsuchen hören auf sein Wort. Papa trägt rote Schuhe und seine Toga hat einen roten Saum. Und über Papa werden viele Geschichten erzählt. Geschichten die mit Legionen zu tun haben. Einem Triumphzug. Und dem fernen Germanien.

    Optatus greift nach der Seife und versucht sie auf dem Wasser treiben zu lassen. So einfach ist das gar nicht, und er braucht mehrere Anläufe, bis der kleine Klumpen so im Wasser treibt, dass er nicht untergeht. Mit großen Augen sieht er zu Kiya auf, denkt dann angestrengt nach und quitscht dann wissend auf. Sein Vater hatte ihm bereits davon erzählt. Die Fortuna war nach einer Göttin benannt. Einer griechischen. Sie brachte den Menschen Glück, oder so. Sorgte dafür, dass die Dinge die man sich vornahm gut ausgingen und dass man von langen Reisen heil nach Hause kam.


    "Ich weiß es..." antwortet er schnell, nimmt dann seine typische Denkerhaltung ein, zieht die Situation in die Länge und gibt schließlich doch die Antwort, damit sie auf gar keinen Fall von Kiya vor ihm gegeben werden kann. Denn immerhin will er beweisen, dass er schlau ist.


    "Das ist die Göttin ... die Göttin des ..."
    Er sucht noch nach dem passenden Wort
    "des dass alles klappt."


    Ein Strahlen liegt auf seinem Gesicht.

    Das Wasser ist angenehm warm. Die Seife duftet wunderbar vertraut. Die liebevollen Worte Kiyas, ihre sanften Berührungen lassen Optatus beinahe vergessen, dass er erst vorhin daran dachte, sie für den Rest seines Lebens zu hassen. Als sie zu ihm ins Wasser steigt, blickt er auf und lächelt beinahe. Es ist nicht das erstemal, dass sie gemeinsam baden. Dass sie eine Frau ist und Frauen sich von Männern an verschiedenen Stellen des Körpers unterscheiden ist ihm längst bewusst. So hat er zum Beispiel einen Zipfel, der Mädchen und Frauen fehlt. Dafür haben diese zwei Brüste, die größer sind, als alles vergleichbare, was Männer vorzuweisen haben. Nicht einmal sein Vater, der in allem gut ist, kann diesbezüglich mit Frauen mithalten. Doch wie Kinder sind, naiv auf ihre Weise, sind die Dinge wie sie sind. Kiya ist sein Kindermädchen und seine Freundin. Unzweifelhaft.


    "Bauen wir die Fortuna?"


    fragt er, denn die Fortuna ist das Schiff, mit welchem sein Vater davon gesegelt ist. So zumindest hatte es ihm dieser kurz vor seiner Abreise erzählt. Und auch Menas hatte von der Reise gesprochen, Mutter hatte einmal kurz geweint, und dann war Vater gegangen. Wann immer Optatus nach seinem Vater fragte, erzählte Kiya von der See. Und von Ägypten. Auch wenn die halbe Welt dachte, dass sich sein Vater in Hispania befand, hier im Haus war es kein Geheimnis, dass die Reise in den Osten ging.

    Den Kampf hat Optatus längst aufgegeben, als die Sklavin ihn fragt. Sein Weinen gilt schon längst nicht mehr ihr, sondern einzig seinem Umstand. Er bemitleidet sich selbst. Und wenn er sich selbst bemitleidet, braucht er nur eines: Zuwendung. So sehr er also vorhin Kiya zu hassen schien, so sehr braucht er sie eben genau jetzt. Denn auch wenn er sie hasst, braucht er sie doch und liebt er sie auch. Es dauert nur, bis in dem langen Weinen das eine Gefühl die Oberhand gewinnt und überwiegt. Die temporäre Wut verschwindet, die dauerhafte Vertrautheit setzt sich durch. Das Weinen verebbt.


    Noch einemal schnieft er kurz, schnappt dann nach Luft und schluckt den letzten Rest an salzigen Tränen und Rotz hinunter. Den Speichel an seiner Wange hat die Sklavin längst entfernt. Beinahe willenlos lässt er sich auskleiden und blickt dann vor sich hin. Brav sein? Tun was sie sagt? Hat er eine Wahl? Ob sie mit ihm baden soll? Eigentlich egal, Hauptsache sie lässt ihn jetzt nicht alleine. Schwimmen lernen? Vielleicht, vielleicht auch nicht. Ehrgeiz hat er zur Zeit keinen. Er will im Grunde nur gemocht werden. Ein zerbrochenes Ego liegt am Boden. Was der kleine Mann jetzt braucht ist Liebe und Zuwendung. Nichts anderes.

    Ehe er reagieren kann, verliert Optatus nicht nur den Machtkampf, sondern auch den Boden unter den Füßen. Kiya erhebt sich, wie er es vorhergesagt hat und reißt ihn nach oben. Alle Kraftaufwendung von seiner Seite reicht nicht aus, um sich dagegen zu wehren, zumal er die meiste Energie fürs Schreien benötigt, so dass ein koordinierter Krafteinsatz schon gar nicht mehr möglich ist. Was folgen wird, ist der Gang ins Bad. Die unvermeidliche Begegnung mit dem Wasser, Seife, ein kratziger Schwamm, ein trockenes Tuch. Der Widerstand lodert ein letztes mal auf, bricht dann aber zusammen, als die Sklavin den Namen Urganillas erwähnt.


    Kraftlos und verloren verstummt das Geschrei beinahe und geht in endloses Wimmern und Flennen über, das sich beinahe in sich selbst erstickt, zunehmend leiser wird, nur um dann wieder eine Renaissance zu erleben, sobald die Sklavin denkt, dass Optatus verstummt.


    Rotz läuft. Und die Augen stehen unter Wasser.
    Krank werden oder Sterben sind jetzt gleich.
    Nur kein Morgen. Nicht nach dieser Niederlage.

    Sein Onkel versucht es noch mit warmen Worten, die jedoch an dem trotzigen Kopf vorbeigehen, denn längst schält Optatus auf Stur. Brennende Schiffe und Seeungeheuer... Wäre er selbst nicht so dickköpfig, wie es alle Decima waren und sind, würde er die magischen Worte dieses großen Mannes hören. So jedoch hört er nichts mehr, schließt seine Augen und hält die Luft an. Erst recht nachdem Kiya ihm eines hinter die Ohren gibt. Er beschließt sie dafür auspeitschen zu lassen, sobald er erwachsen ist. Jeden einzelnen Schlag wird sie von ihm zurückbekommen. So wie dieser Sklave neulich ausgepeitscht wurde, der im Nachbarhaushalt gestohlen hatte. In der Küche und in den Sklavenunterkünften hatte man es erzählt und Menas, ja Menas hatte es ihm selbst mitgeteilt.


    "Ich hasse Dich! Ich hasse DIIIIIICHHHHHH!"


    kommt es aus dem Kleinen heraus und er stampft nun energisch auf den Boden, wie sein Onkel das Zimmer verlässt. Doch ob dieser schon weg ist, oder noch da ist, es macht keinen Unterschied. Es geht alleine um Kiya und ihn selbst. Um die Frage ob er Baden muss oder nicht. Und er fürchtet, dass es er baden muss. Und er ahnt, dass er den Kürzeren ziehen wird. Wut steigt in ihm auf. Wut auf Kiya, Wut auf Mama, Wut auf Tante Urganilla! Wut auf alle Erwachsenen! Darauf, dass er selbst noch nicht groß ist. Dass er ohnmächtig ist. Und nichts ist schlimmer für einen Jungen, der sich selbst auf Augenhöhe mit den Erwachsenen sehen möchte. Da hilft es nichts, dass sich Kiya in die Hocke begiebt, denn er weiß, dass sie jeden Moment wieder aufstehen wird. Dass dieses Entgegenkommen nur einem Erwachsenen Zweck dient.


    "Wähhhhhhhhhhhhhhhhhhhhhhhhhhhhhhhhh!"


    Tapfere Soldaten weinen eigentlich nicht.


    Doch das Spiel ist längst zu Ende. Die römischen Truppen haben verloren, sind auf dem Rückzug, der Limes ist gefallen, Rom wird gebrandschatzt. Ein Kelte würde sagen, die Welt fällt ihm auf den Kopf. Optatus fühlt gerade eben so. Nicht anders.

    Genau das hat er erwartet. Immer wieder verschwören sich die Erwachsenen und nehmen ihn nicht für voll. Wieso eigentlich? Er weiß ganz genau, dass draussen diese Tante Urganilla wartet und Mama hat Kiya geschickt. Und sein Kindermädchen interessiert sich kein bisschen dafür, dass er selbst gar keine Lust darauf hat, dass ihm durch die Haare gestrubbelt wird, dass er Küsschen links und rechts auf die Wangen bekommt und dabei diesen widerlichen, säuerlichen Geruch nach alter Haut, ranzig wie Käse ertragen muss. Es gibt nichts Schlimmeres.


    Zornig funkeln seine Augen nun in Richtung seines Onkels. Das Schiff erkennt er glasklar als Lockmittel, zumindest erscheint es ihm so. Und noch ehe er weiterdenkt, kommt es ziemlich gehässig aus seinem Mund:


    "Ich hasse Seeschlachten."


    Nur allzu gut erinnert er sich an die Veteranen seinen Vaters, die im Hause ein und ausgehen und gar nicht gut auf die Seemänner zu sprechen sind. In den Augen der Legionen sind die Kämpfer zur See meist nur zweite Wahl. Und Matrosen riechen häufig auch nicht anders als Tante Urganilla. Sextus spricht immer von 'diesen ungewaschenen Seeratten'. Sie stinken wie Fische. Wie Fische, die zu lange in der Küche herumliegen.


    "Ich mag nicht ins Wasser. Basta!"


    "Und das blöde Schiff will ich auch nicht!"


    schießt er gleich hinterher und stampft einmal auf um seine Worte zu unterstreichen.

    Mitten in der Lagebesprechung zwischen Centurio und Legionär platzt das Kindermädchen. Im Großen und Ganzen ein gutes Kindermädchen, das für Optatus alles tut, so dass dieser sie mag, wie seine eigene Mutter, nur dass er es nicht immer weiß, vor allem dann nicht, wenn er gerade seinen eigenen Kopf hat. Vor allem in letzter Zeit findet er sie in zunehmenden Maße störend, unangenehm, durchkreuzt sie doch immer wieder seine Pläne, beendet Missionen, bevor sie ihr Ziel erreichen, steckt ihn in die Wanne, obwohl er keine Lust zum Baden hat, verfrachtete ihn ins Bett, obwohl doch gerade in der Nacht die Zeit günstig ist, um noch viele Abenteuer zu erleben. Sie hat ein Talent dafür, immer dann aufzutauchen, wenn er sie nicht gebrauchen kann, auch wenn sie immer da ist, wenn er sie braucht und sucht. Gerade jetzt jedoch stört sie gewaltig, nicht nur dass sie seinen Wald durchschreitet, mit etwas Banalem wie diese Kleidung, sie beendet das Spiel. Und aufräumen soll er auch noch.


    Seine Augen blitzen auf und von einer Sekunde auf die andere kommt Widerrede.


    "Ich will nicht!" sagt er trotzig und stemmt die Hände in die Seite.


    "Ich hasse baden!"


    Lieber würde er in Dreck erstarren, als jetzt nachzugeben. Denn er weiß, ist er ersteinmal gebadet, sitzt er wenig später schon bei seiner Tante Urganilla. Menas konnte er kurz zuvor noch in die Irre leiten, wie Menas immer leicht um den Finger zu wickeln ist, doch Kiya ist anders. Der Machtkampf beginnt.

    Eine Verwechslung muss vorliegen, die der Kleine umgehend richtig stellte. Er blickt zu dem großen Mann auf, der vor ihm steht und erstaunt dann, dass dieser ihm einen hölzernen Gladius reicht, der viel besser aussieht, als sein eigener, abgenutzter Klotz, der schon unzählige Schlachten hinter sich hat.


    "Schwert!"


    sagt er mit leuchtenden Augen, legt sein altes weg und greift nach dem Neuen. Er kann zwar noch nicht lesen, doch die zauberhaften Zeichen, die auf der Klinge des Gladius stehen müssen seinen Namen zeigen.


    "Danke." sagt er und fügt dann hinzu:
    "Ich ... nicht Tr'umpator. Mein ... mein Papa ist gar nicht da...
    Darf ... darf ich Gladius ... Gladius trotzdem b'halten?"


    Bittend schauen seine Augen nach oben. Dass er nicht der Feldherr des Feldzuges ist, sondern nur ein gewöhnlicher Centurio, erklärt er nicht. Für ihn ist es logisch, dass nur einer die Armee anführen kann. Und das ist sein Vater, der Feldherr, Legatus Legionis, Triumphator. Wie kann der große Mann vor ihm das nicht wissen?

    Ein Plan wird gerade erstellt, als mitten auf die Lichtung des Waldes ein römischer Legionär herreinplatzt, der wie wild um sich schlägt, verfolgt von einer ganzen Horde finster blickender Germanen. Was sollen sie tun? Es ist keine Frage, über die man lange nachdenken muss. Ein römischer Soldat wird nie im Stich gelassen. Es ist eine Frage der Ehre. Etwas selbstverständliches und so gibt Optatus seiner Einheit den Befehl aus dem Versteck herauszubrechen und dem römischen Soldaten, der sich verlaufen haben muss zu helfen.


    ---


    "gladios stringite!"


    rief der kleine Bursche, der sich den einen oder anderen Befehl bei einem Veteranen seines Vaters abgehört hatte. Mit zwei Handgriffen fiel das Versteck, das Betttuch wurde zur Seite gezogen und Optatus stürmte heraus, sich an die Seite seines größeren Verwandten begebend. Seine Männer fochten tapfer und die feindlichen Germanen wandten sich zur Flucht.


    "Roma Victrix! Roma victrix!" jubelte er noch kurz hinterher und steckte das hölzerne Gladius weg, glucksend über den großartigen Sieg und den Römer vor sich gleichzeitig neugierig musternd. Irgendwo hatte er ihn schon einmal gesehen. Doch wo?

    Was für ein Glück. Menas, der Sklave, oder besser gesagt der feindliche Germanenkrieger hat ihn nicht entdeckt. Er durchsucht zwar kurz den Wald, in den sich Optatus mit seinem kleinen Trupp Legionären versteckt hält, doch kommt er ihnen nicht auf die Spur. Siegessicher lächelt Tiberius und spät hinter dem Laken hervor, kaum dass er das Geräusch einer sich schließenden Türe vernimmt.


    --


    'Auf!'


    Sie mussten sich schneller vorwärtsbewegen. Ihre Patrouille hatte den Feind nördlich des Limes entdeckt. Die Grenze verlief genau durch das Atrium, das Tablinum wurde kurzerhand zu Feindesland erklärt. Jetzt galt es, der feindlichen Hauptstreitmacht aus dem Weg zu gehen und vor allem nicht der feindlichen Königin Urganilla in die Arme zu fallen. Sie schlug Gefangenen immer auf den Kopf und küsste sie dann zu Tode. Optatus erschauderte. Er musste sein Versteck noch besser machen, noch mehr sichern. Oder aber die Position wechseln. Wo war er nun am sichersten? Der kleine Kopf arbeitete ...

    Keinen Mucks. Keine Bewegung. Den Atem möglichst leise und langsam kontrollieren. Das Herz schlägt bis an die Ohren. Jetzt noch warten bis der Feind sich wieder umdreht und geht ...


    ---


    Unter Strom lag Optatus unter einem gespannten Laken, fasste das hölzerene Gladius fester und wartete darauf, dass der Sklave wieder umkehrte. Er mochte nicht zu diesem riesigen Ungeheuer, das sich Urganilla nannte. War er überhaupt mit ihr verwandt? Und was wollte sie nur immer im Haus? Zudem Vater gar nicht anwesend war!

    Freunde sollte man gut auswählen, besagte ein Sprichwort. Auch wenn Optatus dieses Sprichwort nicht kannte und er der ihm bis dato ganzen bekannten Welt gegenüber aufgeschlossen gegenüber stand, lernte er doch schnell, dass es Menschen und Lebewesen gab, mit denen er rechnen konnte und andere, auf die er besser nicht zählte. Nirgends wurde dies so deutlich wie bei den Sklaven des Hauses. Seine Amme kümmerte sich rührend um ihn, die Köchin des Hauses ebenfalls, während die Ornatrix seiner Mutter ihn mit abgeschwächteren Emotionen nahm und ihn nicht anbetete, wie es die anderen taten. Ein zwei Sklaven, die eher selten ins Haus kamen ließen ihn sogar links liegen. Und was die Klienten betraf, hatte Optatus noch nicht die Fähigkeit entwickelt, zwischen wirklicher Zuneigung und gespielter Höflichkeit zu unterscheiden. So mancher fand den Knaben entzückend um sich bessere Chancen auszurechnen.


    Brutus war da ganz anders. Brutus, das war DER Hund im Hause. Nicht einer von den Wachunden, welche sich im Zwinger befanden und die nur herausgelassen wurden, wenn ein Einbrecher die Gegend unsicher machte, oder wenn es eine besonders dunkle, vernebelte Nacht gab. Brutus war der einzige Hund, der den ganzen Tag über im Hause verbrachte, der wie Optatus durch alle Räume kam, hierhin und dorthin wanderte, wie Optatus von allen Seiten Streicheleinheiten und kleine Leckereine zugesteckt bekam. Anfangs hatte er Optatus noch argwöhnisch beäugt, in ihm vielleicht sogar einen Konkurrenten gesehen. Doch die vorsichtige Skepsis des Tieres war an jenem Tage einer tiefen und wahren Freundschaft gewichen, als Optatus zum ersten Mal in die Reichweite des Hundes kam. Er stolperte mehr auf den Hund zu, als dass er lief, fing sich im letzten Moment und umarmte das riesige, warme, mit einem besonderen Duft versehene Muselpaket und quitschte glückselig. Brutus konnte keine Feindschaft mehr aufbauen.


    [Blockierte Grafik: http://img98.imageshack.us/img98/2301/brutus1sy9.jpg]



    In der Folgezeit traf man beide Wesen gemeinsam auf ihren Rundgängen und Entdeckungsreisen durch das Haus an. Mal folgte der Knabe dem Hunde, mal das Tier dem Knaben.


    "Seht euch die beiden an!"


    sprach eines Tages einer der Sklaven.


    "Ein echter Romulus, unser Kleiner.
    Ein echter Romulus."

    Fühlen - Empfinden - Denken - Die ersten Schritte - Die Welt entdecken ... Das Haus war denkbar groß. Die Erkundung aller Räume kostete einen halben Tag. Und selbst dann noch gab es Winkel, die einer genaueren Untersuchung bedurften. Mutter - Onkel - Tanten - Verwandte - Besucher - Klienten - Sklaven - es gab so viele verschiedene und doch wieder ähnliche Gesichter, warmes und kaltes Lachen, Gerüche und Stimmen, steife und weiche Bewegungen, Freunde und eher kalte, unnahbare Genossen, Statuen gleich. Eine Venus stand im Atrium, ein paar andere Götte, Helden, Gestalten und Politikerbüsten gesellten sich dazu. Am liebsten sind dem Kleinen jedoch die Ahnen. Immer wieder sucht er sie auf, blickt neben seiner Mutter am Altar stehend während der Gebete auf ihre Büsten. Fasst sie an, befühlt die Oberfläche des Steins. Stein kann sich so unterschiedlich anfühlen. Die Statue hier, die andere dort. Sie unterscheiden sich. Die eine ist glatter. Die Säulen im Atrium sind rauer. Die Steine in der Küche fast mehlig. Ein Stein schmeckt leicht nach Salz. Und die Hölzer erst. Es gibt Tausende von Nuancen. Unterschiedliche Weichheitsgrade. Die einen sind hart, wie harter Stein. Andere sind weicher. Manche kann man mit dem Fingernagel aufkratzen. Und einritzen.


    O - < - <


    Ein seitwärts gelegter Mensch. Das Zeichen für Optatus. Soll heißen, der kleine Krieger war hier ...

    Tarraco - dieses kleine bescheidene Städtchen im Norden der iberischen Halbinsel - wurde von den Römern nach seiner Eroberung ad urbe condita 535 dazu auserkoren den Statthalter der Provinz Hispania Citerior zu beherbergen. Von hier aus sollten diese Männer des Senats und später des ersten Kaisers Augustus die Stämme in das römische Herrschaftsgebiet integrieren. Kein einfaches Unterfangen, zogen sich diese Kämpfe doch mehrere Hundert Jahre hin, mischten die Karthager unter Hamilkar Barkas, dem "Blitz" - der so manches römische Heer in ärgste Bedrängnis gebracht hatte - sowie unter Hasdrubal und Hannibal kräftig mit. Es war ein langes Ringen, welches dem römischen Volk und dem karthagischen einen hohen Blutzoll abverlangte. Städte wurden erichtet, befestigt, erobert und wieder verloren, vernichtet und wieder aufgebaut und die iberischen und keltischen Stämme, welche in diesen Gebieten siedelten, schlugen sich einmal auf die eine, dann auf die andere Seite, entschlossen sich dazu mit den übermächtigen Besatzern zu kooperieren, sich ihnen auszuliefern oder diese zu bekämpfen. Es muss eine Zeit gewesen sein, die unübersichtlich war, in der die Menschen nicht wussten, was der heutige und der morgige Tag bringen würden, in denen sie nicht wussten, ob die Götter ihr Land nun gesegnet oder verflucht hatten. Es wurde jedoch auch weiterhin geboren und vor allem viel gestorben.


    Eine der ersten Familien, die sich auf die Seite der Römer stellten, war die Familie der späteren Decima gewesen. Vieles der Vorgänge ist in der Zwischenzeit nicht mehr im Einzelnen genau aufzuklären und meine Bemühungen in dem Familienarchiv, aus Briefen und Dokumenten meiner Vorfahren die Wahrheit herauszufinden waren nicht immer von Erfolg gekrönt. Ich hatte meinen Vater befragt, mit meinen Onkeln und Cousins gesprochen, alte Freunde der Familie aufgesucht, die Grabsteine unserer Ahnen studiert und sogar das städtische Archiv von Tarraco durchforstet. Viele Fragen blieben offen, doch was sich mit Sicherheit immer wieder bestätigte, war die Tatsache, dass meine Vorfahren für Rom gekämpft hatten.


    Erste gesicherte Zeugnisse bezeugen meine Vorfahren in der Gegend schon seit den Feldzügen des Publius Cornelius Scipio Africanus.


    [Blockierte Grafik: http://img299.imageshack.us/img299/5070/scipioafricanustheelderzl4.png]


    Als nämlich im Jahr 542 der Stadtgründung Roms Scipios Vater Publius Cornelius Scipio wie auch sein Onkel Gnaeus Cornelius Scipio Calvus im Kampf gegen Hannibals Bruder Hasdrubal Barkas getötet worden waren, was für den jungen Scipio ein schmerzhafter Verlust und für die Familie eine gewaltige Kathastrophe gewesen sein musste, entschloss sich Scipio im folgenden Jahr trotz allem dazu das Kommando für den Befehl einer Armee anzunehmen, welche die die karthagischen Besitztümer in Hispania erobern sollte. Und diese waren gewaltig. Der Senat, begeistert von diesem mutigen und heldenhaften Verhalten sah sich vielleicht sogar verpflichtet dem jungen Scipio die Rache zu ermöglichen, die genauen Beweggründe sind nicht mehr zu rekonstruieren, jedenfalls wurde der junge Scipione ohne Gegenstimmen zum Oberbefehlshaber der Spanienarmee gewählt und zugleich als Prokonsul bestätigt. Scipio verließ Rom mit zehntausend Infanteristen und tausend Reitern, die auf 30 Quinqueremen transportiert wurden.


    Als Scipio 543 am Fluss Ebro landete, war ganz Hispania unterhalb des Ebro unter karthagischer Kontrolle. Den Winter des Jahres nutzte er zur Verstärkung seiner Armee, indem er Allianzen mit den umliegenden spanischen Stämmen einging. Zudem ließ er das Umland und größere Städte der Punier ausspionieren. Es heißt, und so erzählt eine Legende meiner Familie, dass der Urgoßvater meines Urgroßvaters als Anführer einer iberischen Gruppe junger Krieger damals die Gegend rund um die römischen Lager sicherte und auch an einigen dieser Spionageaktionen beteiligt gewesen sein soll. Er musste so erfolgreich gewesen sein, dass er nach der Ankunft des jungen Scipio diesen in seinem Feldherrenzelt sogar zweimal gesprochen habe. Welcher Art diese Unterredungen waren wissen alleine die Götter, besagter Vorfahr konnte seiner Familie davon jedoch selbst nichts darüber berichten, denn er wurde nach einem dieser Treffen auf einer Mission vor einem karthagischen Lager aufgegriffen, von den Puniern gefoltert und anschließend ohne viel Federlesens erdrosselt.


    Scipio selbst lies sich von sochen Rückschlägen nicht einschüchtern, erkundigte sich überall auf das eingehendste nach der Lage beim Gegner und erfuhr, dass das karthagische Heer in drei Teile geteilt sei. In der Tat stand Mago diesseits der Säulen des Herakles im Lande der Konier, Hasdrubal, der Sohn Giskos, befand sich mit seinen Truppen in Lusitanien an der Mündung des Tagus, der andere Hasdrubal - vewirrend wie viele es gab, belagerte eine Stadt der Karpetaner. Keiner aber von ihnen war weniger als zehn Tagesmärsche von CArthago Nova entfernt. Diesen strategischen Vorteil nutzte Scipio aus und er konnte die Stadt durch einen Überraschungsangriff fast im Handstreich erobern.


    Bei der Einnahme der Stadt und der damals üblichen Plünderung bewies Scipio laut dem antiken Geschichtsschreiber Livius einmal mehr seine Ritterlichkeit: Der Legende nach bemächtigten sich seine Soldaten neben der Schatzkammer auch einer schönen Frau, die sie Scipio als Kriegspreis anboten. Scipio war zwar von ihrer Schönheit überrascht, hörte aber, dass die Frau die Verlobte eines keltischen Stammesführers namens Allucius war. Daraufhin gab er sie ihrem Verlobten zusammen mit dem von ihren Eltern gestellten Lösegeld zurück. Ein Bruder des vorhin genannten Urgroßvaters unserer Familie war bei diesem Gnadenakt anwesend gewesen und die ehrenhafte Tat das Scipio Africanus - die Götter mögen seine Nachkommen auf alle Zeiten segnen - galt weithin als Verkörperung des idealen Mannestums. Die Iberer jedenfalls schätzen Scipio und die Vorfahren meiner Familie stellten sich umso entschlossener auf die Seite Roms.


    Durch die Einnahme Carthago Novas und damit des wichtigsten Anlaufhafens der Punier zerstörte Scipio die Verbindung zwischen Hispania und dem Mutterland der Karthager. Doch trotz der Eroberung der Stadt standen noch immer drei gewaltige und vor allem kampferprobte punische Heere in Hispana. Dennoch gelang es den Römern, immer mehr Stammesfürsten auf ihre Seite zu ziehen, sodass sich Hasdrubal zum Handeln gezwungen sah. Und auch Scipio wollte die Entscheidung. Auf dem Weg aus seinem Winterquartier bei Tarraco in Richtung Baetica stellte sich Hasdrubal ihm auf einer Anhöhe bei Baecula mit 25.000 bis 30.000 Männern entgegen. Scipio, der seine nur 35.000 bis 40.000 Mann starke Armee noch mit etwa 10.000 iberischen Söldnern verstärkt hatte, sah sich in der strategisch schlechteren Lage und zögerte zunächst. Da allerdings die Schlachtordnung der Karthager noch nicht hergestellt war, entschloss er sich zum Angriff und überraschte sie somit erneut. In der Schlacht starben zwei weitere Vorfahren meiner Familie, die Namen konnte ich nicht herausfinden, doch es sollen zwei Brüder gewesen sein, die sich gegenseitig mit dem Schild gedeckt hatten, bis sie von einem Trupp punischer Kämpfer aus dem hinteren Africa niedergemetzelt worden waren. Trotz des taktisch wichtigen Sieges kostete der Frontalangriff auch die Römer sehr viele Menschenleben und der Formarsch wurde fürs Erste aufgehalten.


    Im darauffolgenden Jahr versuchte Scipio die Streitmacht des Mago Barkas zu bekämpften, doch dieser zog sich rasch zurück. Hierbei fanden die Römer einen jungen Knaben numidischer Abstammung vor. Sein Name war Massiva, ein Neffe des ostnumidischen Königs Massinissa. Seiner Ritterlichkeit treu, ließ Scipio den Gefangenen gut behandeln und sandte den Jungen zu seinem Onkel zurück, der ihn reich beschenkte. Gleichzeitig besuchte er den Westnumider Syphax und erneuerte mit ihm das Bündnis beider Völker. Nachdem Hasdrubal nach Italien abgezogen wurde, avancierte Mago zum Oberbefehlshaber der karthagischen Streitmacht in Hispania. Mago verbrachte den Winter mit der Rekrutierung neuer Truppen, um sich zur Entscheidungsschlacht zu rüsten. So gelang es ihm, eine Armee mit 70.000 Infanteristen, 4.500 Reitern und 32 riesigen Elefanten im Frühjahr nach Osten zu führen. Scipios Armee hingegen bestand nur noch aus 45.000 Infanteristen und etwa 3.000 Berittenen. Erneut sah er sich in einer strategisch schlechteren Lage, da die Karthager abermals einen Hügel bei Ilipa besetzt hatten. Diesmal stand jedoch auch die Schlachtformation, sodass Scipio zunächst passiv blieb. Daraufhin griffen die Karthager an, konnten jedoch keinen Erfolg erzielen. Da die Schlacht mit Unterbrechungen mehrere Tage andauerte, erkannte Scipio die Müdigkeit aller Kämpfer und befahl seinen Männern eines Morgens, schlachtbereit Aufstellung zu nehmen, während der überwiegende Teil der Punier noch schlief und somit ohne das wichtige Morgenmahl zur Schlacht antreten musste. An diesem Tag gelang es Scipio, die Karthager zurückzudrängen, zeitgleich griff seine Reiterei deren Flügel an. Die dort stationierten Elefanten gerieten schnell in Panik und zerstampften dabei die eigenen Soldaten. Zudem gerieten die Reihen Magos in Unordnung, sodass er den Rückzug anordnen ließ. Einer meiner Vorfahren soll an der Schlacht teilgenommen haben, es ist jedoch nicht mit hundertprozentiger Sicherheit zu sagen, unter welchen Umständen dies der Fall gewesen war, ob er selbst mitten im Gefecht stand oder zusammen mit anderen iberischen Söldnern eine der Abteilungen bildete, die zur Nachhut abgestellt worden waren.


    Nach der Schlacht räumten die Karthager Hispania und Scipio begann mit der Unterwerfung der restlichen Städte. Einige der Stämme, die die Römer 542 verraten hatten, ließ er zudem bestrafen. So marschierte er in der Folge gegen Andobales und besiegte hier eine keltische Armee völlig. Auch eine Meuterei unter seinen Soldaten wegen zu spät gezahlten Solds konnte er beruhigen. Durch den Sieg bei Ilipa eröffnete sich für Scipio die Möglichkeit, die Punier direkt in Afrika anzugreifen. Am Ende des Jahres kehrte er nach Rom zurück und ließ sich im Alter von 31 Jahren im Jahr 548 zum Konsul wählen. Ein Ereignis, das auch am Stammsitz meiner Familie mit einem fröhlichen und mehrtägigen Fest gefeiert wurde.


    Das war ich also. Die Erkenntnis begann an dem Tag, an welchem ich mich das erste mal in einem Spiegel betrachtete. Bis dato hatte ich nicht gewusst, wie ich aussah, hatte noch keinen Bezug zu meinem Äusseren hergestellt. Alle Erwachsenen mochten mich so wie ich war. Bekamen anfangs automatisch ein Lächeln, wenn sie mich sahen. Ich musste Eindruck gemacht haben. Oder aber zumindest nett ausgehen haben. Gewissheit erlangte ich jedoch erst an jenem Tag, an welchem ich mich kritisch selbst betrachtete.



    Tiberius Decimus Optatus. Wie man meinen Namen schrieb wusste ich noch nicht. Doch ich hatte ihn oft genug gehört. Zusammen mit einer Vielzahl an Kosenamen, die mich mein Leben lang begleiten sollten. Selbst in meiner Jugend sollte mich meine Amme noch "Mein Süßer" nennen. Diesen und ähnliche Namen verdankte ich meinem engelhaften Gesicht und auch in meiner Jugend sollte ich zu den schöner anzuschauenden Wesen des männlichen Geschlechts gehören. Mein Aussehen sollte Teil meines Kapitals werden, ebenso wie der politische und gesellschaftliche Erfolg meines Vaters oder der stille Einfluss meiner Mutter im Hause. Ich hatte ohne Zweifel Startbedingungen in mein Leben, welche weit erhabener waren, als die der meisten anderen Römer. Der Vorsprung schien meilenweit, doch ebenso hoch lasteten vom ersten Augenblick an die Verantwortung und eine stillschweigende, nie ausgesprochene Verpflichtung auf mir. Der Sohn eines Senators musste gleichfalls Senator werden. Der Sohn eines Generals musste bei den Truppen dienen. Und Rom nicht zu dienen schien ein Sakrileg zu sein. Dies alles sah ich damals natürlich noch nicht - als ich in meinem Spiegelbild nach meiner Seele suchte, hies es doch, dass im Spiegelbild, im Anlitz, in den Augen die Seele einer Person ersichtlich werden würde. Im Laufe der Zeit sah ich jedoch tiefer und jeder spätere Blick in den Spiegel war belastet, hatte seine Unschuld verloren.


    Wer war ich also wirklich? Welchen Weg würde ich einschlagen? Was hatten die Götter für mich vorgesehen? Wieviel hatten sie vorherbestimmt? Und warum war ich wie ich war? Und weshalb entwickelte ich mich so und nicht anders? Tiberius Decimus Optatus. Aufschneider, Possenreißer, Schönling, Liebling der Mädchen und Taugenicht. Ich hatte viele Spitznamen in meinem Leben. Nicht alle waren von Erfolg gezeichnet. Sicher tat ich meine Pflicht, sicher gab ich mir die größte Mühe, meiner Familie und Rom gerecht zu werden, doch wie schon bei meinem Vater, war die Nachwelt auch über mein Leben, meine Taten gespalten. Die einen liebten, die anderen verdammten mich.


    Ich liebte jedoch Venus und Venus liebte mich. Diese Gewissheit hatte ich schon von klein auf gewonnen, fiel es mir doch spielend leicht, die Herzen aller Damen im Haushalte zu gewinnen. Und an dieser Tatsache sollte sich im Laufe meines Lebens nichts ändern. "Optatus" hieß "der Erwünschte!" Nomen est Omen.


    Bevor ich jedoch mein Leben in aller Breite und mit einem gesunden Abstand auf die Vergangenheit hier darstellen werde, möchte ich dem geneigen Leser empfehlen, die kommenden Seiten nicht zu überblättern, sondern mir auch in die Geschichte meiner Familie zu folgen, welche in kurzen Zügen und ohne allzuviele Abschweife umrissen werden soll. Niemand kann sein ohne seine Familie. Niemand ist nur aus sich heraus erklärbar. Wer Decimus Optaus verstehen will - und wie oft hörte ich die Frauen sagen "Wenn ich Dich doch nur verstehen könnte, lieber Tiberius!" - muss auch die Decima verstehen. Nicht nur den übermächtigen Vater, welcher wie ein Denkmal über mir stand, nicht nur meine Mutter, welche mir so nah und doch so fremd war und blieb, oder meine Tante Lucilla, die ich vom ersten Tag an liebte, oder meinen Onkel Germanicus Avarus, welchen ich im stillen bewunderte, obwohl ich merkte, dass seine Beziehung zu meinem Vater verhalten war, die Decima waren allumfassend im Leben eines der ihren. Die Ahnen hatten eine Strahlkraft und waren in den Erzählungen präsent. Die Familie stand an oberster Stelle. Und alles begann vor einigen Jahrhunderten in Hispania. Iberien eigentlich, aus der Perspektive der Römer jedoch Hispania Tarraconensis.


    Am Anfang, ganz am Anfang von Tiberius Decimus Optatus stand - ein Decimus. Decimus der Erste. In diesem Falle. Und keinesfalls nur der Zehnte. Und dieser Decimus entsprang einer Stadt Namens Tarraco.
    Die Geschichte - meine Geschichte - muss daher mit Tarraco beginnen. Und das soll sie auch.