Beiträge von Tiberius Decimus Optatus

    Die Zeit verging wie im Flug. Gänzlich ohne Vater - begriff der Kleine erst nach Tagen und Wochen, dass sich im Hause etwas verändert hatte. "Baba?" fragte er seine Mutter, oder seine Amme und sah zu jedem Mann hinauf, der eine Toga trug und das Haus betrat. Dies waren wenige, und noch wenige römische Männer bekam er zu Gesicht, und keiner dieser Männer hatte einen rotfarbenen Streifen an seiner Toga, keiner einen Bart im Gesicht. Die tiefe vertraute Stimme, der intensive, angenehme Duft, Optatus suchte vergebens. Und so fing er nach Wochen an zu weinen, plötzlich ohne Vorankündigung, mitten in der Nacht, oder auch tagsüber beim Spielen, bis diese emotionalen Entladungen eines Tages ebenso schnell aufhörten wie sie ausgebrochen waren. Optatus hatte seine Mutter und diese war ständig um ihn her. Und dann war da noch die Amme. Wie sehr mochte er ihre Nähe. Wie sehr spielte und herzte sie mit ihm. Ihre Lieder gefielen ihm ausgesprochen gut, so weit er konnte, summte er mit, nicht sehr tonsicher, doch mit Inbrunst, und von was sie alles erzählte. Dass das Imperium so groß war. Dass es Völker gab, die er noch nie gesehen hatte. Und dass man Vertreter all dieser verschiedenen Völker in Rom antreffen konnte. Reisen, Händler, Soldaten, Sklaven ...


    Und der Menschen nicht genug hatten die Götter Tiere in die Welt gesetzt, deren Beschreibung seine Fantasie in höchstem Maße in Anspruch nahm. Ein Elefant, mitten auf der Straße vor dem Haus, auf dem Weg in den Circus. Von der Porta aus hatte er das graue Ungetüm betrachtet, sicher im Arm seiner Amme, und es schien ihm so, als würde der Riese ganz sanftmütig und geduldig seinem Schicksal entgegen gehen, von welchem weder Optatus noch das Tier auch nur den Ansatz einer Ahnung hatten.


    Elefanten waren der Inhalt seiner Spielwelt in den folgenden Tagen. Sie hatten im Nu das Atrium, das Tablinum, den Garten, die Küche und sein Zimmer in Beschlag genommen. Sanft trampelten sie durch die Gänge des Hauses, immer in Bedacht, sich nicht zu verraten und sich hinter einem Vorhang, einer Trennwand zu verstecken, wenn Erwachsene kamen. Einzig seine Amme konnte sie ebenfalls sehen, und seine Mutter natürlich, wenn auch nicht an jedem Tag. War sie gut gelaunt, und kreisten ihre Gedanken nicht um die täglichen Besorgungen des großen Haushalts, ließ sie sich ebenfalls von den kräftigen Rüsseln küssen und liebkosen, hatte sie indess Migräne, war beschäftigt oder müde, gab es kein Pardon. Sie sah die Elefanten nicht, und mit aller Entschiedenheit verbot sie ihnen, sich auch in ihrem Zimmer breit zu machen.


    Dabei war alles gar nicht so einfach. Auch wenn seine Freunde, so nannte Optatus die eingebildeten Elefanten bald, die besten und vorischtigsten Kolosse des gesamten Imperiums, ja der gesamten bekannten Welt waren, schafften sie es doch immer wieder hier und da etwas umzuwerfen. So sehr Optatus sie bat aufzupassen, so sehr er versuchte einzugreifen, schienen sie doch tolpatisch zu sein, ganz wie er. Und nie war wirklich zu klären, wer denn nun den Schaden angestellt hatte. Optaus indess nahm es auf sich, deckte seine Spielkameraden und behielt die wahre Täterschaft seiner grauen Freunde als Geheimnis.

    Der junge Decimus wusste nichts bestimmtes davon, wohin sein Vater reisen würde. In seiner Fantasie malte er sich jedoch alle möglichen Dinge aus, als die Vorbereitungen im Hause, die Wochen anhielten dann jedoch beendet waren - und wie viele fremde Männer hatten in diesen Wochen das Haus betreten und waren dann wieder gegangen - kam sein Vater zu ihm, nahm ihn vom Boden auf in seine Arme, herzte ihn und gab ihm zu verstehen, dass er zusammen mit Onkel Mattiacus nach Hispania reisen würde. Ihrer fernen Heimat, den Ort ihrer Herkunft, dorthin, wo alle Decima vor vielen Jahren hergekommen waren, wo sie immer noch Familienmitglieder, Besitzungen und Freunde besassen. War Hispania groß? Wie sah es aus? Was für Menschen lebten dort? Der Junge hatte Fragen über Fragen. Fragen, mit denen er seine Mutter und sein Kindermädchen in den folgenden Wochen und Monaten beinahe in Erklärungsnot bringen würde, zumal seine Mutter sehr genau wusste, dass sein Vater eben nicht nach Hispania, sondern in den Osten gereist war. Hätte der Kleine auch nur im Ansatz gewusst, wie gefährlich und geheim die Reise seines Vaters war, er hätte sich seinen Fantasien hingegeben, Tag und Nacht nichts anderes mehr gewusst, als von parhischen Kriegern, Prinzessinnen und Monstern zu träumen, von weiten, sandigen Wüsten, eiskalten Nächten, hunderten Kämpfen und Abenteuern ... Und mit Sicherheit hätte er sich verplappert. So jedoch erzählte er überall mit seinen wenigen Worten, dass Papa in Hispania sei. Und seine Weinberge besichtige. Und dass Onkel Mattiacus ihm dabei helfe ...


    Wie unbekümmert der Kleine war.

    Die Zeit verging wie im Flug. Sowohl für die Eltern, als auch das Hauspersonal und noch viel mehr für den kleinen Optatus, den Erwünschten, den Stammhalter des Senators. Der Säugling lernte unheimlich viel in seinen ersten Monaten und in seinem ersten Jahr. Unscheinbar orientierte er sich in Raum und Zeit und prägte sich die Gesichter ein, lernte seine ersten Worte und wusste schon sehr bald, dass sowohl seine Mutter, als auch sein Vater einen richtigen Narren an ihm gefressen hatten. Hin und wieder erzählten sie ihm von seinem großen Bruder, der tragischerweise verstorben war. Und irgendwie hatte er auch das Gefühl, dass er auch aus diesem Grund so angehimmelt wurde. Sei es drum, die Welt rational zu durchdringen war ihm weit entfernt. Noch lebte der Kleine über seine Emotionen. Und wurde dennoch größer. Die ersten Schritte, wenn auch nur wenige hatte er getan und sein Lebensbereich wurde von Tag zu Tag, von Woche zu Woche größer. Schon bald machte er das Atrium unsicher und gewann auch den Garten hinzu. Der 'tiefe Dschungel Asiens' war Ziel so einiger Expeditionen. Als Kind war alles so schrecklich groß. Wo sich Erwachsene beengt fühlten, eröffnete sich dem Knaben eine ganze Welt ...

    Tiberius bekam von alldem wenig mit. Er verstand noch viel zu wenig von den Vorgängen der Erwachsenen und ihrer Aufgeregtheit. Er spürte nur, dass die dunkle Frau mit dem schwarzen Haar über ihm, die so blendend weiße Zähne hatte plötzlich über die Maßen strahlte und ihn anlächelte. "Hast Du Mama gesagt?" fragte sie ihn immer wieder, doch wusste er mit der Frage nicht wirklich etwas anzufangen. Etwas musste an der Buchstabenfolge gewesen sein, was die Erwachsenen glücklich zu machen schien. Und so versuchte Tiberius genau in dem Moment erneut das Wort herauszubringen, welches ihm gerade eben gelungen war.


    "MAMA"


    wiederholte er und gluckste dabei wie ein kleiner König, dem es gerade gelungen war, eine Handvoll süßem Nachschbrei hinter dem Rücken der Köchin zu stibitzen und im Mund verschwinden zu lassen. Solche Aktionen, Raubzüge und Abenteuer lagen freilich noch vor ihm, in ferner Zukunft. Noch waren seine Motivationen auf andere Quellen gerichtete, noch bewegte sich sein Leben in einem viel kleineren Radius.


    "MAMA MAMA"


    Seine neuste Leistung bestand darin, das neue Wort gleich zweimal hintereinander herauszubringen. Und je öfter er es sagte, umso besser fühlte er sich. Und zu seinem Erstaunen lachte die dunkle Frau sogar und bedachte ihn mit liebevollen Worten.


    "Oh Du Wonneproppen, Stolz Deiner Mutter, Du bist aber ein Schlauer!" sprach sie, und "Ich bring Dich zu Deiner Mama!" und "Da, hier ist Deine Mama!" gab sie von sich und Optatus wusste nicht so ganz was jetzt geschah, nur dass die Sklavin durch den Raum schritt, ein anderer großer Schatten zur Seite trat und Mama plötzlich da war. Genau über ihm.


    "MAMA"


    "Er sagt Mama!" hörte er eine männliche Stimme sagen. Sie gehörte Menas, dem Sklaven seinens Vaters. Doch auch das wusste er noch nicht.

    Optatus war ohne Zweifel der Mittelpunkt im Hause der Decima geworden. Er musste gar nicht viel dazu tun, das lernte er schnell. Als er im vierten Monat seine Mutter das erstemal anlächelte, war diese aus dem Häuschen gewesen. Im sechsten Monat dann begann er fröhliche und erzürnte Gesichtsausdrücke nachzuahmen, nach Gegenständen zu greifen, die in seine Nähe kamen und prompt beschäftigte sich auch eine weitere Sklavin mit ihm, die ihm schon bald ebenso vertraut wie seine Mutter war. Nur dass er seine Mutter viel mehr liebte. Er fremdelte zwar im Folgemonat, gewöhnte sich jedoch schnell an die Sklavin, deren Haut so dunkel war, beinahe so dunkel wie das Haar seiner Mutter. Umsomehr faszinierte ihn das weiß ihrer Zähne und immer wieder griff er nach oben, als wollte er nach Perlen greifen. Ab dem neunten Monat dann zeigte er sich fröhlich im Kreis der Familie und wurde an manchen Tagen regelrecht herumgereicht. Und den Trick, wie er zu Aufmerksamkeit kam, durchschaute er gleich. Er schrie um auf sich aufmerksam zu machen. Nicht selten richtete er sich beim Sitzen dabei auf, blickte in die Umgebung und ließ dann einen gezielten und gut getimten Prall an Lauten heraus, das in ein Quitschen überging und erst versiegte, wenn ihn seine Mutter oder diese dunkle Frau mit dem noch dunkleren Haar in die Arme nahm. Auch heute trug sie ihn wieder durch das Zimmer. Und er genoß es. Er stand gerne im Mittelpunkt. Und er hatte es gerne, wenn man ihm vorsang. Besonders mochte er die Lieder die von einer "Mama" handelten. Und so war es keine wirkliche Überraschung, dass "Mama" auch das erste Wort war, welches er aussprach. Genau in diesem Moment, als Orsabaris und Menas im Raum standen.


    "MAMA"

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    Ach, wie tat die Anwesenheit der Mutter gut. Der kleine Optatus liebte seine Mutter. Sie war ihm ein und alles, Ausgangspunkt seines Lebens und immer für ihn da wenn er hungrig, müde, traurig, gereizt oder ängstlich war. Ihre Haut duftete so vertraut, so wie die seine. Ihre Wärme ließ alle Sorgen verschwinden und wenn er an ihrer Brust lag, vor sich hin schlummerte und dabei ihren Atem spürte, konnte er sich nicht vorstellen, dass es jemals etwas anderes in seinem Leben geben konnte. Sie liebte ihn, das wusste er, unbewusst zwar, aber so sicher wie die Tatsache, dass es nach jedem Einschlafen einen neuen Morgen, ein neues Erwachen gab. Und über allem brannte sich ihre Stimme in sein Ohr und drang bis in sein Herz vor. Iberische Lieder sang sie in der Sprache ihrer Heimat, die auch die seine war, auch wenn er es nicht wusste, römische Götter- und Heldensagen erzählte sie ihm und unzählige, kurze und lange Geschichten über Mitglieder der Familie. Über Namen, die er noch nicht kannte und über Menschen, die er nie kennen lernen würde, da sie bereits tot waren, aber über die man immer noch sprach.


    So hörte er, dass Decimus Hispanicus, sein Großvater, vor vielen Jahren das Leben des Kaiser beschützt hatte und die Familie das römische Bürgerrecht erhielt. Er hörte Geschichten über die Großmutter, deren Güte und Wärme sprichwörtlich gewesen sein sollte. Er lauschte Geschichten aus der Kindheit und Jugend seiner Mutter, aus ihren ersten Begegnungen mit seinem Vater, dass Tante Lucilla ein wunderschönes und keckes kleines Mädchen gewesen war, von Onkel Mercator, dem Händler und Geschäftsmann, der seinen Weinberg über alles liebte und dann doch eines Tages nach Rom ging, dort die selbe Casa kaufte, in der sie gerade lebten, von Onkel Decimus Proximus, der den Göttern gedient hatte und der nicht mehr lebte, ebenso wie seine beiden einzigen Kinder, von Decimus Praetorianus dem verstorbenen Halbbruder seines Vaters, von seinen vielen Großcousins und Großcousinen, die vielen Verwandten, von denen einige ganz sonderbar waren, auch davon, dass er ein paar größere Schwestern hatte, die bei einem anderen Mann lebten, und die er vermutlich nie kennen lernen würde und von der Tatsache, dass er einen großen Bruder hatte, der jetzt bei den Ahnen lebte, und einen Bruder, der adoptiert worden war und der ebenfalls bei den Ahnen war.


    Die meisten Geschichten waren schön, denn seine Mutter erzählte mit einer warmen, beruhigenden Stimme. Und wenn sie nicht erzählte, dann sang sie. Und wenn sie sang, streichelte sie sein kleines Köpfchen. Wenn er Schwierigkeiten hatte einzuschlafen, trug sie ihn in ihrem Arm im Zimmer auf und ab. So lange bis er schlief. Lag er in seinem Bettchen verbrachte sie oft Stunden daneben und beobachtete ihn. Sah ihm zu, wie er langsam größer wurde, an Gewicht und Länge zunahm. Wie der kleine Flaum auf seinem Kopf stärker wurde und wie ihm richtige, dicke Haare wuchsen.


    Und sie beobachtet einer Furie gleich die Zeichen, welche sich auf seine Haut gestohlen hatten. Zu ihrer Beruhigung schienen sie sich nicht zu verändern. Und zwei der selbigen ließen sich sogar an der gleichen Stelle des Körpers bei seinem Vater finden. Iulia wusste das gut, kannte sie doch beide nackt. Doch davon hatte der junge Decimus keine Ahnung. Ihm genügte es, dass er seine Mutter hatte und dass diese so viel Zeit mit ihm verbrachte, wie er sich nur wünschen konnte. So wurde Optatus langsam älter...

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    Der Kleine konnte natürlich nicht wissen, warum sich plötzlich alle so sehr für ihn interessierten und vor allem aufregten. Eine Menge vertrauter und fremder Gesichter blickten ihn jedoch plötzlich sehr genau an, waren dabei hektisch bis nervös, redeten mit aufgeregter Stimme und tasteten seinen Körper immer wieder ab, gerade so, als ob er etwas unerhörtes angestellt hätte. Für Decimus Optatus war das eindeutig zu viel und so begann er sofort an zu weinen.


    OUIN! OUIN!


    schrie er und schrie und schrie und wollte sich gar nicht mehr beruhigen lassen. Wo kamen auf einmal all die vielen Leute her? Und was hatte er mit diesen fremden Gesichtern zu tun? Und wo war Mama? Warum nahm ihn Mama nicht in den Arm? Warum lag er nicht an ihrer Brust?


    OUIN! OUIN!

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    Der Erwünschte schlummerte in diesem Moment friedlich und träumte. An seinen Traum würde er sich freilich später nicht mehr erinnern, genauso wenig wie an die ersten Tage seines Lebens, die ersten Wochen oder gar Jahre. Mit der Erinnerung war das so eine Sache. Aus der Kindheit blieben nur einige wenige schemenhafte Dinge übrig. Eher Bewusstseinseinstellungen, denn einzelne Ereignisse. Und so war es auch jetzt. Optatus spürte, dass jemand eingetreten war und er verspürte die Zuneigung, welche ihm von der Person entgegengebracht wurde. Es musste sein Vater sein. Zumindest hatte er diesen Eindruck aus der Tatsache gewonnen, dass dieser Mann oft mit seiner Mutter zusammen war. Seine Mutter reagierte positiv auf diesen Mann. Er hörte es an ihrer Stimme. Und er registrierte die Zuneigung, zwischen diesen beiden Personen. Folglich mochte er diesen großen Mann auch.


    Schmatz!


    Er steckte seinen Daumen in den Mund und schlummerte weiter.

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    Das Weinen des Kleinen erreichte seinen Zweck, wie er zufrieden feststellte. Seine Mutter hatte sich ihm genähert, ihn aus seiner Wiege gehoben und auf den Arm genommen. Nun lag er an ihrem Körper, den Kopf an ihre Brüste gelegt, vernahm den vertrauten Herzschlag und wie sich der Brustkorb anhob, wenn sie einatmete und sich wieder senkte. Die Stimme beruhigte, ihr Atem strich sanft über den Flaum, welcher sich auf seinem Kopf gebildet hatte.


    OUIN! OUIN!


    schrie er, wenn auch gedämpfter als vorhin. Das Weinen selbst wollte er indess noch nicht einstellen, hatte er doch die Befürchtung, dass ihn seine Mutter wieder zurück in die Wiege legen würde, wenn er zur Ruhe kommen würde. Noch hatte er ihre Nähe nicht völlig ausgekostet.

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    Seine Mutter gab sich stundenlang ihren Gedanken hin. Der kleine Decimus wusste zwar nicht, um was es dabei ging, doch er spürte instinktiv, dass irgendetwas, von dem er keine Ahnung hatte, geschehen sein musste. Eine Spannung lag in der Luft, die männliche Person, welche sich später als sein Vater herausstellen würde, sah mehrmals zu ihm herein, seine Mutter wirkte bedrückt, ihr Körper erschöpft, sie hatte Tränen in den Augen.


    Auf den kleinen wirkte dies beängstigend. Vor allem dann, wenn er lange geschlafen hatte, dann seine kleinen Augen öffnete und er feststellte, dass er alleine in seiner Wiege lag und niemand bei ihm war. Wo war seine Mutter? Irgendwo im Raum? Wo war die Wärme? Der Atemhauch, welchen er mit seinen zarten Haaren auf der Haut einfing, wenn man ihn küsste? Unbeholfen streckte er seine kleine Hand in den Raum und versuchte zu greifen. Da war jedoch nichts.


    OUIN! OUIN! OUIN!


    Er weinte.

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    An die ersten Tage seines Lebens wird sich der junge Decimus in der Rückschau nicht mehr erinnern können. Man wird ihm erzählen, dass er auf dem Landgut der Familie zur Welt gekommen ist, dass seine Geburt eine schwere Geburt gewesen war und dass seine Mutter tagelang mit Fieber um ihr Leben gekämpft hatte. Dann wird man ihm mitteilen, dass er - wenige Wochen alt - seinen älteren Bruder verlor. Er hatte ihn nie gesehen und die Erinnerung an ihn würde für sein ganzes Leben rein rhethorischer Art sein. Man würde ihm zudem erzählen, dass die ersten Tage seines Lebens ganz merkwürdige gewesen waren. Sein Vater sei fast jeden Tag zwischen der Totenbahre seines Ältesten und der Wiege des Jüngsten hin und her gewandert. Dazwischen habe er am Bett seiner Frau gesessen, oder sich in sein Arbeitszimmer zurückgezogen.


    Von all dem bekam der Kleine jedoch nichts mit.
    Er lag friedlich in seinem Bett und schlummerte.

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    Die ersten Geräusche, welche der kleine Decimus von sich gab, waren die eines heulenden Säuglings.


    OUIN! OUIN! OUIN!


    Zu fremd erschien ihm noch die Welt, welche sich ihm gerade eben eröffnet hatte. Wem konnte er in dieser Welt trauen? Und warum war es plötzlich so kalt? Wo war seine Mutter und was hatte dieser fremde Mann mit ihm zu tun, welcher ihn für einen kurzen Moment in die Höhe hob, sein Geschlecht kontrollierte, seinen Kopf und seinen Brustkorb abtastete? Er wollte zu seiner Mutter zurück. Und so sehr er darum bat, man schien ihn nicht zu hören. Was blieb ihm also anderes übrig als zu Heulen? Und dies tat er mit seiner ganzen Kraft. Er konnte nicht wissen, dass die Erwachsenen darin ein gute Omen sahen.

    Zitat

    Original von Menas
    "Ist es soweit? Kommt das Kind?"


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    Das Kind kam in der Tat. Monatelang war der kleine Decimus im Bauch seiner Mutter herangereift, hatte sein männliches Geschlecht entwickelt, an Größe und Gewicht zugenommen, bis er soweit gewachsen war, dass der Platz im Bauch seiner Mutter nicht mehr ausreichte. Die Natur hatte vorgesehen, dass er nun das Licht der Welt erblicken sollte. Und so leitete Mutter Natur auch den Geburtsvorgang ein. Iuno, die Göttin der Geburten hatte daran einen beträchtlichen Anteil.

    Der Tag scheint gekommen zu sein. Irgendetwas verändert sich. Noch weiß Optatus nicht, dass er in wenigen Stunden das Licht der Welt erblicken und seinen sicheren Platz im Bauch der Mutter gegen einen weniger sicheren Platz im römischen Imperium eintauschen wird. Er hat keine Ahnung, was in den kommenden Jahren auf ihn zukommen wird, wenn er denn die ersten Jahre überlebt. Er weiß nicht, in welche Familie er geboren wird, was sein Vater macht, er kennt noch keine Verwandten, keine Tanten und Cousinen. Noch lebt er ohne Sorge. Doch er spürt, dass sich etwas verändern wird. Und er reagiert darauf mit heftigem Treten. Er streckt sich, wälzt sich und poltert so gut es nur geht. Irgendwie wird ihm alles zu eng ...

    Mutter Natur hat vorgesehen, dass der junge Decimus im Bauch seiner Mutter heranreift. Und der junge Decimus reift gewaltig. Von seinem Vater wird er die äusserliche Statur erhalten und den sturen Kopf der Decima. Von seiner Mutter das Einfühlungsvermögen und die sanften Augen. Ansonsten unterscheidet er sich in nichts von anderen heranwachsenden Föten. Wenn man davon absieht, dass sein Geschlecht schon jetzt etwas größer als das anderer Ungeborener ist. ;) Ansonsten denkt er nicht viel, träumt umso mehr, frisst den ganzen Tag und tritt hin und wieder um sich. Auch klopft er mit seiner Faust in regelmäßigen Abständen von innen gegen die Bauchdecke seiner Mutter. 'Hallo!' scheint er sagen zu wollen. Syntax, Grammatik und Wortschatz sind jedoch noch nicht vorhanden. Er wird das alles erst lernen, wenn er das Licht der Welt erblicken wird.

    Noch ist es nicht soweit, doch unter dem Herzen seiner Mutter poltert der junge Decimus heute besonders kräftig. Er weiß natürlich nicht, was alles um ihn herum geschieht. Doch er bekommt mit, dass seine Mutter heute glücklich ist. Sie singt und summt den ganzen Tag, streichelt hin und wieder ihren Bauch und spricht mit ihm. Seine Mutter, so findet er, ist eine großartige Mutter. Die beste Mutter der Welt. Und ab und an kann er auch seinen Vater erahnen. Eine große männliche Aura berührt die Sphäre der Frau, welche ihn bald gebären wird. An der Art wie seine Mutter körperlich und hormonell auf diesen Mann reagiert, weiß Optatus sofort, dass auch dieser Mann wichtig in seinem Leben sein wird. Wie beide wohl aussehen? Die Frage stellt er sich natürlich nicht. Seine Probleme und Sorgen sind noch nicht existent. Er bekommt Nahrung, hat Wärme, wächst und wird geliebt. Alles andere interessiert ihn wenig.