Beiträge von Iunia Axilla

    Für Axilla war es schon ein kleiner Unterschied, ob jemand Optio war oder Tribun. Ihr Vater war Tribun gewesen, allerdings nicht bei den Prätorianern, sondern in Hispania. Für sie war dieser Rang sehr viel mehr als nur ein militärischer Dienstgrad. Trotzdem lächelte sie bei Diadematas Worten freundlich. “Ja, bei den Schwarzröcken zu dienen ist schon eine besondere Ehre.“ Wenngleich der Kaiser, dem hierbei gedient wurde, diese Ehre erheblich schmälerte. Vescularius war ganz sicher kein Kaiser, den zu beschützen es wert war. Axilla konnte nur hoffen, dass der Krieg so ausgehen würde, dass Seneca sein Ende miterlebte, Salinator aber nicht. Auch wenn das mehr Wunschdenken als alles andere war.


    “Und Seneca hat recht. Ich meine... wir haben Senatoren und Ritter geheiratet, unser Name ist der älteste in ganz Rom. Unsere Ahnen kamen noch aus Troja zusammen mit Aeneas. Da kannst du ja nicht einen einfachen Legionarius heiraten.“ Auf die eigene Familiengeschichte stolz zu sein war Axilla schon mit der Muttermilch eingetrichtert worden. Sicher gab es auch weniger rühmliche Kapitel, über die man in der Öffentlichkeit nicht sprechen sollte. Das änderte aber nichts an den vielen sehr ruhmreichen Taten, auf die die Gens zu Recht stolz sein konnte. Sie hatten keine Peregrinen oder Sklaven als Vorväter, keine Fremden, die sich ihr Bürgerrecht erst hatten verdienen müssen. Auch keine ominösen Götter, auf die man sich zurückführte, ohne dass es jemand überprüfen konnte, wie bei den patrizischen Iulii. Wenn eine Familie sich römisch nennen durfte, dann waren es die Iunier. Und eines Tages würden sie sicher auch die alte Größe wiedererlangen, die man vor gerade einmal zweihundert Jahren gehabt hatte. Es fehlten nur die passenden Männer. Und Ehemänner.
    “Nur macht der annehmbare Rest in Rom nicht allzu viel her. Vor allem angesichts des aufkommenden Krieges. Bleibt also leider nur die Wahl zwischen zwei Übeln.“ Axilla zuckte leicht mit den Schultern. Sie konnte Diademata da keinen wirklichen Rat geben, wen sie heiraten könnte. Im Moment war die Situation wirklich alles andere als rosig.

    Das war jetzt nicht das explizite 'Nein', auf das Axilla gehofft hatte, aber doch ablehnend genug, dass sie beruhigt sein konnte. Sie kuschelte sich also einfach nur an ihren Mann und ließ ihn jetzt auch endlich schlafen. Am Morgen konnte sie ihrer Nachbarin bescheid geben, dass diese alles einleiten konnte. Und damit war sie ihrem eigentlichen Ziel ein ganzes Stück näher.
    Es dauerte nicht allzu lange, bis auch ihre Augen sich schlossen und sich im Schlaf ein kleines, feines Lächeln um ihre Lippen bildete.

    Du musst nicht gleich gemein werden“, meinte Axilla etwas beleidigt und löste sich von ihrem Mann. Sofort war dann doch die Wut von vorhin wieder da, brachte sein Fehlverhalten in Erinnerung. Sie wollte ja nur das richtige tun, vertraute sich ihm an und er behandelte sie so von oben herab. “Du könntest dich auch einfach entschuldigen, sagen dass ich krank bin und das Essen leider ausfallen muss und du sie auf ein andermal vertrösten musst.“ Was war daran so schwer?
    Aber bevor Imperiosus jetzt hier anfing, mit ihr zu diskutieren, komplimentierte sie ihn auch schon aus ihren Räumlichkeiten. “Aber bitte, wenn du unbedingt mit ihr essen willst, iss.“ Mit einer wedelnden Handgeste scheuchte sie ihn schon fast von sich weg. War ihr doch egal, wenn er sich so ehrlos benehmen wollte. Aber er brauchte nicht von ihr verlangen, das gut zu finden, oder ihren Sohn da mit reinzuziehen.

    Axilla fühlte sich hin und hergerissen zwischen ihrem Versprechen an ihre Nachbarin – die ihr im Gegenzug dafür einen Weg für ihre Rache eröffnete! - und ihrem eigenen Wunsch, den Vescularier von dieser Feier auch fern zu halten. Sie wollte den Mann nicht treffen, schon gar nicht in diesem Rahmen und erst recht nicht nur mit einem Hauch von Nichts am Körper. Wer wusste schon, auf welche Ideen der Mann kam? Am Ende würde er sie wieder zu sich ziehen und auf eine Cline drücken, wie schon einmal. Auch wenn Imperiosus von diese einen Mal nichts wusste. Zumindest glaubte sie, dass er nichts wusste. Aber wenn Salinator auch auf der Feier wäre und sie da vielleicht aufeinander trafen.... Axilla wollte das wirklich nicht riskieren.
    “Wie gesagt, ich habe ihr auch schon gesagt, dass sie sich keine großen Hoffnungen machen soll. Und wenn du denkst, dass es unpassend wäre für ihn... ich will dir da nicht reinreden.“ Doch, wollte sie. Sie wollte ihm am liebsten sagen, dass er es einfach ablehnen sollte. Sein Patron würde sicher nichts gegen die Einladung haben, da war Axilla sich recht sicher. Er umgab sich ja jetzt schon mit Bettwärmern, was machte da noch eine Orgie aus? Aber Axilla war sicher nicht unglücklich, wenn er nicht kam.

    Das Wort „empfangen“ gefiel Axilla nicht und sie rümpfte leicht die Nase. Auch der Plan gefiel ihr nicht so wirklich, und sie bezweifelte sehr stark, dass Seiana irgendwas rausrutschen könnte. “Ich glaube eher, wenn du da irgendwelche Fragen stellst, wird sie noch paranoider, als sie sowieso schon ist.“ Das Angebot von vorhin mit dem Rauswerfen klang viel verlockender, und von Minute zu Minute besser. “Und mir wär auch lieber, wenn sie nicht hier im Haus essen würde. Ich will mir später nicht nachsagen lassen, ich hätte einen Gast betrogen.“ Das Gastrecht war etwas heiliges, was sogar über die Grenzen des römischen Reiches hinaus Gültigkeit hatte. Selbst die wildesten Barbaren kannten die Sitte. Wenn man mit jemandem Brot, Wein und Salz geteilt hatte, war er ein Gast und stand unter dem Schutz des Hauses. Axilla wollte aber ganz sicher nicht, dass Seiana sich in diesem Haus auch nur eine Minute sicher fühlte.
    “Ich werde auch der Amme sagen, dass Titus bei mir im Cubiculum bleibt. Ich will nicht, dass die Frau ihm zu nahe kommt.“ Axilla traute Seiana nicht mehr. Kein kleines bisschen. Ihre Drohung war der kleine, feine Tropfen gewesen, der das Fass endgültig zum Überlaufen gebracht hatte. Axilla würde sie nicht in die Nähe ihres Kindes lassen, damit sie es mit ihrem Gift verpesten könnte.

    Nur zu gerne ließ Axilla ihren Mann gewähren. Sie liebte es, wenn er die Situation steuerte, und so hatte sie gegen seine Bemühungen nicht die geringsten Einwände.


    Als sie eine schwitzige Weile später wieder erschöpft und mit pochendem Herzen beieinander lagen, hatte Axilla ihre Frage beinahe schon vergessen. Sie fühlte sich entspannt, geborgen, erschöpft. Hauptsächlich erschöpft. Und müde. Aber sehr wohlig warm dabei.
    Allerdings vergaß sie die Frage dann doch nur fast. Als ihr Herz sich beruhigt hatte und sie damit angefangen hatte, verträumt über die Brust ihres Mannes zu streichen, raffte sich ihr Geist dann doch noch einmal auf, die Frage zu formulieren, die sie jetzt so aufgeschoben hatte.
    “Achja“, begann sie also zaghaft. Es war ihr unangenehm, überhaupt noch einmal darauf zu sprechen zu kommen, aber immerhin hatte sie es ihrer Nachbarin versprochen. “Ich habe meiner Nachbarin noch versprochen, dich zu fragen, ob du deinen Patron fragen könntest, ob man ihn ebenfalls einladen darf.“ Axilla ließ die Frage nur einen Sekundenbruchteil im Raum stehen, ehe sie plappernd gleich fortfuhr, ehe Imperiosus Gelegenheit hatte, darauf zu antworten. “Ich hab ihr schon gesagt, dass sie sich da keine Hoffnungen machen soll, weil immerhin ist er der Kaiser, und auch wenn er... einen gewissen Ruf hat... ich weiß ja nicht... Also, Laronius ist zwar auch ein Ritter und sein Haus ist wohl auch ein wirklich stattliches Anwesen. Aber ich weiß ja nicht, ob Vescularius dennoch über die Einladung zu einer Orgie auch nur nachdenken würde... “ Vor allem würde es die Gefahr für Axilla minimieren. Wenn sie die Augen schloss, konnte sie immer noch seine Hände auf ihrem Körper fühlen, seinen Körper auf ihrem... Kurz durchlief sie ein kleiner Schauer, den sie nicht unterdrücken konnte.

    “Du kannst sie jetzt doch nicht zwei Stunden warten lassen, damit ich Baden kann und mich herrichten“, lehnte Axilla das Angebot ihres Mannes ab. Nein, so ging das auf gar keinen Fall, so gern sie die Decima auch demütigen wollte, aber so ging das einfach nicht. Axilla wusste sehr wohl, was einfach nur ihr Rachedenken war, und was davon wirklich umsetzbar war. Die Decima erst einladen und dann stundenlang herumstehen zu lassen, das war Rachedenken. So gut es sich auch angefühlt hätte, aber zumindest den Schein nach außen musste man wahren.
    Außerdem hatte Imperiosus sich die Suppe auch eingebrockt. Auch wenn er jetzt wirklich, wirklich, wirklich süß war und Axilla ihm auch vergeben hatte, dass er sie nicht gefragt hatte, ehe er die Decima hereingelassen hatte oder auch Axilla selbst das hätte regeln lassen – immerhin wollte die Decima zu ihr und nicht zu ihrem Mann – vergessen hatte sie es nicht. Von daher durfte Imperiosus die Suppe jetzt auch auslöffeln.
    “Du weißt so gut wie ich, dass das nicht geht. Schick sie meinetwegen weg, weil ich mich nicht gut fühle, aber ich kann so nicht runter gehen und wir können sie auch nicht so lange warten lassen. Das geht nicht. Und das weißt du.“

    So unglaublich fand Axilla das gar nicht, aber sie war ja auch dabei gewesen. Da hatte sich eines in das andere logisch eingefügt, so dass ihr bei keinem Schritt wirklich etwas außergewöhnliches aufgefallen wär. Da konnte sie es auch in komprimierter Form nicht so außergewöhnlich finden. Aber sie würde Diademata da auch sicher nicht widersprechen.


    Die Frage, die sie dann stellte, war da schon etwas schwerer zu beantworten. Wirkliche Verbündete hatten die Iunier so nun nicht. “Ich fürchte, unsere Männer sind zu unbedeutend, um wirkliche Verbündete gewinnen zu können. Außer selbstverständlich die Familien, in die wir bereits eingeheiratet haben.“ Was aber aus diesem Grund wohl auch für Diademata dann uninteressant wäre, immerhin bestand da schon eine Ehe. Aber wie immer galt die alte Weisheit, dass Freunde kamen und gingen. Nur Feinde sammelten sich an. “Allerdings wird sich das hoffentlich bald ändern. Mein Mann meinte, dass er Seneca vielleicht zum Ritterstand verhelfen kann. Als Eques kann er hier vielleicht mehr erreichen.“ Auch wenn Axilla das Gefühl nicht loswurde, dass das nicht passieren würde, wenn sie sich nicht auch doch selbst darum kümmern würde. Letzten Endes schien es ja immer so, als würde sie sich kümmern müssen.

    Eine seltsame Traurigkeit machte sich in Axilla breit. Sie realisierte, dass das eine Abschiedsfloskel war, und sie wusste, dass sie sich jetzt auch verabschieden musste. Aber sie wollte nicht. Sie wollte jetzt nicht wieder allein und im Ungewissen sein, darauf wartend, dass ihr Mann vielleicht zurückkam. Sie wollte nicht allein in ihrem Bett liegen und darüber nachdenken, was alles passieren würde und was passieren könnte, wie sie ihre Familie bei diesem ganzen Chaos würde beschützen können... Axilla wollte einfach keine Angst mehr haben. Aber es schien sich einfach nicht vermeiden zu lassen.


    Ihr Blick wurde trübe und auch wenn sie es wohl gewollt hätte, es woltle sich kein Lächeln zeigen, auch nicht bei dem Kompliment. Sie war traurig und zu weinselig, um das zu verbergen.
    “Dann sollte ich dich vermutlich zu deiner Frau wieder lassen, bevor es wirklich noch spät wird“, murmelte sie mehr, als sie sprach. Mit staksigen Bewegungen kam sie aus ihrem Korbsessel und stand nicht wirklich sicher da, wartete darauf, dass auch Macer sich erhob. Als er schließlich stand, wollte sie ihn richtig verabschieden, mit Kuss auf die Wange, aber ihre Füße wollten nicht so ganz mit ihr mit und sie fiel ihm halb entgegen. Sie fing sich an seinen Armen ab und musste sich einen Augenblick an ihm festhalten, um ihr Gleichgewicht zu bewahren. Ihre Wangen liefen knallrot an.
    “Ich glaube, ich hab ein wenig zu viel getrunken“, murmelte sie peinlich berührt und erschreckend ehrlich, ihren Gast entschuldigend anschauend. “Es war sehr schön, dass du heute gekommen bist“, überwand sie sich schließlich doch zu einer Abschiedsfloskel. Am nächsten Morgen würde sie für ihr heutiges Verhalten vermutlich am liebsten Sterben wollen, aber im Moment war eigentlich schlimmer, dass sie gleich allein sein würde.

    “Wenn ich jetzt 'ja' sage, überlegst du es dir dann noch einmal?“ fragte Axilla mit ihrem charmantesten Lächeln, als der Octavier sie ansprach. Natürlich war das ein Scherz und in ihrer Tonlage auch deutlich als solcher erkennbar, aber die Vorlage war zu gut, um sie ganz ungenutzt verstreichen zu lassen. “Ich hoffe, die junge Dame hat ihre Freude an dem Sklaven. Es war immerhin ein sehr stattlicher Preis. Ich fürchte, zu viel, um ihn vor meiner Familie rechtfertigen zu können.“ Gut, Axilla musste sich vor niemandem rechtfertigen und hätte auch noch höher gehen können. Aber so dringend wollte sie dem Sklaven dann auch nicht helfen. Und darüber hinaus hatte sie noch immer das Gefühl, dass es auch nicht recht war, wieder jemanden so nahe an sich heranzulassen wie Leander damals. Eine Sache, die sie aber hätte zulassen müssen, um das zu bekommen, was sie wollte.
    “Und falls du es nicht bemerkt haben solltest, ich glaube, du hast auch gleich einen Hund mit erstanden.“ Axilla deutete mit einem Finger in Richtung der Promenadenmischung. “Wenn mich nicht alles täuscht, gehört er zu dem Jungen.“ Vielleicht brachte der kleine Hinweis den Senator ja dazu, in einer Geste des Großmutes das Tier dem Sklaven zu gestatten.


    Allerdings war der Senator auch gleich wieder mit der Kaufabwicklung beschäftigt, und Axilla wollte auch ganz sicher nicht aufdringlich sein und sich in Dinge einmischen, die sie da nichts angingen. Der Octavier schien auch mit seiner... Tochter? Nichte? Axilla hatte keine Ahnung, auf jeden Fall schien er sich auch eher ihr widmen zu wollen, und Axilla hatte da auch nichts dagegen. Aufdrängen lag nicht in ihrer Natur. Zumindest nicht diese Art.

    Zweitausend Sesterzen, das war nicht mehr vernünftig. Axilla blickte zu dem Octavier und nickte ganz leicht anerkennend, aber erkennbar. Ihr Geldbeutel ließ zwar durchaus zu, da noch weiter zu bieten, allerdings wäre das dann doch wirklich etwas übertrieben. Sie brauchte den Sklaven nicht dringend, und bis Atticus in einem entsprechenden Alter wäre, würde sich sicher ein Lehrer finden. Sie blickte dennoch noch einmal leicht bedauernd zu dem Sklaven. Irgendwie hätte sie ihn schon gerne gehabt, aber so war es auch gut.
    Als der Sklavenhändler zu ihr rüberschaute, schüttelte sie den Kopf zum Zeichen, dass sie kein weiteres Gebot abgeben würde.

    Der Junge stammelte auf der Bühne ein Gedicht zusammen, versuchte auf die Fragen zu antworten. Er tat Axilla wirklich ausgesprochen leid. Die Gebote kamen, fünfhundert, siebenhundert... schließlich tausend Sesterzen. Sehr viel Geld für einen gerade Mal siebzehn Jahre alten Sklaven, der einem Lehrer gehört hatte. Aber er war gebildet, er war gehorsam. Er war etwas jünger als Axilla, aber nicht sehr viel.
    Sie biss sich auf der Unterlippe herum. Imperiosus würde sie für verrückt erklären, wenn sie den Sklaven zu kaufen versuchte. Sie brauchte ihn nicht einmal wirklich. Atticus war noch viel zu klein, als dass er einen Lehrer brauchte. Er konnte gerade mal laufen und kaum mehr als fünf Worte sprechen, noch nicht einmal zusammenhängende Sätze, auch wenn das sicher bald kommen würde. Was also sollte sie da mit einem Lehrer für Kinder? Andererseits hätte sie dann jemanden zum reden. Jemanden in ihrem Alter, mit dem sie einfach auch ihre Sorgen teilen konnte. Einen Verbündeten. Vielleicht.
    Sie biss so sehr auf ihrer Unterlippe herum, dass sie den metallischen Geschmack von Blut wahrnahm. Ihr Blick fiel wieder auf den Hund, der hier brav unter den Menschen saß. Axilla nahm Hunde meistens als im Dreck wühlende Streuner hier in der Stadt war. Die meisten, die nicht irgendwo angekettet waren, waren verhungerte Tiere, denen man nicht zu nahe kommen sollte, die die Müllberge nach fressbarem durchsuchten und sich auch gegenseitig mal an die Gurgel gingen und auch töteten aus lauter Hunger, sofern sie nicht vorher von der armen Bevölkerung der Stadt selbst gejagt und gebraten wurden. Und wenn ein ungewolltes Kind noch blutig und schreiend auf einem dieser Müllhaufen ausgesetzt wurde, waren es nicht selten die Hunde, die das Problem dann für den Hausherrn, der das neue Maul unter seinem Haus nicht wollte, lösten, ehe jemand anderes das Kind finden konnte. Elende und gefährliche Tiere waren diese Hunde. Aber dieser hier, der war brav, saß ruhig da, zuckte höchstens mal zurück, wenn ihm jemand zu nahe kam, schien aber ganz und gar nicht aggressiv zu sein. Vielleicht konnte er ja auch ein paar Hunde für die Casa Pompeia abrichten? Einen Wachhund vielleicht, der ihrem Haus etwas mehr Sicherheit noch geben würde? Und vielleicht war dieser Hund hier auch brav genug für Atticus, so dass ihr Sohn Tiere ein wenig näher kennen lernen konnte. Leider hatten sie in der Casa außer den Papageien, die Vala ihr zur Hochzeit hatte überbringen lassen, keine Tiere, und die beiden Vögel waren garstige und mitunter recht laute Tiere. Ein Hund war da... männlicher, und damit besser für ihren Sohn.


    Sie zögerte, rang mit ihren Händen, sah fragend zu Malachi. Der hatte natürlich wie immer keine Antwort für sie. Schweigsamer Schatten, und in solchen Fällen keine Hilfe. Es war so teuer! Und im Gegensatz zu ihrem Mann hatte Axilla kein so großes Vermögen. Immerhin war die Vermischung von Vermögenswerten von Mann und Frau nicht nur verpönt, sondern auch verboten.
    Sie würde gegen einen Senator bieten müssen. Auch noch einen Octavier. Axilla konnte sich keine neuen Feinde leisten, sie hatte so schon so viele. Wenn das wieder ein Decimer gewesen wäre oder der Terentier, da hätte sie nicht einmal überlegen. Da hätte sie schon aus Trotz mitgeboten, und sei es nur, um das Gebot in die Höhe zu treiben. Aber mit den Octaviern hatte sie noch keinen Streit bislang. Axilla war sich auch nicht sicher, welcher der Octavier ebenso wie ihr Mann Klient von Salinator war. War das Senator Octavius Macer oder Senator Octavius Victor? Und wenn, welcher von beiden war der da hinten? Axilla hatte nur grob die Standesabzeichen sehen können, aber so gut kannte sie weder die Senatorenschaft noch die Octavier.
    Bei den Octaviern hatte der Sklave es sicher auch nicht schlecht. Die Gens war wohl situiert, dort hatte er sicher auch besseres zu tun als bei ihr. Hatten die Octavier irgendwelche Kinder? Egal, dort ging es ihm sicher auch gut, die Octavier galten nicht als grausam. Auf der anderen Seite....
    “Eintausendzweihundertundfünfzig Sesterzen“, hörte sie sich selbst sagen. Verdammt viel Geld für einen nicht wirklich dringend gebrauchten Sklaven, aber... trotzdem glaubte Axilla, dass es richtig war.

    So wirklich viel konnte Axilla mit der Antwort nicht anfangen. Was sollte denn an der Politik neu sein? Irgendwie verwirrte sie das nur, und sie fühlte sich noch ein klein bisschen müder. Sie machte zwar “Hmmhmm“, als hätte sie es verstanden, aber eigentlich hatte sie das nicht.
    Ein bisschen verschlafen merkte Axilla, dass ihr Gast gar nichts mehr zu trinken hatte, und fragend schaute sie zu dem Sklaven mit dem Weinkrug. Der schüttelte kurz den Kopf, und nicht verstehend schüttelte Axilla den Kopf mit fragendem Blick mit. Es dauerte recht lange, bis ihr klar wurde, dass ihr Gast wohl nichts mehr trinken wollte. “Oh“ kam es da erkennend über ihre Lippen, ganz ohne äußeren Zusammenhang. Ein leises Stimmchen in ihr meinte, es wäre eine gute Idee, den Abend jetzt zu beenden. Aber eigentlich wollte sie nicht. Dann wäre sie wieder ganz allein. Axilla hasste es, allein zu sein. Zumindest, wenn sie sich auch allein fühlte. Sie hatte als Kind nie ein Problem gehabt, allein in den Wald zu gehen, auch wenn es da dunkel war und überall gefährliche Pflanzen wuchsen und man wegen Tieren aufpassen musste. Aber da waren die Bäume gewesen, und Axilla hatte sich nicht allein gefühlt. Aber hier im Haus, wo Imperiosus weg war, der Krieg drohte und sie sich ständig Sorgen machte, da fühlte sie sich allein. Sehr allein sogar.
    Auf der anderen Seite konnte sie ihren Gast kaum fragen, ob er über Nacht bleiben wollte. Er würde das anders auffassen, als sie es meinen würde. Bestimmt wäre er dann auch böse. Imperiosus wäre ganz sicher böse. Verlegen kratzte sie sich am Unterarm. Es fühlte sich seltsam deutlich an, viel wirklicher als normalerweise. Es tat irgendwie weh, obwohl sie nicht fest kratzte.
    “Es ist schon spät, oder?“ fragte sie schließlich, weil sie irgendwas ja sagen musste, aber mit ihrem inneren Konflikt nicht so wirklich umgehen konnte. Sie wollte Macer nicht verabschieden, aber hier behalten konnte sie ihn ja auch nicht, und irgendwas außer 'oh' musste sie sagen.

    Eigentlich war Axillas Vater nur einfacher Tribun gewesen und bei weitem kein Feldherr, aber das kümmerte sie gerade nicht. Imperiosus nahm sie, zog sie auf die Beine, küsste sie, und schwor ihr, schwor ihr, dass er sie und Atticus beschützen würde. Dass er die Decima vernichten würde, wegen ihr, für sie. Vor so viel Rührung wollte Axillas Herz am liebsten zerspringen. Sie umarmte ihren Mann wieder, fester, ganz fest, hielt ihn einen Moment einfach nur an sich gedrückt. “Ich liebe dich“ flüsterte sie, und sie meinte es auch so. Wo sie ihn vor wenigen Momenten noch gegen die Wand hatte klatschen mögen und sicher war, ihm niemals verzeihen zu können, für diese Sache liebte sie ihn. Nicht nur, weil er sie liebte, zu Atticus ein toller Vater war, ihr zuhörte, ihr Geschenke machte. Nein, es war mehr als Freundschaft, mehr als bloße Achtung und Anerkennung seiner Bemühungen. Es war anders, als sie es für Vala empfand. Anders, als sie es für Silanus empfunden hatte, auch anders als das, was sie für Archias empfunden hatte. Aber es war echt und es war da, und anders als mit diesen Worten konnte sie es auch nicht beschrieben.


    Sie stand einen Moment einfach so da, bis der Rest seiner Worte langsam zu ihr in ihr Bewusstsein gesickert war. Er hatte 'wir' gesagt. Nicht 'ich'.
    Langsam löste sich Axilla wieder von Imperiosus und sah ihn an. Sie wusste, wie sie aussah, wenn sie geweint hatte. Ihre Augen waren rot und glänzten, und ihre Haut war blass. Axilla wusste das. Und sie wusste, dass man das sah. “Ich kann nicht da runter. Nicht so. Das geht nicht.“ Die Decima würde ihre Schwäche sehen. Da wollte Axilla lieber auf der Stelle tot umfallen.

    Ein Teil von Axilla wollte laut 'JA' brüllen, als Imperiosus meinte, er könne die Decima auch wieder rausschmeißen. Ein Teil von Axilla wollte sie an den Haaren von Sklaven herausgezerrt wissen – oder sie selbst hinauszerren – und mit einem gekonnten Tritt auf die Straße in den Dreck befördert wissen. Aber der größere Teil von Axilla wusste, dass das wohl das einzige wäre, was noch schlimmer wäre, nun, nachdem der Ianitor die Decima schon reingebeten hatte.


    Und dann kam Imperiosus zu ihr rüber. Axillas Griff um sich selbst verstärkte sich, schon in Befürchtung der Dinge, die da kamen. Sie woltle von ihm nicht umarmt werden. Sie wand sich in seinem Griff, wollte ihn wegdrücken, knurrte ihn sogar an, setzte ihre Ellbogen ein, aber er ging nicht weg. Axilla wollte nicht von ihm jetzt umarmt werden. Er hatte sie verraten und gegen sie gestellt, sie wollte ihn hassen. Sie wollte jetzt allein sein, mit sich. Allein konnte sie es stumm ertragen. Allein konnte sie es in sich hineinfressen und vergraben, weg zu den vielen anderen Dingen, die dort vergraben worden waren unter Mauern aus Einsamkeit und Pflicht. Da konnte sie dann mit den Gefühlen umgehen, da konnte sie sie wegignorieren und weitermachen.
    Aber Imperiosus ließ sie nicht. Er umarmte sie, hielt sie fest, bis Axilla schließlich schluchzte und weinte. Wenn er sie so hielt, konnte sie nicht in stiller Wut bleiben. Wenn er sie so hielt, fühlte sie seine Nähe, roch seine Haut, spürte seine Wärme. Hörte sein Herz. Da konnte sie ihn nicht so hassen, wenn er der einzig konstante Punkt in einer bebenden Welt war. Uns so zerbrach ihr Widerstand weinend, und sie hielt sich an ihm fest, ließ das Gefühl zu und machte sich für einen Moment nichts daraus, dass sie doch stark und wütend und souverän sein wollte.
    Sie wusste nicht, wie lange sie da saß und heulte, allzu lange konnte es nicht sein. Irgendwann wäre sicher ein Sklave gekommen, um den Hausherrn zu fragen, ob man dem Gast schon was auftischen sollte. Da aber keiner kam, waren es wohl nur ein paar Minuten, bis sie sich wieder beruhigt hatte, um auf seine Frage antworten zu können. Er wusste das alles ja gar nicht. Vielleicht sah er es anders, wenn er es wusste.
    “Die Decima, sie... sie...“ Axilla atmete einmal lang und hörbar durch. Sie hatte keine Stimme für das, was sie sagen wollte. Und gleichzeitig schämte sie sich auch für einen Teil.
    Es war seltsam. Erst hasste sie Imperiosus und wollte nicht, dass er sie anfasste. Aber jetzt hatte sie weit mehr Angst davor, dass er sie loslassen könnte, wenn er von Axillas Schwangerschaft von Archias erfuhr. Zum Glück waren sie einander so nah, dass sie sein Gesicht nicht sehen konnte, und er nicht ihre verheulten Augen.
    “Ich war von Archias schwanger, bevor... als er noch mit ihr verlobt war. Er... wir... Er hat mich geliebt, weißt du. Und... ich wollte das nicht, dass das passiert. Aber... ich hab dann auch versucht, das Kind weg zu machen, weil ich es so nicht bekommen durfte. Und ich bin zu einem Heiler gegangen, um Kräuter dafür zu holen. Ich wusste nicht, dass der Heiler für die Decima gearbeitet hat, aber er hat. Und es hat nicht funktioniert. Ich hatte starke Schmerzen, und Leander, mein Leibsklave, er hat den Heiler dann nochmal geholt. Das Kind ist in mir geblieben, aber... ich war sehr schwach.
    Danach war da diese Hochzeit bei den Aureliern. Von Aurelius Ursus und der Tiberia. Ich bin mit Duccius Vala dahin gegangen, und Archias war so eifersüchtig, so unendlich eifersüchtig, dass er... er hat ihm eine Schüssel mit Essen über den Kopf geleert, obwohl die Decima daneben stand. Kurz danach hat er auch die Verlobung gelöst und kam zu mir, und ich hab ihm das mit dem Kind auch gesagt. Und er hat sich so gefreut darüber, und wollte mich heiraten.
    Aber... ich bin überfallen worden, auf dem Weg zu ihm. Leander hat sich zwischen mich und den Angreifer geworfen, und er wurde dabei getötet. Wäre nicht ein Passant zur Hilfe gekommen... Aber das Kind, es... es ist trotzdem... ich hab es verloren...“
    Axilla sank bei den Worten immer mehr in sich zusammen. Es war so unlogisch, um ein Kind zu trauern, das sie nie gehabt hatte und erst gar nicht hatte haben wollen. Aber was wäre alles anders gewesen, wenn es geboren worden wäre? “Ich hab mir damals nichts dabei gedacht, aber heute... der Heiler hat seiner Herrin sicher nach dieser Sache bei der Hochzeit und der neuen Verlobung mit mir erzählt, dass ich ein Kind von Archias erwarte. Das war kein zufälliger Überfall, es waren dutzende Menschen auf der Straße, und der Angreifer ist direkt zu mir gekommen. Direkt zu mir.“
    Axilla starrte auf den Boden, wollte Imperiosus Blick nicht sehen. Wollte keinen Ekel und kein Abscheu sehen, wenn er sie ansah, und sie fürchtete sich wahnsinnig, eben das in seinem Blick zu finden. Oder schlimmer, dass er sie für verrückt hielt und glaubte, das sei alles Einbildung.
    “Und da ist noch mehr. Ich... ich hab geschworen, nichts davon zu erzählen, aber... da ist eine Sache, wegen der ich die Decima auch vor einigen Wochen dann zur Rede gestellt habe. Ich wollte nur, dass sie aufhört, mehr nicht, aber... sie hat mir gedroht, hat gesagt, dass sie alle Iunii zu Fall bringen will, hat uns hier gedroht, Atticus... Ich hab sie geschlagen deswegen, da ist sie abgehauen. Und sie hat gesagt, dass das wegen Archias ist. Ihr Bruder hat mir auch schon einmal gedroht, das war bei einem Gladiatorenkampf, als wir uns zufällig getroffen haben. Er hat mich wegen Archias beleidigt und... aber jetzt gehen sie weiter! Sie greifen meine Gens an, Gaius, meine Familie. Das ist nichts, was man verzeihen kann. Jetzt gibt es keine Gnade mehr.“ Axilla konnte da nicht anders. Ihre Gens war das einzig wirklich wichtige für sie, mit allem, was dazugehörte.

    Axilla war zu verletzt, als dass die Worte wirklich zu ihr durchdringen konnte. “Du hast mich nicht einmal gefragt und kommst jetzt hier her, um von mir zu verlangen, sie als Gast hier im Haus zu empfangen? Mit ihr Salz und Brot und Wein zu teilen und sie damit nach den Sitten unserer Vorväter und aller zivilisierten Völker der Welt unter den Schutz des Hauses zu stellen, solange sie hier ist?“ Axilla schnaubte und wendete den Blick ab, weil noch mehr Tränen kamen.
    “Du hilfst mir kein bisschen“ kam es anklagend von ihren Lippen, und sie verschränkte die Arme, hielt sich selbst fest, um sich ein wenig Schutz zu geben. Sie fühlte sich kalt und tot und leer. “Du hast keine Ahnung, was sie alles getan hat. Sie ist niemand, mit dem ich streite, sie ist mein Feind, und mit Feinden esse ich nicht! Und ich will auch nicht, dass sie in die Nähe meines Sohnes kommt!“
    Sie schaute beständig beiseite, ihre Augen waren inzwischen rot und sie hatte einen bitteren Geschmack im Mund. Imperiosus machte sich das ganze sehr, sehr einfach, tat so, als ginge es hier um etwas, das man verzeihen konnte, über das man einfach hinweggehen konnte. Aber die Decima hatte versucht, sie zu ermorden! Auch wenn Axilla das erst neulich klar geworden war. Und sie hatte gedroht, die Iunier zu vernichten, hatte Seneca in Gefahr gebracht und war mit dem Mörder von Axillas Cousine verheiratet – noch. Sie war schuld daran, dass Axilla Archias alles mögliche unterstellt hatte. Vielleicht hatte sie sogar was mit dessen Tod zu tun, Axilla wusste es nicht. Im Moment konnte sie es sich aber gut vorstellen. Und ihr Mann stand da und tat so, als ob man sich da wieder einfach vertragen könnte, und lud sie auch noch zum essen ein. Für Axilla war das der schlimmste Verrat. Ich bin ganz allein...

    Eigentlich brauchte Axilla keinen Sklaven. Nein, ganz eigentlich brauchte Axilla seit Leanders Tod vor Jahren ganz dringend wieder einen Leibsklaven, aber uneigentlich wollte sie keinen. Der Gedanke daran, Leander zu ersetzen, als wäre er einfach nur ein Ding wie ein kaputt gegangener Schuh oder eine verlorene Brosche, war ihr unerträglich. Sie ging noch nicht einmal gern auf den Sklavenmarkt. Eigentlich ging sie so gut wie nie hier her. Auch heute war sie nicht wirklich hierher gegangen, sondern eher auf dem Weg hier durch, als das Rufen des Händlers – und vor allem die sich sammelnde Menge – sie stehen bleiben ließ. An ihrer Seite befand sich wie immer, wenn sie ausging, Malachi wie ein gewaltiger, drohender Schatten und hielt die Leute auf Armlänge von ihr zurück, für den Fall dass ihr Status nicht reichte, um ihr Platz zu verschaffen. Immerhin war sie die Frau des höchsten Beamten der kaiserlichen Kanzlei, des Ohrs des Imperators!
    Aber zumindest das hatte Leanders Tod sie gelehrt: Rom war gefährlich, und Klingen lauerten überall. Da hatte sie gern jemand an ihrer Seite, der sie verteidigen konnte. Und Malachi als Gladiator konnte.


    Der Junge auf der Bühne sah irgendwie verloren aus. Ein bisschen eingeschüchtert, und als ein Hund kläffte, suchte der Sklave geradezu hoffnungsvoll nach dem Tier. Irgendwie tat der Bursche ihr leid. Die ersten Gebote kamen auch gleich von den üblichen Verdächtigen, auch ohne auch nur mit dem Sklaven einmal zu reden. Prestigebesitzer. Der Bursche tat Axilla gleich nochmal mehr leid.
    “Wie alt bist du? Hast du schon Erfahrung mit Kindern?“ fragte Axilla dann einmal ein wenig genauer nach.

    Erst war Axilla nur etwas auf und ab gegangen, wie ein gefangener Löwe in einem viel zu engen Käfig. Sie hätte schreien wollen, so laut, bis ihre Lungen brannten, aber sie durfte nicht. Die Decima hätte es gehört, und sie wollte ihr ganz sicher nicht diese Genugtuung geben. Eher wollte Axilla an dem unterdrückten Schrei implodieren.
    Ziwmlich schnell aber hatte sie sich hinter ihren Schreibtisch gesetzt und sich darauf konzentriert, zu atmen. Zu schnauben hätte die Intensität wohl eher beschrieben, mit der sie vor heißer, sich durch die Eingeweide fressender Wut dasaß und vor sich hinstarrte. Tränen waren ihr in die Augen geschossen und rannen verräterisch und leise über ihre Wangen. Sie fühlte sich so unendlich verraten, dass sie nichts dagegen tun konnte. Aber solange die Tränen nur leise waren, war ihr das auch egal. Die Decima würde nie etwas davon erfahren, sie war hier ganz allein.


    Nun, nicht lange, denn schon bald darauf ging die Tür auf. Fast hätte Axilla losgelacht, als sie die Worte gehört hatte. Dass sie und die Decima sich nicht mochten? Seiana hatte alles daran gesetzt, alles was Axilla jemals etwas bedeutet hatte, zu zerstören, und im Moment war ihr Vetter an der Reihe. Aber diesmal würde Axilla es nicht in dummer Naivität einfach zulassen, diesmal würde sie nicht brav und sittlich und voller Vertrauen in die Götter einfach abwarten und nichts tun. Diesmal würde sie kämpfen, ohne Gnade. Auch wenn ihr Mann ihr dabei in den Rücken fiel.
    “Geh!“ war das erste, was sie sagte, als sie mit roten Augen und zornigem Blick langsam aufschaute, unendlich verletzt von dem Mann, der ihr hier so gegenübertrat. “Geh zu ihr, wenn du so viel mehr Wert auf sie legst als auf mich. Geh einfach!“

    Axilla konnte mit ansehen, wie ihre Cousine den Mund zum Sprechen erst aufmachen wollte, dann aber doch wieder schloss. Ganz offensichtlich war Axilla mal wieder die Zerstörerin einiger Träume gewesen, auch wenn sie sowas gar nicht sein wollte. Warum passierte ihr das aber trotzdem andauernd? Noch eine Sache, wegen der sie Seneca eigentlich hätte hauen sollen. Er war der Mann! Er wollte auch das Familienoberhaupt sein! Axilla wollte das gar nicht. Sie wollte nicht alles planen müssen, alles machen müssen, sich um alle sorgen müssen, sich um alles kümmern müssen. Das war seine Aufgabe! Wie kam es also, dass sie das machen musste? Ebenso das mit der Decima. Und überhaupt! Ein bisschen Bitterkeit kam bei Axilla auf, als sie daran dachte, wie er sich bei ihr beschwert hatte, er würde sich eingeengt fühlen. Was sollte sie dann erst sagen? Erst hatte sie eine kranke Mutter, um die sie sich hatte kümmern müssen, dann im Alter von 15 eine Erbschaft und Schulden, die sie hatte bewältigen müssen und eine Reise um die halbe Welt. In Ägypten hatte Axilla Urgulania gehabt, bis diese ermordet worden war. Das war die einzig sorgenfreie Zeit in ihrem Leben gewesen, aber sobald sie nach Rom gekommen war, hatte sich das geändert. Und es wurde immer mehr und immer schlimmer. Das war nicht fair.


    Die Frage von Diademata riss Axilla aus ihren eigenen grüblerischen Gedanken über die Ungerechtigkeit der Welt, und sie musste kurz überrascht blinzeln. “Warum...? Oh, das, öhm, das ist eine komplizierte Geschichte.
    Bei den Terentiern war es so, dass Terentius Cyprianus in Ägypten Präfekt war und er die politische Unabhängigkeit der Poleis Ägyptens nicht akzeptieren wollte. Die Alexandriner waren sehr aufgebracht wegen seiner Vorgehensweise. Iunia Urgulania war zu der Zeit in der Stadtverwaltung Alexandrias als Magistrat“
    , Axilla verzichtete auf die griechischen Bezeichnungen, sie hatte keine Ahnung, ob Diademata mit denen was hätte anfangen können, und sie wollte sie nicht mehr verwirren als zwingend nötig. “und hat da auch versucht, auf ihn einzuwirken. Aber seine Antwort bestand darin, zu drohen, sämtliche Politiker Alexandria ans Kreuz nageln zu lassen, sie eingeschlossen, sofern Alexandria nicht tue, was er wolle. Urgulania hat daraufhin eine Klage in Rom angestrebt, die allerdings von Vescularius für den Terentier abgeschmettert wurde. Urgulania hat schon etwas befürchtet und mich auch eindringlich gewarnt, ich solle vorsichtig sein, wenn ich das Haus verlasse. Ich bin schließlich nach Rom gegangen. Und einige Wochen später fand man sie vor dem Tempel der Tyche. Jemand hatte ihr die Kleider vom Leib gerissen und mit einem Messer das Wort 'Hure' in die Haut geritzt. In ihrer Hand fand sich noch ein abgerissener Militärgürtel, aber es wurde nie jemand verhaftet. Wie auch, wenn der Befehl zum Mord vom Präfekten der Provinz kam, der damals noch dazu die Legion unter sich hatte?“ Axilla war sich so verdammt sicher, was diesen Mord an ging, dass es für sie nicht den Hauch eines Zweifels gab. Das war zu logisch, das passte alles ineinander. Und sie hatte das meiste davon ja auch hautnah miterlebt.


    Und...Also bei den Decimern war es so, dass unsere Familien einander eigentlich einmal sehr nahe standen. Ich kam auch nach Rom auf Einladung von Senator Decimus, der der Patron von Lucius Silanus war. Aber, die Sache ist die... Also, Decima Seiana war verlobt mit Caius Aelius Archias, einem entfernten Verwandten von Kaiser Valerius. Ich habe ihn in Alexandria zufällig kennen gelernt, als er dort Praefectus Vehiculorum beim Cursus Publicus war. Auf jeden Fall haben wir uns angefreundet, und ich fand das auch ganz unschuldig, hatte keinerlei Ambitionen. Allerdings er... er hat sich wohl in mich verliebt. Und als ich dann in Rom war und ihm auch gesagt habe, dass ich hier einen Ehemann suche, hat er sich äußerst eifersüchtig aufgeführt. Auf einer Hochzeit bei den Aureliern – das sind Patrizier und waren ihrer Zeit sehr wichtig – hat er meiner Begleitung vor lauter Eifersucht eine Schüssel mit Nachspeise über den Kopf gekippt! Obwohl Decima Seiana als seine Begleitung direkt daneben stand!“ Selbst beim nacherzählen klang es mehr als nur peinlich. Axilla fragte sich, wie sie das damals nur nicht hatte so sehen können.
    “Auf jeden Fall wollte er die decima dann nicht mehr heiraten, sondern kam zu mir immer öfter zu Besuch, erzählte mir von seinen Zweifeln. Ich hab versucht, ihn zu überzeugen, dass er die Decima heiraten sollte, aber er wollte nicht. Stattdessen hat er mich geheiratet. Ich hätte ihn vielleicht abweisen sollen, aber... ich hatte ihn auch irgendwie gern und er konnte sehr charmant sein. Und er war mit dem Kaiser verwandt! So jemanden weist man nicht einfach so ab. Ich hätte auch sein Kind bekommen, wäre ich nicht einmal auf einem Weg überfallen worden...“ Plötzlich stockte Axilla. Gedanken schossen durch ihren Kopf. Sie hatte jetzt bei der Erzählung die Reihenfolge ein wenig vertauscht, Diademata musste nicht wissen, dass Axilla schon lange schwanger war, bevor Archias die Verlobung zu Seiana gelöst hatte. Aber der Überfall, das war erst nach dieser Hochzeit bei den Aureliern gewesen. Als Seiana sehr beschämt worden war durch Archias und wütend davongegangen war. Und als Axilla damals das Kind hatte loswerden wollen, hatte der Zufall es so gewollt, dass sie dazu den Heiler aufgesucht hatte, den sie beschäftigte. Der auch zu ihr gekommen war und gewusst hatte, dass die Abtreibung missglückt war. Der der Decima leicht hätte erzählen können, dass Axilla schwanger war. Und die sich nach DER Vorstellung von Archias auch hatte denken können, von wem...
    Axilla versuchte, sich nichts anmerken zu lassen, und sie nahm noch einmal einen Schluck Saft, um ihre Gedanken zu ordnen. Aber es war so verdammt offensichtlich! Wie hatte sie DAS nur übersehen können? Die Decimer hatten wenig Skrupel, ihre Interessen durchzusetzen. Der letzte ehrbare Vertreter ihrer Gens war Deicmus Livianus gewesen, und der war in Hispania, halb verbannt. Sein eigener Sohn, wenngleich durch Adoption, hatte sich seinem Erzfeind angeschlossen! Und seine Schwester, die die Nichte von Livianus war, hatte sich an den Terentier geschmissen, um sich noch enger an den neuen Kaiser zu binden. Was war bei diesem Verrat innerhalb der eigenen Gens, der eigenen Familia, schon der Mord an einem unehelichen Kind des eigenen verlobten samt dessen Mutter? Wäre Leander damals nicht gewesen...
    “Und Decima Seiana hat nun Terentius Cyprianus geheiratet. Du kannst dir also vorstellen, wie die beiden gemeinsam für die Iunii empfinden, und damit auch deren Familie. Decimus Serapio hat sich schon dazu herabgelassen, mich zu beleidigen, und Decima Seiana hat mir auch schon gedroht, ebenso Terentius Cyprianus.“ An Feinden mangelte es wohl wahrhaftig nicht.