Axilla war noch nicht einmal richtig zuhause angekommen. Sie hatte gerade die Tafeln in ihrem Officium abgeladen, war aber im Moment viel zu aufgekratzt, um wirklich etwas davon zu bearbeiten. Den ganzen Weg über hatte sie über die unverfrorene Decima nachgedacht und sich aufgeregt. Wie konnte diese Person nur annehmen, sie so einfach zu sich bestellen zu können? Was glaubte sie, wie sie mit Axilla umgehen könnte? Aber vermutlich war die Iunia da auch selber dran schuld. Wie viele Jahre hatte sie damit verschwendet, den Fehler mit Archias wieder bei der Deicma gut zu machen? Wie viele vergebliche Versuche zur Aussöhnung hatte sie unternommen? Es waren etliche gewesen, und noch mehr Entschuldigungen und Erniedrigungen. Natürlich musste diese hochnäsige Person da denken, dass sie da mit Axilla umspringen konnte wie mit einer Untergebenen.
Aber damit war jetzt Schluss! Eigentlich sollte sie der Decima dankbar sein, dass sie sie von dieser Bürde befreit hatte. Axilla war seit langer Zeit endlich frei von jedweden Schuldgefühlen oder Gedanken an Verpflichtungen jemandem anderen außerhalb ihrer Familie gegenüber. Sie war so lange so unglaublich dumm gewesen und hatte so viel Zeit auf eine absolut sinnlose Tätigkeit verschwendet! Aber das würde ihr nie wieder passieren. Sie würde nicht länger irgendwas hinterherrennen, was ohnehin nicht passierte, und sich damit einer halbperegrinen Ehebrecherin unterordnen. Ganz sicher nicht!
Axilla ging in ihrem Officium ein wenig auf und ab, versuchte die Gedanken zu beruhigen. Es fühlte sich so unendlich gut an, sie zu haben. So kraftvoll und stark. Sie hatte schon einmal diese Wärme in sich gefühlt, als sie den Terentius verflucht hatte, den Seiana geheiratet hatte. Kurz stockte sie in ihrem Schritt. Ob das eine Auswirkung des Fluches war, dass Seiana fremd gegangen war? Sie hatte immerhin einen erheblichen Fluch ausgesprochen. Nehmt seine Arme, denn alles, was er berührt, soll zum scheitern verurteilt sein. Es soll unter seinen Fingern verrinnen wie der Sand der Wüste, soll zerbrechen und zerreißen, soll verrosten und verderben. Keine Erfolge soll er mehr vorzuweisen haben, keine Gunst. Sein Besitz soll ihm entgleiten und von Plagen heimgesucht werden, bis er nichts mehr besitzt... Axilla erinnerte sich noch genau an ihre Worte. Und bestimmt hatte er die Decima berührt, und nun zerrann seine Ehe ihm...
Sei es drum! Axilla hatte deshalb keine Schuldgefühle. Er hatte es nicht minder verdient als die Decima. Und Axilla würde ihren Teil dazu beitragen, ihre Familie zu retten und die seine – oder besser die der Decima – dabei zu vernichten.
Axilla hörte unten die Tür gehen und die Stimme des Ianitors, wie der jemanden begrüßte – und Axilla auch gleich daran erinnerte, dass das Abendessen ja gleich soweit war. Aber wer besuchte die Pompeier schon am späten Nachmittag?
Eine Sekunde später hatte sie ihre Antwort und verdrehte schon die Augen. Sie ging wieder zurück zu ihrem Schreibtisch und fing schon einmal damit an, ihre Tafeln zu ordnen. Wenn der Bursche sie gleich fragen würde, ob sie die Decima empfangen wollte, wollte sie schon alles soweit geordnet haben. Oh, sie würde die Frau empfangen, hinter ihrem wohlgeordneten Schreibtisch sitzend und äußerst kurz. Sollte sie ruhig wissen, dass sie nach ihrer letzten Drohung hier keine Freunde mehr hatte.
Allerdings kam der Bursche nicht. Und als es Axilla nach einer Minute dann doch unheimlich wurde und sie wieder zur Tür ging, um zu [strike]lauschen[/strike] hören, was da los war. Die Antwort, die sie bekam, ließ allerdings sämtliche Farbe aus ihrem Gesicht weichen. Wie konnte er nur? WIE KONNTE ER NUR? Er fragte sie noch nicht einmal, ob sie einen Gast empfangen wollte. Noch dazu die Decima, von der er wissen musste, dass Axilla sich nicht gut mit ihr verstand. Er hatte wissen müssen, wie die Decimer ihr gegenüber standen. Und er lud sie zum essen ein und fragte seine Frau noch nicht einmal?!
Axilla war vor Wut komplett weiß geworden. “Du!“ zischte sie einen Sklaven auf dem Gang nur kurz an und bemühte sich sehr um einen leisen Tonfall. “Geh zu meinem Mann und sag ihm“ Dass er nicht einmal daran denken soll, in den nächsten Jahren sie auch nur mehr anzusprechen, geschweige denn ihr Schlafzimmer zu betreten. Dass er ein ungehobelter Hohlkopf ist. Dass er, wenn er die Decima so gern hat, ja SIE heiraten kann, wenn er zu seiner jetzigen Frau nicht halten will. Dass sie ihn hasste. “Sag ihm, ich fühle mich nicht wohl und werde beim Essen nicht anwesend sein. Los!“ Axilla war eigentlich nie aufbrausend und herrisch, und dass sie es jetzt war, ließ den Sklaven fast über seine Füße stolpern, als er sich aufmachte, seinem Herrn mitzuteilen, dass dessen Frau am Essen nicht teilnehmen würde.