Beiträge von Lycidas

    Stille füllt die flimmernde Rotunde;
    aus den Marmorsäulen
    blickt die Mittagsglut.
    -Das Erwachen, Demel


    Im Schatten einer Palme hat sich der Jüngling auf einer weißen Bank niedergelassen. Ein goldener Reif umschließt seinen Hals. Wasserblaue Juwelen sind darin eingelassen. Über der Insel liegt die Mittagshitze, macht die die Lider schwer. Den Kopf geneigt, die Augen halb geschlossen, spielt Lycidas leise auf seiner Lyra. Er liebt dieses Instrument. Mehr als alles andere auf der Welt. Sanft, dem auf und ab der Wellen folgend, die unweit an das Ufer rollen, zupfen schlanke Finger die Saiten. Schwebende Klänge wehen über die Insel. Verbinden sich zu sublimen Harmonien.


    Viel Zeit ist seit der Rückkehr verstrichen. Lycidas geht es gut. Denn sein Herr ist zu krank gewesen, um ihn zu tyrannisieren. Ein Fieberschub folgte auf den anderen. Ärzte kamen und gingen.
    Der neue Verwalter Myron kümmert sich um alles. Setzt die Wünsche des Herrn um. Die Sklaven in den Käfigen sind verkauft. Handwerker, Gärtner, Maler wurden von Alexandria übergesetzt. Ihre Arbeit lässt die Villa in neuem Glanz erstrahlen.


    Lycidas interessiert sich kaum für diese Dinge. Er ist froh, die Insel nicht noch einmal verlassen zu müssen. Die Außenwelt dünkt ihm bei weitem zu bedrohlich. Und zu schmutzig. Er ist sich selbst überlassen. Hat Zeit für sich. Zeit für seine Lyra. Ein Ibis gleitet über den See. Schwingt sich hoch auf und scheint mit der Sonne zu verschmelzen. Traumverloren webt der Sklave seine Melodie.

    Unsicher, ob dieses Ansinnens, verharrt Lycidas in der Bewegung. Was mag der Athlet im Sinn haben. Ist er nur neugierig? Wegen der Stummheit. Oder will er sehen, ob Lycidas eine Krankheit in sich trägt? Bevor er ihn zu seiner Verlobten bringt.
    Gehorsam öffnet der Sklave den Mund. Streckt eine rosige Zunge heraus, an der kein Makel zu finden ist. Er hebt das Gesicht zu Ánthimos und lässt diesen die Zunge begutachten. Sieht ihn dabei fragend an, und blickt auch zu Marcus, um zu erfahren ob möglicherweise auch er die Zunge zu sehen wünscht. Irgendeine Bewandtnis muss es damit haben.

    Alt. Blind. Krank. Wie vom Schlag getroffen steht der Jüngling. Augen weit aufgerissen. Nasenflügel beben. Lippen öffnen sich, scharf zieht er die Luft ein. Es gibt einen erschrockenen Laut.
    Da wirst du deinem Herrn ausrichten müssen. Dass sein Wunsch nicht zu erfüllen ist.
    Blankes Entsetzen überkommt Lycidas. Bei dieser Aussicht. Das gibt es nicht, für seinen Herrn. Wünsche die unmöglich sind. Schuld sind immer seine Lakeien. Wenn sich die Welt dem Claudier nicht fügt.
    Lycidas presst die Hand vor den Mund. Senkt den Kopf. Seidig fallen die Strähnen um sein Antlitz. Seine Schultern zucken. Er will nicht enden wie Sabef. Dessen Kreuzigung er an Morgen sah. Der vielleicht noch immer stirbt. Leidet. Qualvoll sein Leben aushaucht. Stück für Stück. Lycidas will doch nur leben. Und etwas Musik machen. Ruhig und friedlich. Er ist bescheiden.
    Die Verlobte, vielleicht ist sie die Rettung. Furcht glänzt in Lycidas Augen, doch zugleich diese vage neue Hoffnung, als er wieder den Athleten anblickt. Frenetisch nickt er, auf dessen Vorschlag hin, und macht eine hastige Bewegung in die Richtung, in die der Mann namens Marcus ihn führte. Gen Museion.

    Argwöhnisch erscheint der junge Athlet. Indigniert. Über Lycidas' Suche. Barsch klingt seine Frage in Lycidas' Ohren. Ganz sacht hebt der Sklave die Hand, behutsam, in beschwichtigender Geste. Er will niemandes Zorn erwecken. Um keinen Preis. Der Mann scheint den Künstler zu kennen! Womöglich kann er helfen.
    Wach huschen Lycidas' Augen vom einen zum anderen. Zu Marcus und wieder zu Anthimos. Sodann nimmt er die Schreibtafel zur Hand. Helle Intarsien zieren ihren kirschhölzernen Rand. Flink gleitet der Stylus durch das Wachs. Formt Sätze. In makellosem Attisch sowie in bildschöner, gestochener Handschrift. Trotzdem die Situation der Schreibhaltung nicht zuträglich ist. Wie so vieles an dem jungen Mann ist auch seine Schrift ein Kunstprodukt. Erworben durch Drill und harte Zucht.
    Herauf bietet er Ánthimos die Tafel zum Lesen an. Mit geschmeidiger Handbewegung. Die Augen höflich gesenkt.



    Chaire werter Herr. Es ist der Wunsch meines Gebieters, den grössten Künstler von Alexandria mit der Erschaffung eines Oeuvre zu betrauen. Darum suche ich den erhabenen Philolaos.
    Meine bescheidene Person wäre sehr verbunden, wenn Du, werter Herr, mir die Güte erweisen würdest, mir über den rechten Weg zum Meister der Kithara Auskunft zu geben.

    Es ist ein Abenteuer für den jungen Lycidas. Der sonst niemals aus dem Umkreis seines Herrn herauskommt. Sei es auf der Insel oder auf Reisen. Oder gar in Kontakt mit fremden Menschen tritt. Ausserhalb des Kosmos, in dem sich alles um die claudischen Geschwister dreht. Einer in sich geschlossenen Welt, die Lycidas so lange schon bewohnt, dass er sich eines anderen Daseins kaum mehr entsinnen kann.
    Wiederum angesprochen zu werden, macht ihn nervös. Der Klang der Stimme ist ruhig, doch das kann allzuschnell umschlagen. Tief eingefleischter Argwohn lässt ihn Kritik wittern. Auf dem Grunde der Fragen. Mit einem schnellen Blick über die Schulter vergewissert er sich. Sein Beschützer ist noch da.


    Darauf versucht Lycidas Antwort zu geben. Er führt die Hand zum Mund, die schlanken Finger geschlossen und gestreckt. In einer öffnenden Bewegung gleitet seine Hand nach vorne. Leicht aufwärts, locker spreizen sich dabei die Finger. Sodann schüttelt er den Kopf. Legt die Hand versiegelnd auf die geschlossenen Lippen. Während die Hände sprechen, in klaren, deutlich akzentuierten Gesten, ist seiner Miene nichts zu entnehmen als Gleichmut. Sanfte, gefällige Harmonie.
    Lycidas wendet sich der zweiten Frage zu. Zuerst vergewissert er sich, nur aus den Augenwinkeln, dass der Mann ihn ansieht. Dann tippt er sich sacht mit der Fingerspitze auf die Brust, spreizt Daumen und Zeigefinger der rechten Hand und legt sie um das linke Handgelenk, dann die entsprechenden Finger der Linken um das rechte Handgelenk. Er hebt die Hände, deutet vor sich eine grosse Gestalt an. Fliessende Handbewegungen folgen dem Faltenwurf einer imaginären Toga. Kurz berühren Lycidas' Fingerspitzen das um seinen Knöchel geschlungene Sandalenband, dann malt er einen Halbmond in die Luft.


    Eine besonders erbärmliche Hütte am Wegesrand fesselt seinen Blick. Lässt ihn die Pantomime unterbrechen. Nur der Schmutz scheint die rissigen Wände noch zusammenzuhalten. Fliegen schwärmen. Eine Horde von Schmuddelkindern spielt dort in einer lehmigen Pfütze. Lärmend. Rasch tritt der Jüngling beiseite, bevor ein Fleck sein Gewand beschmutzen könnte. Bevor die schmierigen Hände, die sich almosenheischend ausstrecken, ihm zu nahe kommen.


    Dann mählich wird die Gegend etwas ansehnlicher. Mit Erstaunen sieht Lycidas den Gruss der Stadtwächter gegenüber seinem Führer. Der Mann muss bedeutend sein, in der Stadt. Auch wenn er gar nicht wie ein Krateide aussieht. Und sich ohne Eskorte bewegt. Sonderbar. Und bekannt ist er. Schon tritt ein weiterer Mann hinzu. Gewiss ein Athlet. Den Gruss erwidert Lycidas mit einem schüchternen Nicken. Und strebt, unwillkürlich, wieder eine Spur näher an seinen Schatten heran. Marcus ist also der Name.

    Er wartet. Hofft, dass der Ägypter nicht losgegangen ist, um eine Bande von Strassenräubern zusammenzurufen. Die erst den Meroer und dann ihn totschlagen werden. Mit der flachen Hand streicht Lycidas an seinem Chiton entlang. Verlagert das Gesicht von einem Bein auf das andere. Blickt timide beiseite, als ihn zwei Frauen, die mit Eimern zum Brunnen gehen, anstarren.
    Der Mann, der als nächstes auf dem Platz erscheint, will auch nicht in das Ensemble des Elends hineinpassen, welches hier in diesen Strassen spielt. Lycidas ist erstaunt. Gleichwohl er schon viel gesehen hat. Doch niemals eine solche Tracht. Einen Wimpernschlag später schon verbirgt er die Verwunderung hinter einer Miene sanfter Gleichmut. Um den sonderbaren Mann nicht zu reizen. Denn er weiss wie empfindlich Exzentriker sein können. Lycidas weicht ein wenig zurück, als er angesprochen wird. Näher an den Custos heran. Ein stummer Berg von Muskeln, eine beruhigende Präsenz.


    Die Worte sind freundlich. Wohlklingend in den Ohren des Jünglings. Lycidas lächelt scheu. Grüsst mit einem feinen Neigen des Kopfes. Nickt, erleichtert verstanden worden zu sein. Und nickt gleich noch einmal emphatisch! Froh über die Aussicht auf Hilfe, beglückt diesen schrecklichen Ort gleich wieder verlassen zu können.
    Zum Museion. Im Wirrwarr der Gassen vermag Lycidas nicht zu sagen, in welche Richtung es liegen mag. Er richtet sich nach dem hilfreichen Griechen. Geht leichten Schrittes neben ihm her, in einem Abstand von eineinhalb Armlängen. Gefolgt von zwei Schatten. Einem schmalen, kurz zu dieser Tageszeit, der flink über den rissigen Boden hinweggleitet. Und einem massigen dunklen.
    Im Gehen wagt Lycidas es kurz, zu dem Mann aufzusehen. Neugierig huscht der Blick seiner Augen, in welchen die Farbe des Meeres liegt, über die fremdartige Gestalt. Doch sobald es scheint, dass der andere ihn wahrnimmt, schlägt Lycidas die Augen schnell wieder nieder.

    Eine elegante Sandale, aus fein geprägtem Gazellenleder gefertigt, berührt den Staub der Strasse. Zögerlich. Darin ein schlanker Fuss. Darüber eine knabenhafte Wade. Der Saum des Chitons wellt sich bei jedem Schritt. Ihn ziert eine kunstvolle Stickerei, dem Schwung von Meereswogen nachempfunden, silberne Wirbel auf cremeweissem Grund. Zaudernd folgt der zweite Fuss.
    Lycidas geht in der Mitte der Strasse. Er hält Abstand von den Häusern. Entsetzlich ärmlich sind sie. Laute Stimmen dringen bis auf die Stasse, die diesen Namen nicht verdient. Es ist mehr eine Rinne zwischen den Hütten. Staubig und schmutzig. Lycidas weicht einem Haufen fauliger Abfälle aus. Rümpft ein wenig die zarte Nase, auf der kleine Sommersprossen fein dahingetupft sind.
    Die Bewohner des Viertels bedenkt er mit misstrauischen Blicken. Hätte er nicht einen Leibwächter bei sich, Lycidas hätte sich nicht nach Rhakotis getraut. Es ist einer der Männer, die sein Herr in Meroë erworben hat. Schwarz und massig, mit Muskelsträngen wie ein Büffel, und tiefen Schmucknarben auf den Wangen. Er überragt Lycidas bei weitem, folgt ihm auf den Fuss. Ist sein Schatten. In der Hand trägt er einen langen Stab, am Gürtel einen Wasserschlauch, und den Kasten mit Lycidas' Instrument auf dem breiten Rücken.


    Hier soll der grosse Künstler wohnen? In dieser erbärmlichen Umgebung? Lycidas vermag das kaum zu glauben. Sein Herr hat ihm gesagt, er erinnere sich noch gut wie es ihm vor Jahren, vor der grossen Reise in den Süden, einmal vergönnt gewesen sei, den göttlichen Philolaos zu hören. Ein grosser Kitharode, der Grösste von Alexandria. Da ist Lycidas natürlich sehr neugierig. Doch je weiter er dem Weg folgt, den man ihm am Portus Mareotis beschrieb, um so stutziger wird er. Auf einem kleinen Platz mit einem Ziehbrunnen bleibt er stehen. Hinter ihm der Meroër. Die Sonne flirrt auf den Schindeln der Dächer. Schmutzige lehmbraune Töne umgeben den Jüngling in seinem duftigen hellen Chiton. Unschlüssig sieht er sich um. Streicht sich eine güldene Strähne hinter das Ohr.
    Womöglich ist die Beschreibung falsch. Lycidas wünschte, all die anderen wären nicht fortgelaufen. Dann könnte er sich friedlich, im Schatten duftender Zedern, von der strapaziösen Reise erholen. Seine Schönheit pflegen, seinen apollinischen Glanz zurückgewinnen. Und sich ganz seiner geliebten Musik widmen! Anstatt Botengänge zu tun, für die er nicht geeignet ist. Hier in diesem schmutzigen Viertel der Armen.
    Schliesslich fasst er sich ein Herz. Geht auf die nächste Person zu, die den Platz betritt, und die nicht wie ein Halsabschneider aussieht.
    Höflich neigt Lycidas das Haupt zum Gruss. Zeigt ihr sodann eine kleine Wachstafel, mit dem Namen Philolaos. Eine Kithara ist darunter in das Wachs gezeichnet. Zudem hebt der junge Lyder die Hände, lässt die Finger sacht an imaginären Saiten zupfen, in einer anmutigen Pantomime des Spiels auf diesem Instrument. Darauf deutet er fragend in die verschiedenen Richtungen, auf die umliegenden Häuser. Und blickt die Person hilfesuchend an.


    Sim-Off:

    Wer weiss Rat? ;)