Beiträge von Prudentia Thalna

    Nun musste Thalna doch leise kichern. Man konnte Schnee sicherlich in Germanien nicht nur erwarten, sondern dort auch garantiert bekommen. Auch was ihren Cousin anbelangte wusste sie Bescheid, da war sie sich ziemlich sicher. Das hatte sie gewusst! Noch einmal trank sie einen Schluck aus dem becher. Doch das getragene Seufzen ließ Thalna wieder aufhorchen. Sie war also nicht alleine mit ihrem Schicksal.
    "So war es bei mir auch. Zumindest so ungefähr," sagte sie. Bestimmt waren die Ereignisse bei ihnen beiden noch zu frisch, als dass es sich nun darüber plaudern ließ. So ungern sie es sich auch selber eingestehen wollte, umso sicherer war es dennoch. Nein, sie wollte an gewisse Dinge einfach gar nicht mehr denken in der nächsten Zeit und das tun, was sie bei Laune gehalten, und was sie tief in ihrem Inneren auch gewollt hatte. Endlich einmal Rom wirklich kennen lernen und nicht immer nur davon berichtet zu bekommen.


    "Eine Priesterin der Iuno?", hakte sie dann noch einmal nach und schmunzelte dann. Der Sklave der das Essen brachte lenkte sie doch noch einmal für einen Moment ab. Neugierig schaute sie auf die Leckereien, doch so recht wollte sich noch kein Hunger einstellen, auch wenn es gefühlte Ewigkeiten her sein musste, dass sie etwas Vernünftiges zu sich genommen hatte. Trotzdem griff sie nach einem Apfel, der in diesem Moment wohl die größte Erfrischung versprach. Auch Callista hatte sich eine Handvoll Nüsse genommen. “Das klingt....aufregend,“ sagte sie dann zögerlich. Sie selber hatte noch keine Vorstellungen von ihrem Leben, denn eigentlich war alles gut gewesen wie es war. Doch die Ereignisse hatten sich scheinbar gegen sie gewendet und nun musste sie erst einmal wieder Fuß fassen und sich auf andere Gedanken bringen, was in Rom sicher leicht sein würde. Auf jeden Fall hoffte sie das. “War das deine Idee?“, wollte sie dann wissen, “Ich meine...,“ begann sie, doch sie sprach nicht weiter. Callista wirkte doch etwas scheu, aber das konnte täuschen, wie sie schon zuvor festgestellt hatte. “...das klingt nach einer richtigen Aufgabe.“ Es war wohl für sie beide besser, wenn sie das Gespräch in dieser Richtung fortsetzten und es zunächst an der Oberfläche hielten, denn ihr selber war nicht daran gelegen, über ihre Verluste zu sprechen und bei Callista war dieser sogar noch frischer als bei ihr. Geräuschvoll biss sie dann in den Apfel und ließ ihre Verwandte nicht aus den Augen, während sie noch kaute.

    Thalna hatte auf den Inhalt ihres Bechers. Gedankenverloren ließ sie diesen ein wenig kreisen und beobachete die Bewegung der Flüssigkeit. Ein wenig unbehaglich war ihr schon und flüchtig entglitten ihre Gedanken in Richtung ihres Zwillingsbruders, der bestimmt gerade irgendwo war, wo er sich nicht so deplaziert fühlte wie sie. Aber was nutzte es schon zu klagen? Irgendwie würde es schon weiter gehen und sie war sich sicher, dass wenn sie erst einmal ausgeschlafen war, die Welt sich schon wieder ganz anders präsentieren würde. Die Worte von Callista rissen sie wieder zurück in die Situation. Mantua. Thalna nickte nur ohne auf zu sehen und ließ ein gedehntes Seufzen ertönen. Es war ja abzusehen gewesen, dass die Frage nach ihrer Herkunft kommen musste. "Nicht aus Mantua!", stellte sie trocken in den Raum und rang sich erst nach dieser Äußerung dazu durch, ihrer Verwandten einen Blick zu gönnen. Etwas ungeduldig hob sie den Becher an die Lippen und nippte zunächst daran, bevor sie einen größeren Schluck nahm. Es wurde Zeit, dass sie sich zusammen riss und sich an die Manieren erinnerte, die sie eigentlich haben sollte und sich gesellschaftsfähiger verhielt. Callista konnte ja nichts dafür, nur: Sie war halt da! "Germanien," fügte sie dann hinzu und bemühte sich ernsthaft freundlich zu klingen und die Frage zu beantworten, ohne gleich ihre gesamte Lebensgeschichte zum besten zu geben. Eine sehr grobe Zusammenfassung musste schon genügen, denn nach mehr war ihr im Augenblick nicht. "Dort habe ich gelebt und nun bin ich hier."


    Sie rückte sich in dem Korbsessel zurecht. Wahrscheinlich kam sie ihrem Gegenüber recht unausstehlich vor, doch das war nicht ihre Absicht und schnell versuchte sie sich an einem Lächeln. Es gab nicht viele Menschen, die sie auf Anhieb auf ihrer Wellenlänge wähnte und in den meisten Fällen war ihr die Distanz, die dieser Umstand mit sich brachte nur recht. "Warum ich hier bin?", stellte sie sich selbst die naheliegendste Frage, die wohl eh zu erwarten gewesen wäre und beantwortete sie auch sogleich. "Meine Eltern sind tot, mein Bruder bereist die Welt und ich würde sicher als verkorkste Alte enden, wenn ich den Rest meiner Familie nicht hätte." Traf es das? So ungefähr. Thalna verzog das Gesicht und schnaufte durch die Nase bei dem Versuch sämtliche Emotionen, die bei dem Gedanken an das alles in ihr hochkochen wollten zu ignorieren. "Und warum bist du hier?" Callista wirkte nett und freundlich, wenn nicht gar auf Anhieb sympathisch. Vielleicht auch ein wenig zurückhaltend? Thalna legte den Kopf schief. Das alles blieb abzuwarten, denn sie war nicht einer jener Menschen, der blind dem ersten Eindruck vertraute.

    Auch wenn sie es sich eigentlich vorgenommen hatte, wirklich auf ihre Umgebung geachtet hatte sie nicht. Hier und da war nur ein flüchtiger Eindruck hängen geblieben, was bestimmt an der Erschöpfung lag. Normalerweise war nichts vor ihrem prüfenden Blick sicher, doch nun blieb ihr nichts anderes übrig, als sich verstohlen umzuschauen und jedes erkannte Detail mit ihrem zu Hause zu vergleichen. Anders war es hier schon, doch genau das hatte sie ja auch erwartet.
    Mit einem dankbaren Nicken nahm sie Callistas Angebot, sich in einem der Korbsessel nieder zu lassen an und ärgerte sich insgeheim über das leise Knarzen, das dieser von sich gab, als sie sich setzte. Sie war wirklich müde, aber sie war nicht gewillt sich das in irgendeiner Form anmerken zu lassen und sie lächelte stattdessen. Neugierig setzte sie ihren Blick auf ihre Verwandte, ehe dieser von einem der Sklaven abgelenkt wurde, der ein Tablett brachte. Aufmerksam verfolgte sie, wie er auf ein stummes Nicken hin den Wein mit Wasser verdünnte. "Für mich auch so," sagte sie schnell, ehe sie kurz darauf ebenfalls den Becher entgegen nehmen konnte. Candance stand schräg hinter ihr und Thalna war sich sicher, dass es dieser schwer fallen würde, sich die ganze Zeit ohne eine Miene zu verziehen auf den Beinen zu halten. Alles hatte eben seinen Preis und nun schaute sie auf den dritten Kelch, der noch keinen Besitzer gefunden hatte. Wäre sie daheim hätte sie ihren Becher an Candance weiter gereicht, doch wie man das hier handhabte war eine ganz andere Sache.


    Außerdem würde ihr werter Cousin sicher bald erscheinen, denn immerhin war die Sklavin Vodafonis damit beauftragt, ihm Bescheid zu geben. In Gedanken wiederholte Thalna noch einmal diesen Namen, denn wie sie sich kannte, würde sie ihn alsbald schon wieder vergessen haben, wenn sie nicht Acht gab. "Du bist also auch erst seit gestern hier?", versuchte sie das zuvor begonnene Gespräch wieder aufzunehmen. Vielleicht war das der Grund, weshalb sie nicht erwartet wurde. Sollte sie sich nun wieder selber schelten, dass sie trotz vernünftiger Argumente, warum das so war, immer noch nicht über diesen Umstand weg kam? Ein wenig lehnte sie sich im Sessel zurück und konnte nicht umhin, sich ein wenig zu fremd zu fühlen. Doch das war sie ja auch und unter diesen Umständen war es ein ungemeiner Trost, dass es Callista wohl auch so gehen musste, wenn sie noch nicht lange hier war.

    Bestimmt war es zu diesem Zeitpunkt noch zu früh, um sich eine Meinung zu bilden und Thalna wollte es auch gar nicht erst versuchen. Noch hatte sie ja nicht einmal einen Fuß in das Haus gesetzt. Doch es war gut zu hören, dass es nun endlich hinein ging und sie vielleicht sogar ihren Cousin kennenlernen würde an diesem Tag. Was Callista sagte klang in ihren Ohren hervorragend und ohne ein weiteres Wort, sondern nur mit einem Nicken folgte sie ihrer Verwandten. Zuvor bedeutete ihr Teuticus, dass er bei den anderen bleiben würde, die sich um die Gepäckstücke und den Wagen kümmerten. Nur Candance folgte ihr, der sie einen Blick zuwarf, ehe sie sich in den Räumlichkeiten umschaute.

    Zu dem Frust kam nun auch noch der Ärger hinzu, dass sie sich nicht um eine adäquate Vorstellung bemüht hatte, doch sie bewahrte sich die ausdruckslose Miene, als der Sklave, der die Tür geöffnet hatte verlauten ließ, dass er seinem Herrn Bescheid sagen würde. Musste man sich bei dem eigenen Cousin mit vollem Namen präsentieren? Sie war dabei gewesen, als ihr Vater das Schreiben aufgesetzt hatte, dass er sie nach Rom schicken würde und das war nun schon geraume Zeit her. Vielleicht wäre ein Bote sinnvoll gewesen, genau wie sie es eigentlich haben wollte, seit sie die Stadtgrenze passiert hatten. Doch Teuticus hatte auf einen jeden der Männer bestanden und so getan, als würden sie direkt Einzug in der Unterwelt halten. Und nun? Nun stand sie blamiert vor der Tür und machte eine gute Miene dazu.


    Ihr Gegenüber war also Callista und sofort begann sie in ihrem Gedächtnis zu kramen. Entfernte Verwandtschaft, so viel stand fest. Ein wenig unsicher wirkte sie auch, doch ihr selber ging es auch nicht anders. “Ja, er ist mein Cousin,“ bestätigte sie halbherzig und lenkte sich auch schon wieder ab, indem sie geschäftig nach den Männern sah, die ihr Gepäck zu dem angewiesenen Ort hievten. Dass Callista auch erst seit gestern hier war machte es nicht besser, doch war es vielleicht eine Erklärung dafür, dass sie noch nichts von ihrer Ankunft erfahren hatte. Bestimmt hatte es ihr Cousin auch einfach vergessen und wieder musste sie sich selber darauf hinweisen, dass niemand hätte sagen können, wann genau der Zeitpunkt des Eintreffens war. Trotzdem. Zumindest hätte man damit rechnen können. “Es ist schon merkwürdig, dass keiner das wusste,“ sagte sie dann, bevor sie mit einem aufgesetzten Grinsen hinzu fügte: “Aber solange ich nun nicht auf der Straße übernachten muss, soll mir alles recht sein.“ Im Hinterkopf hörte sie die Schelte, der ihr jetziges Verhalten gewiss als burschikos, bauernhaft oder generell als inakzeptabel abgetan hätte. In gewisser Weise hatte die fiktive Stimme recht und schnell bemühte sie sich ihre Worte mit einem entschuldigenden Lächeln wieder gut zu machen. “Verzeih mir, aber ich bin einfach von der Reise erschöpft.“

    Endlich war zu vernehmen, dass sich jemand an der Tür zu schaffen machte und Thalna zwang sich zu einem weiteren Lächeln, auch wenn ihr das nicht sonderlich leicht fiel. Sie war erschöpft und nervös und genau das war es, was ihr in den meisten Fällen die Stimmung trübte. Noch einmal blickte sie über ihre Schulter und atmete tief durch, während sie sich schon Worte suchte, die sie dem Türöffner mitteilen wollte. Doch es war viel mehr eine Frau, welche durch den Türspalt schaute und Thalna runzelte überrascht die Stirn, ehe sie sich wieder fing. Ihr Gegenüber musste genauso alt sein wie sie und es war eindeutig keine Sklavin.


    Thalna strich sich hekisch eine verirrte Haarsträhne aus dem Gesicht und hob den Kopf ein wenig an. Brauchte ja niemand zu wissen, wie sonderbar sie sich fühlte und das Schlimmste war, dass sie hier niemand zu erwarten schien. Ihrerseits fragend musterte sie nun das Gesicht der Anderen, wippte kurz auf und ab und rang sich dann zu einer Vorstellung durch. "Mein Name ist Thalna," brachte sie knapp hervor und deutete dann auf die Männer mit dem Gepäck. "Eigentlich dachte ich, dass ich erwartet werde, da ich in Zukunft hier wohnen soll, aber...." Sie schüttelte den Kopf und wer sie nicht kannte hätte den Ausdruck in ihrem Gesicht für einen Anflug von Amüsement halten können. "...wie auch immer. Mein Cousinl scheint noch nicht mit mir gerechnet zu haben." Angestrengt ließ sie die angstaute Atemluft durch die Nase entweichen. Nun stand sie da mit ihrem Gepäck und fühlte sich ein wenig deplaziert und frustriert. Ein Gefühl, dass sie wie immer durch Taten zu verdrängen suchte. "Stellt das Gepäck da rüber!", wies sie die Männer an un deutete neben den Eingang, bevor sie wieder den Blick der jungen Frau suchte und überlegte ob es sich bei ihr wohl um Verwandtschaft handelte.

    Sie waren angekommen. Es war eine merkwürdige Sache an diesem Ort zu sein, den sie zwar vom Hörensagen kannte, doch den sie nicht ein einziges Mal in ihrem Leben erblickt hatte. Rom! Der Wagen hielt an und ihrer Meinung nach geschah dies kein bisschen zu früh. Eher zu spät. Trotz der jungen Jahre konnte man sich nach einer solchen Reise schnell fühlen wie eine müde Greisin. Der hühnenhafte Teuticus ließ es sich nicht nehmen seine deformierte Nase in das Gefährtinnere zu stecken und zu grinsen. Kräftig war er ohne Zweifel, doch ansehnlich war er nur sehr bedingt, durch eine breite Narbe, die sich über seine noch breitere Wange zog. Sie kannte ihn nun schon ewig und wenn sie den Gerüchten Glauben schenken sollte, so konnte er es ohne weiteres mit einem wilden Stier aufnehmen. Genau das hätte er auch getan, wenn es unterwegs jemand gewagt hätte sie zu überfallen, egal ob es nun ein Stier oder ein Wegelagerer war. Thalna blieb nichts anderes übrig als zu seufzen. Sie hatte es selber so gewollt, auch wenn sie den Anschein hatte erwecken müssen, dass ihr nichts ferner gelegen hätte, als diese Stadt zu bereisen, nur um bei ihrem Cousin das gesellschaftliche Leben kennen zu lernen. In Wirklichkeit hatte sie dem Ganzen nur so entgegen gefiebert, doch es war manchmal besser, wenn sie ihren Tatendrang unter vorgehaltener Hand auslebte, ohne sich danach Predigten anhören zu müssen. So hatte sie indirekt ihren Willen bekommen, wie es eigentlich bisher immer gewesen war.


    Aber nun war sie hier und über alles Weitere konnte sie sich auch später noch Gedanken machen, denn die Aufregung war wieder da und bildete eine seltsame Mischung mit der Müdigkeit von den vergangenen Strapazen. Dennoch rang sich Thalna ebenfalls ein Lächeln ab und ließ sich von Teuticus aus dem Wagen helfen, bevor er nach dem Arm von Candance griff, um auch diese zu unterstützen. Nur kurz gönnte sie sich einen Blick auf ihre zierliche Leibsklavin, die nachdem sie einen festen Stand erlangt hatte, versuchte ihren Rücken zu neuem Leben zu erwecken.
    Da war es also, das Haus des Tiberius Prudentius Balbus. Die Geschäftigkeit der Männer, die sie den ganzen Weg begleitet hatten richtete sich sofort auf das Gepäck und nun wäre es an ihr vorzutreten und an der Tür zu klopfen. Zeit genug hatte sie gehabt, um sich Worte zurecht zu legen, die vielleicht das Schreiben, welches ihr Onkel bereits erhalten hatte ergänzen könnten, doch wie immer fehlten diese im entscheidenden Augenblick völlig. Wie auch immer! Ihr würde schon etwas einfallen. Irgendwie war es schon enttäuschend, dass sie niemand vor der Tür erwartete, doch im Grunde genommen wusste sie gar nicht, was sie nun erwarten würde. Candance hatte bereits jetzt schon Heimweh, das konnte man ihr direkt aus dem Gesicht ablesen, doch bei ihr selber war dies garantiert nicht der Fall! Beherzt schritt sie vor und klopfte vernehmlich an die Tür des Anwesens, wobei ihr Blick auf Teuticus fiel, der sonderbar angespannt wirkte. Sicher hatte er auch schon Heimweh, oder dachte er gar, dass jemand mit einem Messer hinter der Tür hervor springen würde? Passen würde es zu ihm, denn eigentlich war genau das sein Lebensinhalt. Und nun? Sollte sie den Kopf darüber schütteln? Da starrte sie doch lieber mit verzogenem Mund auf die Tür. Wer hatte auch schon behauptet, dass ihr Einzug hier triumphal ausfallen musste? Hinter ihr hatte einer der Männer ein Gepäckstück geschultert, doch zögerte er wohl noch mit dem Näher- Kommen. Thalna klopfte noch einmal, in der Hoffnung dass nun endlich geöffnet wurde.