Beiträge von Manius Flavius Sabinus

    Früh am Morgen war ich aufgebrochen, um einige Schafe zu suchen, die in der Nacht davon gelaufen waren, als dieses schreckliche Unwetter durch das Tal gezogen war. Der starke Wind und die Regenmassen hatten eine Spur der Verwüstung hinterlassen. Der Zaun des Schafsgeheges war an einer Stelle zerstört worden. Als dann Blitz und Donner, begleitet von einem Hagelschauer einsetzte, hatten die Tiere Panik bekommen.


    Das reinigende Unwetter hatte nun einen azurblauen Himmel hinterlassen. Die Sonne begann mit ihren ersten Stahlen das Nass der Erde zu trocknen. In Bergen stiegen dichte Dunstschwaden auf. Die Götter versöhnten sich wieder mit der Erde und den Menschen, die auf ihr lebten.
    Zu meiner Sicherheit hatte ich mir ein Messer mitgenommen. Hier draußen in der Wildnis hatte man immer mit wilden Tieren zu rechen. Aus diesem Grund war auch Eile geboten, wollte ich meine Schafe noch lebend antreffen.
    Die Nässe machte meinen alten Knochen wieder ordentlich zu schaffen. Seit einiger Zeit machte sich das Alter nun endgültig bemerkbar. Mir war schon lange klar, ich war kein junger Mann mehr. Hier ein Wehwehchen und da ein Wehwehchen. Wenn es den Göttern gefiel, dann hatte ich noch einige Jahre vor mir, die ich in Frieden und in aller Abgeschiedenheit, fernab vom Trubel der so genannten zivilisierten Welt verbringen konnte.


    Es gab nichts schöneres, als die frische Luft des Morgens, die ich in meine Lungen einzog. Der Anblick dieses herrlichen Landes, welches fast noch unberührt vor mir lag. Nur einige wenige Menschen zogen es vor, in dieser Wildnis zu leben. Es waren zumeist Hirten und Bauern, die der Erde das Nötigste abverlangten, um ihr Überleben und das ihrer Familien zu sichern.
    Wenn ich auf mein langes Leben zurück schaute, so bereute ich nichts von alldem, was ich getan oder zu wozu ich mich entschlossen hatte. Und sollte dies mein letzter Tag auf Erden sein, so würde ich mich auch nicht beklagen.


    Mein Leben begann verheißungsvoll vor mehr als sechzig Jahren. Ich war der jüngste von sechs stattlichen Söhnen. Unser Vater war sehr streng aber auch sehr stolz auf uns. Natürlich setzte er auch große Erwartungen in uns. Für jeden einzelnen von uns wünschte er sich eine hervorragende Karriere, sei es eine militärische, eine politische oder eine im Dienste der Götter.
    Ich genoss eine ausgezeichnete Bildung. Bereits in sehr jungen Jahren scharten sich einige der besten Gelehrten Achaias um mich und meine Brüder, um uns das Wissen der Welt näher zu bringen. Die sieben freien Künste waren es, mit denen ich damals zu ersten Mal in Berührung kam. Sie sollten mich auf ein Leben vorbereiten, welches voll und ganz meinem Stand entsprach. Für einiges konnte ich sogar Begeisterung aufbringen. Geometrie und Arithmetik hatten recht früh mein Herz erobert, während ich für das
    trivium nur wenig entgegenbringen konnte.
    Einige Jahre später schickte mein Vater mich dann nach Griechenland, so wie er es mit meinen Brüdern zuvor getan hatte. Er hoffte, ich käme als geformter und orientierter, junger Mann zurück, der wusste, was er aus seinem Leben machen wollte. In einem sollte er Recht behalten.
    In meinen Taschen hatte ich genügend Geld, um es mir gut richtig gehen zu lassen. Ich liebte Athen und besonders liebte ich die Athenerinnen und den griechischen Wein. Zeit fürs Lernen blieb da wenig.
    Carpe diem war meine Devise. Pflücke den Tag! So lebte ich. Bis ich mich eines Tages fragte, ob da nicht noch mehr war.
    Ich war des Saufens und des Hurens überdrüssig geworden. Mit der Bildung hatte ich eh schon lange abgeschlossen. Bevor ich Athen und somit die vorgefertigte Spur meines Lebens verließ, schrieb ich einen letzten Brief an meinen Vater. Darin teilte ich ihm mit, dass ich keinen gesteigerten Wert mehr legte auf das verkommene Leben, welches mich in Rom erwartete. Ich wollte frei sein. Frei von allen Zwängen, die mir diese verlogenen Gesellschaft aufzwang. Ich bedankte mich für die Annehmlichkeiten, die mir bisher sein Geld beschieden hatte und wünschte ihm noch ein langes Leben.
    Damit hörte ich für meine Familie auf, zu existieren. Ich war nur noch dem Namen nach ein Flavius und den verleugnete ich oft genug. Ob ich undankbar war? Nein, nicht im Geringsten! Ich war ausgebrochen und konnte nun endlich meine Freiheit genießen.


    In Piräus heuerte ich auf einem Schiff an, welches mich nach Ägypten brachte. Die körperliche Arbeit war anfangs noch ungewohnt. Doch ich begann, sie zu mögen. Es war ein unglaubliches Gefühl, sich mit der eigenen Hände Arbeit ernähren zu können. Zum Leben brauchte ich nicht viel. Täglich etwas Brot, Fisch und Oliven, ab und zu neue Kleidung.
    Und dann betrat ich ägyptische Erde….