Ich war verlassen und verloren! Castor, der treue Sklave meines Vaters war wie vom Erdboden verschwunden. Oder war ich ihm verloren gegangen? Je nachdem, welcher Sichtweise man sich bediente, konnte man es so sehen - oder auch ganz anders. Allerdings half mir das auch nicht weiter. Nur nicht in Panik geraten! Das sagte ich mir immer fort. Ich gab mir auch die größte Mühe, aber – leider war ich nicht sehr erfolgreich.
"Castor? – Äh, Castor?! – Castor!" Ich kam mir vor, wie das süße kleine schwarze Kätzchen aus dem letzten Frühlingswurf unserer Hauskatze, das eines Tages seiner Mutter abhanden gekommen war. Völlig hilflos stand es da und miaute herzerweichend bis seine Mutter kam, es im Genick packte und forttrug. Aber Castor mit meiner Mutter zu vergleichen, das war einfach zu viel! Schon auf der ganzen Reise, seit wir Tarraco verlassen hatten, war Castor nicht besonders gesprächig gewesen. Wenn er mit mir sprach, dann waren es Ermahnungen. Eine feine junge Dame tut das nicht eine feine junge Dame tut dies nicht. Auf die Dauer war das nicht besonders lustig. Castor fand es bestimmt auch nicht besonders zufriedenstellend, mich begleiten zu müssen. Und außerdem, ich war nicht unbedingt das, was man schlechthin eine feine junge Dame nannte. Eigentlich war ich ein Landei. Gut behütet und wohlerzogen, aber ein Landei. Und was noch viel schlimmer war, ich war manchmal ein richtiger Unglücksrabe, weil ich die besondere Gabe besaß, fast immer zielsicher den Fettnapf zu treffen. Deswegen war es eigentlich jetzt vollkommen normal, dass ich hier mutterseelenallein herum stand und nicht mehr weiter wusste. Ich fand mich ständig in solchen Situationen wieder und eigentlich hätte ich ganz locker lässig damit umgehen müssen, weil ich es ja schon gewohnt war. Es war aber auch wirklich zu dumm, dass ich die Adresse vergessen! Manchmal war ich aber auch ein Schussel! Aber deswegen hatte ich ja auch Castor dabei. Nämlich was hätte es mir genutzt, wenn ich die Adresse noch gewusst hätte? Gar nichts! Ich kannte mich hier nicht aus und mein Orientierungssinn war gleich null. Die besten Voraussetzungen also, für eine Reise in eine große Stadt. In die größte Stadt der Welt!
Weil ich schon immer so vergesslich war, machten sich früher die Jungs aus der Nachbarschaft immer einen Spaß daraus und verunstalteten meinen Namen. Aus Amaesia wurde dann Amnaesia. Ich fand das nicht besonders lustig! Das waren so die Momente, in denen ich mir einen großen Bruder gewünscht hätte, der mich verteidigt hätte, wenn nötig mit seinen Fäusten. Später hatte ich dann erfahren, dass ich sogar zwei große Brüder hatte, die das übernehmen hätten können. Aber da nannte mich niemand mehr so.
Ich überlegte jetzt angestrengt, was ich jetzt tun sollte. Hier stehen bleiben und warten, oder jemanden fragen, oder einfach auf eigene Faust die Stadt erkunden. Letzteres hätte mich ja schon in den Fingern gejuckt, denn ich war zum ersten Mal in Rom und auch zum ersten Mal in einer richtigen großen Stadt. Aber dann fielen mir gleich wieder Castors mahnende Worte ein, ich solle bloß immer bei ihm bleiben und keine Alleingänge wagen. Die Großstadt sei wie ein wilder Dschungel, hatte er mir gesagt. Zu dumm, ich hatte keinen Schimmer, was ein Dschungel war. Wo ich herkomme, gibt es keinen Dschungel.
Wie gesagt, ich war noch nie weit von daheim weggekommen und so eine richtige Schiffsfahrt, wie sie hinter mir lag, hatte ich auch nie gemacht. Meine Güte, war mir schlecht gewesen! Schon die kleinste Welle färbte mein Gesicht grün. Castor hatte die ganze Fahrt über nur mit stoischer Ruhe zugesehen, wie ich mich quälte. Wo er jetzt nur steckte! Wahrscheinlich suchte er mich schon ganz aufgeregt und wenn er mich dann fand, dann konnte ich mich auf eine Standpauke gefasst machen. Vielleicht machte er sich aber auch einen schönen Tag. Nein, nicht wirklich! Castor war nicht der Typ dazu. Er war der Inbegriff an Zuverlässigkeit. Deswegen hatte meine Mutter ihn mir auch mitgeschickt.
Wie bestellt und nicht abgeholt, blieb ich einfach an dem Flecken stehen, an dem ich jetzt stand und wartete. Nebenbei beobachtete ich die Leute, die an mir vorbei hasteten. Die schienen es alle ganz schön eilig zu haben. Ohje, was wenn Castor mich nicht wieder fand? Ach, der würde schon wieder kommen! Fragte sich nur, wann...
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