Beiträge von Morag

    Ich zügelte meine Gier und versuchte langsam zu essen. Was hatte ich davon, wenn mir am Ende alles so schwer im Magen lag? Iustus begann nun auch zu essen. Sichtlich interessiert hatte er dem gefolgt, was ich von mir erzählt hätte. Als er dann auf meinen Mann zu sprechen kam, hörte ich augenblicklich auf, zu essen. Diese Frage hatte an einer alten, noch längst nicht verheilten Wunde genagt. Mein Mann war einer der unzähligen Gefallenen, dieses schicksalhaften Tages. Ich konnte noch immer ihren Kampfesgesang hören, als sie früh am Morgen gegen unsere Feinde gezogen waren. Der ganze Morgen über war von Kampfgeschrei geprägt gewesen. Als die Sonne im Zenit gestanden hatte, war es ein wenig abgeebbt. Im Dorf hatten wir die Hoffnung gehegt, unsere Männer hätten die Feinde in die Flucht geschlagen. Doch was am Nachmittag dann auf unser Dorf zugerollt kam, waren nicht die Unsrigen, siegestaumelnd. Es waren die Feinde gewesen. An ihren Händen klebte das Blut unserer Männer, Väter und Söhne.
    "Er tot," antwortete ich kurz angebunden und versuchte seinen Blicken auszuweichen. Ich hatte nicht das Verlangen, meine Trauer vor dem Römer auszubreiten, denn seine Leute waren es, die unsere Männer getötet hatten.
    Offenbar verstand der Römer, denn er versuchte vom Thema abzulenken. Dafür war ich ihm dankbar.
    Nun versuchte ich ein wenig zu lächeln und aß weiter. "Sonst nicht so gut?", wiederholte ich. Einen Moment brauchte ich, um zu verstehen, dann nickte ich.
    Als ich zu Ende gegessen hatte und den Löffel beiseitegelegt hatte, sah ich Iustus an. "Was du mache mit mir?" Eine berechtigte Frage, wie ich fand.

    Ich folgte ihm, während meine Augen voller Wissensdurst alles begutachteten, was mir unterwegs begegnete. Fast schon hatte ich Mühe, ihm zu folgen. Dennoch erreichte auch ich jenen Raum, in dem sich einige Männer an Tischen zusammengefunden hatten und gemeinsam aßen. Als Iustus mit mir den Raum betrat, erstarb plötzlich das geschäftige Plauschen der Männer untereinander. Lediglich ein Raunen ging durch die Mensa, als er einen freien Tisch ansteuerte und mir schließlich den gegenüberliegenden Platz anbot. Mit einer überspitzten Achtsamkeit nahm ich Platz.
    Iustus winkte einen der Bediensteten herbei und befahl ihm, uns Speis und Trank zu bringen. Ich sah dem davoneilenden Sklaven nach und machte mir meine ganz eigenen Gedanken, dass auch ich bald Teil dieses Ganzen sein würde. Ob ich nun wollte, oder nicht. Ich war dazu verdammt.
    Vielleicht war ich genau aus diesem Grund über die Freundlichkeiten des Römers so erstaunt. Seitdem ich nun bei ihm war, brachte er mir Verständnis und Wohlwollen entgegen. Er lächelte und zwinkerte mir zu, was mich gerade jetzt wieder verwirrte. Ich fragte mich, was seine wahren Absichten waren, mir gegenüber. Sein Interesse an mir und meiner Geschichte. Reichte es nicht, dass ich nun sein Eigentum war? Dass dieser Körper nun ihm gehörte, wollte er auch dessen Geist besitzen?
    Als ich nach Worten suchte, kehrte der Sklave wieder zurück. Auf einem Tablett balancierte er zwei Becher mit starkverdünntem Wein und zwei Teller, in dem sich eine Art Eintopf befand. Bei näherem Betrachten erkannte ich Bohnen, Stückchen von Rüben und allerlei zerkleinerte Kräuter. Der Sklave reichte mir noch einen Holzlöffel. Auch wenn mein Hunger sehr groß war, zögerte ich erst. Das Essen duftete verführerisch. Was sollte ich erzählen? Von meinem Dorf? Von meinem Leben? Meiner Familie?
    "Ich Frau von Krieger. Wir…leb.. lebe in Dorf. Kleines Dorf," begann ich schließlich zögerlich. Das Sprechen der fremden Sprache bereitete mir noch große Schwierigkeiten. Als hätte ich nun eine Belohnung verdient, begann ich mein Essen zu löffeln. Erstaunlicherweise war es recht gut.

    Die Tatsache, dass ich mit Waffen umzugehen wusste, schien ihn regelrecht zu begeistern. Wieso konnte ich mir auch nicht erklären. Schließlich hatte ich doch gegen seine eigenen Leute gekämpft. Doch er bedeutete mir, ich solle es ihm zeigen, wie gut ich kämpfen konnte. Das verwirrte mich nun. Ich sollte kämpfen. Wozu? Und gegen wen? Gab es hier jemanden, der mir böse wollte? Denn nur dann gab es für mich einen Grund, zu kämpfen. Oder war es letztlich doch nur ein Missverständnis, dem wir beide aufgesessen waren. Wie auch immer, alles würde sich noch aufklären. Ich war mir bewusst, dass ich so schnell als möglich seine Sprache lernen musste.
    Seine nächste Frage jedoch verstand ich. Das Wort Hunger hatte ich ziemlich schnell gelernt. Vielleicht war es sogar eines meiner ersten Wörter, die ich gelernt hatte.
    "Ja, Hunger!" Sogar großen Hunger hatte ich. Allerdings war das Essen in der Fremde sehr gewöhnungsbedürftig. Aber gegen den Fraß, den ich beim Sklavenhändler war es allemal besser.

    Die kühle Flüssigkeit rann meine Kehle hinab. Sie stillte den Durst, doch sie hatte rein gar nichts zu tun mit dem wohlschmeckenden Quellwasser unseres Glens. Genauso wie diese Flüssigkeit, war es nun mein Dasein bestellt. Zwar lebte ich noch, doch lag ich in Ketten, hier in der Fremde.


    Er wiederholte meine Worte und sie klangen so anders, so fremd. Ich war weit entfernt davon auch nur einen Bruchteil seiner Sprache zu sprechen oder gar zu verstehen. Doch etwas erregte sein Interesse. Das sah ich ihm an, wie sich ganz plötzlich sein Gesichtsausdruck änderte. Ein Wort, das ich auch benutzt hatte, formulierte er in seiner Frage: Kämpfen!
    "Kämpfen… Morag kämpfen." Ich nickte und machte eine typische Bewegung, die man beim Bogenschießen machte. Aber dass ich auch mit einem Schwert umgehen konnte, machte ich ihm ebenso deutlich.
    Mir war nicht wirklich klar, weshalb sein Interesse deswegen so groß war. Es war doch das Natürlichste auf der Welt, sich zu verteidigen, wenn man angegriffen wurde. Die meisten Frauen, die in der Lage waren, hatten sich gewehrt und hatten ebenso ihren Männern zur Seite gestanden, als die Existenz unseres Dorfes auf dem Spiel gestanden hatte.

    Sein Nicken bestätigte mir, dass er verstanden hatte und dass er es in gewisser Weise würdigte. Allerdings entgegnete er nichts darauf. Vielleicht gab es sich damit zufrieden, so dass er mir im Gegenzug eine einigermaßen annehmbare Schlafstatt und regelmäßig Nahrung gestattete. An eine Zukunft in der ich vielleicht sogar meine Freiheit zurückerlangte, wagte ich erst gar nicht zu denken.
    Seine nächste Frage ließ mich etwas zögern. Nicht etwa weil ich sie nicht verstanden hätte. Zwar fehlte mir der nötige Wortschatz, um seine Worte zur Gänze zu verstehen, doch halfen mir seine Gesten zu begreifen. Vielmehr war es das Thema an sich, welches mit vielen traurigen und schmerzhaften Erinnerungen einher ging. Er hatte inzwischen meinen Becher noch einmal aufgefüllt. Ich war zwar noch durstig, doch griff ich diesmal nicht zu. Noch nicht.
    "Morag," begann ich und deutete dabei auf mich. "…von … kleine …Dor…Dorf?" Wieder zögerte ich. War dies das richtige Wort? Doch das war es. "Dorf! In Alba." Alba war der Name unseres Landes, welches die Römer Caledonia nannten, doch dieser Name war mir zu dieser Zeit noch nicht bekannt. "Kommen …Römer." Wie verhasst mir dieses Wort war! Daher sprach ich es aus, als wäre es ein Schimfwort, ohne Rücksicht darauf, dass mein Zuhörer selbst Römer war. "Käm… kämpfen… viele tot. Morag … auch kämpfen… aber Morag…" Ich deutete mit meinen Händen an, dass man mich überwältigt hatte, indem ich einen Schlag auf den Kopf bekommen hatte. "Dann… Morag fort." Ich hätte noch viel mehr erzählen können, doch mir fehlten einfach die Worte, um ins Detail gehen zu können.
    Jetzt griff ich doch nach dem Becher und trank einen Schluck, ohne ihn dabei aus den Augen zu lassen. Auch wenn nun mein Durst gelöscht war und ich eigentlich ganz bequem auf dem Stuhl saß, fühlte ich mich doch noch immer etwas unbehaglich, weil ich immer noch in der Ungewissheit lebte, was er mit mir vor hatte.

    Ab und an kam es vor, wenn die Männer meines Dorfes auf Wolfsjagd waren, dass sie einen Welpen mit nach Hause brachten, dessen Mutter bei der Jagd erlegt worden war. Wenn die Welpen schon alt genug waren und lebensfähig, wurden sie nicht selten gezähmt und lebten fortan mit in der Dorfgemeinschaft. Je älter sie waren, umso schwieriger war es, sie an den Menschen zu gewöhnen. Der Mensch, der für sie bislang nur ihr Feind gewesen war, sollte von nun an derjenige sein, aus dessen Hand sie zukünftig ihr Fressen erhielten.
    Anfangs waren die Welpen meist noch ängstlich und zurückhaltend, sie knurrten im besten Falle, kam ihnen einer der Menschen zu nahe. Doch mit der Zeit und weil der Hunger schon immer ein gutes Mittel war, um zu überzeugen, wurden sie zutraulicher.


    So ähnlich war es auch mir ergangen. Zum ersten Mal nach unzähligen Wochen der Gefangenschaft, konnte ich mich wieder frei bewegen und war nicht unentwegt eingeschlossen. Ich war Hadrianus Iustus, der Mann der mich gekauft hatte, überallhin gefolgt. Was wäre mir auch sonst übrig geblieben? In der völlig fremden Umgebung und unter so vielen Fremden, die mich nicht verstanden und ich sie nicht, war er zu meinem einzigen Anhaltspunkt geworden.
    Mit einer neuen Tunika versehen, denn die Alte war gänzlich zerschlissen und schmutzig, hatten wir der Stadt den Rücken gekehrt und waren gen Norden gereist. Iustus hatte ständig von Roma gesprochen. Und ich verstand recht bald, dass er damit die Stadt meinte. Unterwegs versuchte er mir einige Wörter beizubringen, die er mir immer wieder vorsagte und darauf wartete, bis ich sie nachsprach. Ich war willens zu lernen, ich wollte alles aufsaugen, wie ein Schwamm.


    Nach einigen Tagen erreichten wir schließlich Roma. Ich war überwältigt. Auf dem Weg in den Süden hatte ich schon einige Städte gesehen und hatte die großen Gebäude, die aus Stein gebaut waren, bewundert. Doch was mich in Roma erwartete, übertraf wirklich alles. Die Häuser und Straßen waren noch größer und noch mächtiger, so dass ich mich ganz klein fühlte. Wenn ich mich jemals in diesem Labyrinth der Straßen verirrte, dann war ich verloren! Deswegen folgte ich Hadrianus Iustus auf Schritt und Tritt.
    Unser erstes Ziel in Rom war etwas, was er ludus nannte. Ich konnte mir nicht viel darunter vorstellen, was ein solches ludus sein sollte. Doch ich sollte bald schon verstehen. Mir waren sofort die Männer dort aufgefallen, die zu trainieren schienen. Sie bereiteten sich auf einen Kampf vor, doch es waren keine Soldaten.
    Ich folgte dem Römer in sein officium, wie er es nannte und nahm auf einem Stuhl Platz, den er mir zugewiesen hatte. Kaum saß ich, drückte er mir ein Trinkgefäß in die Hand. Ich sollte trinken. Das brauchte er mir nicht zweimal zu sagen. Ich war durstig nach der langen Reise.
    Während ich trank, sprach er weiter auf mich ein und begann dann ganz seltsame Verrenkungen zu machen. Doch langsam dämmerte es mir, worum es ging. Er fragte nach dem, was ich konnte.
    Ich konnte eine ganze Menge. Das Leben in unserem Dorf war hart und arbeitsreich. Es beschränkte sich nicht nur auf die Handgriffe im Haus, die mich meine Mutter gelehrt hatte. Auch die Arbeit auf dem Felde oder die Sorge um die Tiere im Stall, sicherten das tägliche Überleben. Und wenn es erforderlich wurde, dann standen die Frauen auch ihren Männern bei, wenn sie in den Krieg zogen oder das Dorf von Feinden bedroht wurde.
    "Waschen.., kochen…, putzen…," wiederholte ich und sprach dann in meiner Sprache weiter, um ihm zu erklären, dass ich auch wusste, wie man Getreide anbaute und Ziegen und Kühe melkte. Dabei behalf auch ich mich mit seltsamen Bewegungen und diversen Tierstimmen, um es ihm verständlich zu machen, was ich meinte. Von meiner wehrhaften Seite erwähnte ich nichts. Sicherlich war er nicht erpicht darauf, wenn ich ihm erzählte, wie man einen Bogen führte oder wie man sich mit einem Dolch oder Schwert zur Wehr setzte.

    Hadrianus Iustus, ein seltsamer Name, wie ich fand. Wahrscheinlich erschien ihm mein Name genauso fremd. Obwohl dieser Mann ein Römer war, fand ich ihn recht nett. Die bisherigen Begegnungen mit den Leuten seines Volkes waren wesentlich feindseliger verlaufen.
    Im Grunde war ich nun froh, von hier fort zu kommen. Die Zeit bei dem Sklavenhändler war lang genug gewesen.
    Mit einer gewissen Distanz folgte ich ihm, denn er war nun noch alles, was ich hatte. Das hatte ich schnell begriffen und verdrängte noch schneller den Gedanken, wie tief ich gesunken war, betrachtete ich nun einen Römer als das Einzige, was ich nun noch hatte.

    Plötzlich nahm ich wahr, dass etwas geschehen sein musste. Ich merkte es an dem Tonfall und der Gestik des Sklavenhändlers und auch des Mannes, der sich für mich Interesse gezeigt hatte. Als diese dann noch seinen Geldbeutel zückte und mehrere Münzen den Besitzer wechselten, wurde mir bewusst, dass für mich nun neue Zeiten anbrechen sollten. Ich spürte ein seltsames Gefühl in meinem Magen, wusste nicht ob ich lachen oder klagen sollte, weil ich nun den Sklavenhändler los war und nicht mehr meine Tage in einem Käfig fristen musste. Was aber stand mir nur bevor?
    Der Mann der mich soeben gekauft hatte, begann auf mich einzureden. Er versuchte, sich mir verständlich zu machen. Seine Worte waren mir fremd. Nur manchmal glaubte ich einiges verstehen zu können. Dennoch beäugte ich ihn misstrauisch. Auch wenn ich wusste, dass ich keine andere Wahl hatte.
    Hadrianus Iustus, sagte er. Ich verstand erst nicht, bis ich zu glauben anfing, dies könne sein Name sein. Daraufhin deutete ich auf mich und versuchte langsam und deutlich meinen Namen auszusprechen: "Morag."
    Kaum hatte ich dies getan, nahm er mich an der Hand und zog mich fort. Fort von hier.

    Ein schmerzvoll anmutender Seufzer entwich dem Sklavenhändler. Er war eben ein guter Schauspieler, eine Diszipilin, die in seinem Metier unabkömmlich war. Längst war er sich bewusst geworden, das höchste der Gefühle, was er für die Sklavin bekommen konnte, erreicht zu haben. Vierhundert Sesterzen waren immer noch mehr als genug für eine Sklavin, die keiner zivilisierten Sprache mächtig war und die auch sonst recht wild wirkte. Im Grunde konnte er froh sein, sie so gewinnbringend loszuwerden.
    "Na gut, weil ich heute meinen großzügigen Tag habe. Vierhundert Sesterzen für diese Sklavin. Sage mir, möchtest du sie gleich mitnehmen. Wir können sie dir auch liefern, aber das kostet extra." Natürlich hoffte er darauf, die Sklavin liefern zu dürfen. Denn dann würde er noch einmal eine horrende Summe auf den Kaufpreis schlagen, um so am Ende doch noch Fünfhundert Sesterzen für die kleine Barbarin zu bekommen.

    Schnell wich das gekünstelte Grinsen aus dem Gesicht des Händlers und machte einem kläglichen, bemitleidenswerten Ausdruck Platz, der dann auch noch von einem Jammernden Ton seiner Stimme einher ging.
    "Aber Herr, ich muss meine Frau und sieben Kinder und meine kranke Mutter versorgen! Sollen sie den Winter über hungern? Na gut, ich komme dir entgegen, vierhundertfünfzig! Vierhundertfünfzig Sesterzen sind wirklich viel für solch eine raue Schönheit aus dem Norden. Sieh nur, wie wohlgeformt ihr Körper ist!"


    Wieder fuhr er mit seinem Handrücken über die Kurven seines Handelsgutes, um seinen potentiellen Kunden zum Kauf zu überzeugen.
    Und wieder zuckte ich zusammen, als ich ganz überraschend die Hand auf meinem Körper spürte, die ihren Weg von meinem Oberkörper bis hinunter zu meinen Schenkeln suchte. Ich empfand nur Ekel und hoffte, wenigstens ein Gott würde dieses eine Mal Anteil mit mir haben und diese Zurschaustellung schnellstens beenden.

    Noch vor vielen Wochen, zu Beginn dieser langen Reise, hätte ich mich wohl zu unüberlegten Aktionen hinreißen lassen, wenn der Sklavenhändler oder einer seiner Gehilfen es gewagt hätte, mich anzufassen. Zu dieser Zeit war mein Widerstand noch ungebrochen. Doch innerhalb kürzester Zeit hatten sie jedem widerspenstigen Sklaven aufgezeigt, was ihn erwartete, wenn er nicht gefügig wurde. Dabei war der Entzug von Essen noch die harmloseste Maßnahme.
    Irgendwann war man an einen Punkt angekommen, an den man sich fragte, ob der Tod nicht doch noch die beste Alternative war. Es hatte Tage gegeben, an denen ich jene beneidete, die an Erschöpfung gestorben waren.
    Nun flammte nur noch selten mein Stolz auf. Eigentlich nur, um ganz schnell wieder im Sumpf der Demut zu versinken.
    Während ich nun teilnahmslos, eingeschüchtert da stand, um darauf zu warten, dass es endlich ein Ende nahm, begann der junge Mann mit dem Händler zu verhandeln. Worum es genau ging und für wie viel man mich letztlich verschachern würde, verstand ich nicht. Es war mir auch gleichgültig.


    Die Kaufabsicht des jungen Mannes erfreute den Händler außerordentlich. Auch dass er die kleine Barbarin ohne große Mühe an den Mann brachte, obwohl sie kein Wort Latein sprach. Zugegeben, für manche Dinge war das auch einerlei, dachte er sich grinsend.
    "Fünfhundert und sie gehört dir, mein Freund," antwortete er gönnerhaft, obwohl ihm selbst bewusst war, dass diese Summe übertrieben hoch war. Doch der Sklavenhändler, der kein Neuling in seinem Geschäft war, rechnete damit, dass sein Kunde noch tüchtig den Preis nach unten drücken würde. Und wenn nicht, umso besser.

    Auf der langen und entbehrungsreichen Reise hierher, war mir bewusst geworden, wie klein und unbedeutend wir doch gewesen waren. Angesichts dieses riesigen Reiches, waren wir nichts. Und dennoch hatte sich der hungrige Wolf immer weiter hinauf in den Norden gewagt und hatte auch vor unserem Dorf nicht haltgemacht.
    Auf dem Weg in den Süden hatte ich so manchen Leidensgenossen kennengelernt. Meist verstand ich ihre Sprachen nicht. Doch irgendwie hatte die Kommunikation fast immer funktioniert. Durch diese Fremden, die doch das gleiche Schicksal wie ich selbst trugen, konnte ich mich für kurze Zeit von meinem eigenen jammervollen Dasein ablenken lassen. Geteiltes Leid ist halbes Leid, sagt man. Und das stimmte auch. Zwar konnte es meinen Verlust nicht wettmachen, aber es half mir dabei, nicht in vollkommener Kümmernis zu ertrinken.
    Ich erinnere mich noch gut an die Worte eines Mannes, der eines Tages zu uns gestoßen und mit uns nach Süden verschleppt worden war. Wenn ich mich nicht täusche, war er aus Gallien. Neben einigen Wörtern, die er mir beigebracht hatte, gab er mir auch einige wichtige Ratschläge mit auf den Weg. Dort oben, sagte er und meinte damit das Brettergerüst auf dem wir verkauft wurden, entscheidet es sich, was aus dir wird. Ob du in der Hölle landest oder ob dich eine lebenswerte Zukunft erwartet. Er selbst war vor zwei Wochen an eine Gladiatorenschule verkauft worden. Zu diesem Zeitpunkt hatte ich noch keine Ahnung davon, was Gladiatoren waren. Doch nun, da ich selbst hier oben stand, erinnerte ich mich wieder seiner Worte.


    Der Sklavenhändler tat sein Möglichstes, um meine Widerspenstigkeit zu übermalen. In geschickten Gesten und Worten, die ich allerdings kaum verstand, versuchte er die Menge davon zu überzeugen, dass ich es wert war, gekauft zu werden.
    Ein junger Mann zeigte wohl einiges Interesse an mir. Jedenfalls schaute er immer wieder zu mir und sprach mit dem Händler. Dieser sog sich irgendetwas aus den Fingern, um die Fragen des jungen Mannes beantworten zu können. Ob er damit allerdings richtig lag, hätte er nicht sagen können, da der Händler niemals herausgefunden hatte, welche Fähigkeiten ich tatsächlich besaß. So speiste er den Interessenten mit den üblichen Floskeln ab, die er auf Lager hatte.
    "Ein rassiges Weib, doch unter einer festen Hand, wird sie zahm, wie ein Kätzchen!", gab er lachend zurück. Und tatsächlich, genau in diesem Augenblick, dachte ich darüber nach, ob es nicht besser sei, sich seinem Schicksal zu ergeben und sich mit dem Strom mitreißen zu lassen.
    "Oh, sie ist vielfältig einsetzbar. Sie kann waschen, kochen, putzen … und gut schaut sie auch noch aus!" Dabei veränderte sich etwas seine Stimme und seine schmierigen Hände fuhren über meine Hüfte und mein Gesäß, was mich lediglich nur noch zusammenzucken ließ.

    Unser Leben war nie einfach gewesen. Jeder Tag forderte von uns aufs Neue, um unser Überleben zu kämpfen. Sei es, damit wir genug zu essen hatten und den nächsten Winter überstanden , oder immer ein Dach über dem Kopf hatten. Oder damit wir in Freiheit leben konnten, so wie es schon unzählige Generationen vor uns getan hatten.
    Beschaulich konnte man unser Leben dort unten im Tal gewisslich nicht nennen. Auch wenn wir vieles hatten und in unseren Traditionen lebten, so war es dennoch vom Erfolg der Jagd abhängig, ob das Leben nur mäßig gut oder überschwänglich war. Wenn alle satt und zufrieden und die Vorräte für den Winter gesichert waren, dann sah man gelassener auf das, was sich weiter südlich schon seit einigen Jahren abspielte, dort, wo die Fremden waren. Ab und an waren sie auch ihrem Dorf gefährlich nah gekommen. Doch bis zu jenem Tag hatten sie es nie gewagt, ernsthaft ihren Frieden zu stören. Dann aber kamen sie, mit all ihrer Macht und ihrem Willen zu zerstören.
    Wir wehrten uns erbittert gegen eine Streitmacht, der wir zahlenmäßig unterlegen waren. Wir kämpften um unser Land, unser Leben und das Recht, so zu leben, wie unsere Ahnen es schon zuvor getan hatten . Nicht zuletzt kämpften wir für und unsere Freiheit, damit uns nicht das gleiche Schicksal traf, wie die unterjochten Stämme des Südens. Alle, die gesund und stark waren, griffen zu den Waffen. Selbst die Frauen. Selbst auch ich.
    Aber an diesem Tag hatten uns die Götter verlassen. Sie ließen uns allein, im Blut und Elend. Nichts blieb übrig. Die Fremden töteten das Vieh, brannten unsere Hütten nieder, zerstörten unseren heiligen Ort und töteten all die, die ihnen nicht mehr nützlich sein konnten...


    Der alte karierte Fetzen, der mir bisher als Decke gedient hatte, war von meiner Schulter gerutscht. Als ich zu frieren begann, schlug ich doch wieder die Augen auf. Immer noch war es Nacht. Es kam mir vor, als nähme sie kein Ende mehr, diese Nacht. Die fahlen Gesichter der Toten, selbst bis hier hin verfolgten sie mich. Jede Nacht kamen sie aufs neue. Dann sah ich sie wieder vor mir. Niemand war zurückgeblieben, der sie hätte bestatten können. Ihre Gebeine waren dazu verdammt, zu vermodern. Ihr Fleisch ein Fraß für die Krähen. Und mir war nichts mehr geblieben, außer meinen Erinnerungen an jenen schrecklichen Tag. Alles andere war zerstört oder geraubt worden.
    Meine Finger zupften den Stoff wieder über meine Schultern. Dann schlang ich den Fetzen noch dichter um mich, damit er mehr Wärme abgab. Ich brauchte meinen Schlaf. Morgen musste ich wieder präsent sein. Denn dann würde über meine Zukunft entschieden werden.
    Allzu viele Hoffnung machte ich mir nicht, was die betraf. Eigentlich war ich schon tot. Mein Körper war nur eine leere Hülle, die man seit Monaten kreuz und quer durch das ganze Reich unserer Feinde geschleppt hatte.
    Ich wusste, was auf mich erwartete. Oft genug hatte ich die Prozedur von weitem beobachtet. Man wurde auf ein paar erhöhte Holzbretter gezerrt und wurde von der umstehenden Menge begafft. Letztendlich musste man mit dem gehen, der am meisten bot.
    Vor dem Augenblick, wenn sie mich holen würden, hatte ich Angst. So sehr, dass ich nächtelang nicht schlafen konnte. Bisher hatte ich immer Glück gehabt. Doch ich spürte es, morgen würde es mich treffen. Morgen…


    Schon kurz nachdem die Herbstsonne aufgegangen war, herrschte schon ein reges Treiben in der Stadt. Einige Stunden später hatte man die ersten von uns hinaus gezerrt. Nahezu gleichgültig sah ich zu, wie aus einst freien Menschen, Sklaven wurden. Solange sie da draußen standen, war ich in Sicherheit. Aber dann kamen sie, um mich zu holen.
    Das letzte Flämmchen Widerstand leuchtete in mir auf, bevor es für immer erlosch. Ich wehrte mich, lehnte mich auf, schlug um mich und zerkratzte alle, die mir zu nahe kamen. Aber auch das konnte mich nicht davor bewahren, dort oben zu landen.
    Einem verängstigtem Tier gleich, sah ich auf die Menge und die Menge sah auf mich. Noch nie hatte ich so viel Angst, wie in diesem Moment.

    @ Lucanus: Ja, es müsste eigentlich Moritura vos salutat heißen. *rotwerd* Hab mich vertippt. *rotwerd* Und hab´s zu spät gemerkt.
    Schade, dass du deswegen jetzt eine Verwarnung bekommst. :D Hast aber jetzt was gut bei mir! ;)


    *Räusper* So, und jetzt zu etwas völlig anderem:


    Name: Morag
    Stand: Serva
    Besitzer: Lucius Hadrianus Iustus
    Wohnort: vorerst mal Miseum, später dann Rom ;)