Beiträge von Quintus Flavius Dexter

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    Original von Narrator Aegypti
    Nach den kürzlich erfolgten Neuwahlen hatte der neu gewählte Gymnasiarchos Kapaneos Thebaios kurzerhand die Stege seines Vorgängers so übernommen und sich soweit häuslich darin eingerichtet, dass er arbeiten konnte. Viel zu tun war noch nicht gewesen. Bislang hatte er sich fast hauptsächlich darauf beschränkt, die Listen seines Vorgängers zu sichten und zu kontrollieren und sich mit den Eltern des einen oder anderen jungen Burschen zu unterhalten, der hier am Gymnasion die wichtigsten Grundsätze der Polis lernen sollte.


    Also hatte er auch gerade doch recht viel Zeit, als es an seiner Türe klopfte, und er mit einem lauten “Empros“ herein bat. Einer seiner Schreiberlinge steckte auch schon den Kopf herein und meinte, ein Rhomäer wolle ihn wegen der Proxenie sprechen. “Dann bring ihn herein“, meinte Kapaneos noch zu dem kleinen Angestellten und harrte der Dinge, die da kommen mochten.


    "Ich entbiete dir meinen Gruß, ehrenwerter Gymnasiarchos." sprach der junge Römer in seinem kristallklaren Attisch, als er selbstsicher hereintrat, und den Prytanen interessiert ins Auge fasste.
    "Hab Dank dass du mich sogleich empfängst. Quintus Dexter aus dem Geschlecht der Flavier bin ich, und begehre mein Wissen im ruhmreichen Hort der Musen zu mehren. Ich bitte um die Proxenie."
    Wie lästig war es, sich immerzu selbst vorstellen zu müssen. Das einfache Leben hatte seine Tücken.

    Es war nicht weit. Doch wie Schmeißfliegen umschwirrten die Straßenhändler und Hökerweiber den jungen Flavier auf seinem Weg vom Museion über die Agora bis hin zum Gymnasion. Die Augen zu schmalen Schlitzen zusammengekniffen, schritt der jungen Mann schweren Schrittes aus, und würdigte den ihm aufgedrängten Tand keines Blickes.
    Im Gymnasion angekommen, blieb er im Schatten der Mauern stehen und tupfte sich die Stirn mit einem weißen Leinentüchlein. Darauf ließ er sich zu den Räumlichkeiten des Gymnasiarchos geleiten, brachte sein Ansinnen vor: die Proxenie, und bat darum, zu diesem Behufe beim Gymnasiarchos vorgelassen zu werden.

    Es nahm den jungen Flavier nun doch etwas wunder, welch gigantische Lücken das hiesige Personal beim Geschichtswissen zur Schau stellte. Bereits ihre, in seinen Ohren so unsauber tönende, Sprache hatte ihn enttäuscht. Auch die geforderten bürokratischen Umständlichkeiten schienen ihm ausgesprochen... griechisch. Der vielgepriesene Tempel allen Wissens schien ihm aus der Nähe besehen weit weniger Glanz zu verströmen als aus der Ferne. War es zulässig, zu sagen, dass hohe Erwartungen in sich stets bereits den Keim bitterer Enttäuschung trugen? Dexter jedenfalls schien jenes Phänomen eine Konstante in seinem Leben.
    Ob die Qualität der Lehre sich wohl als ihrem Rufe gerecht erweisen wird?
    "Aha."
    Wenig begeistert von der Aussicht, sogleich wieder hinaus in die Straßen der fremden Stadt zu treten und einem ihrer Würdenträger nachstellen zu müssen, verabschiedete sich der Wissensdurstige...

    Der Prahlerei abhold, gab der junge Patrizier dem Angestellten nachsichtig Auskunft:
    "Ich bin ein Flavier von kaiserlichem Geblüt. Aber ich wünsche wirklich nicht, dass ein Aufhebens darum gemacht wird. Ich möchte ein Schüler sein wie jeder andere auch."
    Darum schreckte ihn keineswegs die Aussicht, einen Raum mit einem Zimmergenossen zu teilen, vielmehr dünkte es ihn eine interessante Neuheit.
    "Da hast du ganz recht, guter Mann" stimmte er dem Schreiber freundlich zu, "nur in der Askese vermögen wir unser Streben auf das Wesentliche zu richten."
    Und einen Raum zu teilen, mit irgendeinem Schüler werweißwelch niederer Abstammung, das schien dem Flavier ausgesprochen asketisch. Er sollte es in seinem nächsten Brief nach Hause wohl besser verschweigen. Die Eltern würden es gewiss mißbilligen.
    "Noch nicht. Wo kann ich mich eintragen lassen?"
    Hoffentlich nur eine Formalität. Dexter zog es zu den klaren Quellen des Wissens... nicht in stickige Schreibstuben.

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    Original von Perseus
    Und selbst wenn das gesamte Personal des Olymps zusammen mit den tierköpfigen Göttern Ägyptens in den Raum gekommen wären, so wäre die Reaktion der meisten Schreiberlinge sicherlich nicht anders gewesen als sie es bei diesem Römer war. Doch im Grunde genommen war das ja egal, da ich nichts davon wusste, dass mein Gegenüber sich für den Nabel der Welt hielt, selbst wenn natürlich die schlichte Tatsache, dass er ein Römer war, auf so etwas hindeuten konnte.
    Auch von den Vorbehalten gegenüber meiner Sprache ahnte ich nichts, als ich mich hinter meinen Schreibtisch begab und mich dort niederliess, den römischen Jüngling im Blick. Auch wenn es mit der Höflichkeit des jungen Mannes offenbar nicht allzu weit her war, beantwortete ich seine Frage natürlich trotzdem freundlich.
    "Pyrrhoneer, lass mich kurz nachsehen." sagte ich und holte eine Schriftrolle hervor, auf der jene Lehrenden verzeichnet waren, die derzeit zum Gast am Museion waren, da ich mir ziemlich sicher war, dass wir derzeit keinen dauerhaft angestellten Gelehrten jener philosophischen Schule hatte. Ich fuhr mit dem Finger über die Liste und hielt bei einem an.
    "Der überaus geschätzte Ariston von Salamis weilt derzeit am Museion." Ich wusste natürlich nicht, ob mein Gegenüber den Namen des Mannes kannte, denn soweit ich mich erinnerte, war er ein Gelehrter mit einem nicht gerade übermässig grossen Ruf, aber möglich war es ja trotzdem.



    Eine metallblaue Fliege zog ihre Kreise an der Zimmerdecke. Ihr penetrantes Surren lenkte den jungen Patrizier ab, er verfolgte, wie das Insekt gegen ein Fenstergitter torkelte, dann erneut ihren stumpfsinnigen, irritierend gleichförmigen Weg auf sich nahm. Heiß war es. Wenn diese Fliege nur einen Tag lebte, so fragte sich der junge Patrizier, währte dann jener kurze Augenblick für sie so lange wie eine Stunde für einen Menschen? So lange wie ein Monat? Länger? Nahmen nicht sogar Menschen, denen eine untereinander ähnlich bemessene Lebensspanne gewährt war, den Verlauf der Zeit ganz unterschiedlich wahr? Wie mochte der Schreiber, der hier vor Dexter so treulich seinen Dienst versah, die Ausdehnung dieses Tages erleben? Ja, verstrich die Zeit nicht sogar für ein und dieselbe Person mal schneller, mal langsamer, je nach Alter, Gemüt, und Neuheit der verlebten Stunden? Veränderung war das Wesen der Zeit, laut Aristoteles. Würde der Lauf der Veränderung aufgehalten – würde dann auch die Zeit enden?
    Oder tropft doch, irgendwo jenseits des fassbaren, eine Art... Idee einer kosmischen Wasseruhr... ?
    Die Fliege summte noch immer, eintönig, schläfrig...
    Ariston von Salamis. Den Namen hatte er noch nie vernommen. Doch da der Schreiber davon auszugehen schien, dass man diesen Mann kennen müßte, beschloß Flavius Dexter, hier keine Blöße des Nichtwissens einzugestehen.
    "Vortrefflich."
    Vortrefflich war es in der Tat, dass diese rare Lehre hier vertreten war! Wie dürstete es Dexter, mehr von jener faszinierenden Philosophie zu erfahren, von der es hieß, dass sie nicht zögerte, alles auf das geistreichste in Frage zu stellen, vor deren Radikalität ihn mancher seiner Lehrer gewarnt hatte (und die ihm darum um so interessanter erschien.)
    "Zudem wünsche ich, mein Wissen auf dem Gebiet der Staatskunde und der Verfassungslehre zu verfeinern." fuhr Dexter zielstrebig fort. "Ist es ausserdem möglich, eine Unterkunft auf dem Gelände des Museions zu beziehen? Etwas einfaches wäre mir durchaus genehm. Ich möchte keine Sonderbehandlung." Und zudem war es um seine Reisekasse nicht mehr allzugut bestellt, seitdem die Wirren des Krieges ihn von der elterlichen Großzügigkeit abgeschnitten hatte. Doch lieber hätte er sich die Zunge abgebissen, als dieses unschickliche Thema anzusprechen.
    "Und was gibt es darüber hinaus noch zu klären?"

    Dies war ein denkwürdiger Augenblick. Dessen war der Jüngling sich überaus bewußt. Später einmal würden die Geschichtsschreiber diesen Tag, den Tag an dem Quintus Flavius Dexter in die Hallen unermesslichens Wissens eingetreten war, mit Sicherheit dick in ihren Annalen unterstreichen. Als eine der ersten Stufen auf seinem Wege zu staatskluger Weisheit, kompromissloser Erkenntnis, und den einem Flavier von kaiserlichem Blute gebührenden allerhöchsten Würden.
    Gereckten Hauptes ließ Dexter sich durchrieseln, von diesem angenehmen Bewußtsein, welches die hinter ihm liegenden und ebenso die auf ihn zu kommenden Strapazen klein und bedeutungslos erscheinen ließ. Seine Umgebung jedoch war blind für den exorbitanten Rang dieses Momentes... stumpf gingen die Schreiber weiter ihrer Tätigkeit nach, werkelten, kritzelten, redeten nebensächliches Zeug, fühllos für den Hauch der Historie.
    Wie die Maulwürfe.
    Lediglich einer begrüßte den jungen Wissensdurstigen. Jedoch! Ein weiterer Mißklang mischte sich wie schwarze Tinte in das klare Wasser der gehegten Erwartungen. Ein Tropfen nur, und doch... Ein Schatten fiel über die ernsten Züge des Flaviers, den Gedanken widerspiegelnd:
    Mit der sprachlichen Reinheit beim Personal scheint es hier nicht weit her zu sein.
    Und war nicht die Sprache unmittelbarste Äusserung des Denkens, ließ nicht die Unsauberkeit des einen unschmeichelhafte Rückschlüsse auf den Zustand des anderen zu?
    Dexter folgte der Geste und ließ sich auf einem Stuhl vor jenem Schreibtisch nieder, ließ sein Bündel zu Boden gleiten. Die Füße gerade nebeneinander gestellt, die Augen forschend auf den freundlichen Grammateus gerichtet, teilte er jenem mit:
    "Der pyrrhonistischen Lehre gilt mein besonderes Interesse. Welche Weisen auf diesem Gebiet sind hier zur Zeit tätig?"

    Kleine Schweißtropfen netzten die Stirn des Neuankömmlings, und der leichte Stoff der Tunika klebte unangenehm am Körper. Die afrikanische Hitze machte ihm zu schaffen. Die Augen verengt zu schmalen Schlitzen, als könne er damit die grellen, ihn wie eine Woge anbrandenden und schwer über ihm zusammenschlagenden Impressionen der fremden Stadt von sich abschirmen, suchte der junge Patrizier sich den Weg, und da, endlich war es ihm vergönnt, den Fuß auf den musengefälligen Boden zu setzen.
    Dexter atmete auf. Reinheit und Geistesgröße, Freigeist und die kristallene Klarsicht des forschenden Verstandes hoffte er hier zu finden. Er tupfte sich die Stirn und begutachtete die imposanten Anlagen hochinteressiert, wenngleich mit einem Funken von Skepsis, konnte er doch die Stimmen nicht zum Schweigen bringen, welche ihm emsig einflüsterten, dass selbst hier, in diesem alle anderen überstrahlenden Tempel des Wissens nur eine weitere, um so schmerzvollere Enttäuschung seiner harrte.


    "Ich entbiete euch meinen Gruß, treffliche Diener der Musen" sprach er in seinem, wie ein kostbares Juwel zur Klarheit geschliffenen, Attisch zu den geschäftigen Schreibern im Vorraum.
    "Quintus Dexter aus dem Geschlecht der Flavier bin ich, und wünsche an diesem ehrwürdigen Ort als Schüler aufgenommen zu werden."

    Alexandria leuchtete. Über den weißen Säulenmonumenten und den breiten Boulevards, wölbte sich ein Sommerhimmel wie blaue Seide. Niemand hätte die Menschenmenge zu zählen vermocht, welche an diesem schönen Sommertag dort wimmelte, Menschen aus aller Herren Länder, in bunter Tracht und fremartigem Gepräge, bevölkerten die Strasse der Stadt, gingen ihren Geschäften nach, überfluteten die Märkte, flanierten durch die großzügigen Parkanlagen, frönten den Müßiggang.
    Es schritt ein Jüngling die Hafenpromenade entlang, ein Bündel über der Schulter tragend, eben erst angekommen, an seinem umherirrenden Blick leicht als Fremdling zu erkennen. Verfolgt ward er von Tagedieben, Bettlern, unerwünschten Vermittlern, derer er sich immer wieder aufs neue mit brüsken Gesten zu entledigen suchte.
    Die kantige Stirn in tiefe Querfalten gelegt, die Augen mit einem Ausdruck angestrengten Grübelns auf die wirre, keiner zu erkennenden Ordnung folgende Umgebung gerichtet, schritt er langsam und schwerfällig vorüber an übelriechenden, zu hohen Haufen getürmten Fischernetzen, an Kisten in denen der heutige Fang glotzäugig und weißbäuchig eines Käufers harrte, vorüber an frivolen Hafendirnen von denen er mißbilligend die Augen abwandte, vorüber an Hökerern von allerlei unnützem Tand welche ihn klebrig zum Kauf zu nötigen suchten.
    "Ich bitte um Vergebung."
    wandte schlußendlich er sich an jenen Passanten - oder jene Passantin – welche ihm ihn solch wenig vertrauenserweckender Umgebung noch am respektabelsten dünkte; und er sprach, mit wohlklingender Stimme, die Worte in etwas altertümlich anmutendem Attisch fein modulierend:
    "Könntest du mir wohl kund tun, welches dieser trefflichen Bauwerke dort sich rühmen darf, den Namen Museion von Alexandria zu tragen?"