Beiträge von Lucius Decimus Albinus

    Stolz hing Albinus seine Auszeichnung von der Schola Atheniensis an der Wand seines Cubiculums auf. Er mußte jedoch auch insgeheim zugeben, dass er nicht weniger als einen Abschluß mit Auszeichnung angepeilt hatte, schließlich waren die Themengebiete fast alle sein Spezialgebiet. Albinus war der Ansicht dass man unmöglich in allen Bereichen bewandert sein konnte, aber in zumindest einem sollte man gegenüber anderen hervorragen, der Beste sein. In diesem Falle ging es jedoch nicht nur um persönlichen Ehrgeiz sondern auch konkret um das eigene Vorankommen, eine solche Auszeichnung könnte sich nämlich als nützlich erweisen, sowohl bei der geplanten Bewerbung in der Schola als auch in seinem weiteren Lebensweg.

    Albinus hatte seine Tante, obwohl er regelmäßig in der Schola zugegen war, schon eine Weile nicht mehr gesehen. Während er seinen Studien nachging hielt sie sich schließlich in ihrem Officium auf und er sah keinen Grund, ihr ohne triftigen Grund die Zeit zu stehlen. Dennoch hatte er sie immer als etwas reservierte aber doch liebe Verwandte in Erinnerung.


    Salve, Tante Seiana, ich freue mich ebenfalls, dich wieder zu sehen.


    Ich würde gerne einen Schluck Wasser trinken.


    Albinus setzte sich und begann zu erzählen, warum er für die Schola arbeiten wollte.


    Das ist richtig, ich erfuhr, dass der Posten des curator libris derzeit unbesetzt ist und bin der Ansicht, dass ich als jemand der mit der Schola und ihren Schriften mittlerweile gut vertraut ist, in der Lage wäre, zum Nutzen der Schola in dieser Position zu arbeiten. Ich sehe für mich auch die Zeit gekommen, einen kleinen Teil zum Wohle der res publica beizutragen und hier scheine ich die Gelegenheit zu haben, es in Übereinstimmung mit meinen Interessen und Fähigkeiten zu tun. Es würde mich sehr freuen, wenn du in der Schola Verwendung für mich hättest und das nicht nur weil mein Vater mir dann keine Vorträge mehr darüber halten muß, ich solle mir endlich eine geregelte Beschäftigung suchen.


    Die letzten Worte trug er scherzhaft mit einem leichten Schmunzeln vor und wartete dann ab, wie Seiana sich zu seinen Plänen äußern würde.

    Am nächsten Tag,nachdem er den Brief seiner Tante Seiana erhielt, machte Albinus sich auf den Weg in die Schola Atheniensis um mit ihr konkreter über seine Pläne zu sprechen. Er klopfte an die Tür ihres Officiums und wartete darauf, eingelassen zu werden.

    Albinus nimmt die Wachstafel entgegen und schaut sich genau an, was Dexter aufgeschrieben hat. Scheint soweit alles richtig zu sein, bis auf eine Kleinigkeit.


    Ja, so kannst du das schreiben, einen Fehler solltest du aber noch korrigieren. Es heißt nämlich "Ad Decimam Messalinam". Die Präposition "ad" bezeichnet eine Bewegung auf etwas zu und das Ziel dieser Bewegung steht immer im Akkusativ. Das "ad" ist dafür aber nicht zwingend nötig, ich kann z.B. auch einfach sagen "ite domum!".


    Nachdem er seinen kleinen Vortrag beendete unterschrieb er auch noch unten auf der Tafel und reichte sie wieder seinem Bruder.

    Es war ziemlich selten, dass sein Bruder eingestand, in einer Sache schlechter zu sein als er selbst, demnach mußte ihm schon etwas daran liegen, Messalina einen Brief zu schreiben. Albinus wollte dies allerdings auch und so fiel es ihm leicht, seinem Bruder dabei zu helfen, einen Brief zu formulieren.


    Kein Problem, Dexter, das ist doch der Sinn einer Familie, dass jeder jedem hilft. Was hältst du von folgendem Wortlaut?



    Nachdem er kurz innehielt und nachdachte fuhr er fort.



    Caius Decimus Dexter sorori suae Decimae Messalinae salutem dicit


    Es ist nun schon eine Weile her, dass du uns verlassen hast um zur Vestalin ausgebildet zu werden. Auch wenn du deiner Familie damit große Ehre gemacht hast, vermissen wir dich alle sehr, ich, Albinus und nicht zuletzt unsere Eltern. Es würde uns daher sehr freuen, wenn wir uns mal wieder sehen könnten. Kannst du uns bitte mitteilen, wann du Gelegenheit hättest, dich mit mir und Albinus zu treffen?


    Vale


    Ich habe mir die Worte gerade aus den Fingern gesogen, dürfte also nicht perfekt sein.



    Ad Decimam Seianam
    Schola Atheniensis | Roma | Italia



    Lucius Decimus Albinus Decimae Seianae amitae suae salutem dicit


    Wie du weißt, liebe Tante Seiana, habe ich immer schon gerne die Bibliothek der Schola für meine Studien der griechischen und römischen Literatur und der Philosophie aufgesucht und kann daher von mir behaupten, sowohl mit der Bibliothek an sich vertraut zu sein als auch mit dem Inhalt der dort gelagerten Schriften. Als ich hörte, dass die Stelle des curator libris derzeit unbesetzt ist und ich für mich mittlerweile die Zeit gekommen sehe, meinen eigenen Beitrag zum Wohl der res publica zu leisten, kam mir daher der Gedanke, dass ich meine persönlichen Interessen gerne nutzbringend für die Schola einbringen möchte. Ich hoffe sehr, dass du dort für mich Verwendung hast und meinem Gesuch stattgibst.


    Vale


    Albinus las eine von einem Freund geliehene Abschrift von "De rerum natura" des Lukrez, als sein Bruder das Cubiculum betrat. Die Auseinandersetzung im Atrium über Dexter Berufwunsch hatte er beinahe schon vergessen und so trat er ihm ohne Groll gegenüber.


    Eine gute Idee, Dexter, ich vermisse Messalina auch ein wenig und würde sie ebenfalls gerne mal besuchen. Weißt du schon, was du schreiben möchtest?

    Albinus konnte seine Überraschung kaum verbergen, kam er sich gegenüber seinem Vater doch immer recht unerfahren, beinahe hilflos vor. Umso stolzer war er, dass sein Vater von ihm etwas lernen wollte, etwas über Rhetorik und Literatur. Das war sein Spezialgebiet und eine große Gelegenheit für ihn, seinem Vater zu beweisen, dass er es auch zu etwas bringen konnte, auch wenn er nicht gerade der fleißigste und zielstrebigste Decimer war. Die Entscheidung fiel ihm daher auch leicht, er würde seinem Vater helfen, die Klassiker der griechischen und römischen Literatur neu zu entdecken und seine Kenntnisse in der Rhetorik wieder aufzufrischen. Er überlegte auch schon, wie er am besten anfangen könnte.


    Vater, es macht mich sehr froh, dass du dich an mich wendest, um deine Kenntnisse in Rhetorik und Literatur aufzufrischen. Ich hoffe, dass meine Lehre dir und der Gens von Nutzen sein wird.

    Auch wenn es Albinus wichtig war, dass sich das Verhältnis zwischen seinem Bruder und seinem Vater wieder entspannt, war er doch insgeheim froh, dass ihm eine solche Behandlung bislang erspart geblieben ist. Er mußte sich nämlich ehrlich eingestehen, dass er sich zu wenig um die Regelung seines alltäglichen Lebens bemühte und dies, bewußt oder unbewußt, auf andere abwälzte, allen voran seine Eltern. Er lebte stattdessen mehr oder weniger in den Tag hinein, ging seinen Studien nach, traf sich mit Freunden und kam den einen oder anderen Abend angetrunken nach Hause. Ein Ziel hat ihm bislang immer gefehlt, über die Zukunft machte er sich wenig Gedanken. Dies mußte sich ändern und eine geregelte Arbeit sollte der erste Schritt auf diesem Weg sein.


    Ich kann in den Abendstunden am besten schreiben und nachdenken, also sag mir, Vater, was ich für dich tun kann.

    Albinus sah abwechselnd zu seinem Bruder, der aufstand und ging, und zu seinem Vater. Er wußte nicht wie er sich verhalten sollte, denn sein Versuch, den Streit zwischen Dexter und seinem Vater zu schlichten war wohl nicht ganz erfolgreich gewesen, vermutlich hielt ihn sein Bruder jetzt für herablassend. Obgleich ihm ehrlich und aufrichtig daran gelegen war, einen Ausgleich zwischen den beiden herbeizuführen, hätte er wohl doch etwas behutsamer vorgehen müssen um nicht diesen falschen Eindruck zu erwecken. Gegenüber seinem Vater vermied er es jedoch, den Streit weiter zu thematisieren und kam wieder zu seinen eigenen Plänen zurück.


    Vater, ich werde gleich damit beginnen, einen Brief an Tante Seiana zu schreiben in dem ich sie frage, ob ich ihr an irgendeiner Stelle in der Schola von Nutzen sein könnte. Ich hörte, es sei zur Zeit die Position des Curator Libris unbesetzt und eine solche Arbeit käme mir wirklich sehr gelegen.

    Obwohl das schlimmste vermieden wurde, war Albinus die Situation doch ziemlich unangenehm. Er war nie der Ansicht gewesen, dass es gute und schlechte Laufbahnen gibt, sondern dass es für alle das beste ist wenn jeder das tut was er gut kann. Er hielt es deshalb auch für völlig berechtigt dass Dexter eine militärische Laufbahn wollte. Das Wohlergehen seines Bruders war ihm natürlich auch, ungeachtet gelegentlicher Meinungsverschiedenheiten, immer wichtig, doch wollte er nicht, dass seinem Bruder diese Möglichkeit verbaut wird, wenn er sie denn ernsthaft und aufrichtig in Betracht zieht, woran Albinus aber auch keinen Zweifel hegte. Er versuchte daher die verhärteten Fronten etwas aufzubrechen, zwischen seinem Vater und seinem Bruder zu vermitteln. Er hatte ja bereits einige Male bewiesen, dass er einigermaßen gut reden konnte.


    Vater, ich bin sehr froh, dass ich von dir in meinem Entschluß unterstützt werde, doch würde ich mir ebenfalls wünschen, dass Dexter zumindest die Möglichkeit bekommt, dir seine Pläne und Beweggründe genauer darzulegen. Er hat diesen Entschluß sicher nicht aus einer kurzfristigen Laune heraus gefaßt sondern ihn sicher vorher gut durchdacht. Natürlich bin ich mir ebenso bewußt wie du, dass er sich eine nicht ungefährliche Tätigkeit ausgesucht hat, doch ist nicht jeder Tag in Rom schon eine gefährliche Angelegenheit, egal was man auch tut? Seneca sagte einmal, dass jeder Moment, den wir damit verbringen, uns vor dem Tod zu fürchten, ein verlorenen Moment ist. Ich möchte dich bitten, Vater, wenn du schon kein Verständnis für Dexters Pläne aufbringen kannst, so doch zumindest zu versuchen, diese aus seiner Sicht nachzuvollziehen.

    Albinus ahnte schlimmes, als sein Vater die Frage aller Fragen stellte, nämlich die, wie er und sein Bruder ihren weiteren Lebensweg gestalten möchten, vor allem in beruflicher Hinsicht. Er mußte seinem Vater wohl immer Sorgen damit bereitet haben, dass er diesbezüglich immer nur ungefähre Vorstellungen hatten, jedoch keine klaren Pläne. Sein Bruder war da ganz anders, für ihn stand schon lange fest, dass er in die militärische Laufbahn eintreten möchte. Damit schien er allerdings seinem Vater noch größere Sorgen zu bereiten, denn dieser konnte bei weitem nicht als Freund des Militärs bezeichnet werden, ganz im Gegenteil. Als Dexter schließlich seine Pläne offen mitteilte fand dann auch tatsächlich der befürchtete Wutausbruch seines Vaters statt. Albinus überlegte, wie er die Wogen glätten könnte bevor der Streit vollends eskalierte und so fasste er den Entschluß, ihm seinerseits von einem Berufsplan zu berichten, der zwar alles andere als ausgereift war aber dennoch im Bereich des Möglichen. Für gewöhnlich vermied er es in Streitigkeiten zwischen seinen Eltern und seinen Geschwistern einzugreifen, doch hier hielt er es für dringend geboten, um die beiden kurz abzulenken und ihnen die Möglichkeit zu geben, sich ein wenig zu beruhigen und genauer über die weiteren Worte nachzudenken.


    Vater, ich habe den Entschluß gefasst, mich um eine Arbeit in der Schola Atheniensis zu bemühen. Es war von jeher mein größtes Interesse, mich mit den Schriften der großen römischen und griechischen Gelehrten zu beschäftigen und ich bin recht zuversichtlich, dass Seiana in der Schola Verwendung für mich haben wird.


    Möglicherweise interessierte seinen Vater dieser Plan nicht angesichts des Schocks den er soeben erlitten haben mußte, doch vielleicht konnte er so auch kurzfristig die Situation entspannen, das hoffte er zumindest.

    Albinus betrat das Atrium und sah seinen Bruder und seinen Vater miteinander sprechen. Dexter hatte er schon eine Weile nicht mehr gesehen, er war soweit er wußte in der Nähe Ostias auf einem Gehöft der Familie, doch über Details war er nicht im Bilde und war auch nicht unbedingt daran interessiert. Er selbst mochte das Landleben ohnehin nicht so sehr, da fehlten ihm die Tabernae und die Schriftrollen mit den literarischen und philosophischen Klassikern. Aber glücklicherweise gibt es ja Menschen mit völlig verschiedenen Interessen so dass für alles was ein Staatswesen benötigt auch gesorgt ist. Dexter schien ihm für eine militärische Laufbahn prädestiniert zu sein, vermutlich bei der Reiterei, wohingegen er selbst noch unschlüssig war, wo er seine Kenntnisse und Fähigkeiten einbringen sollte. Eine Stelle in der Schola Atheniensis erschien ihm recht angenehm oder sollte er doch besser in der Stadtverwaltung anfangen, als Sprungbrett für größere Aufgaben? Die eine oder andere Möglichkeit sollte sich ihm doch bieten. Sein Vater und Dexter schienen sich schon eine Weile zu unterhalten als er dazukam und die beiden begrüßte.


    Salve Vater! Salve Dexter! Schön dass du wieder hier bist! Ich hoffe, die Landluft hat dir gutgetan!

    De media nocte näherte Albinus sich der Casa Decima und klopfte an die Tür. Er hatte das Haus gegen Nachmittag verlassen, um seinen Studien nachzugehen, wie er sagte. Dies stimmte sogar, zu einem Teil. Er hatte sich mit Freunden getroffen, um sich über die platonische Ideenlehre zu unterhalten. Sie waren auch so weit gekommen, festzustellen, dass nach Platon alles in der realen Welt nur ein schwacher Abglanz der Ideenwelt ist. Jeder Baum, den sie bisher gesehen hatten, war also nur ein Abbild der Idee des Baumes. Das war das Beispiel an dem sie sich eine Weile aufhielten, bis sie ihre Studien an einem praktischeren Beispiel fortführten, dem Falerner. Sie waren einhellig der Meinung, dass sie es mit einem Wein zu tun hatten, der der Idee des Weines so nah kam, wie es einem realen Wein nur möglich sein konnte. Albinus hat es sich allerdings angewöhnt, es mit dem Alkohol nach Möglichkeit nicht zu übertreiben, also verabschiedete er sich relativ früh. Er war bereits ordentlich angetrunken, aber nicht sternhagelvoll. Der Grund dafür war nicht unbedingt, dass er sich um ein besonders sittliches Verhalten bemühte, sondern dass es für ihn nichts schlimmeres gab als morgens mit dickem Kopf aufzuwachen. Albinus erschreckte sich ein wenig bei diesem Gedanken. Er hielt sich bislang immer für einen Anhänger der Stoa, aber würde man dies nicht eher von einem Epikureer erwarten? Alkoholverzicht aus Gründen der Schmerzvermeidung? Er kannte die epikureische Philosophie oder gar Epikurs Werk selbst bislang nur vom Hörensagen. Vielleicht sollte er mal die Lücke schließen, ein Freund empfahl ihm vor einiger Zeit auch mal die Lektüre des Lukrez und seiner Schrift de rerum natura. Diese könnte er sich demnächst mal zu Gemüte führen. Im Moment wollte er aber nichts anderes als zu schlafen und daher hoffte er, dass er nicht auf noch wache Verwandte traf und gezwungen war, wieder eine der Diskussionen über sein Verhalten und seinen Lebenswandel zu führen.