Endlich! Endlich! Endlich! Mirjam war so froh als sie vom Deck des Schiffes aus den Hafen Ostias erblickte. Zumindest ging sie davon aus, dass es Ostia war. Es war ihre erste Schiffsreise gewesen. Überhaupt war das hier ihre erste größere Reise, die sich über die Provinzgrenze von Hispania Tarraconensis gestreckt hatte. Und sie war so froh, dass sie endlich vorbei war. Fast vorbei, denn von Ostia ging es ja noch nach Rom. Doch dies nicht mit dem Schiff. Nein! Ein Schiff würde sie so schnell nicht wieder betreten, da war sie sich sicher. Während sie noch einmal unter Deck ging, um ihre wenigen Habseligkeiten zusammenzusuchen, die sich während der 5tägigen Überfahrt von Tarraco rund um ihre Koje verteilt hatten. Es waren nur 5 Tage gewesen, für sie hatte es sich jedoch wie eine kleine Ewigkeit angefühlt.
Als ihr der Maiordomus gesagt hatte, dass der Herr in einem Brief nach einer Sklavin für die Casa in Rom verlangt hatte und die Entscheidung auf sie gefallen war, konnte sie ihr Glück kaum fassen. Sie, die bisher überhaupt nur selten aus Tarraco hinausgekommen war, sollte nun das große Rom, das Zentrum der bekannten Welt, kennenlernen und dort zukünftig im Haushalt der Casa Decima Mercator arbeiten. Wie neidisch auch die anderen Sklaven auf sie waren. Doch die Überfahrt auf dem Schiff hatte sich eher als Horrorfahrt entpuppt. Die immer wiederkehrende Übelkeit und das ständige mulmige Gefühl in der Magengrube, das fast andauernd schwankende Schiff und dann erst der Geruch. Am liebsten hätte sie die ganze Zeit an Deck verbracht, da es dort noch einigermaßen erträglich war, solange man seinen Blick stur auf den Horizont richtete. Doch die meisten Seeleute verscheuchten sie ständig, meinten sie stünde nur im Weg oder überhaupt, dass eine Frau an Bord eines Schiffes Unglück brachte. Dass sie eine Sklavin war, erleichterte die Sache auch nicht. Diejenigen, die sie nicht verscheuchten, waren wiederum an ganz anderen Dingen interessiert und machten dementsprechende Andeutungen und Annäherungsversuche. Manche von ihnen waren sogar recht niedlich und gut gebaut sowieso. Das eine oder andere verschenkte Lächeln war in so einem Umfeld also vorprogrammiert. Doch da man wusste, wer ihr Herr war, ließ man sie im Großen und Ganzen jedoch eher in Ruhe und der Kapitän selbst, hatte ständig ein wachendes Auge auf sie und seine Männer gerichtet. Er hatte vom Maiordomus vermutlich ein paar Extramünzen bekommen, um wie eine Anstandsdame über sie zu wachen. Mirjam war daher gezwungen gewesen, die meiste Zeit unter Deck zu verbringen. Doch nun sollte dies endlich ein Ende finden.
Als sie mit ihrem Bündel wieder auf dem Deck erschien, waren die Seemänner bereits dabei anzulegen und das Schiff mit den Tauen an die Hafenmauer heranzuziehen. Fasziniert beobachtete Mirjam das rege Treiben und die gekonnten und flinken Bewegungen der Männer. Das An- und Ablegen mussten ihren Beobachtungen nach wohl die aufwendigsten Manöver sein, da man hier kaum einen Matrosen sah, der nur herumstand und nichts tat. Alle waren mit irgendetwas beschäftigt und richtig im Stress, während der Kapitän und der Bootsmann irgendwelche Befehle und Anweisungen in alle Richtungen brüllten.
Schließlich war das Schiff vertaut und die Blanke wurde herabgelassen. Auch wenn ihr Bündel, im vergleich zu ihrer Körpergröße doch recht groß war, schaffte sie es, sich irgendwie an den anderen Mitreisenden vorbei zu drängen und so eine der Ersten zu sein, die von Bord gehen konnten. Bereits beim recht wackligen Gang über die Blanke erspähte sie Cyrus, einen Sklaven, der ebenfalls den Decimii diente und den sie noch aus Tarraco kannte, als ihr Herr während des Bürgerkriegs selbst noch auf dem Stammsitz seiner Familie weilte. Cyrus hatte das Glück bereits damals mit einem Großteil des Haushalts mit nach Rom genommen zu werden. Doch nun war auch sie hier und dementsprechend aufgeregt. Als er sie sah, winkte er sie zu sich und Mirjam ging lächelnd in seine Richtung.
"Hallo Cyrus! Wir haben uns lange nicht mehr gesehen." strahlte sie ihn an. "Salve Miri! Willkommen in Italia. Na? Wie war die Überfahrt?" Bei der Frage konnte er sich ein grinsen nicht verkneifen. Sah man ihr das wirklich so stark an? Man sprach zwar davon, dass man vor Übelkeit grün werden konnte, sie hatte jedoch keine Veränderung ihrer Hautfarbe erkennen können. Und sie hatte sich sicherheitshalber jeden Tag nach Verfärbungen überprüft. Außer ein paar blaue Flecken, aufgrund der recht unbequemen kleinen Koje, hatte sie jedoch nie etwas entdeckt. Sie kniff daher die Augen zusammen. "Danke! Sie war sehr schön und mir ist auch nicht Übel geworden, wie mir die meisten Prophezeit haben!" Keinesfalls würde sie sich die Blöße geben die Wahrheit zu sagen und zuzugeben, dass sie die meiste Zeit über einen Kübel oder über die Reling gebeugt verbracht hatte. Cyrus schien es dabei zu belassen und grinste nur noch breiter. Doch schließlich nahm er ihr das Bündel ab und gab ihr mit dem Kopf ein Zeichen, ihm zu folgen. "Also gut. Dann brechen wir auf. Rom ist noch ein gutes Stück entfernt, aber vielleicht haben wir Glück und uns nimmt ein Karren mit." Sie nickte und folgte ihm. Erst jetzt merkte Mirjam, wie wacklig ihr ihre Schritte schienen. Ihr ganzer Körper, aber vor allem ihre Beine, schienen immer noch zu glauben an Bord des Schiffes zu sein. Vielleicht war das der Grund für Cyrus dummes Grinsen gewesen, denn ohne Zweifel konnte man ihr den „seemännischen“ Gang bereits von der Weite ansehen. Doch bis sie nach Rom gelangten, würden ihre eigentlich sonst recht grazilen Bewegungen bestimmt wieder zurückkehren.