Beiträge von Gaius Decimus Flavus

    Flavus‘ kleine Provokation verfehlte sein Ziel nicht vollends. Mirjam beharrte zwar darauf, dass es sich für sie nicht ziemte, hatte jedoch ein Lächeln im Gesicht und ließ sich ungewöhnlich lange Zeit für die Öffnung der Türe. Fast schien es, als wartete sie darauf, dass der Decimer ihre Worte widerlegte und ihr die Verantwortung abnahm.


    Falls es so war, gönnte er ihr diesen Gefallen allerdings nicht.


    „Da hast du wohl Recht.“, sagte er in gespielt niedergeschlagenem Tonfall.


    Das bübische Lächeln in keiner Weise ablegend, schloss er seine Augen wieder, lehnte sich zurück und verschränkte die Arme hinter dem Kopf. Er verließ sich darauf, dass die blonde Gesellschafterin weiterhin keine Eile dabei hatte die Türschnalle zu benutzen und wartete einige Sekunden.


    „Wenn mich jedoch nach meiner anstrengenden, auszehrenden, langen Reise die Knochen plagen würden und ich massiert werden müsste, wäre der Consular bestimmt nicht davon angetan wenn er hörte, dass sich für diese Aufgabe kein Sklave finden ließ.“


    Erneut öffnete er eines seiner Augen halb und fixierte damit Mirjam.

    Obwohl seine Gesprächspartnerin zunächst noch verächtlich schnaubte, schien sie sich kurz darauf doch zu beruhigen. Flavus war ziemlich froh darüber, denn er wusste nicht, wie viel er der Sklavin noch hätte durchgehen lassen dürfen. Er konnte nicht erlauben, dass sie sich über ihren Stand hinabsetzte, denn ab einem gewissen Punkt konnte so etwas gefährlich werden - und zwar für beide Seiten. Ob dieser Punkt nicht schon überschritten war, würde sich vermutlich noch zeigen, doch fürs Erste war er zufrieden. Er hatte sie nicht vor den Kopf gestoßen und sie hatte keinen Grund einen Groll gegen ihn zu hegen, was ihm wiederrum nur zu Gute kam. Schließlich konnte er schon jetzt sagen, dass er sie mochte. Dieses Rebellische hob sie ab von der grauen Masse und machte sie zu der interessanten Gesprächspartnerin, die sie war. Langweilig würde ihm mit ihr jedenfalls sicher nicht werden.


    Allerdings schien sich Mirjam sich nun wieder mehr und mehr in den Griff zu bekommen und fuhr erstaunlich unterwürfig mit der Vorbereitung des Bades fort.


    „Ähm…Wasser.“


    Bevor sie ihm etwas einschenken konnte, stellte er sich jedoch vor sie, berührte mit der Hand sachte ihr Kinn und schob den gesenkten Kopf nach oben. Aus irgendeinem Grund wollte er sie nicht niedergeschlagen und kleinlaut sehen.


    „Schon gut, ich bin nicht nachtragend.“


    Gerade als er diese Worte gesprochen hatte, bereute er sie auch schon wieder. Was, wenn die blonde Frau ein listiges Spiel mit ihm spielte und ihn um den Finger wickelte? Vielleicht teste sie ihre Grenzen aus und würde in Zukunft sogar noch weiter gehen. Der Decimer dachte darüber nach, während ihre Blicke sich kreuzten und er versuchte etwas Wahrheit in ihren Augen zu erkennen. Vermutlich würde er ihr vertrauen, solange bis sie ihm einen Grund gab, dies nicht mehr zu tun.


    Er entfernte sich wieder einige Zentimeter von ihr.


    „Ich mag Myrtenöl.“


    Daraufhin zog er sich die Tunika über den Kopf, befreite sich ohne falsche Scham von seinem Lendenschurz und stieg ins Wasser. Langsam ließ er sich nieder, so dass das Wasser seine Brust berührte. Tief durchatmend schloss er für einen kleinen Moment seine Augen und genoss das Gefühl.


    „Ich könnte auch von dir verlangen zu baden.“


    Immer noch mit geschlossenen Augen legte sich ein schelmisches Grinsen auf sein Gesicht, wobei sich seine Augenlider leicht anhoben, um ihre Reaktion zu erkennen.

    Flavus fühlte sich ein wenig von einer Seite zur anderen gerissen. Die Argumente beider Männer klangen schlüssig. Selbst wenn er wollte, hätte er keinen von ihnen vor den Kopf stoßen können, ohne sich auf irgendeine Art und Weise selbst ins Fleisch zu schneiden. Seine Augen huschten zwischen Livianus und Varenus hin und her in dem Versuch, dem Wortwechsel zu folgen und dabei Schlüsse für sich heraus zu ziehen. Dieses Vorhaben stellte sich jedoch als leichter gedacht als getan heraus, die Thematik war zu umfangreich und vielfältig, als sie in diesem Moment abschließend klären zu können. Zunächst hielt er die Worte des einen für das Richtige, ehe die des anderen seine Favorisierung wieder umkehrten. Ob nun Livianus oder Varenus mit seiner Meinung richtig lag - mit in einer Sache konnte Flavus schon nach wenigen Sekunden des Überlegens übereinstimmen. Jetzt war nicht die Sekunde, um eine solche Entscheidung zu treffen. Er war gerade erst in dieser Stadt angekommen, musste erst einmal mit den neuen Umständen und der unbekannten Umgebung ins Reine kommen. Seine unbedarfte Jugend würde ihm dabei helfen und schenkte Zeit, die er brauchen konnte, um herauszufinden was er eigentlich wollte.


    „Ich danke euch beiden für euren Rat. Es bedeutet mir wirklich viel, dass euch meine Zukunft nicht egal ist. Allerdings denke ich, dass du hast Recht hast.“


    Er nickte Livianus zu.


    „Ich sollte mir genügend Gedanken darüber gemacht und noch mehr Gespräche geführt haben, ehe ich eine Entscheidung treffe.“


    Der junge Decimer war seinen Verwandten wirklich dankbar, schließlich hatten sie nun dafür gesorgt, dass er Punkte hatte, bei denen er ansetzen konnte. Dem unklaren, verwaschenen Gemälde seiner Zukunft würde er so Konturen verpassen können.


    „Wenn ihr es erlaubt, werde ich sicher bald auf dieses Thema zurückkommen. Ich möchte eure Zeit jetzt allerdings nicht weiter unnötig strapazieren.“


    Ehrlich gesagt war er einfach nur müde. Die lange Reise hatte an ihm gezerrt, die Füße schmerzten und er konnte ein wenig Ruhe vertragen. Sowohl für den Körper, als auch die Seele.

    Die blonde Sklavin schien sich plötzlich über alle Maßen zu erschrecken und kippte nach vorn. Flavus, der keinesfalls mit einer so heftigen Reaktion gerechnet hatte, war von der neuen Situation ein wenig überfordert und wusste nicht, was zu tun war. Mit verdutztem Ausdruck nahm er wahr, wie Mirjam mit letzter Mühe sein Bein zu fassen bekam, es umkrallte und so vermied kopfüber ins halbefüllte Bad zu fallen. Glücklicherweise war sie eher zierlicher Statur, so dass die Gefahr, dass sie beide zusammen ins Becken stürzten, auf ein Minimum reduziert wurde. Er wankte lediglich leicht, fand jedoch schnell das nötige Gleichgewicht.


    Ebenfalls überfahren von der Situation starrte die junge Frau nun völlig außer Atem zu ihm hinauf. Er brauchte einen Moment bis ihm eingefallen war, worauf sich ihre Worte bezogen. Dass er überhaupt irgendwas gesagt und somit die ganze Aufregung erst heraufbeschworen wurde, hatte er beinahe schon vergessen. Dass ihre Hand immer noch auf seiner Wade lag, bemerkte er erst, als Mirjam sie zurückzog und sich peinlich berührt entschuldigte. Gerade jedoch, als er ihr sagen wollte, dass es in Ordnung wäre, schwang ihre Stimmung um 180 Grad. Offensichtlich bis aufs Mark verärgert fauchte sie ihn an und sprach sogar die Andeutung einer Drohung aus.


    Nun hatte sich der kleine Anteil Besonnenheit vollständig aus seinem Kopf entfernt. Völlig verwirrt stand er da, mit offenem Mund und gerunzelter Stirn. Es war nicht der Umstand, dass sie sich als Sklavin diese völlige Dreistigkeit erlaubte, die ihm die Sprache raubte. Viel mehr war es seine Unerfahrenheit mit Frauen. Natürlich wollte er sich einen kleinen Spaß erlauben und sie erschrecken, aber er wollte doch nie, dass es zu dieser Situation kommt.


    „Wärst du keine Sklavin, müsste ich mich vermutlich bei dir entschuldigen?“, sagte er in ruhigem Ton als er seine Gedanken endlich wieder soweit sortieren konnte, dass er in der Lage war seine Sprache zu gebrauchen. Vermutlich wollte sie ihren Satz so wohl eher nicht vollenden, doch wieder war er nachsichtig.


    „Ich wollte nicht, dass du stürzt. Entschuldige.“


    In ihrer Situation wäre er sicherlich auch sauer gewesen.


    Der Kontrast, den das Bild aus zierlicher, kleiner Frau und wütender Mimik gab, hatte zugegebenermaßen seinen ganz eigenen Charme und er konnte nicht umhin ihr von oben herab in die himmelblauen Augen zu schauen.
    „Wie wäre es, wenn ich dir eine Wiedergutmachung als Geschenk gebe und du das Bad nimmst?

    Flavus hatte nicht lange Ausschau halten müssen. Ausgerüstet mit frischen Badetüchern schritt er schnurstracks auf den Ort zu, an dem er das Balneum der familieneigenen Casa vermutet hatte und fand es dort tatsächlich vor. Blauer Schimmer trug das vom Wasser gespiegelte Licht einiger Kerzen durch die offene Türe in den angrenzenden Gang und verdeutlichte dem Neuankömmling so bereits schon vor Betreten des Raumes, was sich darin befand. Da er nicht wusste, wann das Bad für ihn bereitet sein würde, und er keine Lust hatte die ganze Zeit auf einen Sklaven zu warten, der ihm Bescheid gab, war er bereits vorher auf eigene Faust aufgebrochen, auch auf die Gefahr hin, dass noch nicht alles fertig war. Als er durch den Rahmen der Tür schritt, stellte er jedoch zufrieden fest, dass das Wasser schon dabei war eingelassen zu werden, sowie die obligatorischen Ölbäder zur Nutzung bereitstanden.


    Etwas anderes zog jedoch schon weit eher seine Aufmerksamkeit auf sich. Die Sklavin, der er die Vorbereitung dieses Bades zu verdanken hatte, kniete am Rand des Beckens und schien die Temperatur des Wassers zu überprüfen. Aufgrund des noch relativ geringen Wasserstandes musste sie sich dafür jedoch weit nach vorn beugen. Ein vergnügtes Lächeln breitete sich auf dem Gesicht des jungen Mannes aus, als er das wohlgeformte Gesäß der blonden Mirjam identifizierte. Er beobachtete sie ein, vielleicht auch zwei Sekunden, ehe er sich langsam, auf spitzen Zehen näherte. Das Geräusch des laufenden Wassers half dabei, seine Schritte zu überdecken. Als er genau hinter ihr stand, beugte er sich ebenfalls herab, so dass sein Mund nur knapp neben dem Ohr der jungen Frau war. In heiterem Ton machte er nun auf sich aufmerksam.


    „Ich dachte, du wolltest mir ein Bad vorbereiten lassen.“

    Offenbar schien Mirjam kein Problem mit seinem Wunsch zu haben. Sie willigte ein, ihn am nächsten Tage in die Stadt zu begleiten. Auch wenn Flavus kein Kulturbanause in diesem Sinne war, konnte es nicht schaden eine weibliche Meinung einholen zu können. In Rom zählte der erste Eindruck, der äußere Schein nämlich viel, und niemand konnte es sich leisten, nicht tadellos und seinem Stand entsprechend gekleidet zu sein.


    „Sehr schön.“


    Im Gegensatz zu seinem derzeitigen Auftreten. Zum Glück wusste noch niemand auf der Straße, wer er war und konnte sein Gesicht so einem Namen zuordnen. Seine Tunika, die derzeit weit mehr wie ein Haufen Lumpen anfühlte, war wirklich nicht ausgehtauglich.


    Während die Sklavin ihr wohlmöglich zuvorkommend gemeintes Angebot unterbreitete, zog Flavus die Luft durch die Nase ein. Zwar hatte er ohnehin an ein Bad gedacht, doch stank er wirklich so stark, dass seine Erscheinung selbst eine Sklavin abschreckte? Er roch nichts. Doch vermutlich auch nur, weil er seinen eigenen Körpergeruch bereits seit einigen Tagen gewöhnt war. Das Gefühl von Schmutz haftete unnachgiebig an ihm. Letztendlich zeugte Mirjams Bemerkung also nur von Geschmack und einem Verständnis für Klasse. Sie würde sicher eine herausragende Beraterin in Einkaufsfragen abgeben.


    Dann sollte es also ein Bad für ihn sein.


    „Ja, dafür wäre ich dir dankbar.“


    Als Zeichen dafür, dass er derzeit nicht mehr von Mirjam verlangte, nickte er ihr zu und gab ihr die Erlaubnis zu gehen, falls sie nichts mehr zu sagen hatte. Er jedenfalls wandte sich bereits ab und begann sich seiner Tunika zu entledigen. Er konnte dieses abgetragene Gefühl einfach nicht länger ertragen.

    Es war verständlicherweise schwierig für Flavus sich eine unabhängige Meinung zu Livianus und Varenus zu bilden. Bisher hatte kannte er sie fast ausschließlich nur durch Hörensagen. Die eigenen Erinnerungen an seinen Onkel lagen zu weit zurück, als dass er sie als Grundlage heranziehen konnte. In gewisser Weise besaßen beide einen Vertrauens- und damit auch Sympathievorschuss, da ihre familiären Bande sie zusammenhielten. Positiv wirkten zudem der Umstand, dass der Consular ihn sofort und ohne Umschweife als Bewohner der Casa akzeptierte, sehr nett und zuvorkommend war und Livianus‘ herzliche Umarmung, die dem jüngsten Decimer in der Runde ein leicht verlegenes Lächeln entlockte.


    „Nein, nichts schlimmes. Ganz und gar nicht.“, erwiderte er auf die Frage nach dem Grund seines Besuchs in Rom. „Ich bin hier um meiner beruflichen Laufbahn eine Richtung zuzuweisen.“, fasste er kurz und knapp zusammen. Eben jene Richtung sah der silberhaarige Decimer offenbar keinesfalls beim Militär. Den abwertenden Tonfall hatte Flavus dabei nicht überhört. „Der Kaiserhof, sagst du?“


    Für einige Sekunden legte er die Stirn in Falten. „Ja, sicher eine interessante Alternative.“
    Es war gut einmal beide Seiten zu hören zu bekommen, denn er ging davon aus, dass der Consular diese Sache ein wenig anders sehen würde.


    „Was meinst du, Livianus?“

    Das waren absolut interessante Neuigkeiten, die Mirjam da vorzubringen hatte. Schöne Frauen gab es viele. Es war der Stand, Einfluss und die Politik, die auf einer solchen Stufe zählte. Diese Ehe hielt sicherlich für beide Seiten ihre Vorteile bereit, schließlich war sie doch gerade dazu da. Getuschel um die wahren Beweggründe einer solchen Verbindung gab es doch immer, da unterschieden sich die noblen Räumlichkeiten der oberen Zehntausend kaum von Sklavenunterkünften. Jeder zerriss sich die Münder und dürstete geradezu nach dem neusten Klatsch und Tratsch. Betraf das Ganze dann noch einen Consular und die Nichte eines ehemaligen Kaisers, war schnell das ganze Römische Reich involviert. Flavus wunderte es wirklich, dass er bis dato noch nichts davon mitbekommen hatte.


    Nachdem die blonde Gesellschafterin hemmungslos aus ihrem Nähkasten geplaudert und wenig später realisiert hatte, was für Worte da eigentlich aus ihrem Mund kamen, sah der Decimer sie zunächst scharf an. Als er dann sah, wie ihr die Schamesröte ins Gesicht stieg, konnte er nicht mehr an sich halten, prustete und lachte lauthals.


    „Du wirst kaum eine Frau in Rom finden, für die Decimus Livianus keine gute Partie wäre, aber ich verstehe, was du meinst.“


    Ein leichtes Zwinkern sollte verdeutlichen, dass er es ihr nicht übelnahm. Was war sie nur für eine ungewöhnliche Sklavin? Er hatte noch nie jemanden getroffen, der so ohne Hemmungen über seinen Besitzer und Herren redete.


    „Aber das sollte ich wohl für mich behalten. Du solltest mit dieser Meinung aber lieber auch nicht hausieren gehen.“


    Während er sich wieder setzte, fiel sein Blick auf das wenige Hab und Gut, das er hierher mitgebracht hatte.


    „Ich möchte mir morgen die Stadt ein wenig ansehen. Außerdem brauche ich neue Kleidung“, er deutete auf die etwas abgetragene Reisekleidung, die er noch immer am Leib trug, wobei ihm einfiel, dass er auch ein Bad vertragen konnte „Solange Aelia Vespa und ihr Sohn noch nicht hier sind, wird Livianus sicher nichts dagegen haben, wenn ich mir dich etwas ausborge und du mich begleitest. Ich spreche morgen früh mal mit dem maior domus.“

    „Da könntest du wohl Recht haben.“


    Das wäre tatsächlich eine plausible Erklärung. Alles in Allem machte es jedoch sowieso keinen Unterschied. Hispania war groß und die Landgüter der Decimi zahlreich. Flavus bezweifelte, dass er selbst alle kannte, geschweige denn einen Besuch abgestattet hatte. Es war daher eh unmöglich alle Sklaven zu kennen, die sich im Hausstand irgendeines Mitglieds seiner Gens befanden, selbst wenn sie es schon so lange taten wie Mirjam.


    Die Verdutztheit, mit der sie ihn bedachte nachdem er nach ihrer Aufgabe gefragt hatte, übersah der junge Römer nicht. Hatte er sie beleidigt? Das wäre nicht seine Absicht gewesen. Explizit ging sie nur auf die tatsächliche Frage ein, ohne etwas auf seine Randbemerkung zu erwidern, die -zugegebenermaßen - auch etwas mehr von Flavus‘ Fingerspitzengefühl vertragen hätte. Wieder einmal konnte er sich nicht gegen ein Schmunzeln wehren. Es war das was sie nicht sagte, das die Quintessenz seiner Worte beantwortete. Oh ja, sie war durchaus intelligent und hielt sich geschickt zurück.


    Es dauerte eine kurze Weile, ehe sein Verstand den Rest ihres Satzes verarbeitet hatte. Nun war es der Decimer, der verdutzt dreinsah.


    „Moment. Du meinst, Livianus heiratet? Wen?“


    Ein Gespräch mit Mirjam sollte sich offenbar wirklich als hilfreich herausstellen. Auf seiner Reise hierher hatte er nicht viel mitbekommen und auch davor hatten Neuigkeiten ihre Zeit gebraucht um seine Mutter und ihn zu erreichen.

    Flavus war etwas positiv überrascht. Er hatte eine wortkarge, verschüchterte junge Frau erwartet, aus der er jedes stumpfe Wort herauspressen musste. Stattdessen sprach sie fließend wie das Wasser eines Aquäduktes, durchaus mit gewählten Worten und ohne Scheu. Er hörte ihr aufmerksam zu und war beinahe perplex als sie ihm eine persönliche Gegenfrage stellte. Das war er nicht unbedingt gewohnt, meist waren es ziemlich teure, speziell ausgebildete Gesellschafter, mit denen man sich auf einem passablen Niveau unterhalten konnte. War sie so eine? Er versuchte sich nicht allzu viel der Überraschung anmerken zu lassen, behielt sein Schmunzeln aber im Gesicht.


    „Varenus ist der Bruder meines verstorbenen Vaters. Mein Großvater war der Vetter des Consulars Livianus.“, versuchte er (mehr oder weniger erfolgreich) verständlich zusammenzufassen.


    „In Tarraco war ich ab und an zu Besuch. An dein Gesicht würde ich mich jedoch erinnern, sollten wir uns dort schon einmal begegnet sein.“


    Kurz, vielleicht dennoch einen Augenblick zu lang, betrachtete er ihre feinen Gesichtszüge. Dass er ihr bei seinen Besuchen in der Casa wohl nicht über den Weg gelaufen war, war auch nicht weiter verwunderlich. Als Knabe hatte er kaum Kontakt zu gleichalten Sklaven, gespielt hatte er mit ihnen schon gar nicht. Er teilte ihre Einschätzung, dass die Casa wohl noch weit mehr Personen aufnehmen konnte, als sie es derzeit tat. Die Räumlichkeiten waren beeindruckend groß.


    „Mir geht es ähnlich. Rom ist die größte Stadt der Welt, ich muss mich auch erst zurechtfinden.“, offenbarte er etwas kleinlauter als die Worte zuvor, eher er sich wieder fing und mit gewohnt kräftiger Stimme fortfuhr.


    „Was sind deine Aufgaben hier? Du scheinst intelligenter zu sein als… andere.“

    Zwar hatte sich Flavus im Zimmer umgesehen, und die Überraschung der Sklavin nicht zu Gesicht bekommen, ihre Worte allerdings hörte er ganz deutlich. Das kurze Zögern vor der Begrüßung verriet sie dann schließlich. Mitten im Satz lenkte der Decimer seinen Blick auf sie und konnte sich nicht gegen ein leichtes Lächeln wehren. Mirjam - wie sie sich vorstellte - hatte ein recht unschuldiges, freundliches Gesicht, das zweifellos ziemlich hübsch für eine Sklavin war. Dass sie noch nicht fertig war, bevor er eintraf, war sicherlich nicht ihre Schuld und wenn doch, kümmerte es ihn in diesem Moment auch wenig. Er nickte als sie sich entschuldigte, sich anschickte ihn in Ruhe zu lassen und zur Tür schritt. Kurz sah er ihr nach, ehe er es sich anders überlegte.


    „Mirjam, warte.“


    Sich erhebend machte er einen dezenten Schritt auf sie zu.


    „Ich bin Gaius Decimus Flavus. Ich komme aus Hispania, weißt du wo das ist?“


    Der Bildungsstand der meisten Sklaven war ziemlich gering, weshalb er sich dessen nicht wirklich sicher war.


    „Ich werde von jetzt an hier wohnen und wir werden uns nun wohl ab und zu zu Gesicht bekommen. Es würde mir Vergnügen bereiten, wenn du mir ein wenig über die Casa erzählst und mir sagst, wer hier noch lebt.“


    Bis jetzt hatte er nur Livianus und Varenus getroffen, er war sich jedoch sicher, dass noch mehr Decimer in Rom zugegen waren.


    „Das heißt, wenn du gerade keine anderen Aufgaben hast.“


    Er deutete beispielhaft in Richtung des fertig gerichteten Bettes, legte jedoch keine Wertung in seine Stimme. Für einen Sklaven gab es sicherlich auch weit schlimmere Aufgaben als Betten zu machen und Zimmer zu putzen. Von einem kurzen Gespräch mit ihm ganz zu schweigen.

    Nachdem das Gespräch im Atrium beendet war, ließ Flavus sich von einem Sklaven den Weg zu seinem neuen Zimmer zeigen. Füße und Beine waren recht müde, die Reise war schließlich lang gewesen und so verzichtete er darauf Rom an diesem Tag weiter zu erkunden und suchte stattdessen den Raum auf, der für ihn hergerichtet wurde. Als er eintrat staunte er nicht schlecht, denn sein Cubiculum war recht groß, dazu angenehm hergerichtet und hinterließ einen gemütlichen Eindruck in dieser sonst so stressgeplagten Metropole. Sein mitgebrachtes Hab und Gut - Hauptsächlich Kleidung - war bereits hergebracht worden und stand ordnungsgemäß wartend in einer der Ecken. Nahe dem Bett befand sich eine blondhaarige Frau, die in letzten Handgriffen die Bettwäsche herrichtete. Da er sie nur von hinten sah, konnte er leider nicht sagen wie sie aussah, oder gar wie alt sie war.


    „Salve, Serva.“


    Er sah sie nicht an und sah sich im Kreis um. Sie schien gute Arbeit geleistet zu haben, nirgends war Staub, Dreck oder Unordnung zu erkennen. Nicht, dass Flavus es anders erwartet hatte, doch die Sklaven des Hauses schienen im Allgemeinen ihre Aufgaben zufriedenstellend auszuüben. Erschöpft und durchatmend ließ er sich auf einen Stuhl fallen.


    „Wie ist dein Name?“


    Ihm war ein wenig nach Unterhaltung.

    Bevor der Consular jedoch auf Flavus‘ Frage antworten konnte, unterbrach sie eine Stimme von der Seite. Sogleich sah sich der junge Decimer nach der Quelle um und erblickte einen Mann, dessen reife Züge ihm wage bekannt vorkamen, ohne gleich zu wissen woher. Glücklicherweise folgte die Aufklärung auf dem Fuße, als Livianus die Vorstellung der beiden übernahm.


    „Salve Onkel!“


    Er lächelte vergnügt und freute sich tatsächlich, einen so nahen Verwandten zu treffen. Die letzte Begegnung der beiden lag Jahre zurück. Flavus konnte sich kaum noch daran erinnern. Er hatte ihn auch nicht in Rom erwartet, da er davon ausgegangen war, er lebte immer noch in Genua.


    „Es ist schön dich zu sehen. Das letzte Mal muss über zehn Jahre zurückliegen. Sag, wie geht es dir?“


    Offenbar hielt er das Militär als schlechte Karriereoption für Flavus. Es stand jedoch die Frage im Raum, ob seine Ablehnung dem Kriegshandwerk im Allgemeinen galt, oder ob er nur seinen Neffen nicht in einer Legion sehen wollte. Oder hielt er Flavus gar für unfähig ein Schwert zu führen?


    „Du scheinst nicht viel vom Militär zu halten? Wo würdest du meine Laufbahn dann eher sehen?“


    So kam Varenus in die Verlegenheit einen Karrieretipp abzugeben, bevor Livianus es konnte.

    „So ist es. Meine Mutter hat sichergestellt, dass ich alles kann, was ich können muss und das weiß, was ich wissen muss“, fasste Flavus die teils übertriebene Führsorge seiner Mutter zusammen, die auch in späteren Jahren dafür sorgte, dass der Tod seines Vaters ihm nicht zum Nachteil geriet und der männliche Part an Erziehung und Bildung übernommen wurde. Über den Start seiner Laufbahn hatte er sich hingegen bisher kaum Gedanken gemacht. Es stand fest, dass er eines Tages selbst den Ordo Equester verliehen bekommen wollte, um durch Namen und Stellung seine Vorfahren zu ehren. Wie er dieses Ziel erreichen sollte, stand dagegen noch offen und hing sicherlich auch mit den Möglichkeiten zusammen, die sich ihm offenbaren würden.


    Er nahm einen weiteren Schluck Wasser, um die Zeit, in der er nachdachte, ein wenig zu überbrücken.


    „Die Verwaltung könnte mir gefallen. Früher oder später wird sich mein Blick sicher Richtung Militär richten. Ich habe mir, wenn ich ehrlich bin, bisher kaum Gedanken dazu gemacht, wie ich die Ritterwürde erlange und wollte mich dazu beraten lassen, sobald ich in Rom bin.“


    Kurz ließ er den Blick auf seinen Onkel entfernten Grades ruhen.


    „Könntest du mir etwas empfehlen?“

    Flavus hatte zwar gehofft, dass er mit Freundlichkeit empfangen würde, grundsätzlich erwartet hatte er es jedoch nicht. Dass Livianus‘ Worte dann sogar recht herzlich rüberkamen, trug zu einer freudigen Überraschung bei, die sich in Form eines Lächelns auf dem Gesicht des Jungen abzeichnete.


    „Ich danke dir.“, sagte er aus tiefstem Herzen während sie auf eine Bank zusteuerten und sich setzten. Er war ein wenig erleichtert, dass seinem Vorhaben keine Steine in den Weg gelegt wurden.


    „Meiner Mutter geht es hervorragend. Sie ist zwar etwas bekümmert, da ich nun so weit entfernt bin, aber sie ist gut versorgt.“


    Der Sklave brachte die bestellten Getränke, woraufhin er sich erneut einen großen Schluck Wasser gönnte, bevor er fortfuhr.


    „In erster Linie musste ich mal etwas anderes sehen als die iberische Halbinsel. Mit Neunzehn bin ich nun in dem Alter, in dem ich mir ernsthaft Gedanken um meine Zukunft machen sollte. Und die habe ich einfach nicht in Hispania gesehen. Wenn es Möglichkeiten für mich geben sollte, dann doch in der größten Stadt der Welt.“


    Wie um seine Worte zu verdeutlichen zog er mit einer Hand einen kleinen Kreis durch die Luft.


    „Ich hoffe eines Tages im selben Atemzug mit Decimern wie Praetorianus genannt zu werden, auch wenn dieses Ziel natürlich noch sehr weit entfernt liegt.“

    Ewig brauchte Flavus nicht zu warten, ehe die Schritte einer sich nähernden Person auf dem Boden widerhallten. Der Consular war ein gestandener Mann mit markantem Gesicht, das von dunkelbraunem Haar umrahmt wurde. Allein sein Auftreten strahlte eine gewisse Autorität aus, auch wenn der junge Decimer sich das in diesem Moment auch einfach nur einbilden konnte. Der Name von Livianus gehörte mit einiger Sicherheit zu denen, die man in dieser Gens lieber kennen sollte. Begegnet war er ihm jedoch zuvor noch nie, zumindest soweit er sich erinnern konnte. Der letzte Besuch in Rom, oder gar in Italia lag schließlich schon viele Jahre zurück.


    „Salve, Consular! Es ist mir eine Ehre und Freude. Mein Name ist Gaius Decimus Flavus, Sohn des Titus Decimus Pinus.“


    Kurz überlegte er, ob dieser Name bei Livianus überhaupt etwas klingeln ließ. Sein Vater hatte bis zu seinem Ableben nicht viel Bemerkenswertes erreicht, so dass der Name des Pinus eher blass und für die Familie unbedeutend blieb. Ein Umstand, den Flavus nun selbst ändern wollte. Sein Großvater - Praetorianus - hatte es immerhin zum Ritter geschafft. Schon eher die Liga, die er für sich selbst als Ziel gesteckt hatte.


    „Ich komme aus Hispania, um dich nach Obdach in der Casa unserer Familie zu bitten. Ich habe beschlossen, meinen weiteren Lebensweg von nun an in Rom zu bestreiten.“


    Flavus hielt es für besser direkt mit der Tür ins Haus zu fallen. Langes drum herumreden half ihnen schließlich beiden nicht. Dabei versuchte er so ruhig und abgeklärt wie möglich zu wirken, während er einen Kampf gegen seine innere Aufregung führte.

    Der Ianitor ließ sich nicht lange bitten und lud den jungen Flavus mit freundlicher Geste in das Innere der Casa, ehe er selbst davonging um seinen Herrn - den Consular - über seine Ankunft zu unterrichten. Das Atrium des städtischen Decimii-Anwesens ließ nichts zu wünschen übrig. Einrichtung und Schnitt zeugten davon, dass einige Mitglieder der Gens und Bewohner dieses Domizils über genug Sesterzen verfügten um angemessen und prunkvoll leben zu können. Statuae und Büsten, Mosaike, Pflanzen und Bänke zogen seine Blicke auf sich. Wenn es nach ihm ginge, würde dieser Ort sein neues Zuhause werden. Er befand es für besser sich gleich an diese Umgebung zu gewöhnen und sich mit so vielem wie möglich vertraut zu machen.


    Während er wartete, dass einer seiner Verwandten auftauchte, und eine Büste nach der anderen Abschritt, ließ er sich von einem der anderen herumwuselnden Sklaven etwas Wasser bringen. Seine Kehle war nach dem Fußmarsch durch die Stadt etwas trocken und kratzig, sodass das kühle Nass zu einer wohltuenden Erfrischung wurde.

    Zügig wurde sein Klopfzeichen durch das Knarzen der öffnenden, schweren Türe beantwortet. Die dunklen Züge eines Sklaven lugten heraus und erkundigten sich nach dem Wunsch des Mannes, der für ihn ein Fremder war. Flavus räusperte sich.


    „Salve. Mein Name ist Gaius Decimus Flavus.“


    Kurz versuchte er irgendeine Reaktion in den Zügen des Torwächters zu erkennen, ehe er in reserviertem Ton fortfuhr.


    „Sage einem deiner Herren, dass ich Einlass erbitte.“

    Lang war seine Reise gewesen, beschwerlich mochten Manche sagen. Nun, da er sich von seinem Weggefährten der letzten Wochen, ein Pelzhändler mit rustikalem Eselkarren, verabschiedet und angemessen entlohnt hatte, trat er durch die Pforten Romas und bekam die Schönheiten dieser Stadt einmal mehr mit eigenen Augen zu Gesicht. Die Gedanken an die Reise rutschten weit in die hintersten Stuben seines Verstandes. Glieder, die soeben noch geschmerzt hatten, erfuhren eine neue, angenehme Frische. Einzig der Nacken, der die schwere Aufgabe hatte, den Kopf beim wilden Herumblicken zu unterstützen, knackte protestierend als Flavus sich reckte um so viele Eindrücke und Bilder wie nur möglich aufzunehmen.


    Das letzte Mal, als er dieser Stadt einen Besuch abstattete, lag eine halbe Ewigkeit zurück. Er konnte sich nur noch vereinzelnd und bruchstückhaft daran erinnern. Nun hatte der schicksalhafte Pfad seines Lebens ihn jedoch erneut hierher verschlagen. Roma war die Stadt des Augustus, der Mittelpunkt der zivilisierten Welt, in mehr als nur einer Hinsicht. Für jemanden, der zu etwas werden wollte, und die nötigen Grundlagen dafür mitbrachte, hielt sie zahlreiche Möglichkeiten parat. Nach seiner eigenen Auffassung war die Stadt am Tiber genau der richtige Ort für Flavus. Er kam aus einer angesehenen, bürgerlichen Familie. Als Sprössling der hispanischen Decimer hatte er durchaus erfolgreiche, bisweilen ruhmreiche Vorfahren und Verwandte vorzuweisen, dessen Namen einen weiten Schatten über alles warfen, was er jemals im Leben vollbringen würde. Er konnte niemandem versprechen seiner Familie gerecht zu werden, doch er konnte von sich selbst verlangen, das Möglichste aus sich heraus zu holen. Er hielt sich für recht klug, durchaus kräftig dazu und somit in der Lage für sich selbst und allen, die seinen Namen trugen, Ehre zu ehrweisen.


    Nun also durchschritt er die Straßen dieses Ortes, ein klares Ziel vor Augen. Die Casa Decima Mercator lag gefühlt auf der anderen Seite der riesigen Metropole, auf der Westseite des Caelius. Von seinen dort lebenden Verwandten erhoffte sich der junge Iberer Verständnis, Beistand und Unterstützung für sein Vorhaben, sich hier durchzusetzen und dem Streben nach einer eigenen Karriere, die sein Leben prägen sollte. Nach langem Fußmarsch erreichte er also schließlich die Pforte der Casa, zu dem Zeitpunkt als seine Füße gerade einer anfänglichen Taubheit nachgeben wollten. Nachdem er ein paar Mal kräftig durchgeatmet hatte, klopfte er an…